„Patientenorientierte Versorgung ist kaum realisierbar"
Mit der Bildung der neuen Bundesregierung endet auch die Arbeit der Regierungskommission Krankenhäuser – im aktuellen „Blickpunkt Klinik“ fordert Kommissionsleiter und Psychiater Tom Bschor noch einmal Reformen für sein Fach.

An Psychiatrie und Psychosomatik zieht das Krankenhausversorgungs-Verbesserungsgesetz (KHVVG) vorüber. Dabei hatte die Regierungskommission Krankenhäuser auch für diesen großen Versorgungsbereich eine Neuordnung empfohlen. „Deutschland ist in den Psych-Fächern eigentlich exzellent aufgestellt. Wir haben überdurchschnittlich viele Betten und auch die ambulante psychotherapeutische Versorgung steht personell besser da als bei unseren europäischen Nachbarn“, sagt Tom Bschor, Facharzt für Psychiatrie, außerplanmäßiger Professor an der TU Dresden und Leiter der Regierungskommission Krankenhäuser. Dennoch gehe die Zahl der Krankschreibungen und Frühverrentungen wegen psychischer Erkrankungen stetig nach oben. Die Menge verschriebener Antidepressiva hat sich seit 1990 verachtfacht. Der Experte fordert deshalb für die Versorgung mehr Flexibilität im Hinblick auf das therapeutische Setting.
Stationärer Sektor dominiert
Anders als andere Länder Europas, die in Psychiatrie und Psychotherapie verstärkt auf ambulante Angebote und kürzere Behandlungszyklen setzen, dominiert in Deutschland der klinische Sektor mit seinen langen Verweildauern. Eine flexiblere Versorgung könnte sich theoretisch auf psychiatrische Institutsambulanzen (PIAs), Tageskliniken und eine aufsuchende Versorgung stützen – praktisch bleibt etwa die Versorgung in PIAs jedoch hinter dem Bedarf zurück. Die Krankenhäuser leiden unterdessen unter personellen Defiziten: Kaum mehr als 40 Prozent der Kliniken erfüllen laut Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) alle Anforderungen für die therapeutischen und pflegerischen Berufsgruppen der Richtlinie zur Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik (PPP-RL).
Eine flexible Behandlung in den verschiedenen Settings – ambulant, aufsuchend, tagesklinisch oder stationär – sei derzeit kaum realisierbar, sagt Bschor: „Solche Konzepte sind immer mit Entlassung und Wiederaufnahmen verbunden. Zudem muss das Bett frei bleiben, damit der Patient wiederkommen kann.“ Die Kliniken sollten deshalb entscheiden können, ob sie nach Tagespauschalen, also mit dem PEPP-System, vergütet werden, oder sie ein sogenanntes Globalbudget in Anspruch nehmen. In diesem Modell könne sich die Frage des Settings flexibel nach dem Patientenbedarf richten, „ohne dass es dafür organisatorische oder ökonomische Zwänge gibt."
Bessere Versorgung in Modellvorhaben
Die Regierungskommission empfahl in ihrer Stellungnahme zum Thema, die sogenannten Modellvorhaben für die Versorgung psychisch kranker Menschen nach Paragraf 64b SGB V auszubauen. Die Regelung ermöglicht Projekte, in denen Krankenhäuser für eine definierte Anzahl von Patienten ein Gesamtbudget für alle Formen der stationären ambulanten Versorgung (im Krankenhaus) erhalten – unabhängig von der Leistungsmenge. „Die Evaluation ‚EVA64‘ hat gezeigt, dass damit vollstationäre Behandlungstage vermieden und der Anteil teilstationärer Tage beziehungsweise ambulanter Behandlungen im Krankenhaus erhöht werden konnte“, sagt Dr. Anne Neumann, Fachbereichsleiterin Seelische Gesundheit am Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung des Uniklinikums Dresden, das die Projektergebnisse auswertete. Ein anderer wichtiger Aspekt ist, Bschor zufolge, dass das Globalbudget den Kliniken starke Anreize für eine gute Prävention gebe.
Viele Bundesländer haben in ihren Krankenhausplänen zuletzt zusätzliche psychiatrische Betten ausgewiesen. So stieg die Anzahl von gut 72.000 im Jahr 2015 auf zuletzt (2023) knapp 77.000. Die drei Fächer Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychosomatik stellten in dem Jahr etwa 15 Prozent aller Krankenhausbetten.
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