Reform

Gesetz für einen fairen Kassenwettbewerb in der GKV / Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG)

In Kraft getreten: 01.04.2020 6 Min. Lesedauer

Mit dem Gesetz für einen fairen Kassenwettbewerb in der GKV (Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz – GKV-FKG) verfolgt die Bundesregierung im Wesentlichen zwei Ziele: die Weiterentwicklung des Risikoausgleichs zwischen den Krankenkassen (morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich, kurz Morbi-RSA) und eine Reform der Organisationsstrukturen des GKV-Spitzenverbandes.

Auswirkungen auf Versicherte

  • Um die Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln sicherzustellen und Lieferengpässe bei Medikamenten zu verhindern, hat das Gesetz verschiedene Neuregelungen eingeführt.
  • Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wird ein Beirat eingerichtet, der die Versorgungslage mit Arzneimitteln kontinuierlich beobachtet und bewertet. Dieser Beirat besteht unter anderem aus Vertretern der Ärzte- und Apothekerschaft, der pharmazeutischen Industrie, der Patienteninteressen und der Kassen. Der Beirat berät die Bundesoberbehörden beim Ergreifen geeigneter Maßnahmen.
  • Pharmazeutische Unternehmer und Arzneimittelgroßhandlungen sind gegenüber dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) meldepflichtig zu verfügbaren Lagerbeständen, zur Produktion und zur Absatzmenge von versorgungsrelevanten Arzneimitteln (bisher: Meldepflicht nur für Krankenhäuser).
  • Das BfArM erstellt und veröffentlicht eine aktuelle Liste versorgungsrelevanter und versorgungskritischer Wirkstoffe sowie die ihm gemeldeten Lieferengpässe.
  • Bei Arzneimitteln mit versorgungskritischen Wirkstoffen kann die zuständige Bundesoberbehörde Arzneimittelgroßhandlungen und pharmazeutische Unternehmer zur Lagerhaltung verpflichten, wenn versorgungsrelevante Lieferengpässe drohen oder bereits eingetreten sind.
  • In Ausnahmefällen dürfen künftig auch Arzneimittel verwendet werden, deren Kennzeichnung und Packungsbeilage nicht auf deutsch ist. Diese Ausnahmemöglichkeit gibt es allerdings nur für versorgungsrelevante Arzneimittel, die durch Ärzte oder Zahnärzte unmittelbar an Patienten angewendet werden.
  • Ist ein rabattiertes Medikament bei Vorlage eines Rezepts in der Apotheke nicht lieferbar, erhalten Versicherte ein wirkstoffgleiches Arzneimittel. Ist das vergleichbare Arzneimittel teurer als der Festbetrag, trägt nicht der Versicherte die Mehrkosten (Aufzahlung), sondern die Krankenkasse. Details zu Ablauf und Abrechnung müssen der Deutsche Apothekerverband und der GKV-Spitzenverband in ihrem Rahmenvertrag vereinbaren.
  • Neue Antibiotika, die gegen multiresistente Keime wirken, können in der frühen Nutzenbewertung automatisch einen Zusatznutzen attestiert bekommen, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss sie zuvor als Reserveantbiotika deklariert hat. Die Kriterien zur Bestimmung eines Reserveantibiotikums regelt das Robert Koch-Institut gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.

Auswirkungen auf Ärzte/ambulante Pflege

  • Eine Wirtschaftlichkeitsberatung von Vertragsärzten ist nur noch durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) erlaubt (bisher: durch Krankenkassen und KVen).
  • Die von ambulanten Vertragsärzten verwendete Praxisverwaltungssoftware muss durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung zertifiziert werden.
  • Zugelassene Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP) sind nur Gegenstand einer Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen. Der Gemeinsame Bundesausschuss muss also nicht mehr bewerten, ob ein ATMP entweder einer Nutzenbewertung oder einer Methodenbewertung unterliegt.
  • Modellvorhaben zur Versorgung psychisch kranker Menschen sind auf maximal fünfzehn Jahre zu befristen (bisher: acht Jahre).

Auswirkungen auf Krankenhäuser/stationäre Pflege

  • Krankenhäuser können für alle Patienten, die sie zwischen Mai und Dezember behandelt haben, einen Zuschlag von 0,42 Prozent auf den Rechnungsbetrag erheben. Dieser Zuschlag in Höhe von insgesamt rund 250 Millionen Euro dient einem pauschalen Ausgleich etwaiger nicht refinanzierter Tarifsteigerungen beim Pflegepersonal in den Jahren 2018 und 2019.
  • Modellvorhaben zur Versorgung psychisch kranker Menschen sind auf maximal fünfzehn Jahre zu befristen (bisher: acht Jahre).

