Reform

GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG)

In Kraft getreten: 01.01.2012 7 Min. Lesedauer

Das GKV-Versorgungsstrukturgesetz soll vor allem eine wohnortnahe ambulante Versorgung auch auf dem Land sichern. Vorgesehen sind eine flexiblere regionale Bedarfsplanung und eine stärkere Einbeziehung der Krankenhäuser in die ambulante Versorgung.

Auswirkungen auf Versicherte

  • Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die es keine anerkannte Therapie gibt, können im sogenannten Off-Label-Use eine nicht zugelassene Therapie beanspruchen, wenn auch nur eine kleine Aussicht auf Heilung oder auf eine Besserung des Krankheitsverlaufs besteht.
  • Neue Behandlungsmethoden sollen auf ihren Nutzen hin überprüft werden, ohne sie in dieser Zeit der Patientenversorgung vorzuenthalten. Der GBA kann künftig neue nichtmedikamentöse Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zeitlich begrenzt und unter kontrollierten Bedingungen erproben, um über eine eventuelle Aufnahme in den Leistungskatalog entscheiden zu können. Bislang konnte der GBA bei unzureichendem Nutzenbeleg zwar eine Methode ausschließen, aber nicht auf die Beseitigung der unzureichenden Evidenzlage hinwirken.
  • Auch alleinstehende Versicherte oder solche mit älteren Kindern sollen Anspruch auf eine Haushaltshilfe bekommen, wenn sie aus Krankheitsgründen ihren Haushalt nicht weiter führen können. Bisher bestand dieses Recht nur für Familien mit mindestens einem Kind unter zwölf Jahren.
  • Privat Versicherte können sich auf Antrag von der Versicherungspflicht - nicht nur wie bisher in der Pflegezeit - während der ab Januar 2012 neu eingeführten Familienpflegezeit befreien lassen, um ihre bisher bestehende private Absicherung im Krankheitsfall auch beim zwischenzeitlichen Sinken unter die Versicherungspflichtgrenze fortführen zu können.
  • Versicherte mit langfristigem Behandlungsbedarf (zum Beispiel Schwerbehinderte) können sich auf Antrag die erforderlichen Heilmittel (etwa Physiotherapie oder Lymphdrainage) von der Krankenkasse für einen geeigneten Zeitraum genehmigen lassen. Die Behandlungen müssen weiterhin vertragsärztlich verordnet werden, die entsprechenden Verordnungen unterliegen jedoch nicht mehr der Wirtschaftlichkeitsprüfung.
  • Fachärzte sind verpflichtet, gesetzlich Versicherten angemessen und zeitnah Behandlungstermine anzubieten. Welche Zeiten im Regelfall und im Ausnahmefall angemessen sind, muss in den Gesamtverträgen gesondert geregelt werden.
  • Versicherte erhalten auf Antrag von ihrer Krankenkasse eine Kostenaufstellung der in Anspruch genommenen ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen in einem Zeitraum von mindestens 18 Monaten vor Antragstellung.

