Vorsicht, Fake! Gesundheitswerbung im Netz, Desinformation und falsche Heilsversprechen

Unseriöse Gesundheitsangebote im Internet nehmen immer weiter zu. Über Strategien gegen gesundheitliche Desinformation und falsche Heilsversprechen im Netz diskutierten auf der diesjährigen Selbsthilfe-Fachtagung des AOK-Bundesverbandes Expertinnen und Experten aus Medien, Verbraucherschutz und Selbsthilfe mit mehr als 130 Tagungsteilnehmenden.

Partizipation gewünscht: Publikum und Expertinnen und Experten diskutierten auf der Tagung engagiert über effektive Strategien gegen Desinformation.

„Welcher Information kann ich vertrauen und welcher nicht? Diese Unterscheidung wird für viele Menschen angesichts der schieren Masse an gesundheitsbezogener Desinformation im Netz immer schwerer“, fasste Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… -Bundesverbandes, in ihrer Begrüßungsrede die Problematik von Desinformation im Netz zusammen. Gut auffindbare Gesundheitsinformationen mit fachgeprüften und verlässlichen Inhalten seien ein wichtiger Baustein im Kampf gegen die Desinformation, so die AOK-Chefin. Solche Informationen zu den verschiedensten Themen rund um die Gesundheit biete die AOK-Gemeinschaft etwa mit dem AOK-Gesundheitsmagazin, aber auch mit diversen anderen Informationsangeboten.

Taktiken der Desinformation

Uschi Jonas von Correctiv

Uschi Jonas vom gemeinwohlorientierten Medienhaus CORRECTIV stellte verschiedenen Taktiken vor, mit denen unseriöse Akteure Desinformation im Netz betreiben. Ein typisches Beispiel sei der Verweis auf tatsächlich durchgeführte Studien. Einzelne Aspekte aus der Studie würden komplett aus dem Kontext gerissen, um dann Behauptungen aufzustellen, die durch die Studie in keiner Weise gedeckt seien. Nur weil etwas angeblich mit einer Studie wissenschaftlich belegt sei, heiße das noch lange nicht, dass diese Aussage auch glaubwürdig sei. „Mir ist klar, dass ein fundierter Faktencheck auf eigene Faust oft anstrengend und zeitraubend ist und nicht immer geleistet werden kann. Aber manchmal findet man auch recht schnell heraus, wenn mit einer Nachricht etwas nicht stimmt“, so Jonas. Die Journalistin riet den 130 Tagungsteilnehmenden etwa, bei Verdacht auf Desinformation das Abstract einer zitierten Studie – also die mit der Studie veröffentlichte kurze Zusammenfassung der Studienergebnisse – oder den Auftraggeber einer Studie im Web zu suchen. Oft reiche das schon aus. „Weil das aber nicht jeder immer wieder aufs Neue leisten kann, brauchen wir von der Politik zusätzlich mehr Unterstützung, mehr gesetzliche Regulierungen. Und wir brauchen auf Seiten der Social-media-Plattformen mehr Kooperationen mit Faktenchecker-Redaktionen wie CORRECTIV“, so Jonas weiter.

„Desinformation im Bereich Gesundheit hat weiter Hochkonjunktur – wie sich jeder davor schützen und was wir gemeinsam dagegen tun können.”

Vortrag von Uschi Jonas, Leiterin CORRECTIV.Faktencheck

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Dubiose Anbieter, gefälschte Werbung

Martin Rücker, Journalist

Der Investigativ-Journalist und Autor Martin Rücker verdeutlichte, warum Desinformation im Netz boomt und welche Akteure davon profitieren, gesundheitliche Fake-News zu verbreiten. Ein aktuell immer häufiger auftretendes Phänomen seien etwa sogenannte wissenschaftliche Kongresse, die in ihrer Aufmachung durchaus fachlich und seriös daherkämen – und somit entsprechend überzeugend wirkten. „Die Initiatoren solcher Kongresse sind beispielsweise die Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln, die angeblich in der Lage sind, Long Covid zu heilen“, so Rücker. Die Veranstaltungen würden dann genutzt, um die ganze Bandbreite von Verschwörungsmythen und Desinformation rund um das Thema Corona zu verbreiten – immer mit dem Ziel, möglichst viele der auf dem Kongress als Wundermittel angepriesenen Nahrungsergänzungsmittel zu verkaufen. 

Verschiedene andere Beispiele in Rückers Vortrag zeigten, wie dubiose Anbieter, teilweise mithilfe künstlicher Intelligenz, gefälschte Werbung für Gesundheitsprodukte von Prominenten oder Expertinnen verbreiten – natürlich ohne das Wissen dieser Prominenten. Besonders perfide: Solche Werbeanzeigen erschienen oft auch im Werbeumfeld klassischer seriöser Online-Medien wie „Spiegel“ oder „Welt“, was der Werbung eine zusätzliche Glaubwürdigkeit verleihe, so Rücker.

