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Macht eine rollende Praxis die Versorgung zukunftsfähig?  

12.07.2024 AOK PLUS, Maxi Dietrich 5 Min. Lesedauer

Die spezialisierte ärztliche Versorgung in ländlichen Gebieten gestaltet sich oft schwierig. Betrifft es neue, komplexe Krankheitsbilder wie Long-COVID wird die Situation für Betroffene meist noch beschwerlicher. In Thüringen soll ein innovatives Projekt seit Ende vergangenen Jahres Abhilfe schaffen. Angelegt auf zwei Jahre tourt ein mit modernster Medizintechnik ausgestatteter Bus für die wohnortnahe Untersuchung von Post-COVID-Erkrankten durchs Land.

Seit Beginn der Corona-Pandemie wurden in Thüringen bislang über 900.000 COVID-19-Infektionen nachgewiesen. Die einen überstehen die Erkrankung quasi problemlos, andere leiden noch Monate und Jahre später an den Folgen. Die Diagnose Long-COVID erhielten 2023 laut den Abrechnungsdaten der AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… PLUS über 10.300 Thüringerinnen und Thüringer. Im Jahr zuvor waren sogar über 19.200 Menschen betroffen. Die meisten Erkrankungen entfielen auf die Landkreise Schmalkalden-Meiningen, Wartburgkreis und die Stadt Erfurt. Von Long- oder Post-COVID ist die Rede, wenn Coronaerkrankte mehr als vier bzw. zwölf Wochen nach der Infektion noch oder wieder unter Beschwerden leiden, für die es keine andere Erklärung gibt. Sie beklagen etwa Kopfschmerzen, Erschöpfung, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, Gedächtnisprobleme, Luftnot oder depressiven Verstimmungen. Aufgrund der unterschiedlichen Symptome müssen Erkrankte ganzheitlich betrachtet werden. Eine interdisziplinäre Behandlung wird in speziellen Ambulanzen oder Kliniken angeboten. Doch die gibt es meist nicht im ländlichen Raum. Die Menschen müssen teilweise Hunderte Kilometer weit fahren, um von Spezialisten behandelt werden zu können. Hinzu kommt das Problem des Fachkräftemangels im Allgemeinen und den damit einhergehenden Wartezeiten bei der Terminvergabe.

 

 

Kürzere Wege für Betroffene zu Fachleuten

In Thüringen dreht das Projekt WATCH das Prinzip um: Nicht die Patienten und Patientinnen kommen in die Praxis, das medizinische Fachteam kommt zu ihnen. Möglich macht das eine mobile Post-COVID-Ambulanz. Seit November 2023 ist der Bus in Thüringen unterwegs und verkürzt so für die Personen im ländlichen Raum den Weg zu den Spezialisten. Während der nächsten zwei Jahre können sich Menschen mit Post-COVID über ihre hausärztliche Praxis in das Projekt einschreiben und somit hier untersuchen und beraten lassen. Der Bus hält jeweils eine Woche lang in einem Ort im Landkreis.

„Gerade in ländlichen Regionen ist der Zugang zu Diagnostik und zeitintensiver symptomorientierter Therapie begrenzt. Wir freuen uns, dass wir mit WATCH neue Wege der Versorgung ausprobieren und den Betroffenen als Lotsen zur Seite stehen können. Das Projekt soll behandlungsbedürftigen Patientinnen und Patienten in Thüringen eine zielgerichtete Versorgung ermöglichen, die Krankheitssymptome rasch verringern und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern.“

Christin Jordanland

Fachberaterin Gesundheitsnetzwerke und Verantwortliche für WATCH bei der AOK PLUS

Herausforderungen bei Teilnahme

Bisher nahmen bereits über 200 Betroffene an der innovativen Versorgung WATCH teil, darunter etwas mehr als 100 Versicherte der AOK PLUS im Alter von 19 bis 85 Jahre (Stand: Juni 2024). Damit ist ein Drittel der möglichen 624 Studienplätze belegt - das Projekt läuft somit nach Plan. Auch die Anzahl der teilnehmenden Hausärzte und -ärztinnen ist seit Februar von 32 auf 51 gestiegen; hier würden sich die Projektpartner über weitere Teilnahmen freuen. Ein Teil der Post-COVID-Patientinnen und -Patienten weist Ausschlusskriterien für eine Teilnahme am WATCH-Projekt auf oder ist durch eine zu stark einschränkende Symptomatik, wie etwa Post-Exertionelle Malaise (PEM) bzw. eine schwere Begleiterkrankung gehindert, teilzunehmen. Weitere Hindernisse, die einen Einschluss der Betroffenen in das Projekt erschweren, wurden durch das Projektteam identifiziert und werden im weiteren Verlauf adressiert.