Auswirkungen auf Ärzte/ambulante Pflege

  • Arztnetze werden aufgewertet. Sie können durch Honorarzuschläge oder durch ein eigenes Honorarvolumen gefördert werden, soweit dies einer Verbesserung der ambulanten Versorgung dient und das Praxisnetz von der Kassenärztlichen Vereinigung anerkannt wird.
  • Nur zugelassene Ärzte, Krankenhäuser, Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen oder gemeinnützige Träger dürfen Medizinische Versorgungszentren gründen (bislang: auch reine Kapitalinvestoren). Zu den bislang zulässigen Rechtsformen (Personengesellschaft, Gesellschaft mit beschränkter Haftung) kommt die der Genossenschaft hinzu. Der ärztliche Leiter muss im MVZ selbst als angestellter Arzt oder als Vertragsarzt tätig und in medizinischen Fragen weisungsfrei sein.
  • Vertragsärztinnen können sich nach einer Geburt statt sechs nun zwölf Monate vertreten lassen. Für die Pflege von Angehörigen können erstmals bis zu sechs Monate lang, für die Erziehung von Kindern bis zu 36 Monate lang Entlastungsassistenten in der Praxis beschäftigt werden. Bei der Auswahlentscheidung über eine Praxisnachfolge wertet der Zulassungsausschuss künftig die Eltern und Pflegezeiten wie ärztliche Tätigkeit.
  • Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) ermittelt für die Bedarfsplanung neue Verhältniszahlen, also eine andere Relation von Ärzten und Einwohnern in einer Region. Dabei ist die demografische Entwicklung zu berücksichtigen. Länderkommissionen können bei Bedarf noch von diesen Vorgaben abweichen. Bundesländer erhalten zudem ein Mitberatungsrecht bei Beschlüssen des GBA zu den Bedarfsplanungsrichtlinien. Planungsbereiche müssen künftig nicht mehr wie bisher den Stadt und Landkreisen entsprechen. Der GBA soll sie so umgestalten, dass sie einer flächendeckenden Versorgung dienen.
  • In Gebieten mit Zulassungsbeschränkungen aufgrund von Überversorgung entscheidet künftig der Zulassungsausschuss (Kassen und Kassenärztliche Vereinigungen/KVen gemeinsam), ob eine Nachbesetzung erfolgen soll oder nicht. Wird der Antrag auf Nachbesetzung abgelehnt, hat die KV dem Vertragsarzt oder seinen Erben eine Entschädigung in der Höhe des Verkehrswertes zu zahlen. Das bisherige Vorkaufsrecht der KV im Nachbesetzungsverfahren entfällt.
  • Die Zulassungsausschüsse können neben bereits zugelassenen Vertragsärzten weitere Ärzte, insbesondere in Krankenhäusern, Vorsorge und Rehabilitationseinrichtungen, stationären Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation ermächtigen, sofern dies notwendig ist, um eine bestehende oder unmittelbar drohende Unterversorgung abzuwenden
  • Die KVen können den Notdienst nun auch durch Kooperationen und eine organisatorische Verknüpfung mit Krankenhäusern sicherstellen.
  • KVen können aus noch einzurichtenden Strukturfonds die Neuniederlassung von Ärzten in Gebieten, in denen eine Unterversorgung oder lokaler Versorgungsbedarf besteht, gezielt unterstützen. Die Strukturfonds werden mit jeweils 0,1 Prozent der Gesamtvergütungen finanziert, die Kassen entrichten einen zusätzlichen Betrag in gleicher Höhe. Über die Verwendung des Strukturfonds entscheiden die KVen.
  • Bei der Vergabe von Praxen in überversorgten Gebieten sind solche Bewerber zu bevorzugen, die zuvor für einen bestimmten Zeitraum in einem unterversorgten Gebiet ärztlich tätig gewesen sind.
  • In Gebieten mit einem Versorgungsgrad ab 100 Prozent ist künftig die Befristung von vertragsärztlichen Zulassungen möglich. Nach Ablauf der Frist findet nicht zwingend ein Nachbesetzungsverfahren statt.
  • Trotz bestehender Überversorgung kann zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung eine Sonderbedarfszulassung zur Deckung eines zusätzlichen Versorgungsbedarfs erteilt werden ? beispielsweise wenn es zwar bereits genug Internisten in einem Gebiet gibt, aber zu wenige Internisten mit Schwerpunkt Rheumatologie.
  • Leistungen von Ärzten, die in strukturschwachen Gebieten tätig sind, werden von der Abstaffelung im Rahmen der Honorarverteilung ausgenommen. Die KV erhält die Möglichkeit, für diese Ärzte gemeinsam mit den Kassen Preiszuschläge für besonders förderungswürdige Leistungen insbesondere in Gebieten, in denen Unterversorgung droht, festzulegen. KBV und GKV-Spitzenverband legen entsprechende Kriterien fest.
  • Die Residenzpflicht für Vertragsärzte entfällt (bisher: keine Residenzpflicht in unterversorgten Gebieten).
  • Die Eröffnung einer Zweigpraxis ist nun auch möglich, wenn die Versorgung am Vertragsarztsitz dadurch in geringem Maße beeinträchtigt wird, wenn auf der anderen Seite die Versorgung im Gebiet der Zweigpraxis entsprechend verbessert wird (bisher: Zweigpraxis nur, wenn dadurch keinerlei Beeinträchtigung am Vertragsarztsitz entsteht).
  • Die bisherigen Regelleistungsvolumina sollen durch einen Verteilungsmaßstab ersetzt werden. Die KVen wenden bei der Verteilung der Gesamtvergütungen - getrennt für die Bereiche der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung - einen mit den Krankenkassen noch festzusetzenden Verteilungsmaßstab an. Bisherige Bestimmungen, insbesondere zur Zuweisung von Arzt und praxisbezogenen Regelleistungsvolumen, gelten bis zur Entscheidung über einen neuen Verteilungsmaßstab vorläufig fort.
