Hintergrund

Gesundheitspolitik in der EU

Corona und Co. machen nicht vor Grenzen halt. Die EU reagiert mit dem Aufbau einer Gesundheitsunion. Dabei gilt: mehr Zusammenarbeit in den Grenzen nationaler Souveränität.

Flaggen der EU-Staaten vor dem Gebäude des EU-Parlaments in Straßburg

Laut EU-Charta (Artikel 35) hat jeder Mensch „das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“. Politik und Maßnahmen der Union sollen in allen Bereichen einen Gesundheitsschutz auf hohem Niveau sicherstellen.

Für die Gesundheitspolitik Die Gesundheitspolitik ist ein facettenreiches Gebiet, das weit über die in der Öffentlichkeit mit… und auch für die Pflege Kann die häusliche Pflege nicht im erforderlichen Umfang erbracht werden, besteht Anspruch auf… gilt in der EU grundsätzlich das Subsidiaritätsprinzip Das Subsidiaritätsprinzip ist ein Grundbegriff der katholischen Soziallehre aus der päpstlichen… . Danach ist die konkrete Gestaltung der Gesundheitsversorgung Sache der 27 Mitgliedsstaaten. Die EU ergänzt die nationale Gesundheitspolitik, indem sie etwa gemeinsame Projekte ins Leben ruft, koordiniert und mitfinanziert.

Im EU-Vertrag heißt es dazu: „Bei der Tätigkeit der Gemeinschaft im Bereich der Gesundheit der Bevölkerung wird die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang gewahrt.“ Eine Harmonisierung der nationalen Gesundheitsvorschriften schließt der EU-Vertrag ausdrücklich aus.
 
Die EU ergänzt die Gesundheitspolitik der Mitgliedstaaten, indem sie deren Gesundheitsbehörden bei der Umsetzung gemeinsamer Ziele, der Bündelung von Ressourcen und der Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen unterstützt. Dem dienen insbesondere EU-weit geltende Rechtsvorschriften und Normen für Gesundheitsprodukte, vor allem für Arzneimittel Nach der Definition des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind Arzneimittel insbesondere Stoffe und… und Medizinprodukte Medizinprodukte sind Apparate, Instrumente, Vorrichtungen, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder… . Zudem stellt die EU Mittel für Gesundheitsprojekte zur Verfügung. Dazu gehören zum Beispiel Impfkampagnen, die Bekämpfung der Antibiotikaresistenz, der gemeinsame Kampf gegen Krebserkrankungen, Programme zur psychischen Gesundheit oder eine verbraucherorientierte Kennzeichnung von Lebensmitteln.

Entwicklung der gemeinsamen Gesundheitspolitik

Mit dem Vertrag von Maastricht leiteten die EU-Staaten ab 1993 mehr Kooperation in einzelnen Themenfeldern der Gesundheitspolitik ein. Das betraf zunächst vor allem die Gesundheitsförderung ist ein fortlaufender Prozess mit dem Ziel, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über… und den Gesundheitsschutz, die Finanzierung medizinischer und gesundheitspolitischer Forschungsprogramme sowie bessere gegenseitige Information. Die EU-Kommission förderte und koordinierte unter anderem Projekt zur Erforschung und Bekämpfung von Aids, zur Eindämmung des Rauchens oder gegen Alkoholmissbrauch.
 
Eine wichtige Weichenstellung war die Einrichtung einer EU-Arzneimittelagentur 1995. Die EMA koordiniert als eine Art Arbeitsgemeinschaft in Zusammenarbeit mit den Behörden und Einrichtungen der Mitgliedstaaten die Arzneimittelzulassung Im Interesse der Arzneimittelsicherheit bedürfen seit dem 1. Januar 1978 alle Fertigarzneimittel… und die Überwachung aller Human- und Tierarzneimittel in der EU. Bereits 1993 verabschiedeten die EU-Institutionen eine Medizinprodukte-Richtlinie zur Vereinheitlichung von Zulassungs- und Sicherheitsvorgaben in diesem Bereich. 1998 kam eine Richtlinie für In-vitro-Diagnostika (zum Beispiel Bluttests) hinzu. Um die Patientensicherheit zu verbessern, wurden beide Richtlinien Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) konkretisiert in Richtlinien mit Bindungswirkung für… 2017 durch eine neue Medizinprodukte-Verordnung Einige Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bedürfen einer schriftlichen Anweisung durch… und eine EU-Verordnung für In-vitro-Diagnostika abgelöst. Das nach einer Übergangsfrist für 2020 beziehungsweise 2022 vorgesehene Inkrafttreten verzögerte sich durch die Corona-Pandemie und Engpässe beim neuen Zertifizierungsverfahren mehrfach.
 
