Ampel will mit Strategie Tierversuche weiter reduzieren
Um die Sicherheit neuer Arzneimittel zu gewährleisten, kommen bei der Entwicklung Tierversuche zum Einsatz. Die Bundesregierung hat nun die Erarbeitung eines Konzepts angestoßen, um Tierversuche generell zu verringern. Denn mittlerweile gibt es Möglichkeiten tierversuchsfreie Forschung zu betreiben. G+G gibt einen Einblick in den aktuellen Stand.
Eine Reduktionsstrategie zu Tierversuchen hat sich die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt. „Wir verstärken die Forschung zu Alternativen, ihre Umsetzung in die Praxis und etablieren ein ressortübergreifendes Kompetenznetzwerk“, heißt es in dem Ampel-Abkommen dazu. Ein finales Konzept für die Strategie ist für das erste Halbjahr 2025 geplant, kündigte nun Anfang September das federführende Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) an. „Wichtig ist, dass wir Tiere besser schützen und unnötiges Leid verhindern, aber die teils lebensrettende Forschung weiter möglich ist", erklärte Ophelia Nick, Staatssekretärin im BMEL zum Startschuss für die Erarbeitung eines strategischen Ansatzes. Den Grundstein legte hierfür ein Treffen von Expertinnen und Experten.
Ministerien für Gesundheit, Forschung und Umwelt beteiligt
Beteiligt am Prozess sind Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Forschung, Wirtschaft und Tierschutzorganisationen sowie die fachlich betroffenen Bundesministerien. Hierzu zählen Bundesgesundheitsministerium, Bundesforschungsministerium sowie das Bundesumweltministerium, teilte ein BMEL-Sprecher auf G+G-Nachfrage mit. Für die Organisation und Begleitung des Erarbeitungs- und Konsultationsprozesses sei das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R) zuständig als nachgeordnete Behörde im Geschäftsbereich des BMEL.
Zu den Schwerpunktthemen biomedizinische Grundlagenforschung, regulatorische Pharmakologie und Toxikologie sowie Aus-, Fort- und Weiterbildung sollen konkret entsprechende Arbeitsgruppen die Reduktionsstrategie entwickeln. Im Rahmen der zweitägigen Veranstaltung hätten sich verschiedene Expertengruppen intensiv hierzu ausgetauscht, so der BMEL-Sprecher. Die nächsten Schritte sähen nun vor, dass sich dieser konstruktive Austausch in den kommenden Monaten fortsetze. Konkretere Details seien zu diesem frühen Zeitpunkt aber noch nicht möglich.
Pyrogen-Test an Kaninchen ab 2025 verboten
Dass Forschung für die Medizin nicht mehr in jedem Fall unbedingt auf Tierversuche angewiesen ist, zeigt unter anderem der sogenannte Pyrogen-Test. Dieser kommt inzwischen ohne Kaninchen als Versuchstiere aus. Das offizielle Aus vermeldete jüngst das Paul-Ehrlich-Institut (Pei) und nannte diesen Schritt einen „Meilenstein“ in der Arzneimittelforschung. Der Test wird zum 1. Juli 2025 aus den europäischen Vorschriften zur Arzneimittelprüfung gestrichen.
Den Kaninchen-Test gab es mehr als 80 Jahre. Er diente als Sicherheitstest, um festzustellen, ob bestimmte Substanzen in Arzneimitteln Fieber erzeugen. Denn mit dem Test können Verunreinigungen in Arzneimitteln frühzeitig nachgewiesen werden, die bei Patientinnen und Patienten lebensbedrohliche Nebenwirkungen hervorrufen können, erklärt das Pei dazu. Die Entwicklung einer tierversuchsfreien Methode dauerte laut Pei rund 20 Jahre.