  • Tätigkeiten wie etwa Blutdruckmessen oder Verbände wechseln können unter ärztlicher Anleitung an andere Gesundheitsberufe delegiert werden. KBV und GKV-Spitzenverband erhalten den Auftrag, eine Liste von delegierbaren ärztlichen Leistungen zu erarbeiten. Diese wird künftig Teil des Bundesmantelvertrages sein.
  • Der Bewertungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen erhält die Aufgabe, bis Oktober 2012 festzulegen, in welchem Umfang ärztliche Leistungen auch telemedizinisch erbracht werden können. Auf dieser Grundlage beschließt er bis 31. März 2013, inwieweit der Einheitliche Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen anzupassen ist.
  • KV und Apothekerorganisationen können auf Landesebene gemeinsam mit den Kassen die Durchführung eines Modellvorhabens zur Verbesserung der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung für eine Zeitdauer von bis zu drei Jahren vereinbaren. Ein Teil der realisierten Überschüsse ist an die Leistungserbringer weiterzuleiten.
  • Es ist Vertragsärzten nicht gestattet, für die Zuweisung von Versicherten irgendwelche wirtschaftlichen Vorteile anzunehmen.
  • Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz erhalten KVen erstmals die Möglichkeit, über Landesgrenzen hinweg zu fusionieren.
  • Der bereits bisher mögliche Aufbau von Eigeneinrichtungen durch die KVen in strukturschwachen Gebieten wird vereinfacht. Entsprechende Leistungen werden aus der Gesamtvergütung der ambulanten ärztlichen Versorgung finanziert und nicht aus den Verwaltungskosten der KV. In Ausnahmefällen können auch kommunale Träger Eigeneinrichtungen betreiben.
  • Die ambulante spezialfachärztliche Versorgung wird neu eingeführt. Darunter fallen die Diagnostik und Behandlung seltener Erkrankungen (zum Beispiel Tuberkulose, Mukoviszidose), schwerer Verlaufsformen von Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen (zum Beispiel Aids, Krebs, Multiple Sklerose) sowie hochspezialisierte Leistungen, die eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere Ausstattungen erfordern. Ambulantes Operieren sowie sonstige stationsersetzende Leistungen zählen ausdrücklich nicht dazu. Für ambulante wie stationäre Leistungserbringer gelten - ohne Beschränkungen der Bedarfsplanung zu unterliegen - einheitliche Bedingungen und die gleichen Qualifikationsanforderungen. Patienten benötigen für die Teilnahme an dieser Versorgung eine vertragsärztliche Überweisung. Details zu den Anforderungen muss der GBA bis Ende 2012 regeln. Erbrachte Leistungen können direkt mit den Krankenkassen abgerechnet werden. Niedergelassene Ärzte können aber auch ihre KV mit der Abrechnung beauftragen. Grundlage dafür soll ein eigenes Kapitel für diese Leistungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) sein. Die Gesamtvergütungen werden entsprechend bereinigt.
  • Unparteiische im GBA dürfen ein Jahr vor Amtsantritt nicht bei Organisationen der gemeinsamen Selbstverwaltung gearbeitet haben. Die Amtszeit im GBA beträgt ab der am 1. Juli 2012 beginnenden Amtszeit sechs Jahre. Weitere Amtszeiten der Unparteiischen sind ab der am 1. Juli 2018 beginnenden Amtszeit ausgeschlossen. Um Neutralität und Unabhängigkeit der unparteiischen Mitglieder des GBA zu stärken, bekommt der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages dien Möglichkeit, die Kandidaten zu befragen und ihrer Berufung durch die Trägerorganisationen zu widersprechen.
  • Bei Beschlüssen, von denen nicht jede der drei Trägerorganisationen (KBV/KZBV, DKG, GKV-Spitzenverband) im GBA wesentlich betroffen ist, werden die Stimmen der nicht betroffenen Organisationen jeweils zu gleichen Teilen auf die betroffenen Organisationen übertragen.
  • Für Leistungsausschlüsse, welche besondere Auswirkungen auf die Versorgung der Versicherten haben, ist künftig im GBA eine qualifizierte Mehrheit von neun der insgesamt 13 Stimmen erforderlich.
  • Bei erstmaliger Überschreitung des Richtgrößenvolumens für die Verordnung von Arznei, Heil und Hilfsmitteln um mehr als 25 Prozent muss der Arzt eine individuelle Beratung in Anspruch nehmen (bislang: sofortige Erstattung des Mehraufwandes, wenn keine Praxisbesonderheiten vorliegen). Ein Erstattungsbetrag kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfzeitraum nach der Beratung festgesetzt werden. Dies gilt entsprechend, wenn ein Vertragsarzt die ihm angebotene Beratung abgelehnt hat.
  • Pseudonymisierte Daten zum Gesundheitsstand der Versicherten aus dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) können zum Beispiel vom GBA oder IQWiG für die Versorgungsforschung genutzt werden.
  • Ab Januar 2013 wird im zahnärztlichen Vergütungssystem (ohne Zahnersatz) die bisherige Anbindung an die Grundlohnsumme aufgehoben. Die zwischen den KZVen und den Krankenkassen vereinbarten Gesamtvergütungen sollen sich dann stärker an dem krankheitsbedingten Behandlungsbedarf der Versicherten ausrichten.

