Hintergrund

Rezeptfälschungen erkennen: Detektivarbeit bei der Krankenkasse

Fehlverhalten im Gesundheitswesen kostet die Krankenkassen jährlich Millionen Euro. Eine beliebte Masche von Betrügern sind Rezeptfälschungen. Bei der AOK Nordost arbeiten Expertinnen und Experten intensiv daran, diese Fälschungen aufzudecken oder von vornherein zu verhindern.

Nach Zahlen aus dem aktuellen Fehlverhaltensbericht der AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… vom Dezember 2024 konnte die AOK-Gemeinschaft in den Jahren 2022 und 2023 knapp 43 Millionen Euro erfolgreich zurückfordern. Allein bei der AOK Nordost sind es 5,4 Millionen Euro gewesen. Die Betonung liegt auf ‚erfolgreich’, denn längst nicht alle Verluste, die den Gesetzlichen Krankenkassen Die 97 Krankenkassen (Stand: 26.01.22) in der gesetzlichen Krankenversicherung verteilen sich auf… durch Fehlverhalten im Gesundheitswesen Das Gesundheitswesen umfasst alle Einrichtungen, die die Gesundheit der Bevölkerung erhalten,… entstehen, werden kompensiert. So haben die deutschlandweit eingelösten Rezeptfälschungen über das Hepatitis-Medikament Pegasys® 2024 zu einem sechsstelligen Schaden bei der AOK Nordost geführt und sogar einen Lieferengpass hervorgerufen.

Wie werden Betrugsfälle erkannt und was passiert dann?

Es gibt verschiedene Formen von Fehlverhalten. Sie reichen von Abrechnungsfehlern über unwirtschaftliches Verordnungsverhalten bis hin zu Missbrauch und Betrug. In der AOK Nordost arbeitet das Team Fehlverhaltensbekämpfung eng mit den Fachbereichen zusammen, um Betrugsfälle aufzudecken. Aber wie werden diese erkannt und was passiert dann? „Hier gibt es grundsätzlich zwei Wege“, erläutert Harald Giray vom Team Fehlverhaltensbekämpfung. „Entweder bekommen wir Hinweise von außen – von der Polizei oder beispielsweise von Apotheken und Arztpraxen. Diese Hinweise geben wir dann zur weiteren Recherche in die Fachbereiche. Oder die Fachbereiche wenden sich an uns, weil ihnen Unregelmäßigkeiten aufgefallen sind.“ Im Fall der Ozempic-Rezeptfälschungswelle vom Frühjahr beispielsweise häuften sich beim Team Fehlverhaltensbekämpfung der AOK Nordost die Anrufe aus Apotheken, die Rezeptfälschungen erkannt hatten. „Ich habe mehrere Wochen täglich zwei oder drei Anrufe von Apotheken entgegengenommen. Unsere Beratungsapothekerinnen haben dann recherchiert und dabei neue Fälschungen gefunden. Das ging wie’s Brötchenbacken und da war klar, dass es sich um eine Rezeptfälschungswelle handelt“, sagt Giray.

Technische Unterstützung bei der Erkennung von Rezeptfälschungen

Für die Recherche von Rezeptfälschungen steht den AOKs mit dem sogenannten R300 ein spezielles Programm zur Verfügung. Aber R300 hat seine Grenzen, denn die Recherche damit ist aufwendig und mühsam. „Man muss wissen, wonach man sucht und sich dann von Rezept zu Rezept klicken“, sagt Julia Goldmann, Beratungsapothekerin bei der AOK Nordost. Hinzu kommt, dass Rezeptfälscher immer erfinderischer und professioneller werden. Die AOK Nordost hat deshalb zusätzlich zum R300 ein eigenes Tool entwickelt, das sie bei der Prüfung von Rezepten unterstützt. Darin werden vordefinierte Auffälligkeiten, die auf Betrugsfälle hinweisen, in KI-Algorithmen eingespeist, damit sie dann automatisch identifiziert werden.

100.000 Euro durch Arzthopping erschlichen

Ein gutes Beispiel sind die sogenannten Arzthopper – Versicherte, die zu mehreren verschiedenen Ärzten gehen, um sich immer wieder ihre Schmerzmittel abzuholen. Allerdings muss es sich beim Arzthopping nicht immer um kriminelle Energie handeln. Gelegentlich steckt auch ein Medikamentenmissbrauch dahinter. „Aber es gibt einfach eine Größenordnung, da kann man von Betrug ausgehen“, sagt Harald Giray. „So hatten wir einen Versicherten, der Medikamente im Wert von 100.000 Euro zusammenbekommen hat. Das kann einer allein gar nicht verbrauchen. Die hat er sehr wahrscheinlich verkauft.“

Rezeptfälschung erkannt – und nun?

Die AOK Nordost hat eine Summe von Kriterien erarbeitet, in welchen Fällen bei Rezeptfälschungen eine sogenannte Retax ausgelöst wird. Dabei gilt: Wenn die Apotheken unachtsam sind und Fälschungen aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht erkennen, retaxiert die AOK Nordost, sprich, sie holt sich das Geld für die Medikamente von den Apotheken zurück. Damit es aber gar nicht erst so weit kommt, bemüht sich die AOK Nordost intensiv um Aufklärung und Beratung der Apotheken und Arztpraxen.

 

Der Polizei-Effekt

Leider nur geringe Erfolgsaussichten bestehen, das Geld von den Betrügern zurückzuholen. „Die Landeskriminalämter ermitteln zwar, aber im Grunde wird man der Betrüger kaum habhaft und das Geld bekommen wir auch nicht wieder“, resümiert Giray. „Selbst wenn man die Person erwischt, die das gefälschte Rezept eingelöst hat: Das sind oft Menschen aus prekären Verhältnissen – kleine Fische, die vorgeschickt werden und in der Regel nicht in der Lage sind, irgendwelche Schulden zu tilgen. Auch nicht über einen längeren Zeitraum. Und an die Hintermänner kommen wir nicht heran, das sind Profis.“

Unnötig ist die Aufdeckung und Meldung solcher Betrugsfälle dennoch nicht. „Es gibt einen sogenannten Polizei-Effekt und der ist nicht zu unterschätzen“, erklärt Harald Giray. „Es macht deutlich, dass wir aufpassen. Und wenn Betrüger verurteilt werden, hat das Abschreckungspotenzial. Der Polizei-Effekt hat direkte Echtzeitauswirkungen – im Gegensatz zu den Strafanträgen, die sich oft über Jahre hinziehen“, sagt Harald Giray. Er wünscht sich, dass ein verhinderter Schaden noch einen viel höheren Stellenwert bekommen müsste – auch auf politischer Ebene. „Es geht dabei schließlich nicht um Geld, was die Krankenkassen zurückbekommen. Es geht vielmehr um Geld, was sie gar nicht erst verlieren.“

Die AOK Nordost warnt vor Fälschungen bei Papierrezepten für das Krebsmedikament Lonsurf®. Mehrere Berliner Apotheken haben sich an die Gesundheitskasse gewandt mit dem begründeten Verdacht auf gefälschte Rezepte. Die AOK Nordost bittet alle Apotheken, entsprechende Verordnungen besonders sorgfältig zu prüfen. Bei grober Fahrlässigkeit drohe eine…
20.01.2025AOK Nordost2 Min