Synthetisches Verfahren auch in den USA anerkannt
Neuere Tests wie der rekombinante-Faktor-C-Test auf Endotoxin- und der Monozyten-Aktivierungstest auf Pyrogengehalt können nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts nun ganz auf Tiere oder Material tierischen Ursprungs verzichten. Dabei wird ein Enzym, das vom bedrohten Pfeilschwanzkrebs stammt, im Labor hergestellt. Ein weiterer Schritt, um die Zahl von Versuchstieren zu verringern. Insgesamt ist die Anzahl seit Jahren rückläufig, liegt aber immer noch im Bereich von rund 1,7 Millionen Tieren (siehe Infokasten).
Speziell die Zahl der Tierversuche für den Pyrogentest in Deutschland lag nach jüngsten Erhebungen im Jahr 2022 bei 1.078 Kaninchen, heißt es auf der Homepage von „Ärzte gegen Tierversuche“, die sich für die Abschaffung von Tierversuchen generell einsetzen. Die Initiative begrüßt, dass das synthetische Verfahren nun auch vom Arzneibuch der USA anerkannt wird, fordert aber ein Verbot des LAL-Tests in Europa, da hier nach wie vor Pfeilschwanzkrebse für Versuche erlaubt sind.
72 Prozent der Versuchstiere sind Mäuse
Der Einsatz von Tieren für Versuchszwecke in der Forschung geht langsam aber stetig zurück. Nach neuesten Zahlen des Bf3R, das Teil des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) ist, sank die Zahl um 134.000 auf rund 1,7 Millionen Wirbeltiere und Kopffüßler im Jahr 2022. Die meisten waren mit 72 Prozent Mäuse, daneben mit zwölf Prozent Fische und mit sechs Prozent Ratten. Aber auch Katzen waren mit 538 Tieren dabei. Während bei diesen Arten die Anzahl rückläufig war, gab es bei den Hunden einen Anstieg um rund 200 auf 2.873 Tiere.
Das Bf3R merkt in seinem Bericht dazu an: Dass auch bei Hunden und Katzen der Anteil an erneut verwendeten Tieren mit 50 Prozent bei Hunden und 60 Prozent bei Katzen sehr hoch sei. Aus diesem Grund sei dementsprechend die Anzahl der erstmalig erfassten Tiere deutlich geringer als die Anzahl der Tiere im Versuch. Im Jahr 2022 wurden 1.440 Hunde und 214 Katzen erstmalig gemeldet. Hunde und Katzen werden laut BMEL insbesondere zur Erforschung von Tierkrankheiten sowie für gesetzlich vorgeschriebene Prüfungen von Tier- und Humanarzneimitteln verwendet. Gesetzlich geregelt ist die erlaubte Verwendung von Tieren für Versuche im Tierschutzgesetz, Paragraf 7.
Ergebnisse von Tierversuchen nur bedingt nützlich
Ein anderes aktuelles Beispiel: Am Deutschen Zentrum zum Schutz von Versuchstieren forschen Wissenschaftlerinnen an Gewebekulturen, die eine Schwangerschaft „simulieren“ sollen. So können Tests erfolgen, die für das Ungeborene potenziell riskante Chemikalien und Arzneimittel aufspüren. Diese Alternative ist tierversuchsfrei, weil sie Embryoide aus Mäusezellen nutzt.
Neue Wege zu beschreiten, hat unter Umständen weitere positive Effekte. Denn Nachteile von Tierversuchstests können sein, „dass Ergebnisse bei einer Tierart nur bedingt auf andere oder auf den Menschen übertragbar sind“, heißt es in dem Bericht des Bf3R dazu. Das könne bedeuten, dass ein gefährlicher Stoff nicht entdeckt werde „oder im Gegenteil, dass ein potenziell nützliches Arzneimittel als vermeintlicher Schadstoff aussortiert wird“.