Auswirkungen auf Krankenhäuser/stationäre Pflege

  • Die Empfehlungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) zur Vermeidung von Zielvereinbarungen werden ausgeweitet. Ziel ist es, dass Ärzte medizinische Entscheidungen unabhängig von jeglichen vertraglichen Vorgaben treffen können. Kliniken, die sich an die DKG-Empfehlungen nicht halten, müssen dies in den Qualitätsberichten veröffentlichen.

Auswirkungen auf Krankenkassen

  • Krankenkassen sollen künftig insbesondere kleineren Unternehmen und regionalen Unternehmensorganisationen wie Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern und Innungen in gemeinsamen regionalen Koordinierungsstellen Beratung und Unterstützung für die Betriebliche Gesundheitsförderung anbieten.

Auswirkungen auf Finanzierung

  • Der Gesetzgeber rechnet mit Mehrausgaben für die gesetzlichen Krankenkassen durch Preiszuschläge für besonders förderungswürdige vertragsärztliche Leistungserbringer in strukturschwachen Gebieten sowie durch Preiszuschläge für besonders förderungswürdige Leistungen in Höhe von rund 200 Millionen Euro. Weitere Kosten in Höhe von 25 Millionen Euro kommen hinzu durch die Bildung von Strukturfonds bei den Kassenärztlichen Vereinigungen, die von allen Krankenkassen mit einem zusätzlichen Ausgabenbetrag in Höhe von 0,1 Prozent der jeweiligen Gesamtvergütung mitzufinanzieren sind.
  • Für das Jahr 2013 entstehen für die gesetzliche Krankenversicherung im Bereich der vertragszahnärztlichen Vergütung durch die Neujustierung der Honorarstrukturen Mehrausgaben von bis zu 120 Millionen Euro.
  • Durch die Möglichkeit der Erprobung innovativer Behandlungsmethoden durch den GBA entstehen ebenfalls Mehrausgaben für die GKV. Der Gesetzgeber rechnet für die nächsten fünf Jahre mit Mehrkosten von rund 30 Millionen Euro. Diese Kosten sollen durch die Beteiligung von betroffenen Herstellern oder Anbietern der zu erprobenden Methode erheblich reduziert werden.

Beitragssatz

15,5 %