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Es braucht einen viel breiteren Ansatz

20.08.2024 AOK Hessen 4 Min. Lesedauer

Das „Gesundes-Herz-Gesetz“ soll im nächsten Schritt im Bundeskabinett beraten werden. Das Vorhaben stößt trotz des unverfänglichen Titels auf viel Kritik. So ist unter anderem geplant, Beitragsgelder, die für Gesundheitsförderung und Prävention genutzt werden, für Arzneimittel und Check-ups umzuwidmen. Wir sprachen darüber mit Dr. Katharina Böhm, der Geschäftsführerin der Hessischen Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e. V. (HAGE).

Das Porträt zeigt eine Frau mittleren Alters mit sehr kurzen brünetten Haaren und den Ansatz eines schwarzen Blazers.
Dr. Katharina Böhm, Geschäftsführerin der HAGE - Hessische Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung e.V.

„Pillen statt Prävention“ lautet der massivste Vorwurf gegen das „Gesundes-Herz-Gesetz“ (GHG). Können Sie dem Vorhaben auch etwas Positives abgewinnen?

Da muss ich länger überlegen. Die Problemanalyse stimmt: Der Gesetzentwurf bemängelt, dass Deutschland mit rund 5.000 Euro pro Einwohner und Jahr so viel wie kein anderes Land in der EU für Gesundheit ausgibt, die Lebenserwartung in Deutschland aber im Vergleich zu vielen westeuropäischen Ländern deutlich geringer ausfällt. Man könnte also sagen, das BMG hat das Problem erkannt. Nur leider leitet es meiner Ansicht nach die völlig falschen Maßnahmen ab.

Welche „Risiken und Nebenwirkungen“ sehen Sie bei diesem Gesetz?

Meine grundsätzliche Kritik an dem Gesetz ist, dass es nur an den Symptomen ansetzt und nicht an den Ursachen. Das GHG zielt primär darauf, Herzkreislauferkrankungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, statt sie zu verhindern. Die Mittel hierfür sollen aus dem Präventionstopf der Krankenkassen Die 97 Krankenkassen (Stand: 26.01.22) in der gesetzlichen Krankenversicherung verteilen sich auf… kommen und somit zu Lasten der Primärprävention Prävention bezeichnet gesundheitspolitische Strategien und Maßnahmen, die darauf abzielen,… gehen. Die im Gesetz vorgesehene Anamnese „lebensstilbezogener Risikofaktoren“ – wie Bewegungsmangel, ungesunde Ernährungsweise, Tabak- und Alkoholkonsum – im Rahmen der erweiterten Check-ups wird weitgehend ohne Effekt bleiben. Diese Regelungen sind Ausdruck des sehr engen und rein medizinischen Gesundheitsverständnisses von Minister Lauterbach. Lebensweisen lassen sich in der Regel nicht einfach auf Rat einer Ärztin oder eines Arztes und auch nicht durch einen einmaligen Präventionskurs ändern. Lebensstile sind die Folge vielschichtiger sozialer und individueller Prozesse. Interventionen müssen deshalb bei den jeweiligen Lebenswelten der Menschen ansetzen und diese, am besten mit den Menschen gemeinsam, gesundheitsförderlich verändern. Nur zwei Beispiele: Wenn der Weg zur Schule oder Kita aufgrund der Verkehrsführung gefährlich ist, werden Sie ihr Kind mit dem Auto zur Schule bringen, auch wenn Sie wissen, dass Fahrradfahren für Ihr Kind eigentlich besser wäre. Sie können sich vornehmen, sich gesund zu ernähren – wenn es aber in der Kantine nur Fast Food gibt und ihr Kolleginnen- und Kollegenkreis sich dort mittags trifft, werden Sie vermutlich trotzdem dort essen.

Wo würden Sie ansetzen?

Ich halte es für wenig zielführend, einzelne Krankheiten per Gesetz zu adressieren. Die meisten der nichtübertragbaren Krankheiten wie Krebs, Diabetes oder COPD haben dieselben Ursachen. Hier braucht es einen viel breiteren Ansatz. Aber sowohl der im Koalitionsvertrag genannte Nationale Präventionsplan als auch die Beschränkung von Werbung für ungesunde Lebensmittel, die sich an Kinder und Jugendliche richtet, wurden bislang nicht umgesetzt.

Die HAGE vernetzt Präventionsaktivitäten in Hessen und entwickelt eigene Konzepte. Welche Änderungen oder gar Einschränkungen könnte das Gesetz für die HAGE bedeuten?

Unmittelbar gehe ich von keiner Einschränkung aus. Denn die Mittel nach § 20a SGB V für Leistungen zur Gesundheitsförderung ist ein fortlaufender Prozess mit dem Ziel, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über… und Prävention in Lebenswelten, über die einige unserer Projekte finanziert werden, sind im aktuellen Gesetzesentwurf nicht von der „Umschichtung“ betroffen. Insgesamt betrachte ich die Entwicklungen aber mit Sorge: Das GHG ist leider nur eine von mehreren Initiativen von Gesundheitsminister Lauterbach in Richtung einer Einengung der Prävention. Auch die Pläne für das neue Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) widersprechen einem modernen Verständnis von Gesundheitsförderung und Prävention, nach dem wir in der HAGE handeln und wie es ja auch die WHO empfiehlt. Wir verstehen Gesundheitsförderung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir setzen bei den Lebenswelten an und versuchen diese, gemeinsam mit den jeweiligen Akteuren der Lebenswelt, gesundheitsförderlich zu gestalten. Das ist meist ein langwieriger Prozess, der oft nicht leicht umzusetzen ist, aber dafür zielführend ist und nachhaltig wirkt. Dieser Ansatz erfährt aber leider aktuell kaum Unterstützung durch das BMG.

Politische Öffentlichkeitsarbeit

Norbert Staudt

AOK Hessen