Gesundheitskompetenz - eine unterschätzte Ressource
Unser Gesundheitssystem ist immer noch gut, aber nicht für alle gleich gut. Das hat viele Gründe: Einer, der in den vergangenen Jahren zunehmend in den Blickpunkt gerückt ist, ist ein Mangel an Gesundheitskompetenz.
Laut Umfragen finden es rund 80 Prozent der Bevölkerung schwierig, das Gesundheitssystem zu verstehen und sich darin zurechtzufinden. Drei Viertel der Bevölkerung können nicht bewerten, ob Gesundheitsinformationen glaubhaft und verlässlich sind. Beide Punkte sind wesentliche Bestandteile individueller Gesundheitskompetenz – und betreffen nicht nur den Einzelnen, sondern auch das System, das gesundheitskompetentes Verhalten ermöglicht oder zumindest erleichtert.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert „Health Literacy“ als Gesamtheit aller kognitiven und sozialen Fähigkeiten, die Menschen motivieren und befähigen, ihre Lebensweise gesundheitsförderlich zu gestalten. Davon ausgehend wurde Gesundheitskompetenz lange Zeit vom Individuum her definiert – als Wissen, Motivation und Fähigkeit, gesundheitsrelevante Informationen zu suchen, zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden. Es geht also darum, im Alltag die eigene Gesundheit erhalten, gesundheitliche Belastungen und Krankheiten bewältigen, sich die dazu nötige Unterstützung sichern und dazu erforderliche Entscheidungen treffen zu können. Kurz: ein gesundes, selbstbestimmtes Leben zu führen.
Fest steht jedoch: Wenn 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig sind, wir in Deutschland schätzungsweise mehr als 3,5 Millionen vermeidbare Krankenhausfälle im Jahr haben und trotz aller Informations- und Aufklärungskampagnen Vorsorgeuntersuchungen zu selten wahrgenommen werden, wird es nicht ausreichen, allein auf die Gesundheitskompetenz des Einzelnen zu setzen. Das Gesundheitssystem selbst muss gesundheitskompetenter werden.
Das Deutsche Netzwerk Gesundheitskompetenz (DNGK) sieht die Verantwortung für die mangelnde Gesundheitskompetenz vor allem im System und hat gemeinsam mit dem Deutschen Netzwerk Versorgungsforschung (DNVF) eine Neudefinition des Begriffes Gesundheitskompetenz vorgeschlagen:
„Gesundheitskompetenz beschreibt den Grad, zu dem Menschen durch das Bildungs-, Sozial- und/oder Gesundheitssystem in die Lage versetzt werden, die für angemessene gesundheitsbezogene Entscheidungen relevanten Gesundheitsinformationen zu finden, zu verarbeiten und zu verstehen.“
Gesundheitskompetenz sollte somit längst ein verbindliches Ziel verantwortungsvoller Gesundheits- und Bildungspolitik sein. Bisher werden die Defizite von Krankenkassen, Ärztinnen und Ärzten und vielen weiteren engagierten Akteuren im Gesundheits- und Sozialwesen aufgefangen. Nicht umsonst hält die AOK Rheinland/Hamburg an ihrem Konzept zur Einrichtung von Gesundheitskiosken fest. Diese dienen in Kooperation mit Kommunen und Verbänden an bewusst gewählten Standorten (bisher in Hamburg, Köln, Essen, Aachen und Solingen) als niedrigschwellige Anlaufstelle für Menschen, denen es an individueller Gesundheitskompetenz fehlt – oft wegen sprachlicher und kultureller Hürden. Bei Gesundheitskiosken geht es um Kooperation und Vernetzung, Fürsorge, konkrete Unterstützung in medizinischen, sozialen und persönlichen Fragen, also letztlich um Chancengleichheit im System, die wesentlich von der Gesundheitskompetenz abhängt.
Das gilt erst recht in Zeiten der Digitalisierung, die auch im deutschen Gesundheitssystem – endlich – begonnen haben. 52,4 Prozent der Deutschen haben laut einer AOK-Studie nur eine eingeschränkte digitale Gesundheitskompetenz, woraus die AOK Rheinland/Hamburg schon vor Jahren Konsequenzen gezogen hat – für ihre Versicherten, aber auch für sich als Organisation.
Natürlich gilt es weiter, die Gesundheitskompetenz jedes Einzelnen zu stärken. Diesen Auftrag hat der Gesetzgeber für die digitale Gesundheitskompetenz auch im Sozialgesetzbuch verankert. Doch müssen sich auch die Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen ändern, denn das System hat direkten Einfluss sowohl auf die allgemeine als auch auf die digitale Gesundheitskompetenz. Diese sogenannte organisationale Gesundheitskompetenz gilt es zu steigern und auf digitale Technologien zu erweitern.
Gesundheitskompetenz entsteht im Zusammenspiel des Individuums mit dem System. Deshalb gilt: Je einfacher das System, desto effektiver seine Nutzung. Wichtig sind daher ein niedrigschwelliger Zugang, eine verbesserte Navigation sowie transparente Strukturen im Gesundheitswesen. Dafür engagiert sich die AOK Rheinland/Hamburg weiterhin aus Überzeugung.