Die Behandlung: Multimodal und telemedizinisch

Post-COVID-Betroffene werden über ihre Hausärzte und Hausärztinnen in das Programm eingeschrieben. Im Bus durchlaufen die Teilnehmenden umfassende Untersuchungen und Tests sowie eine Schulung für die telemedizinische Betreuung. Bei einem zweiten Bustermin erfolgt die Einweisung in das Behandlungsprogramm, das eigenständig zu Hause durchgeführt werden kann. Die Behandlung umfasst die drei Module Gehirn, Körper und Seele. Es geht um computerbasierte Trainingseinheiten für die geistige Fitness, ein digitales Sportrehabilitationsprogramm, das über Smartwatch-Daten kontrolliert wird, und verhaltenstherapeutische Übungen. Das gesamte Programm dauert zwölf Wochen; regelmäßige Webinare und Videosprechstunden bieten währenddessen die Möglichkeit für Zwischeninformationen und Rückfragen. Ein dritter Besuch im Bus, nach 25 Wochen, dient der Abschlussuntersuchung. Christin Jordanland: „Patientenseitig wird das Programm sehr gut angenommen. Sie lassen sich auf die Inhalte ein und arbeiten gut mit. Einzelne Programmteile werden sogar nach dem offiziellem Therapieende weiter genutzt.“

Positive Prognose für Post-COVID-Ambulanz

Welche Effekte die Behandlung im Rahmen des WATCH Projektes auf die Betroffenen hat, wird mit einer Evaluation nach Beendigung der zweijährigen Projektphase untersucht. Bei positiven Auswirkungen kann das Verfahren in die Regelversorgung aufgenommen werden. Erfreut sind die Projektpartner schon jetzt darüber, dass fast alle Thüringer Landkreise eingebunden sind und von der mobilen Post-COVID-Ambulanz angefahren werden. So laufen mittlerweile auch die Planungen für den Wartburgkreis, Sonneberg, Greiz und das Altenburger Land. Zudem sei man zuversichtlich, auch die noch ausstehenden Landkreise innerhalb der Projektlaufzeit einbeziehen zu können. „Wir freuen uns, dass mit solch einer wohnortnahen Versorgung und verbundenen Telemedizin Betroffene eine bedarfsgerechte, zielgerichtete Behandlung erhalten“, blickt die Expertin für Gesundheitsnetzwerke nach vorn. Das Projekt sei schon jetzt ein gutes Beispiel für eine zukunftsfähige Versorgung – mit zwei kleinen Herausforderungen: ein funktionierendes Internet und Menschen, die die Technik beherrschen.

WATCH bedeutet „mobile WohnortnAhe Versorgung zur Steuerung der sektorübergreifenden Therapie bei Post-COVID-19 in THüringen“. Es ist ein Innovationsfond-Projekt des Gemeinsamen Bundesausschusses, das auch Forschungsdaten liefern soll, und wird für 38 Monate mit rund 5,8 Millionen Euro gefördert. Konsortialführer ist das Universitätsklinikum Jena. Zu den insgesamt neun Konsortialpartnern gehören neben der AOK PLUS u. a. die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen, die Friedrich-Schiller-Universität in Jena, die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die TU Dresden und die Deutsche Stiftung für chronisch Kranke. Das Projekt läuft bis zum 31. August 2026.
Entstanden ist die Idee für die innovative Versorgungsform am Universitätsklinikum Jena, wo bereits 2020 eines der ersten Post-COVID-Zentren Deutschlands entstanden war. Dort meldeten sich viele Patientinnen und Patienten, die zwar von der COVID-Infektion genesen waren, aber noch Monate später in ihrer Leistungs- und Belastungsfähigkeit sowohl im körperlichen als auch im geistigen und seelischen Bereich eingeschränkt waren und sind.

1 Kommentar

In Sachsen anhalt sind überhaupt keine Angebote weder eine covid ambulanz noch andere Hilfe. Leider sehr an Fatigue , da macht es jeder Schritt ... Der zuviel ist

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