Der smarte Patient: Wir brauchen eine kleine Revolution
Im Alltag läuft vieles digital, nicht zuletzt durch die Nutzung des eigenen Smartphones. Doch im Hinblick auf digitale Gesundheitsanwendungen und eine digital gestützte Gesundheitsversorgung hinkt Deutschland hinterher. Wie das Smartphone zum Kompass für die eigene Gesundheit werden kann, erläutert der Vorstandsvorsitzende und Ärztliche Direktor der Universitätsmedizin Essen, Jochen A. Werner, im Interview.
Herr Professor Werner, wir alle sind ständig am Handy – zu viel Smartphone-Konsum ist gar nicht gut für uns. Wie kann mir mein Smartphone dennoch helfen, gesund zu werden und zu bleiben?
Prof. Dr. Jochen A. Werner: Das Smartphone wird ein entscheidender Schlüssel für die Gesundheitsversorgung und die Prävention werden. Wir müssen den Konsum nur auf die richtigen Anwendungen lenken. Kaum einer verlässt das Haus noch ohne sein Smartphone. Viele koordinieren Termine und Kontakte hierüber. Ganz selbstverständlich erledigen wir auch Bankgeschäfte per App von unterwegs. Das alles dient dazu, um uns den Alltag zu erleichtern und dadurch unsere Lebensqualität zu erhöhen.
Wir füttern viele Anwendungen längst mit einer Vielzahl persönlicher Daten. Aber bei der eigenen Gesundheit ist häufig Schluss – unverständlicherweise. Dabei gibt es beispielsweise schon eine Vielzahl von Apps, die durch Krankenkassen zugelassen sind. Diese Digitalen Gesundheitsanwendungen (Digas) bieten Informationen und Präventionsmaßnahmen, unterstützen bei Training und Ernährung und – vielleicht am wichtigsten – können in Kombination mit einer Smartwatch medizinische Daten über einen längeren Zeitraum messen und speichern sowie analysieren.
Wir müssen zu smarten Patienten werden, die ihre eigene Gesundheit souverän im Blick haben. Die Digitalisierung ist dabei ein wichtiges Instrument, lässt das Smartphone zum Kompass und zur Plattform für unsere Gesundheit in einem noch sehr analogen Gesundheitssystem werden. Das Smartphone ist ein Schlüssel, um Medizin zu personalisieren, leistungsfähiger zu machen, die Früherkennung von Krankheiten zu unterstützen und auch, um die Verwaltung und Nutzung von persönlichen Daten zu verbessern. Andere Länder machen uns längst vor, wie das ohne Kontrollverlust beim Datenschutz funktionieren kann.
„Wir füttern viele Anwendungen längst mit einer Vielzahl persönlicher Daten. Aber bei der eigenen Gesundheit ist häufig Schluss – unverständlicherweise.“
Vorstandsvorsitzender und Ärztlicher Direktor der Universitätsmedizin Essen
Was ist bisher die größte Errungenschaft der Digitalisierung im Gesundheitswesen?
Prof. Dr. Werner: Zunächst müssen wir leider die deprimierende Diagnose stellen, dass die Perspektiven einer digital gestützten Gesundheitsversorgung und der aktuelle Status – einschließlich der gesellschaftlichen Affinität zur Digitalisierung – in Deutschland massiv auseinanderlaufen. Wo könnten wir heute in der Gesundheit, der Wirtschaft und beispielsweise auch der Verwaltung schon stehen, wenn wir in den letzten zehn bis 15 Jahren unser Land entschlossen digitalisiert hätten? Stattdessen ist dieses Thema bis heute in der politischen Landschaft und beispielsweise auch beim Zuschnitt von Bundesministerien sträflich untergewichtet. Jeder fordert zwar Digitalisierung, aber niemand macht sie oder zeichnet konkret dafür verantwortlich. Es fällt also in diesem rückwärtsgewandten, von Stagnation geprägten Umfeld mehr als schwer, Errungenschaften im Sinne von bereits erreichten Meilensteinen herauszustellen.
Wir dürfen dennoch nicht resignieren und müssen nach vorne schauen. Vielleicht liegt die größte Chance im Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). In einem Interview mit dem Handelsblatt Ende Oktober hat Bill Gates prognostiziert, dass KI ihre Treffergenauigkeit in den kommenden zwei bis fünf Jahren signifikant steigern wird, verbunden mit erheblichen Kostensenkungen. Wir sehen bereits heute an der Universitätsmedizin Essen, dass KI in einigen Bereichen, etwa bei der Mustererkennung oder der Verarbeitung und Analyse von großen Datenmengen, dem Menschen überlegen ist. Darüber hinaus hat KI das Potential, die Medizin wieder empathischer zu machen, indem Medizinisches Personal und Ärzte von sich wiederholenden administrativen Aufgaben entlastet und bei Diagnose- und Therapieentscheidungen unterstützt werden. Am Ende kann KI die Versorgung von Patienten menschlicher, präziser, sicherer und schlichtweg besser machen.
Noch lässt sich nicht exakt absehen, in welchem Umfang KI die Medizin von morgen verändern wird. Ich persönlich glaube, dass das Potenzial gigantisch ist. Bereits heute kristallisiert sich die Bedeutung für die personalisierte Therapie von Krebserkrankungen heraus und auch für die Gesundheitsprävention gibt KI wichtige Impulse.
Was wünschen Sie sich für die Digitalisierung im Gesundheitswesen bis 2030?
Prof. Dr. Werner: Aufklärung und tatsächliches Tun. Wir werden es nicht schaffen, die Digitalisierung voranzutreiben, wenn Menschen nicht allumfassend über dieses Thema aufgeklärt sind. Ich kann die Ablehnung mancher sogar nachvollziehen. Wenn ich selbst nicht ausreichend über ein Thema informiert bin, bleibe ich als eigentlich sehr offener Mensch auch immer ein bisschen skeptisch.
Ergo brauchen wir gleichsam als Grundlage für eine modernere Medizin auch einen zeitgemäßen, einen smarten Patienten. Der smarte Patient verkörpert einen neuen, informierten Typus, der digital basierte Versorgung aktiv einfordert, und dies nicht nur im Krankheitsfall, sondern ebenso bei der lebenslangen medizinischen Begleitung und der Prävention. Im Gegenzug leistet der smarte Patient selbst erhebliche persönliche Beiträge, indem er verantwortlich und achtsam mit seiner Gesundheit umgeht. Er muss bereit sein, digital zu agieren, digitale Services in Anspruch zu nehmen, darüber hinaus auch Datennutzung zuzulassen und diese zudem für das Gemeinwesen zur Verfügung zu stellen. Vieles davon hat Merkmale einer kleinen Revolution. Und diese brauchen wir auch, nachdem wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten erlebt haben, dass das Gesundheitssystem kaum reformierbar ist.
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