Der Vertrag von Amsterdam von 1997 weitete das gemeinsame Handeln im Gesundheitsbereich aus. Jetzt ging es auch um Präventionsmaßnahmen bei Volkskrankheiten wie Krebs, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie das Eindämmen von Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz. Mit der stärkeren gesundheits- und sozialpolitischen Zusammenarbeit reagierten die EU-Staaten nicht zuletzt auf die Erfordernisse des Binnenmarktes mit zunehmenden Wanderungsbewegungen.
 
2011 regelte die EU-Richtlinie zur Patientenmobilität für alle EU-Bürger die Kostenübernahme bei der Inanspruchnahme von Behandlungen im Ausland: Die Behandlungskosten werden von der Krankenversicherung oder dem Gesundheitssystem des Patienten bis zu der Höhe erstattet, die auch bei der entsprechenden Leistung im Inland angefallen wären. Deutschland hatte diese, auf seit 1998 ergangene Urteile des Europäischen Gerichtshofes zurückgehende Regelung bereits 2004 im Sozialgesetzbuch Das Sozialgesetzbuch (SGB) fasst die wichtigsten Sozialgesetze zusammen und soll „zur Verwirklichung… (SGB V) verankert.

Corona-Krise und Aufbau einer Gesundheitsunion

Die Corona-Pandemie mit Grenzschließungen und nationalen Alleingängen führte die EU im Frühjahr 2020 in eine ihrer schwersten Krisen. Der nach der Europawahl 2019 gewählten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gelang es jedoch, Kommission und EU-Einrichtungen durch zentrale Verhandlungen mit Impfstoffherstellern, die beschleunigte Zulassung Die Berechtigung, zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Leistungen zu erbringen, setzt… von Corona-Impfstoffen, das Beschaffen ausreichender Impfstoffdosen und die Unterstützung globaler Impfstoff-Allianzen als erfolgreichen Krisenmanager zu positionieren. Hinzu kam die Entwicklung eines digitalen Covid-19-Zertifikates. Es wurde nicht nur von allen 27 EU-Staaten als Nachweis über eine Impfung, eine Genesung oder eine negative Corona-Testung anerkannt, sondern weltweit von vielen anderen Staaten übernommen.
 
Als Reaktion auf die Pandemie und zum Schutz vor künftigen grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren begann die EU bereits Mitte 2020 mit dem Aufbau einer „Gesundheitsunion“. Über das zum Start mit mehr als fünf Milliarden Euro ausgestattete Finanzprogramm EU4Health wurden Instrumente zur Krisenvorsorge und für eine bessere grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gefahrenfall geschaffen, darunter vor allem die neue Behörde für Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA). Sie spielt zudem die zentrale koordinierende Rolle bei bereits angelaufenen und noch geplanten Maßnahmen gegen Liefer- und Versorgungsengpässe bei Medikamenten und anderen wichtigen Medizinprodukten. Dazu gehört auch die im April 2024 offiziell gestartete „Allianz für kritische Arzneimittel“. In dem Bündnis sollen Pharmaindustrie, Verbände und Organisationen des Gesundheitswesens sowie nationale Arzneimittelbehörden gemeinsam mit der EMA Empfehlungen für eine sicherere Versorgung mit wichtigen Arzneimitteln erarbeiten.

Zudem wurden Aufgabenbereiche und Kompetenzen der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und des Europäischen Zentrums für die Prävention Prävention bezeichnet gesundheitspolitische Strategien und Maßnahmen, die darauf abzielen,… und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) erweitert. Das schließ auch eine bessere Vernetzung mit den nationalen Einrichtungen ein. Die EMA beobachtet intensiver als vor der Pandemie die Versorgungssituation bei Medikamenten. Das ECDC hat als Frühwarninstanz stärker als bisher mögliche Gesundheitsgefahren im Blick.
 
