Hintergrund

„Mitarbeiterfreundliche Führung ist das A und O“

Viele Pflegekräfte fühlen sich gesundheitlich immer stärker durch ihren Job belastet. So ist der Krankenstand in der Brandenburger Pflegebranche seit 2013 um über 40 Prozent gestiegen. Was Pflegeheime selbst tun können, um gegenzusteuern, erläutert Beata Paluchowska, Geschäftsführerin von SenVital, die viele Pflegeheime überall in Deutschland betreiben.

Im gemütlich eingerichteten Zimmer eines Pflegeheims wird einer Bewohnerin von einer Pflegekraft der Blutdruck gemessen.

Beata Paluchowska, Sie arbeiten seit 2015 mit der AOK Nordost beim Thema betriebliche Gesundheitsförderung zusammen. Seitdem hat sich der Krankenstand in ihren Pflegeheimen – im Vergleich zum Branchen-Durchschnitt – positiv entwickelt. Wie haben Sie das geschafft?

Das war ein ganzes Bündel an Maßnahmen, die inzwischen Teil unserer Unternehmensphilosophie geworden sind. Es gibt nicht die eine Zauberformel. Aber vielleicht einmal der Reihe nach: Die Zusammenarbeit mit der AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… Nordost begann am Standort Kleinmachnow, dort haben uns die AOK-Experten durch Seminare zur Stressbewältigung und weitere Maßnahmen unterstützt. Um ganz gezielt das verbessern zu können, was die Mitarbeitenden stört, haben wir dann auf Empfehlung der AOK eine Mitarbeiterumfrage entwickelt. Diese Umfrage haben wir bundesweit an allen Standorten der SenVital-Gruppe durchgeführt. Im Frühjahr 2025 wird sie schon zum vierten Mal stattfinden. Die Erkenntnisse aus diesen Umfragen waren sehr wertvoll – denn wir konnten sehr viele Maßnahmen aus dem Feedback der Mitarbeitenden ableiten und das betriebliche Gesundheitsmanagement zielgerichtet implementieren.

Beata Paluchowska

Wer ist eigentlich…. Beata Paluchowska?

Beata Paluchowska ist seit 2019 Prokuristin der SenVital-Gruppe, zu der bundesweit 14 Seniorenresidenzen gehören, davon zwei in Kleinmachnow. Sie arbeitet bereits seit dem Jahr 2000 in Pflegeheimen, unter anderem als Mitarbeiterin und Leiterin des Sozialen Dienstes, als Marketing-Managerin und als Pflegeheimleiterin.

Was war die wichtigste Maßnahme?

Wir haben die Einsatzplanung grundlegend überarbeitet und sie an die individuellen Bedürfnisse unserer Mitarbeitenden angepasst. Früher gab es in unseren Pflegeheimen Frühdienste, Spätdienste und Nachtdienste. Diese Dienste haben für alle Mitarbeitenden mit einigen Ausnahmen zur gleichen Zeit angefangen, alle Pflegekräfte hatten alle Dienste zu absolvieren. Durch die Mitarbeiterbefragung haben wir festgestellt, dass viele Mitarbeitenden mit dieser starren Dienstplangestaltung unzufrieden waren. Deswegen haben wir das System so umgestellt, dass jeder Mitarbeitende mindestens einen Wunsch oder sogar mehrere Wünsche äußern kann. So können Mütter, die ihre Kinder zu einer bestimmten Uhrzeit in den Kindergarten bringen müssen, nun einfach später kommen - dafür fängt jemand anderes früher an oder übernimmt ein paar Aufgaben. Aber auch, wenn Mitarbeiter lieber in der Spätschicht als in der Frühschicht arbeiten, weil sie Probleme haben, früh aufzustehen, berücksichtigen wir das nach Möglichkeit.

Warum war dafür eine Umfrage notwendig? Eine Mutter, die ihr Kind zu einer bestimmten Uhrzeit zur Kita bringen muss, kann doch direkt ihre Vorgesetzte darum bitten, dass sie später anfangen möchte?

Das hängt sicherlich auch mit dem Führungsverhalten der Dienstplanverantwortlichen zusammen. Viele sind selbst so sozialisiert worden, dass ihre eigenen Wünsche bei der Einsatzplanung nie berücksichtigt wurden, weil sie die Dienstplangestaltung verkompliziert hätten. Aber auch manche Mitarbeitende haben früher nicht offen mit ihren Führungskräften kommuniziert. So hat sich durch die Mitarbeiterbefragung und daraufhin gegründete Arbeitsgruppen herausgestellt, dass manche Mitarbeitende sich immer wieder krankschreiben ließen, wenn sie zu einer bestimmten Schicht eingeteilt waren. Das erfolgte daher, weil sie kein Auto hatten und kein Bus oder keine Straßenbahn mehr zu ihnen nach Hause fuhr, wenn die Schicht endete. Heute ist klar: Auch die Fahrpläne im öffentlichen Nahverkehr finden Berücksichtigung bei den Dienstplänen in unseren Häusern. Denn meistens finden sich Lösungen, um die Dienstpläne optimal auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden abzustellen. Dienstplanverantwortliche, denen diese komplexere Einsatzplanung nicht so leichtgefallen ist, haben wir Coaches zur Seite gestellt, die sie bei der Umstellung unterstützt haben.

