Hintergrund

Prof. Christian Junghanß: „Der beste Krebs ist der, der gar nicht erst entsteht“

Zum Tag der Krebsvorsorge am 28. November informieren die AOK Nordost und die Krebsgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern über die Bedeutung von Früherkennungsuntersuchungen. Das Wissenschaftliche Institut der AOK hat Zahlen erhoben, wonach inzwischen mehr Menschen diese Untersuchungen wahrnehmen. Dazu gehören vor allem Frauen. Professor Christian Junghanß, Vorsitzender der Krebsgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern, hat eine klare Botschaft an die Männer und erläutert im Interview, welche Entwicklungen bei den Krebsdiagnosen in MV auffallen.

Sommer auf einer Wiese. Ein Kind streckt seinen rechten Arm vor, gehalten vermutlich von der Mutter. Diese reibt einen weißen Sonnenschutz auf die Haut. Die Gesichter der beiden Protagonistinnen sind nicht zu sehen.

Die Untersuchungen zur Früherkennung von Krebs werden von immer mehr Menschen wahrgenommen. Dazu gehören vor allem Frauen. Das zeigen Zahlen, die vom Wissenschaftlichen Institut der AOK erhoben worden sind.

Prof. Christian Junghanß, Sie sind Vorsitzender der Krebsgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern. Der Früherkennungsmonitor zeigt, dass nach der Coronapandemie wieder mehr Menschen in MV zur Vorsorge gehen. Ein Grund zum Zurücklehnen?

Insgesamt gehören die Einbrüche der Pandemiejahre, als viele Menschen aus Angst vor Ansteckung nicht zur Vorsorge Für die medizinische Vorsorge und die Rehabilitation gilt der Grundsatz ambulant vor stationär – das… gegangen sind, hoffentlich endgültig der Vergangenheit an. Die Appelle, versäumte Untersuchungen nachzuholen, haben gefruchtet. Wir müssen dennoch schauen, dass wir alle Bevölkerungsschichten mit dem Angebot der Vorsorgeuntersuchung vertraut machen. Dazu zählen auch Menschen, die aus anderen Gesundheitssystemen zu uns kommen.

Können Sie das an einem Beispiel näher erläutern?
Das Mammografie-Screening ist eine EU-Empfehlung. Damit sind zum Beispiel Frauen  aus der Ukraine oder aus Syrien unter Umständen gar nicht vertraut. Wir müssen dieses Wissen daher in alle Anteile der Gesellschaft tragen.

Wie kann das gelingen? Vielleicht durch mehrsprachige Informationen?
Die sprachliche Barriere ist das eine. Man muss aber auch Menschen die Ängste nehmen und kultursensibel beraten. Es ist nicht in allen Kulturen üblich, die Brust oder die Prostata untersuchen zu lassen. Da gibt es vielleicht auch Schamgefühle und andere Vorbehalte. Wir müssen erkennen: Wo sind die Hindernisse? Warum erreichen wir die Personen nicht? Das betrifft im Übrigen auch die anderen, die Vorsorgemuffel, die wir in Deutschland haben.

Welchen Ansatz verfolgt die Krebsgesellschaft in MV?
Nicht immer erreicht das geschriebene Wort die Bürgerinnen und Bürger.  Ein Ansatz der Krebsgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern ist daher, neue Kommunikationswege zu nutzen – insbesondere die Sozialen Medien. Mit Krebs-Informationswochen oder dem Tag der Krebsvorsorge am 28. November wollen wir die Bürgerinnen und Bürger entsprechend aufklären.

Auf welchem Niveau bewegen sich die Krebserkrankungen in MV?
Beim Hautkrebs, also beim malignen Melanom zum Beispiel, hatten wir 440 Erstdiagnosen im Jahr 2019, 414 im Jahr 2020 und 484 im Jahr 2021. Aktuellere Zahlen sind noch nicht verfügbar. Es gibt also gewisse Schwankungen, die sind aber - wenn man nur die drei Jahre betrachtet - eher klein. Das gleiche gilt auch für die Erkrankungsraten beim Brustkrebs, beim Prostatakarzinom und beim Gebärmutterhalskrebs.