In den 2022 verabschiedeten neuen Rechtsvorschriften zu grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren ist vorgesehen, dass ein EU-Plan für Gesundheitskrisen und Pandemien aufgestellt wird, der den Informationsaustausch zwischen EU-Einrichtungen und nationalen Stellen enthält. Die Kommission darf auf Basis gesicherter Informationen eine gesundheitliche Notlage auf EU-Ebene feststellen. Ein „Beratender Ausschuss“, dem unabhängige Experten sowie Vertreter der Gesundheits- und Sozialberufe und der Zivilgesellschaft angehören, soll in die Festlegung von Reaktionsmaßnahmen einbezogen werden. Die Kommission berichtet fortlaufend über die Vorsorge Für die medizinische Vorsorge und die Rehabilitation gilt der Grundsatz ambulant vor stationär – das… - und Reaktionsplanung der Mitgliedstaaten. Vorgesehen ist zudem das gemeinsame Beschaffen von Medikamenten oder anderen Medizinprodukten.

Zum Abschluss ihrer Amtszeit hat die EU-Kommission Ende Mai 2024 die Erfolge der gemeinsamen Gesundheitspolitik herausgestellt und sich für einen Ausbau der Gesundheitsunion ausgesprochen. Als kommende Aufgabenfelder nannten Vizepräsident Margaritis Schinas und Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels, eine sichere Arzneimittelversorgung, Strategien gegen antimikrobielle Resistenzen sowie bessere Prävention und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auf die nächste Kommission warte überdiese die Aufgabe, EU-Beitrittskandidaten bei der Modernisierung ihrer Gesundheitssysteme Der Zugang aller Bürger zu einer umfassenden gesundheitlichen Versorgung unabhängig von ihrem… zu unterstützen.

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Arzneimittelreform und gemeinsame Nutzenbewertung

Die von der EU-Kommission im April 2023 vorgeschlagene Arzneimittelstrategie für Europa zielt vor allem darauf ab, die Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit wichtiger Medikamente in allen Mitgliedsländern zu sichern – unter anderem durch mehr Wettbewerb. Zudem sollen Pharmaforschung und die Entwicklung innovativer Arzneimittel finanziell gefördert werden. Das betrifft vor allem den Bereich seltener Erkrankungen, Antibiotika und Arzneimitteln für Kinder.
 
Durch die Pandemie bekam die schon länger auf der Agenda stehende Überarbeitung und Zusammenführung der gesamten EU-Arzneimittelgesetzgebung in einer EU-Verordnung und einer Richtlinie eine weitere Stoßrichtung: Angesichts krisenanfälliger globaler Lieferketten sollen Arzneimittelforschung und Produktionsstandorte in Europa gefördert werden. Die Reform bezieht auch Schwerpunkte des Europäischen Plans zur Krebsbekämpfung ein, darunter die bessere Vernetzung der onkologischen Forschung und Unterstützung der Pharmaforschung.
 
Das Europaparlament hat am 10. April 2024 seine Positionen zum EU-Pharmapaket verabschiedet. Der Mitgliedsländer haben sich bislang noch nicht auf eine gemeinsame Haltung verständigt. Die Trilog-Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission über die endgültige Fassung von Verordnung und Richtlinie können deshalb erst nach der Europawahl und damit frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2024 beginnen.
 
Unabhängig von der Arzneimittelreform einigten sich die EU-Staaten und das Europaparlament nach mehrjährigen Verhandlungen 2021 auf ein einheitliches Verfahren zur gemeinsamen Nutzenbewertung für neue Arzneimittel (EU-HTA). Es soll auch den Verwaltungsaufwand für Pharmaunternehmen reduzieren, die ihre Studien nicht mehr in jedem Land einzeln, sondern nur noch zentral bei der EU-Arzneimittelagentur einreichen müssen.

EU-HTA befindet sich derzeit noch in der Vorbereitungsphase. Ab 2025 beginnen die Bewertungsverfahren zunächst für Krebsmedikamente und sogenannte neuartige Therapien (ATMP). Ab 2028 werden Medikamente zur Behandlung seltener Erkrankungen (Orhan Drugs) einbezogen, ab 2030 dann alle Neuzulassungen.
 
