Lexikon

Bürgerversicherung

Als Bürgerversicherung werden Modelle eines einheitlichen Krankenversicherungssystems für alle Bürger bezeichnet, im Unterschied zum bestehenden dualen System von gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und privater Krankenversicherung (PKV). Deutschland ist nach der Krankenversicherungsreform in den Niederlanden seit 2006 das einzige EU-Mitgliedsland, in dem neben der sozialen Krankenversicherung eine private Vollkrankenversicherung für einen definierten Teil der Bevölkerung (Versicherungspflicht In der Sozialversicherung sind vom Gesetzgeber definierte Personen Pflichtmitglieder. In der… ) besteht. In allen anderen EU-Ländern beschränkt sich das Geschäftsmodell der privaten Versicherungsunternehmen auf Zusatz- beziehungsweise Komplementärversicherungen zur sozialen Krankenversicherung bzw. zum staatlichen Versorgungssystem.
In die öffentliche Diskussion gebracht wurde die Bürgerversicherung in Deutschland durch die im November 2002 von der rot-grünen Bundesregierung eingesetzten „Kommission Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme“, besser bekannt als die nach ihrem Vorsitzenden bezeichnete „Rürup-Kommission“. Sie unterscheidet sich von der nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR eingeführten sowie in West-Berlin und im Saarland bis 1957 bestehenden Einheitsversicherung vor allem dadurch, dass sie das gegliederte GKV-System mit freier Kassenwahl nicht infrage stellt. In der Diskussion sind zwei Grundmodelle der Bürgerversicherung:

  • Die Beiträge werden als einheitliche Kopfpauschale Die Kopfpauschale ist eine Form der Honorierung ärztlicher Leistungen, die in einem bestimmten… erhoben. Der Arbeitgeberanteil Die Beiträge zur Sozialversicherung werden grundsätzlich von Versicherten und ihren Arbeitgebern… entfällt oder wird als festgeschriebener Anteil an der Lohnsumme eines Unternehmens gezahlt. Der Sozialausgleich Seit 2009 erhalten die gesetzlichen Krankenkassen zur Deckung ihrer Ausgaben Zuweisungen aus dem… einschließlich der Versicherung von Kindern und Jugendlichen wird über Steuern finanziert.
  • Die GKV finanziert sich weiterhin über einkommensbezogene Beitragssätze, die paritätisch von Arbeitgebern und Versicherten getragen werden. Kinder und Jugendliche bleiben beitragsfrei mitversichert, ebenso die nicht erwerbstätigen Ehepartner (Familienversicherung In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist der Versicherungsschutz von Familienangehörigen… ), für die einige Modelle allerdings analog zum Ehegattensplitting in der Einkommenssteuer nach Einkommen gestaffelte Beiträge vorsehen.

Die Bürgerversicherung mit Kopfpauschalenmodell wird von einigen Gesundheitsökonomen favorisiert. In der Politik wird zwar die schrittweise Einführung von Kopfpauschalen von der CDU/CSU und der FDP betrieben, allerdings nicht im Rahmen einer Bürgerversicherung. Die Trennung in GKV und PKV wird von ihnen nicht angetastet. Die SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die Linke und auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordern hingegen ein einheitliches, einkommensbezogenes sowie von Versicherten und Arbeitgebern gemeinsam finanziertes Krankenversicherungssystem für alle Bürger. Die konkrete Ausgestaltung einer solchen Bürgerversicherung wird in folgenden Punkten kontrovers diskutiert:

  • Bündnis 90/Die Grünen und die Linke treten für eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze Für die Beitragsberechnung wird das Arbeitsentgelt bis zur Höhe der jeweiligen… auf die Höhe der heute geltenden Versicherungspflichtgrenze In der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sind Arbeitnehmer versicherungsfrei… ein, wobei die Linke weitere Anhebungen nicht ausschließt. Die SPD will vorerst die bestehende Beitragsbemessungsgrenze nicht ändern. Sie schließt auch eine Stützung des Sozialausgleichs aus dem Bundeshaushalt nicht aus.
  • Die Frage, welche Einkommensarten zur Beitragsbemessung herangezogen werden sollen, ist in keiner der genannten Parteien abschließend geklärt. Die SPD favorisiert in ihrem 2004 erarbeiteten Konzept ein „Zwei-Säulen-Modell“, das auf dem Arbeitseinkommen und den Kapitaleinkünften (mit Sparerfreibetrag) beruht, letztere ggf. in Form einer Abgeltungssteuer. Bündnis 90/Die Grünen und die Linke orientieren sich eher an den gesamten steuerpflichtigen Einkünften. Beide Lösungsansätze sind mit komplexen rechtlichen und fiskalischen Fragen verbunden.
  • Auch die Frage der Höhe des Arbeitgeberanteils ist noch nicht abschließend geklärt. Die Linke tritt für eine strikte Parität ein, während SPD und Bündnis 90/Die Grünen auch einen festen Arbeitgeberanteil in Form einer Lohnsummenabgabe nicht ausschließen.
  • Zur Einbindung der bislang privat versicherten Personen und der PKV-Unternehmen in eine Bürgerversicherung gibt es nur grobe Vorstellungen. Unstrittig ist, dass es schon aus verfassungsrechtlichen Gründen für PKV-Versicherte eine Besitzstandswahrung geben muss. Noch offen ist die Frage, wie mit den Oops, an error occurred! Code: 2024122017531867cb73f6 Event: 80feeede9b9040d6828d22d3021514d9 für die PKV-Versicherten verfahren werden soll. Auch wird kontrovers diskutiert, welches Geschäftsmodell der privaten Versicherungswirtschaft verbleiben soll: Bliebe ihr künftig nur das Geschäft mit den Zusatzversicherungen oder sollte sie – wie in den Niederlanden – auch die Möglichkeit haben, Versicherungen zu den Konditionen der GKV anzubieten?