Auswirkungen auf Krankenkassen

  • Wird eine Krankenkasse zahlungsunfähig oder droht die Zahlungsunfähigkeit, hat der Kassenvorstand dies der zuständigen Aufsichtsbehörde unverzüglich zu melden.
  • Eine Krankenkasse kann nach Anmeldung ihrer Insolvenz von der Aufsichtsbehörde geschlossen werden, wenn die Leistungsfähigkeit nicht auf Dauer gesichert ist.
  • Hält der GKV-Spitzenverband Bund die dauerhafte Leistungsfähigkeit einer Krankenkasse für bedroht, so hat er die Krankenkasse darüber zu beraten, wie sich ihre dauerhafte Leistungsfähigkeit sichern ließe.
  • Stellt eine Aufsichtsbehörde fest, dass bei einer Krankenkasse nur durch die Fusion mit einer anderen Kasse eine Insolvenz auf Dauer vermieden werden kann, soll der GKV-Spitzenverband Bund Vorschläge für eine solche Fusion mit einer anderen Krankenkasse vorlegen.
  • Beschließt eine insolvenzgefährdete Krankenkasse nicht freiwillig eine Fusion innerhalb einer von der Aufsichtsbehörde gesetzten Frist, kann die Aufsichtsbehörde die Fusion beschließen.
  • Fusionen zwischen Krankenkassen sind auch kassenartenübergreifend möglich.
  • Wird eine Krankenkasse aufgelöst oder wegen Insolvenz geschlossen und reichen die Betriebsmittel nicht aus, um alle Forderungen abzudecken, übernehmen alle Krankenkassen nach einem festgelegten Verteilungsschlüssel die Kosten (bisher: Haftung nur innerhalb einer Kassenart). Bei Betriebskrankenkassen hat der Betrieb die Forderungen zu übernehmen.
  • Im GKV-Spitzenverband wird ein neuer Lenkungs- und Koordinierungsausschuss (LKA) geschaffen, der mit zehn hauptamtlichen Vorstandsmitgliedern der Krankenkassen besetzt wird. Der Ausschuss soll paritätisch mit Männern und Frauen besetzt werden und muss bei versorgungsbezogenen Entscheidungen des Vorstandes miteinbezogen werden.
  • Der Frauen- sowie der Männeranteil im Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes werden auf jeweils mindestens 40 Prozent festgelegt.
  • Der Wettbewerb unter den Krankenkassen und die damit verbundenen Maßnahmen werden klarer definiert. So sind etwa Maßnahmen der Krankenkassen, die der Risikoselektion dienen oder diese unmittelbar oder mittelbar fördern, künftig nicht mehr erlaubt.
  • Das Bundesgesundheitsministerium wird ermächtigt, in einer Rechtsverordnung unter anderem festzulegen, welche Werbemaßnahmen für Krankenkassen künftig zulässig sind, wie viel die Kassen für Werbung ausgeben dürfen und inwieweit sie private Zusatzversicherungen vermitteln dürfen.
  • Kassen, die sich durch einen Rechtsverstoß eines Konkurrenten benachteiligt sehen, können künftig ihre Ansprüche auch ohne Einschreiten der zuständigen Aufsichtsbehörde vor einem Zivilgericht geltend machen. Dies gilt auch beim Angebot unzulässiger Satzungsleistungen oder beim Verdacht auf RSA-Manipulationen.
  • Für einen pauschalen Ausgleich nicht refinanzierter Tarifsteigerungen beim Pflegepersonal in den Jahren 2018 und 2019 zahlen die Kassen den Krankenhäusern über einen einmaligen Rechnungsaufschlag rund 250 Millionen Euro.
  • Die bisherige Begrenzung des Morbi-RSA auf 80 Krankheiten wird aufgehoben. Mit einem sogenannten Vollmodell (rund 300 Diagnosen) soll die Zielgenauigkeit der Zuweisungen aus dem RSA verbessert werden. Indem das gesamte Krankheitsspektrum abgedeckt wird, sollen Über- und Unterdeckungen besser abgebaut werden.
  • Der Risikostrukturausgleich wird um eine Regionalkomponente erweitert. Hierfür werden statistisch signifikante regionale Variablen in den RSA einbezogen. Regionale kassenbezogene Über- und Unterdeckungen sollen dadurch abgebaut werden. Die finanziellen Auswirkungen der Regionalkomponente werden im Jahr 2021 auf 75 Prozent begrenzt, ab 2022 werden sie vollständig angewandt.
  • Bei der Zuordnung der Versicherten zu Risikogruppen zwecks Berechnung der risikoadjustierten Zuweisungen aus dem Risikostrukturausgleich wird künftig auch das Risikomerkmal aufgenommen, ob ein Versicherter Anspruch auf Krankengeld hat.
  • Mit einer Manipulationsbremse soll das Gesetz Kodierbeeinflussungen unterbinden: Steigen bei bestimmten Krankheiten die Diagnosekodierungen – und somit die entsprechenden hierarchisierten Morbiditätsgruppen (HMGs) – besonders auffällig, können die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds an die Kassen für die fünf Prozent der umsatzstärksten aller HMG komplett gestrichen werden.
