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Reanimation durch Laien könnte pro Jahr tausende Leben retten

20.11.2023 Thorsten Severin 5 Min. Lesedauer

Bei der Wiederbelebung durch Laien hängt Deutschland im Vergleich zu einigen anderen europäischen Ländern hinterher. Welche Folgen das hat und wie Experten die Lage verbessern wollen.

Foto: Zwei Hände führen eine Herz-Druck-Massage auf dem Brustkorb eines Mannes aus.
In anderen europäischen Ländern ist die Quote der durch Laien durchgeführten Reanimationen deutlich höher.

Rund 70.000 Menschen sterben in Deutschland pro Jahr an einem plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand. Experten sind sich einig: Um diese Zahl zu reduzieren, müssen mehr Laien vor dem Eintreffen des Rettungswagens mit der Reanimation beginnen. In anderen europäischen Ländern ist das wesentlich häufiger der Fall. Fachgesellschaften sehen die Lösung unter anderem in einem Wiederbelebungsunterricht schon in der Schule.

Laienreanimationsquote liegt bei 51,3 Prozent

Im Notfall zählt jede Sekunde. Doch bis Rettungsdienst oder Notarzt am Ort des Geschehens sind, vergehen statistisch gesehen mindestens acht Minuten, wie Jan-Thorsten Gräsner, Direktor des Instituts für Rettungs- und Notfallmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, gegenüber G+G erläutert. Daher sei es enorm wichtig, diese Zeitspanne nicht ohne Maßnahmen verrinnen zu lassen. „Das Gehirn braucht Sauerstoff und der Laie kann mit Wiederbelebungsmaßnahmen einen wichtigen Beitrag zum Überleben der Betroffenen beitragen.“ Ohne Maßnahmen sinke mit jeder verstrichenen Minute die Chance für den Patienten, den Herz-Kreislauf-Stillstand zu überleben.

Immerhin: Mit einer Laienreanimationsquote von 51,3 Prozent im Jahr 2022 ist Deutschland schon deutlich besser als vor 15 Jahren. De facto hätten fast dreimal so viele Menschen mit Wiederbelebungsmaßnahmen vor Eintreffen des Rettungs- und Notarztdienstes begonnen als 2007 – teilweise unterstützt durch eine Anleitung der Leitstelle am Telefon, wie Gräsner erläutert. „Dennoch liegen wir im europäischen Vergleich immer noch unter dem Durchschnitt.“

Niederlande und Norwegen als Vorreiter

In den Niederlanden oder in Norwegen beträgt die Quote der von Laien gestarteten Reanimationen knapp 80 Prozent. Gräsner, der in der Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) Sprecher der Sektion Notfallmedizin ist, weiß, woran das liegt. In den Niederlanden seien in den vergangenen Jahren, regional begrenzt auf Amsterdam und die Großregion, enorme Anstrengungen bei der Ausbildung von Laien erbracht worden. Zusätzlich habe es groß angelegte Medienkampagnen gegeben und die Anzahl an öffentlich zugänglichen automatischen Defibrillatoren (so genannten AED) sei massiv gesteigert worden. Und in Norwegen werde seit Jahrzehnten die Herz-Druck-Massage wie auch die Beatmung in den Schulen unterrichtet. „Diese frühe Heranführung an die einfachen Maßnahmen im Kindesalter und die Gewissheit, dass bis zum Eintreffen der Profis die Laienreanimation überlebenswichtig ist, sind ein Teil des Erfolgsrezeptes, die Norwegen erneut in der aktuellen europäischen Vergleichsstudie auf Platz eins gebracht haben“, ist Gräsner überzeugt.

Der Mediziner geht davon aus, dass pro Jahr bis zu 10.000 Leben zusätzlich in Deutschland gerettet werden könnten, „wenn alle Abschnitte der Überlebenskette stark sind und ineinandergreifen“. Jedes einzelne Kettenglied sei bedeutend. „Suboptimale oder gar keine Maßnahmen in einem Abschnitt können leider nicht durch noch so perfekte andere Kettenglieder ausgeglichen werden.“ Daher komme es so sehr auf die Laien an. Was diese also anfangs unterlassen, ist später nicht mehr nachholbar.

Forderung nach Wiederbelebungsunterricht in der Schule

Die DGAI, aber auch andere Fachverbände wie die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), machen sich daher für einen Wiederbelebungsunterricht im Lehrplan stark. Der Schulunterricht sei eine sehr gute Gelegenheit, Kinder an die einfachen Maßnahmen der Wiederbelebung heranzuführen, und sie zugleich in ihrer Kompetenz zu bestärken, anderen Menschen helfen zu können, sagt Gräsner. Denkbar seien zwei Stunden pro Jahr ab der siebten oder achten Klasse, zum Beispiel im Biologie- oder Sportunterricht. Aber auch jüngere Schülerinnen und Schüler könnten die Maßnahmen „Prüfen“ und „Rettungsdienst rufen“ erlernen. Es gebe immer wieder Fälle, bei denen sehr junge Kinder selbstständig den Notruf abgesetzt hätten.

Divi spricht sich für zwei Schulstunden pro Halbjahr spätestens ab der siebten Klasse und damit für ein ähnliches Modell aus. Kindern und Jugendlichen komme eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum gehe, Menschen zurück ins Leben zu holen, betonte kürzlich Präsidiumsmitglied Bernd Böttiger. Kultusminister aus Ost und West, Süd wie Nord fänden die Forderungen immer unterstützenswert und sie stünden letztlich auch im Koalitionsvertrag. Trotzdem sei weiterhin kein Wiederbelebungsunterricht flächendeckend eingeführt worden, bedauert Böttiger.

Herz-Kreislauf-Stillstand kann jeden treffen

Die Zeit, bis zu der Sanitäter oder Notarzt beim Patienten eintreffen, ist laut Gräsner in den vergangenen Jahren gleichgeblieben. Zwar gebe es regionale Unterschiede, aber der Rettungsdienst sei meist unterhalb von zehn Minuten am Einsatzort. Hinzu komme aber noch die Zeit bis zum Eintreffen beim Patienten. Von der Politik erhofft sich der Notfallexperte nicht nur, dass der Wiederbelebungsunterricht fest in die Lehrpläne integriert wird. In Gesetzen könne die Politik zudem neu definieren, „was macht der Rettungsdienst und wie schnell muss er für unterschiedliche Notfälle vor Ort sein“.

Herz-Kreislauf-Stillstände, die zu 58 Prozent kardiale Ursachen haben, erleiden laut Reanimationsregister die meisten Betroffenen zu Hause (65,4 Prozent), weitere 18,9 Prozent an öffentlichen Orten. Der durchschnittliche Patient ist laut DGAI-Reanimationsregister ein 70-jähriger Mann. Ein Drittel der Betroffenen ist jedoch deutlich jünger. Es könne also „jede und jeden in jedem Alter“ treffen, mahnt die Fachgesellschaft.

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1 Kommentar

Eine gute Idee, die gerne umgesetzt werden soll, damit mehr Leben gerettet werden können. Die Kinder werden in Ihrer Kompetenz bestärkt, lernen sozialen Umgang (der immer mehr fehlt) , können sich einbringen und vll. einmal Wichtiges leisten, wenn es darauf ankommt. Schade, dass man schon sooo viele Jahre nur darüber spricht und "nichts geschieht". Das kenne ich, denn unsere Bürokratie in Deutschland und auf den Behörden etc. macht es möglich, im Kleinen, wie im Großen..Auch bei unserer noch so tollen Europaschule in Hünfelden ist es oft mehr Schein als Sein, hier und bei so vielen weiteren Themen.

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