"Tanzen gibt uns Selbstbewusstsein"
Carl Maria von Webers romantische Oper „Der Freischütz“ am Theater Plauen-Zwickau zeigt, wie inklusives Theater gelingt und welchen Beitrag die gesetzlichen Krankenkassen mit der Förderung von Selbsthilfegruppen leisten können.
Es ist Theater im Theater: In seiner aktuellen Inszenierung lässt Dirk Löschner, Regisseur und Intendant des Theaters Plauen-Zwickau, Kriegsversehrte nach dem ersten Weltkrieg den „Freischütz“ spielen. Die Oper handelt vom Jägerburschen Max, der – von Versagensängsten geplagt – sich dunklen Mächten anvertraut, um seine geliebte Agathe als Braut zu gewinnen.
Löschners Figuren leben mit den physischen und psychischen Folgen des Krieges. Doch erst durch den Auftritt der Gruppe „Modus Vi Vendi“ aus Zwickau wird die Oper wirklich inklusiv: Anders als die allermeisten Darstellerinnen und Darsteller behinderter Charaktere in Film, Fernsehen und Theater sind viele Mitglieder der Rollstuhltanzgruppe im täglichen Leben tatsächlich ständig oder zeitweise auf den Rollstuhl angewiesen. „Bei uns sind Menschen mit oder ohne Behinderung Nach der sozialrechtlichen Definition liegt eine Behinderung vor, wenn die körperlichen Funktionen,… dabei. Wir leben Inklusion“, sagt Marina Eichhorn, die Vorsitzende.
Rollstuhltanz gibt es in Zwickau bereits seit den frühen 90ern, sie selbst kam vor knapp 20 Jahren dazu, als sie für ihre eigene Hochzeit einen Tanz lernen wollte. „Als kleines Mädchen wollte ich immer tanzen. Der Tanzlehrer hat mir gezeigt, dass das auch im Rollstuhl geht.“ Ob Walzer, Tango, orientalischer Tanz oder Musicals: das Repertoire der Selbsthilfegruppe ist breit. „Tanzen gibt uns Selbstbewusstsein und macht einfach glücklich“, sagt Jenny List, die im Rollstuhl tanzend auch bei der Oper mitwirkt.
„Modus Vi Vendi“ bildet die Sparte Rollstuhltanz des Sportvereins RB Zwickau e.V., dessen Rollstuhlbasketballer in der ersten Bundesliga spielen. Über den Ballsport, erzählt Marina Eichhorn, seien die Tänzerinnen und Tänzer in diesem Jahr auch auf der Theaterbühne gelandet: „Wir suchten einen Hallensprecher für die Basketballer.“ Eine Bekannte habe den Intendanten angesprochen, ob nicht jemand vom Theater in Frage käme. „Er hatte keinen Sprecher, aber einen Job für uns.“
Die Tanzpaare haben ihren Auftritt gleich im ersten Akt von „Der Freischütz“: Alles feiert den neuen Schützenkönig, nur Protagonist Max, der nicht mehr so gut zielt wie früher, schmollt. Marina Eichhorn hat die Walzermelodie selbst durchchoreografiert. Einen Bauerntanz, der nicht zu extravagant sein durfte, für das Theaterensemble gut einstudierbar sein musste und trotzdem nicht unter den Erwartungen des Regisseurs bleiben sollte.
Die Rechnung ging auf. „Für unsere Darstellerinnen und Darsteller ist das Tanzen mit Menschen im Rollstuhl eine neue Erfahrung. Die Berührungsängste wurden in den Proben aber schnell abgebaut“, erzählt Chefdramaturgin Christina Schmidt. Zügig hatten alle ein Gefühl dafür gewonnen, wie schwer ein Rollstuhl zu bewegen ist; wie sie die Hände der Tänzerinnen und Tänzer greifen müssen und wie sie vermeiden, dass Beine und Räder zusammenstoßen.
Mehr Kopfzerbrechen bereitete das Durchplanen der Spielzeit für die Tanzgruppe. Marina Eichhorn habe schon im Sommer alles penibel durchorganisiert, lacht ihre Mitstreiterin Jenny List. Jeder habe einen einen farblich codierten Ordner mit Terminen für Proben und Vorstellungen samt Abfahrzeiten bekommen. Schichtdienste der Mitglieder wurden eingerechnet; Zwei- und Drittbesetzungen geplant, falls Tänzer oder Tänzerinnen ausfallen. „Für mich war von Anfang an klar: Wenn wir nicht alle mitziehen, können wir dieses Engagement nicht annehmen“, sagt Marina Eichhorn. „Das Theater verlässt sich auf uns und wir wollen liefern.“ Dafür sei im Team sogar eine Mutter-Kind-Kur Der Begriff "Kur" ist mit der Gesundheitsreform 2000 durch "Leistungen zur medizinischen Vorsorge… auf‘s nächste Jahr verschoben worden.
Für „Modus Vi Vendi“ sei die Zusammenarbeit mit dem Theater Plauen-Zwickau auch eine Chance, in der Öffentlichkeit sichtbarer zu werden, sagt Marina Eichhorn. Insgesamt ein Dutzend Aufführungen der Oper sind an beiden Orten geplant. Wenn es nach Dramaturgin Christina Schmidt geht, findet in Zukunft mehr inklusives Theater statt. „An den Theatern soll es nicht scheitern – doch es braucht Partner, damit die Projekte finanziert werden können.“ Das Mitwirken von „Modus Vi Vendi“ in „Der Freischütz“ unterstützt die AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… PLUS im Rahmen der projektbezogenen Förderung für Selbsthilfegruppen Viele Kranke und ihre Angehörigen engagieren sich in Selbsthilfegruppen, um Unterstützung bei der… und ermöglicht damit die Fahrten zu den Proben und Vorstellungen.
Die Oper „Der Freischütz“ ist vom 7. Oktober 2023 bis Ende Januar 2024 im Gewandhaus in Zwickau und im Theater in Plauen zu sehen. Mehr Informationen zur Selbsthilfeförderung durch die AOK PLUS finden Sie hier. Bei der Vernetzung mit Selbsthilfegruppen vor Ort helfen die Selbsthilfekontaktstellen in den Landkreisen in Thüringen und Sachsen.