Fehlerkultur
Was sind unerwünschte Ereignisse und wie häufig passieren Fehler? Die Fehlerkultur gewinnt in Medizin und Pflege an Bedeutung.
Die Fehlerkultur im Gesundheitswesen
Die Qualität der Gesundheitsversorgung ist in Deutschland sehr hoch. In der Regel verlaufen Behandlungen im Krankenhaus Krankenhäuser sind Einrichtungen der stationären Versorgung, deren Kern die Akut- beziehungsweise… oder im ambulanten Bereich ohne Zwischenfälle. Doch überall, wo Menschen arbeiten, passieren Fehler, so auch in der Gesundheitsversorgung. Gravierende Fehler sind zwar selten, doch sie können ernste Folgen für Patientinnen und Patienten haben. Deshalb engagieren sich die Akteure des Gesundheitswesens, auch die Krankenkassen Die 97 Krankenkassen (Stand: 26.01.22) in der gesetzlichen Krankenversicherung verteilen sich auf… , für die größtmögliche Vermeidung von Fehlern im Rahmen einer medizinischen Behandlung und in der Pflege Kann die häusliche Pflege nicht im erforderlichen Umfang erbracht werden, besteht Anspruch auf… . Denn die Sicherheit der Patientinnen und Patienten zu wahren ist seit jeher oberstes ärztliches Gebot.
Das Thema Fehler in der Medizin hat in den vergangenen 20 Jahren weltweit immer mehr Gewicht bekommen. Bereits 2002 widmete sich der Berliner Gesundheitspreis – initiiert vom AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… -Bundesverband, von der damaligen AOK Berlin und der Ärztekammer Berlin – dem Thema „Fehlervermeidung in Medizin und Pflege“. 2005 gründeten Vertreter von Gesundheitsberufen, Patientenorganisation und Verbänden, darunter der AOK-Bundesverband, das Aktionsbündnis Patientensicherheit setzt sich für eine kontinuierliche Verbesserung der Patientensicherheit in Deutschland ein. In dem… (APS).
Im Mittelpunkt des Engagements steht die Frage, wie in Medizin und Pflege mit Fehlern umgegangen wird. Ziel ist eine Fehlerkultur, die einen offenen Umgang mit Fehlern fördert mit dem Ziel, diese künftig zu vermeiden. Denn aus Fehlern lernen heißt, die Patientensicherheit zu erhöhen.
Was sind Fehler in Medizin und Pflege?
Fehler in Medizin und Pflege lassen sich nicht immer auf ein individuelles Handeln oder Versagen zurückführen. Das „Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin“ verweist auf eine Fehlerkette, die häufig zum Tragen kommt. In dem sogenannten Schweizer-Käse-Modell wird zwischen aktivem und latentem Versagen unterschieden.
Auch in der Art der Fehler wird differenziert:
- Vermeidbare unerwünschte Ereignisse: Hierzu zählt etwa, wenn sich die Operationswunde des behandelten Menschen aufgrund von Hygienemängel im Krankenhaus entzündet.
- Unvermeidbare unerwünschte Ereignisse sind Komplikationen, die man nicht vorhersehen konnte, etwa, wenn Patientinnen und Patienten mit einem Wirkstoff behandelt werden, gegen den sie allergische reagieren. Die Unverträglichkeit dagegen stand nicht in der Patientenakte und war dem Behandelten nicht bewusst..
- Ein kritisches Ereignis ist ein Ereignis, das zu einer Schädigung führen könnte, falls nicht korrigiert wird. Es kann also zu einem unerwünschten Ereignis kommen oder dessen Wahrscheinlichkeit erhöhen, etwa wenn ein Medikament anders verabreicht wird, als in der Krankenakte vermerkt.
- Ein Fehler ist eine Handlung (oder ein Nichthandeln), bei der vom Behandlungsplan abgewichen wird, ein falscher oder gar kein Plan vorliegt. Es ist bei der Fehlerdefinition nicht relevant, ob daraus ein Schaden entsteht. Bei der Fehleranalyse und -behebung unterscheidet das Fehlermanagement zwischen der personen- und der systemorientierten Sichtweise.
