Pressemitteilung

Antibiotikaverbrauch in Berlin steigt um 20 Prozent 

21.02.2025 AOK Nordost 4 Min. Lesedauer

Gefahr von multiresistenten Keimen

Ärztinnen und Ärzte in Berlin haben im Jahr 2023 rund 1,2 Millionen Verordnungen für Antibiotika ausgestellt. Damit steigt der Antibiotikaverbrauch im Land spürbar an. Das geht aus einer Datenanalyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… (WIdO Das WIdO (Wissenschaftliches Institut der AOK) liefert als Forschungs- und Beratungsinstitut der… ) hervor. Auch die Anzahl verordneter Reserveantibiotika ist wieder angestiegen. Experten halten den Anstieg für besorgniserregend – denn damit wächst die Gefahr von multiresistenten Krankheitserregern.

Insgesamt wurden laut AOK-Analyse in Berlin im Jahr 2023 rund 360 Antibiotika-Verordnungen pro 1.000 Versicherte verschrieben. Ein Anstieg von rund 20 Prozent gegenüber dem Jahr 2019. In den Pandemiejahren war der Antibiotikaverbrauch zurückgegangen, weil Infekte durch die Kontaktbeschränkungen seltener waren und weil Versicherte aus Angst vor Ansteckung zum Teil seltener zum Arzt Die ärztliche Berufsausübung, die Ausübung der Heilkunde, setzt nach der Bundesärzteordnung eine… gingen.

Bedenklich ist insbesondere, dass im Jahr 2023 in Berlin auch wieder mehr Reserveantibiotika verordnet wurden. Diese sollen nur zum Einsatz kommen, wenn Standardantibiotika nicht helfen oder eine besonders schwerwiegende Infektion wie eine Hirnhautentzündung oder eine schwere Lungenentzündung vorliegt. Eine Ursache für den Anstieg könnten Lieferengpässe bei antibiotischen Wirkstoffen im Jahr 2023 gewesen sein. Deshalb könnten Ärztinnen und Ärzte häufiger auf Wirkstoffe zurückgegriffen haben, die sonst nicht Mittel ihrer Wahl gewesen wären.

Reserveantibiotika dürfen nur zurückhaltend eingesetzt werden

Julia Goldmann, Beratungsapothekerin bei der AOK Nordost, erläutert: „Reserveantibiotika dürfen in der ambulanten Versorgung nur zurückhaltend eingesetzt werden. Werden diese in der ambulanten Versorgung unkritisch eingesetzt, führt das zu Resistenzen bei Bakterien und damit auch dazu, dass antibiotische Therapien künftig weniger wirksam sind. Die Behandlung schwerer Infektionen wird damit zunehmend zur Herausforderung. Im schlimmsten Fall könnte es zu einer Situation kommen, in der für Infektionen mit multiresistenten Erregern keine wirksamen Behandlungsmöglichkeiten mehr zur Verfügung stehen.“

Laut Schätzungen des „Institute for Health Metrics und Evaluation“ starben in Deutschland im Jahr 2021 rund 8.000 Menschen wegen Antibiotikaresistenzen.

Langfristig zeigen sich Erfolge von Aufklärungskampagnen

So bedenklich der jüngste Trend ist – in der Datenanalyse des WIdO zeigt sich auch: Im Vergleich zu allen anderen Bundesländern steht Berlin noch recht gut da. Die Ärztinnen und Ärzte verordnen hier rund ein Viertel seltener Antibiotika als im Bundesdurchschnitt. Zudem konnte seit 2014 der Einsatz von Reserveantibiotika in Berlin reduziert werden: Damals verordneten die Ärztinnen und Ärzte noch rund 210 Verordnungen für Reserveantibiotika pro 1.000 Versicherte. Zuletzt war es immerhin rund ein Viertel weniger.

Die Grafiken machen diese Entwicklung seit 2014 und den Bundesvergleich anschaulich nachvollziehbar.