Im Streit um EU-HTA ging es vor allem um die von der EU-Kommission angestrebte Führungsrolle und eine verpflichtende Übernahme der Bewertungsergebnisse durch alle EU-Länder. Staaten mit bereits funktionierender Nutzenbewertung und hohen Standards, darunter Deutschland, befürchteten deutliche Qualitätseinbußen. Der Kompromiss sichert die nationale Handlungsfreiheit: Die Ergebnisse der gemeinsamen Bewertung klinischer Studien werden in EU-HTA-Berichten veröffentlicht und sollen von den Mitgliedstaaten bei ihren jeweiligen Entscheidungen über einen Zusatznutzen und bei Preisentscheidungen oder Preisverhandlungen berücksichtigt werden. Für Deutschland koordiniert der Gemeinsame Bundesausschuss das EU-HTA-Verfahren.

Perspektivisch sollen auch Medizinprodukte in das EU-Nutzenbewertungsverfahren einbezogen werden. Dazu gibt es noch keinen konkreten Zeitplan.

Europäischer Gesundheitsdatenraum

Ein weiteres Projekt der Gesundheitsunion ist der Aufbau eines europäischen Gesundheitsdatenraumes (European Health Data Space – EHDS). Mit dem ambitionierten Digitalisierungsprojekt will die EU die Gesundheitsversorgung verbessern und die Medizin- und Pharmaforschung fördern. Nötig ist dazu der Aufbau einer gemeinsamen digitalen Infrastruktur für den Austausch elektronische Patientenkurzakten, elektronischer Rezepte, Bild- und Labordaten oder Krankenhaus Krankenhäuser sind Einrichtungen der stationären Versorgung, deren Kern die Akut- beziehungsweise… -Entlassberichte.
 
Die EU-Kommission legte dazu im März 2022 einen Verordnungsvorschlag vor. Auf dessen Grundlage einigten sich das Europaparlament und der Rat Mitte März 2024 auf einen legislativen Rahmen. Wie bei der Diskussion um die elektronische Gesundheitskarte in Deutschland ging es bei den Beratungen insbesondere um die Frage des Schutzes der persönlichen Gesundheitsdaten beim grenzüberschreitenden digitalen Austausch.

Das Ergebnis: Alle EU-Bürger sollen das Recht auf eine kostenlose elektronische Gesundheitsakte erhalten. Eine europaweite Pflicht zu deren Verwendung wird es jedoch nicht geben. Damit bleiben die EU-Vorgaben vereinbar mit der sogenannten Opt-out-Regelung in Deutschland. Danach gilt, dass die Bürger einer Verwendung ihrer Gesundheitsdaten sowohl für die individuelle Behandlung (Primärnutzung) als auch für die anonymisierte Weitergabe an Dritte (Sekundärnutzung), etwa zu Forschungszwecken oder zur Politikplanung, widersprechen können.
 
Der Zugang von Ärzten und anderen Gesundheitsberufen zur digitalen Gesundheitsakte wird auf unmittelbare Behandlungszwecke beschränkt. Die Patienten müssen über jeden Zugriff informiert werden. Wenn der Patient dem Zugriff widersprochen hat, soll der Zugang nur „zum Schutz lebenswichtiger Interessen“ erlaubt sein.
Um persönliche Diskriminierung zu unterbinden, wird innerhalb der EU die Datenweitergabe an Krankenkassen Die 97 Krankenkassen (Stand: 26.01.22) in der gesetzlichen Krankenversicherung verteilen sich auf… , Versicherungen, Banken und Arbeitgeber oder zu Werbezwecken verboten. Die Verordnung räumt den Mitgliedstaaten das Recht ein, die Nutzung von Daten für die Forschung national strenger zu regeln – etwa durch ausdrückliche Zustimmung (Opt-in) bei genetischen oder anderen besonders sensiblen Informationen. Die Sekundärnutzung „für Zwecke des öffentlichen Interesses, der politischen Entscheidungsfindung oder für Statistikzwecke“ soll indes generell erlaubt sein.

Der Zugang zum grenzüberschreitenden Datenaustausch und der Zugriff auf Forschungsdaten soll in jedem Land durch eine nationale Aufsichtsbehörde genehmigt und kontrolliert werden.
 