Keine genauen Kenntnisse über die Häufigkeit von Behandlungsfehlern
Die Jahresstatistiken des Medizinischen Dienstes (MD) Bund informieren zu Behandlungsfehlern, die sie über die Meldung der Krankenkassen ermittelt haben. Diese Zahlen sind nicht repräsentativ, sie zeigen lediglich die Begutachtungszahlen des MD Bund. Mit 13.000 bis 14.000 Behandlungsfehlervorwürfen jährlich begutachten die Medizinischen Dienste vermutete Behandlungsfehler. Die Gutachterinnnen und Gutachter des MDB bestätigen jeden vierten gemeldeten Verdacht als Fehler mit Schaden. Rund 40 Prozent der Vorwürfe kommen aus der stationären Chirurgie und davon 30 Prozent aus Orthopädie und Unfallchirurgie. Rund 16 Prozent wurden aus Praxen und Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) gemeldet, die konservativ behandelt haben, und etwa vier Prozent aus dem Pflegeheim.
Ein Behandlungsfehlerregister, in dem verpflichtend jeder Fehler aus jedem Versorgungsbereich zu dokumentieren ist, gibt es in Deutschland bislang nicht. Die Zahl der gerichtlich anerkannten Behandlungsfehler liegt bei rund 12.000 pro Jahr.
An folgende Institutionen könne sich Patientinnen und Patienten wenden, wenn sie in der medizinischen Diagnostik, Behandlung oder in der Pflege einen Behandlungsfehler vermuten:
- gesetzliche Krankenkassen
- Unabhängige Patientenberatung (UPD) Die unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) ist ein deutschlandweiter Verbund unabhängiger…
- Anwältinnen und Anwälte für Medizinrecht
- Schlichtungsstellen oder Gutachterkommissionen bei den Landesärztekammern
- Interessengemeinschaften Medizingeschädigter
Der Umgang mit Fehlern in Medizin und Pflege
Eine fehlerhafte Behandlung oder Nichtbehandlung ist nicht per se sogenannter Ärztepfusch, Kunstfehler Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn eine medizinische Behandlung nicht nach den zum Zeitpunkt der… oder ein Behandlungsfehler. Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegefachpersonen schädigen ihre Patientinnen und Patienten meist nicht vorsätzlich.
Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn eine ärztliche oder pflegerische Versorgung nicht nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht, die Behandlung aufgrund dieser Verpflichtung heraus nicht angemessen, sorgfältig oder zeitgerecht durchgeführt wurde und ein Verschulden nachweisbar ist. Der Begriff Behandlungsfehler umfasst unterschiedliche Arten von Fehlverhalten – er ist ein juristisch definierter Terminus.
Im medizinischen Betrieb können Fehler für die Behandelten besonders tragisch sein, deshalb geht die Fehleranalyse analog der Hochrisikoindustrien (Atomkraft, Luftfahrt) immer stärker in eine systemeorientierte Fehlerbetrachtung. Denn wird nur der Einzelne eines Fehlers beschuldigt, kann sich der gleiche Fehler bei ihm und bei anderen Mitarbeitenden wiederholen – das systemische Problem in der Abteilung wird nicht beseitigt. Werden Fehler vertuscht, belastet das die betroffene Person und man verwirkt die Chance, andere Patientinnen und Patienten vor der Wiederholung zu schützen.
Die ganzheitliche Perspektive geht davon aus, dass Menschen fehlbar sind und dass das System selbst (z. B. Krankenhaus, Arztpraxis, Pflegeheim) sicher angelegt sein muss, um Fehler und daraus resultierende Behandlungsschäden zu vermeiden. Das Entstehen eines unerwünschten Ereignisses hat demzufolge immer viele Ursachen auf verschiedenen Ebenen der Organisation.
Bei der systematischen Fehleranalyse geht es nicht um die Frage, wer schuld ist, sondern, was zum Fehler geführt hat. Fehler müssen als Prozess, als Ende einer Fehlerkette verstanden werden. Denn ein Zwischenfall passiert selten plötzlich und fast nie ist nur ein Verursacher beteiligt – es gibt fast immer eine „Evolution“ dahinter und meist gab es mehrere Möglichkeiten, den Fehler auf verschiedenen Ebenen zu verhindern.