Tierversuche teilweise gesetzlich vorgeschrieben
Ob ein Tierversuch sinnvoll ist oder andere Methoden vielleicht besser, sei von Fall zu Fall zu betrachten, erläutert Roman Stilling, wissenschaftlicher Referent von „Tierversuche verstehen“, einer Informationsinitiative der Allianz der Wissenschaftsorganisationen. „Bei jedem einzelnen Versuch muss man sich immer anschauen: ist der aussagekräftig? Was liefert er uns für Daten und welche Methoden können wir anwenden, um die Daten anderweitig zu generieren?“, führt Stilling im Gespräch mit G+G aus. Zudem müssten die Methoden international abgestimmt und harmonisiert sein. Hierfür gebe es Gremien, in denen auch zum Beispiel das Paul-Ehrlich-Institut beteiligt sei, sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene.
Neue Vorgehensweisen ohne Versuchstiere wie mikrofluidische Systeme, die den künstlichen Nachbau von Geweben und Organen ermöglichen, eröffneten aber auch ein neues Spektrum an Fragestellungen. In der Medizinforschung seien Tierversuche schon länger auf dem Rückzug. Bei regulatorischen Tests von Medikamenten läge der Anteil bei etwa zehn Prozent. Andrerseits seien Tierversuche jedoch nach wie vor unabdingbar. Allein, weil diese in bestimmten Fällen gesetzlich vorgeschrieben seien, so Stilling. Denn nach den Richtlinien der Europäischen Union zur Zulassung von Arzneimitteln und Impfstoffen ist vorgegeben, dass in der präklinischen Phase die Substanzen an zwei unterschiedlichen Tierarten auf schwerwiegende Nebenwirkungen untersucht werden müssen.
„Phänomenaler Durchbruch“ durch Künstliche Intelligenz
Es gelte auch zu bedenken, dass noch nicht alles einfach im Labor nachgebaut werden könne. „Im Bereich der Grundlagenforschung ist es so, dass wir in vielen Fällen sicherlich noch am Anfang stehen beim Verständnis der grundlegenden Prozesse, die das Leben, den Körper und die Zusammenarbeit der Organsysteme angehen“. Anderseits lassen neue technische Errungenschaften wie Künstliche Intelligenz (KI) großes Erhoffen. Ein „phänomenaler Durchbruch“ sei das Programm Alphafold, das die Vorhersage von Proteinfaltung mithilfe von KI liefert. Nützlich, um Krankheiten besser zu verstehen und effizientere Medikamente zu entwickeln. An anderer Stelle sei KI jedoch noch lange nicht ausgereift und eine Art „Black Box“, die nicht zwingend zuverlässig sei.
Ob die geplante Reduktionsstrategie der Bundesregierung wirklich weiterhelfen könne, ist für Stilling noch unklar. Denn Anfragen im Bundestag hätten im Vorfeld gezeigt, dass aufgrund vorhandener Regularien wenig Spielraum bestünde und bei Anträgen nachgewiesen werden müsse, dass es keine andere Möglichkeit zum Tierversuch gebe. In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im November vergangenen Jahres hieß es, „dass in Bezug auf Tierversuche die EU-Versuchstierrichtlinie einen detaillierten und eng gefassten rechtlichen Rahmen setze. Die Mitgliedsstaaten dürften danach keine neuen strengeren nationalen Regelungen erlassen. Neue tierschutzrechtliche Anforderungen im Bereich der Anwendung von Alternativmethoden in der Praxis würden zu einer Verschärfung des nationalen Rechts führen und wären daher nicht zulässig“.
Förderung durch BMBF seit 1980
Grundsätzlich sieht die Ampel-Regierung in der Intensivierung der Förderung der Entwicklung und im Einsatz von Alternativmethoden zu Tierversuchen „das größte Potential zur Reduzierung der Zahl verwendeter Versuchstiere“, ging im Januar aus einer Antwort auf eine Anfrage der Unions-Fraktion hervor. Und verwies darauf, dass bereits seit 1980 das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Förderrichtlinie „Alternativmethoden zum Tierversuch“ jährlich verschiedene Forschungsansätze fördere, die Tierversuche vollständig ersetzen, die Anzahl der verwendeten Tiere minimieren beziehungsweise die Belastung für die Tiere verringern sollen.
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