Die Zahl vieler Krebsdiagnosen stagniert von Jahr zu Jahr. Gibt es auch eine positive Entwicklung?
Wir sehen, dass die Rate an Darmkrebserkrankungen abnimmt. Das ist ein bundesweiter Trend, und dieser ist sehr erfreulich: Wir beobachten das auch in Mecklenburg-Vorpommern.   2019 hatten wir noch 989 Krebspatienten diagnostiziert, 2021 nur noch 840. Dieser Rückgang an neuen Darmkrebserkrankungen ist ein stabiler Trend, der in Deutschland schon seit 1999 existiert. Dies ist im Wesentlichen ein Effekt der Vorsorgeuntersuchung. Denn wenn man während der Darmspiegelung im Darm ein sogenanntes Adenom, also einen Polypen entdeckt, dann ist dieses noch kein Krebs, aber eine Krebsvorstufe. Wenn dieser Polyp rechtzeitig entfernt wird, taucht er nicht mehr in der Statistik auf, weil sich daraus kein Krebs entwickelt. Das ist etwa sehr Positives. Diese Rate zeigt auch, wie wichtig diese Darmkrebsvorsorge ist.

Welche Faktoren tragen dazu bei, dass die Zahl der Krebserkrankungen hoch ist?
Das sind mehrere Faktoren.. Wir haben ein sehr gutes Gesundheitssystem in Deutschland und unsere Bevölkerung wird älter. Im Alter steigen aber auch die Erkrankungsraten vieler Krebsarten an. Hinzu kommen gesellschaftliche Entwicklungen. Angebote der Vorsorge werden  immer noch zu selten wahrgenommen. Es gibt natürlich auch andere Faktoren, die die Krebsrate hochschießen lassen, wie zum Beispiel Adipositas, also starkes Übergewicht. Leider haben wir auch in MV eine eher zum Übergewicht neigende Bevölkerung. Körperliche Inaktivität und Adipositas sind wichtige Risikofaktoren für die Krebsentstehung.

Die Zahlen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK zeigen, dass Frauen insgesamt häufiger zur Früherkennung gehen. Was ist Ihre Botschaft an alle Männer, die sich  jetzt noch nicht dazu entschlossen haben, eine Früherkennungsuntersuchungen vornehmen zu lassen, sei es Prostata oder auch Darmkrebs?
All diese Untersuchungen tun nicht weh. Und letztendlich ist es so, dass der beste Krebs der ist, der gar nicht erst entsteht beziehungsweise der, der früh entdeckt wird. Das tut nicht weh, das dauert nicht lange. Das kann man also gut machen.

Unsere Auswertung zeigt, dass Frauen, die in Rostock oder im Landkreis Ludwigslust Parchim leben, rund 50 Prozent häufiger zur Hautkrebsvorsorge gehen als Frauen beispielsweise aus dem Landkreis Mecklenburgische Seenplatte. Wie können Sie sich das erklären?
Man müsste sich das Alter einmal anschauen. Gegebenenfalls sind die Altersgruppen in diesen Regionen unterschiedlich. Wir haben beispielsweise in Rostock und Greifswald eine studentische, also eine eher jüngere Bevölkerung.

In welcher Altersgruppe beobachten Sie häufiger Hautkrebs?
Beim Hautkrebs gibt es eine besondere Entwicklung, die wir auch in den Zahlen des Krebsregister sehen. Früher war Hautkrebs eine Krebsart, die häufig bei dem Mann vorkam, der draußen und mit freiem Oberkörper gearbeitet hat. Wir sehen auch in Mecklenburg-Vorpommern, dass bei Personen ab dem 60. Lebensjahr mehr Männer als Frauen an Hautkrebs erkranken. Aber wir haben eine ganz klare Trendumkehr. Bei den jungen Personen liegen die Frauen als Erkrankte vorne. Bei den unter 60-Jährigen diagnostizieren wir bei Frauen mehr Hautkrebs als bei den Männern.

Womit erklären Sie das?
Es gibt natürlich verschiedene Risikofaktoren: Die Sonnenstudios, die gebräunte Haut, die insbesondere bei den Schönheitsidealen eine Rolle spielt. Es ist ganz entscheidend, dass wir hier geschlechterunabhängig versuchen, dass zum einen erst gar kein Sonnenbrand entsteht – auch in der Kindheit nicht. Dann entsteht später Hautkrebs deutlich seltener. Und zum anderen muss man sich auch zu einem gewissen Grad vielleicht von dem Schönheitsideal der dunkel gebräunten Haut verabschieden.
Deswegen haben wir in Mecklenburg-Vorpommern von der Krebsgesellschaft ein Projekt ins Leben gerufen, das sich „Sunpass“ nennt, wo wir Kindertagesstätten zertifizieren bezüglich ihrer Sonnenschutzmaßnahmen. Dieses Projekt läuft sehr erfreulich. MV ist bundesweit das Land, in dem sich die meisten Kitas haben zertifizieren lassen.