Warum passieren Fehler?
Neben individuellen Fehlermöglichkeiten des Behandelnden hat die moderne Medizin immer mehr Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten entwickelt, zum Wohle der Patienten, aber auch verbunden mit mehr Fehlermöglichkeiten. Das interdisziplinäre Zusammenarbeiten, komplexere medizinische Eingriffe und konservative Behandlungen haben höhere Prozessanforderung an die Einrichtungen als früher. Ökonomische Zwänge führen zu immer kürzeren Behandlungszeiten, die Personaldecke in Klinik, Praxis und Pflege ist knapp – Ärzteschaft und Pflegepersonal arbeiten am Limit.
Fehler vermeiden mit einer transparenten Fehler- und Sicherheitskultur
Qualitätssicherung a) Qualitätssicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung: Vertragsärzte, Krankenhäuser und… und Transparenz in der Fehlerberichterstattung können Fehler verhindern. Deshalb ist es wichtig, in der Arbeitsorganisation einen Prozess zu entwickeln, in dem aus Fehlern gelernt werden kann und eine präventive Fehlerkultur entsteht. Diese Sicherheitskultur integriert sämtliche Ebenen in der Patientenversorgung – hier haben Führungskräfte in Klinik, ambulanter Versorgung und in der Pflege eine herausragende Rolle.
Seit 2014 sind die deutschen Krankenhäuser verpflichtet, ein klinisches Risikomanagement (kRM) zu implementieren. Ein offener Umgang mit Fehlern, vermehrte Vernetzung und regelmäßiger Austausch zwischen den Abteilungen sowie klarere Regelungen für die Organisations- und Führungsstruktur sind die Stellschrauben, um die Patientensicherheit in der Klinik zu sichern.
Es gibt mehrere nationale und internationale Fehlerberichtsmöglichkeiten, um die Patientensicherheit gezielt zu erhöhen.Die deutsche Ärzteschaft betreibt für Krankenhäuser ein mächtiges Fehlerberichts- und Lernsystem, das die Luftfahrt schon lange anwendet, um Fehler transparent zu machen:
Im Critical Incident Reporting System (CIRS) werden sicherheitsrelevante Ereignisse systematisch erfasst und analysiert, um daraus effektiv zu lernen. Seit 2020 organisiert die Bundesärztekammer das Netzwerk, das seit 2005 als offenes, anonymes und bundesweites System aufgebaut wurde. Mittlerweile ist CIRS in den Krankenhäusern flächendeckend verbreitet. Ziel ist es, systematisch aus glimpflich ausgegangenen Fehlern, die keinen Schaden verursacht haben, zu lernen, da man davon ausgeht, dass Ereignisse ohne Schaden häufiger sind und offener diskutiert werden können. Bei der Analyse der Ereignisse wird der Schwerpunkt auf die systematische Ursachenforschung gelegt. Wichtiges Merkmal von CIRS ist, dass die Berichte keine persönlichen Daten enthalten, die Rückschlüsse auf Personen oder Institutionen erlauben. Auf der digitalen Plattform können Fehler und sogenannte Beinaheschäden (ein Fehler ohne Schaden, der aber zu einem Schaden hätte führen können) gemeldet werden. Berichte zu positiven Erfahrungen, Lösungsvorschlägen und Berichte über richtiges Handeln zur Vermeidung eines Schadens sind ausdrücklich erwünscht.
Im ambulanten Bereich setzen insbesondere Hausarztpraxen das Fehler-Berichtstool „jeder Fehler zählt“ ein. Das richtet sich nicht nur an Ärztinnen und Ärzte, sondern auch an medizinische Fachangestellte, Personal aus Apotheken, aus Pflegeeinrichtungen und den Rettungsdienst In Notfällen gewährleistet der Rettungsdienst lebensrettende Maßnahmen und den Transport kranker und… . Hier werden kritische Ereignisse und Fehler anonym berichtet, diese können nachgelesen und kommentiert werden. Das Portal wird vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt betrieben und vom Bundesministerium für Gesundheit Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ist zuständig für die Politikbereiche Gesundheit,… gefördert.