Der Rückgang seit dem Jahr 2014 geht laut Julia Goldmann auf bundesweite Projekte und Aufklärungskampagnen zurück, die sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch Patientinnen und Patienten für die Gefahr der Resistenzbildung sensibilisiert haben. Ein konkretes Beispiel: Früher haben viele Hausärztinnen und Hausärzte Reserveantibiotika aus der Gruppe der Fluorchinolone auch bei unkomplizierten Harnwegsinfekten oder Erkältungen verschrieben. „Jetzt raten Sie ihren Patientinnen und Patienten häufiger zu einer konservativen Behandlung mit Wärme, Schonung oder schreiben stattdessen ein Schmerzmittel auf.“

Auch Patientinnen und Patienten wird empfohlen, mehr Geduld zu haben und ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte nicht unnötig unter Druck zu setzen. „So verständlich der Wunsch nach einer schnellen Genesung ist – es ist gefährlich und zu kurz gedacht, wenn man als Patient bei einer einfachen Erkältung nach einem Antibiotikum verlangt, damit man schneller wieder gesund wird“, so Goldmann.

Finanzielle Anreize erlassen, um Lieferengpässen vorzubeugen

Grundsätzlich sind sich die Kassenärztliche Vereinigung Berlin und die AOK Nordost sowie die anderen gesetzlichen Krankenkassen Die 97 Krankenkassen (Stand: 26.01.22) in der gesetzlichen Krankenversicherung verteilen sich auf… darüber einig, dass der kritische und zurückhaltende Einsatz von Antibiotika von entscheidender Bedeutung ist, um Antibiotikaresistenzen entgegenzuwirken.

Mit dem Arzneimittel Nach der Definition des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind Arzneimittel insbesondere Stoffe und… -Lieferengpassbekämpfungsgesetz (ALBVVG) hat die Bundesregierung zudem im Juni 2023 finanzielle Anreize für die sichere Versorgung mit patentfreien Wirkstoffen geschaffen.  Damit soll Engpässen – auch bei der Verfügbarkeit von Antibiotika – vorgebeugt werden. 

Arztnetze ermöglichen Austausch über risikoärmere Behandlungsmöglichkeiten

Den Haus- und Facharztpraxen, die in einem der sieben QuATRo-Arztnetze in Berlin zusammengeschlossen sind, stellt die AOK Nordost zudem Qualitätsindikatoren aus Abrechnungsdaten zur Verordnung Einige Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bedürfen einer schriftlichen Anweisung durch… von Antibiotika zur Verfügung. Die Ärztinnen und Ärzte erhalten somit einen Einblick, wie hoch der Anteil der Patienten in ihrer Praxis ist, die Antibiotika und Reserveantibiotika, zum Beispiel auch aus der Gruppe der Fluorchinolone verordnet bekommen – und wie sie im Vergleich mit den anderen Ärztinnen und Ärzten in ihrem Arztnetz und im Landesdurchschnitt dastehen.

Teilnehmende Praxen können sich so untereinander vergleichen und in Qualitätszirkeln voneinander lernen, welche risikoärmeren Behandlungsmöglichkeiten als Alternative zu Reserveantibiotika in Frage kommen.

Hinweise für Journalistinnen und Journalisten:

Für die Analyse hat das Wissenschaftliche Institut der AOK für die Jahre 2014 bis 2023 die Verordnungen für Antibiotika und Reserveantibiotika für alle Bewohnerinnen und Bewohner Berlins ausgewertet, die gesetzlich krankenversichert sind. Im Jahr 2023 waren das rund 3,3 Millionen Menschen. Datenbasis für die Analyse sind also rund 90 Prozent der Bevölkerung in Berlin.

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21.02.2025AOK Nordost4 Min

Weitere Hintergründe zum Thema erläutert Julia Goldmann in diesem ausführlichen Interview.

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Veröffentlicht am 20.02.2025