Die Arztpraxis als Schutzort vor Gewalt
Für Jüdinnen und Juden gehören Bedrohungen zum Alltag. Auch in Deutschland sind sie permanenten Gefahren ausgesetzt, die sich durch die Eskalation im Nahen Osten drastisch erhöht haben. Schutz sollen jüdische Bürger im Notfall in sogenannten „Welcome Places“ finden, zu denen sich immer mehr Arztpraxen gesellen.
Jüdinnen und Juden werden bedroht und attackiert. An ihre Lokale und Treffpunkte werden rote Dreiecke gesprüht, das Kennzeichen der Hamas für ihre Terrorziele. Häuser und Wohnblocks, in denen Juden wohnen, werden mit einem Davidstern beschmiert. Bereits bis Oktober hat sich die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verdoppelt. Waren 2023 bis Anfang Oktober – und damit kurz vor den Terroranschlägen der Hamas – noch etwa 1.600 antisemitische Straftaten durch die Polizei erfasst worden, belief sich die Zahl von Anfang Januar bis Anfang Oktober 2024 auf mehr als 3.200. Die deutschen Sicherheitsbehörden haben sich nach den Terroranschlägen der Hamas vom 7. Oktober 2023 und durch die darauffolgende Eskalation in Nahost immer wieder besorgt gezeigt.
Bundesweite Welcome-Places
Die Kantorin der Jüdischen Gemeinde in Berlin, Avitall Gerstetter, hatte daher die Idee, bundesweit ein Netzwerk sicherer Orte zu initiieren. Diese Welcome Places sollen Schutz für alle Menschen bieten, die in Bedrängnis sind. An der Aktion beteiligen sich bereits verschiedene Institutionen, Unternehmen, Ladengeschäfte, Hotels und Restaurants. Sie signalisieren durch ein Schild oder einen Aufkleber, dass hier Menschen Zuflucht finden können.
Auch immer mehr Räumlichkeiten von Ärzten in ganz Deutschland gehören dazu. „Arztpraxen sind ein Ort, wo Patienten Hilfe suchen und finden“, erläutert der Bundesvorsitzende des Virchowbundes, Dr. Dirk Heinrich. Das müsse in gleichem Maße auch für diejenigen gelten, die in akuter Gefahr seien. Daher sei es für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte selbstverständlich, sich an dem Projekt zu beteiligen.
„Arztpraxen sind ein Ort, wo Patienten Hilfe suchen und finden.“
Bundesvorsitzender des Virchowbundes
Schutzräume finden Anklang
Im Sommer hat der Verband nach eigenen Angaben von der Idee erfahren und Kontakt mit Avitall Gerstetter aufgenommen, die in ihrer Gemeinde schlicht „Avitall“ genannt wird. Bei der Hauptversammlung des Virchowbundes seien die Delegierten informiert worden und hätten die Initiative mit anhaltendem Applaus unterstützt, schildert Heinrich. Viele hätten gleich die „Welcome Places“-Schilder mitgenommen. Andere wollten die Aktion in ihrer Region bekannt machen und sie vor Ort mit anderen Partnern umsetzen. „Insofern stehen wir erst am Anfang“, sagt Heinrich. Alle Mitglieder seien zudem über die diversen Kommunikationskanäle informiert worden, in denen auf die offizielle Homepage welcomeplaces.org verwiesen wird. Auf dieser Seite können die Schilder bestellt werden. Laut Heinrich entsteht auch noch ein Erklärvideo speziell für Arztpraxen.
Eine App ist laut Projektleiter Samuel Urbanik vom „Salon Avitall“ ebenfalls in Arbeit. Sie soll Hilfesuchenden Welcome Places in ihrer Nähe zeigen. Allerdings seien hierzu noch viele datenschutzrechtliche Fragen zu klären. Urbanik räumt ein, dass die Resonanz auf die Aktion zurzeit noch etwas dürftig sei. Daher wolle die kleine Gruppe an Ehrenamtlichen der Jüdischen Gemeinde zu Berlin Werbung und Medienarbeit ausbauen. Der Gesundheitssektor sei aber jetzt schon überdurchschnittlich vertreten, was ihn sehr freue. Demnächst sollten verstärkt Krankenhäuser angefragt werden.
Allein das Engagement hilft
Die Initiative des Virchowbundes wird von der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung unterstützt, wie diese auf Anfrage betonen. Vorbereitungen oder Schulungen für das Personal teilnehmender Praxen seien nicht notwendig, erläutert Heinrich. Die Praxen bräuchten nur Empathie und einen funktionierenden Telefonanschluss. „Es geht darum, bedrängten Menschen erste Sicherheit zu geben und dann die Polizei zu rufen.“
Der Virchowbund-Chef hält das Engagement jeder einzelnen Arztpraxis für bedeutsam. „Genau die eine Praxis, die hilft, macht im Einzelfall den Unterschied.“ Und letztlich gehe es darum, „ein sichtbares Zeichen nach außen zu setzen, dass wir in unserer Gesellschaft Übergriffe auf vermeintliche Minderheiten oder vermutlich Schwächere unter keinen Umständen dulden“.
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