Was hat sich noch verändert infolge des Feedbacks der Mitarbeitenden?

Wenn Mitarbeitende uns zurückgemeldet haben, dass sie ihre Arbeitsmittel als nicht optimal empfunden haben, haben wir in unseren Häusern darauf Rücksicht genommen. Ein Haus hat zum Beispiel unmittelbar nach der Befragung größere Bildschirme für die Mitarbeitenden gekauft. In der Folge hat ihnen die PC-Arbeit mehr Freude bereitet. Anderen Mitarbeitenden, die nachweislich Rückenprobleme hatten, konnten wir höhenverstellbare Schreibtische zur Verfügung stellen. Zudem haben wir zusätzliche Beleuchtung installiert, wenn Mitarbeitende festgestellt haben, dass es für sie in bestimmten Räumen zu dunkel ist. Damit solche Themen zeitnah behoben werden können, haben wir zudem einen BGM-Zirkel gegründet, in denen sich regelmäßig Mitarbeitende treffen, die sich im Namen ihrer Kolleginnen und Kollegen für betriebliches Gesundheitsmanagement engagieren. Auch AOK-Mitarbeitende nehmen an diesen Zirkeln teil.

Hat sich dieser zusätzliche Aufwand für optimierte Einsatzplanung und bessere Arbeitsmittel denn aus ihrer Sicht als Geschäftsführerin gelohnt? Ist der Krankenstand dadurch gesunken?

Ja, absolut! Wir sehen in allen Häusern, in denen dieser Prozess der mitarbeiterfreundlichen Führung schon weit vorangeschritten ist, eine fallende Tendenz bei den Krankenständen. Bei unserem Spitzenreiter-Haus lag der durchschnittliche Krankenstand Der Krankenstand beziffert die Zahl der arbeitsunfähig geschriebenen Kranken bezogen auf 100… innerhalb eines Jahres bei nur fünf Prozent. Und auch die Mitarbeiterzufriedenheit, die wir mit unseren regelmäßigen Umfragen messen, hat sich deutlich verbessert.

Die AOK Nordost bietet Kurse zum Thema "Gesundes Führen" an - weil Forschungsarbeiten gezeigt haben, dass dies ein ausschlagender Faktor dafür ist, ob sich Mitarbeitende wohlfühlen bei der Arbeit oder nicht. Auch ihre Führungskräfte haben diese Kurse in Anspruch genommen. Was hat sich dadurch geändert?

Für uns als SenVital-Gruppe ist das Thema gesundes Führen elementar wichtig. Wir haben unsere Führungskräfte mit Unterstützung der AOK dafür sensibilisiert, die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden stark in den Fokus zu nehmen. Dazu gehört, die Mitarbeitenden zu überzeugen, sie partizipieren zu lassen, und sie so zu steuern, dass sie nicht überfordert, aber auch nicht unterfordert werden. Darauf legen wir sehr viel Wert. Und wir schauen auch darauf, dass unsere Mitarbeitenden Arbeitsfreude empfinden. Das haben wir messbar gemacht. Konkret haben wir aus der AOK-Umfrage die Kennzahlen für Arbeitsfreude und Selbstvertrauen der Mitarbeitenden in unsere Balanced Scorecard integriert: Das ist eine Art "Transparenz-Bericht" für unsere Führungskräfte, in dem sie auf einen Blick sehen, wie gut sie dastehen bei der Erreichung ihrer Ziele. Auch die Anzahl der Weiterbildungstage und die Fluktuation in der Belegschaft sind für uns wichtige Indikatoren, um unsere Häuser zu steuern. Dank all der Maßnahmen, die wir  miteinander besprochen haben, sind unsere Mitarbeitende heute messbar gesünder, zufriedener – und eben seltener krank, als sie es vor Beginn unserer Zusammenarbeit mit der AOK waren.

Ein alter Mann sitzt in einem Pflegeheim auf einem Bett. Er trägt eine blaue Schlafanzughose und eine weißen, dünnen Pullover. Neben ihm steht ein Pfleger mit weißer Hose und hellgrüner Jacke. Der Pfleger ist leicht nach vorn gebeugt und greift dem alten Mann unter einen Arm.
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11.12.2024AOK Nordost2 Min
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