  • Krankenkassen erhalten künftig für jeden Versicherten eine Vorsorgepauschale, sobald eine Mutterschaftsvorsorge-, Gesundheits- und Früherkennungsuntersuchung oder eine Schutzimpfung in Anspruch genommen wurde.
  • Ein neu errichteter Risikopool soll hohe Akutkosten einer Erkrankung ausgleichen. Gehen bei einem Patienten die Leistungsausgaben über 100.000 Euro pro Jahr hinaus, bekommt seine Kasse künftig aus dem Risikopool 80 Prozent der oberhalb dieses Schwellenwertes anfallenden Kosten erstattet. Der 2002 mit dem Gesetz zur RSA-Reform schon einmal eingeführte Risikopool hatte mit der Einführung des Morbi-RSA 2009 seine Bedeutung verloren.
  • Für die Teilnahme der Versicherten an strukturierten Behandlungsprogrammen (DMP) erhalten die Kassen weiterhin Zuweisungen aus dem Risikostrukturausgleich. Das Gesetz konkretisiert die Anforderungen an die DMP für eine entsprechende Zuweisung, beispielsweise die schriftliche Aufklärung der Versicherten zu Mitwirkungspflichten, die regelmäßige Teilnahme der Versicherten und die Überprüfung dessen durch die Kassen.
  • Der Wissenschaftliche Beirat des neuen Bundesamts für soziale Sicherung (BAS, früher: Bundesversicherungsamt) muss mindestens alle vier Jahre die Wirkungsweise des Risikostrukturausgleichs zwischen den Kassen und seine Manipulationsresistenz auswerten. Zusätzlich kann der Beirat auch anlassbezogen mit der Prüfung von Einzelfragen durch BMG und BAS beauftragt werden.
  • Das BAS erhält ein eigenständiges, anlassbezogenes Prüfrecht für Selektivverträge im Hinblick auf RSA-relevante Verstöße. Die Beweislast für rechtswidriges Verhalten wird umgekehrt. Das neue Prüfkonzept gilt rückwirkend ab dem Jahr 2013.
  • Die Aufsichtsbehörden der Versicherungsträger treffen sich mindestens zweimal jährlich zu einem Erfahrungs- und Meinungsaustausch. Sie unterrichten sich dabei über aufsichtsrechtliche Maßnahmen und Gerichtsentscheidungen in ihrem Zuständigkeitsbereich sowie über die von ihnen genehmigten leistungsbezogenen Satzungsregelungen der Krankenkassen.
  • Das Kriterium Erwerbsminderung wird nicht mehr als Risikomerkmal in den RSA einbezogen.
  • Rabatte, die Pharmaunternehmen den Krankenkassen im Rahmen von Arzneimittelrabattverträgen einräumen, werden künftig für jeden Versicherten im RSA individuell und nicht mehr pauschal je Krankenkasse angerechnet.
  • Beim Bundesamt für soziale Sicherung (BAS, früher: Bundesversicherungsamt) wird eine neue Vertragstransparenzstelle eingerichtet, die Selektivverträge wie Hausarzt- und Versorgungsverträge vollständig zentral erfasst. Sie erstellt ein Register, um Transparenz über die Verträge der Kassen zu schaffen und Zusammenhänge mit statistischen Auffälligkeiten in den RSA-Datenmeldungen erkennen zu können. Das Verzeichnis soll bis zum 30. September 2021 fertig gestellt sein.
  • Eine Wirtschaftlichkeitsberatung von Vertragsärzten ist nur noch durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) erlaubt (bisher: durch Krankenkassen und KVen).
  • Als Mindestrücklage müssen Krankenkassen 20 Prozent einer Monatsausgabe in der Bilanz ausweisen (bisher: 25 Prozent).
  • Zugelassene Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP) sind nur Gegenstand einer Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen. Der Gemeinsame Bundesausschuss muss also nicht mehr bewerten, ob ein ATMP entweder einer Nutzenbewertung oder einer Methodenbewertung unterliegt.
  • Arbeitgeber können eine Betriebskrankenkasse errichten, wenn die Leistungsfähigkeit der Kasse dauerhaft gesichert ist und mindestens 5.000 versicherungspflichtig Beschäftigte im Unternehmen arbeiten (bisher: 1.000 Beschäftigte).

Auswirkungen auf Finanzierung

  • Alle Krankenhäuser zusammen erhalten durch den Rechnungszuschlag rund 250 Millionen Euro von der GKV für einen pauschalen Ausgleich etwaiger nicht refinanzierter Tarifsteigerungen beim Pflegepersonal in den Jahren 2018 und 2019.

Beitragssatz

14,6 % (+ evtl. Zusatzbeitrag Seit 2009 erhalten die gesetzlichen Krankenkassen zur Deckung ihrer Ausgaben Zuweisungen aus dem… )