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Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika

2017 hat das EU-Parlament nach mehrjähriger Diskussion eine neue EU-Medizinprodukteverordnung verabschiedet. Sie löste nach vierjähriger Übergangsfrist im Mai 2021 eine über zwanzig Jahre alte EU-Richtline ab. Die neue Verordnung regelt einen europäischen Binnenmarkt mit rund 25.000 Herstellenden sowie mehr als 500.000 Arten von Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika (IVD).

Für IVD, das sind Medizinprodukte zur Laboruntersuchung von aus dem menschlichen Körper stammenden Proben, gilt eine ebenfalls 2017 verabschiedete und nach fünf Jahren Übergang im Mai 2022 in Kraft getretene Verordnung.

Die neuen Verordnungen haben vor allem zum Ziel, die Patientensicherheit und die Markttransparenz zu verbessern. Dazu wurden die Qualitätskriterien und Zulassungsvorganben verschärft. Anlass für die Reform waren unter anderem die Skandale um minderwertige Brustimplantate oder zu schnell brechende Hüftgelenke. Zu mehr Transparenz soll auch der Aufbau der Produktdatenbank EUDAMED beitragen.
 
Die Prüfung von Medizinprodukten obliegt auch nach der Reform sogenannten Benannten Stellen. Dazu gehören in Deutschland beispielsweis der TÜV und die Dekra. Sie können die Hersteller nun auch unangekündigt überprüfen und müssen sich jährlich selbst der Kontrolle durch nationale Behörden stellen. Da sie nicht nur neue Produkte zertifizieren müssen, sondern auch alle älteren Medizinprodukte erneut zertifiziert werden müssen, gibt es deutliche Engpässe bei den Benannten Stellen.
 
Die Pandemie hat die Probleme verschärft. Auf Drängen der Mitgliedsländer wurden die Zertifizierungsfristen mehrmals verlängert, zuletzt im April 2024. Die EU-Kommission will zudem die EU-Verordnungen überprüfen, um gegebenenfalls schnellere Verfahren zu ermöglichen und den Aufwand für die Unternehmen zu verringern.
 
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Koordinierung der Sozialversicherungssysteme

Bereits seit den 1970er-Jahren gab es EG-Verordnungen, die dafür sorgen sollten, dass Beschäftigte und Selbstständige sowie deren Familienangehörige ohne soziale Nachteile in einem anderen Mitgliedsland arbeiten oder leben können. Der ab 2004 als „Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“ bezeichnete Politikbereich regelt über verschiedene Verordnungen und Richtlinien die Ansprüche von EU-Bürgern auf Sozialleistungen innerhalb der Union. Dabei geht es unter anderem um Renten- oder Krankenversicherungsbeiträge und Ansprüche auf Geldleistungen, etwa Arbeitslosenunterstützung. Beitrags-, Arbeits- oder Aufenthaltszeiten in verschiedenen EU-Ländern werden berücksichtigt.
 
Grundsätzlich unterliegen EU-Bürger immer nur den Rechtsvorschriften eines Landes und bezahlen auch nur in einem Land Beiträge. Welches Land zuständig ist, entscheiden die jeweiligen Sozialversicherungsträger. Leben oder arbeiten EU-Bürger in einem anderen Mitgliedsland, gelten für sie dieselben Rechte und Pflichten wie für die jeweiligen Staatsangehörigen.
Es handelt sich ausdrücklich nicht um ein eigenständiges EU-System, sondern um das Koordinieren der unterschiedlichen nationalen Rechtsvorschriften. Diese Zusammenarbeit schließt auch Norwegen, die Schweiz, Island und Liechtenstein ein. Für die Kooperation mit dem Vereinigten Königreich gelten seit dem „Brexit“ gesonderte Regelungen.
 
Für alle EU-Bürger spürbar wurde die Koordinierung der sozialen Systeme durch die flächendeckende Einführung der Europäischen Krankenversicherungskarte ab 2004. Die „European Health Insurance Card (EHIC)“ löste die bis dahin notwendigen Auslandskrankenscheine ab und erleichtert so den Zugang zu medizinischen Leistungen im EU-Ausland. In Deutschland ist die EHIC Bestandteil der elektronischen Gesundheitskarte. 2017 gab es den Anstoß für einen elektronischen Datenaustausch zwischen den nationalen Versicherungsträgern und die Einführung eines digitalen europäischen Sozialversicherungsausweises. Die praktische Umsetzung dauert noch an.
 
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