„Achtung Fake! Warum bei Gesundheitsangeboten im Netz Vorsicht geboten ist – und wann es richtig gefährlich werden kann.”

Vortrag von Martin Rücker, freier Journalist, Rechercheur und Autor

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Dr. Martin Danner von der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Selbsthilfe richtete als Interessensvertreter chronisch kranker Menschen den Blick auf die speziellen Herausforderungen für die Selbsthilfe bei der eigenen Veröffentlichung von Gesundheitsinformationen. „Den Verantwortlichen in Selbsthilfeorganisationen muss klar sein, dass Vertrauenswürdigkeit ihr allergrößtes Pfund ist“, so Danner. Die BAG Selbsthilfe versuche, dafür ein entsprechendes Bewusstsein zu schaffen. Daher dürften von kommerziellen Anbietern kommende Informationen nicht einfach ohne tiefgehende Überprüfung in Selbsthilfemedien veröffentlicht werden, selbst wenn sie noch so fachlich korrekt erscheinen. „Wenn in einem Beitrag etwa die Wirkung eines neuen Medikamentes völlig korrekt beschrieben wird, kann es trotzdem sein, dass auf eine relevante Nebenwirkung nicht hingewiesen wurde. Dann ist die Nachricht zwar nicht falsch, aber trotzdem eine Desinformation“, betonte Danner.

„Fake News im Gesundheitsbereich – eine große Herausforderung für die Beratungsarbeit der Selbsthilfe”

Vortrag von Dr. Martin Danner, Geschäftsführer der BAG Selbsthilfe e. V.

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Gesundheitskompetenz stärken

Hannah Leichsenring als Vertreterin der Medizinischen Hochschule Brandenburg (MHB) stellte das Projekt der PatientenUniversität Brandenburg vor. Ziel dieses gemeinsamen Vorhabens von MHB und der Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung ist ein fortlaufender Prozess mit dem Ziel, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über… Gesundheit Berlin-Brandenburg sei es, die Gesundheitskompetenz der Bürgerinnen und Bürger im ländlichen Raum zu stärken und sie dadurch zu befähigen, sich vor unseriösen und gesundheitsschädlichen Informationen und Angeboten besser schützen zu können. „Die PatientenUniversität versteht sich als Lernort, an dem sich Interessierte mit Gesundheitsfragen aller Art auseinandersetzen, Fachwissen austauschen, Ansätze ausprobieren und gemeinsam Lösungen erarbeiten können“, so Leichsenring, die Mitglied im Lenkungsausschuss der PatientenUniversität ist. Bei der Konzeption der PatientenUniversität, die erst 2024 gestartet ist, waren von Beginn an interessierte Bürgerinnen und Bürger aus der Region sowie die organisierte Selbsthilfe vor Ort aufgerufen, in mehreren Mitmachrunden das Angebot mitzugestalten. Für die Evaluation und Weiterentwicklung des Angebotes sind künftig weitere Mitmachrunden geplant.  

„PatientenUniversität Brandenburg – Wege weisen durch den Info-Dschungel”

Vortrag von Hanna Leichsenring, Referentin des Präsidiums an der Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane (MHB)

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Welche Gefahren speziell von Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) ausgehen, erläuterte Angela Clausen von der Verbraucherzentrale NRW. Sie kritisierte Regelungsdefizite bei der Höchstdosierung der NEM und eine mangelnde Kontrolle der jährlich mehr als 10.000 neu auf den Markt kommenden Mittel. „Viele Menschen glauben, dass Nahrungsergänzungsmittel geprüft werden und somit sicher sein müssen, wenn sie beispielsweise in einem Drogeriemarkt verkauft werden dürfen. Das ist aber leider falsch!“, so Clausen. NEM seien laut Gesetz ganz normale Lebensmittel und würden daher auch weder auf ihre Zusammensetzung noch ihre Dosierung hin überprüft. „Die Verantwortung für die Sicherheit eines Produktes liegt ganz allein bei den Herstellern. Diese müssen nicht einmal Neben- oder Wechselwirkungen mit anderen Nahrungsergänzungsmitteln oder Arzneimitteln angeben“, betonte die Verbraucherschützerin. „Um das hier nochmal ganz klar zu sagen: Nahrungsergänzungsmittel können sehr nützlich sein – für die richtige Zielgruppe, mit den passenden Nährstoffen und vor allem in der richtigen Dosierung. Wenn Sie zu dem Ergebnis kommen, dass das bei Ihnen der Fall ist, sollten Sie aber immer ihren Arzt Die ärztliche Berufsausübung, die Ausübung der Heilkunde, setzt nach der Bundesärzteordnung eine… oder ihre Apothekerin darüber informieren, welche Nahrungsergänzungsmittel Sie – unter Umständen zusätzlich zu einer angeordneten Medikation – einnehmen möchten.“

„Fakten checken und Klartext reden – Verbraucherschutz bei Nahrungsergänzungsmitteln”

Vortrag von Angela Clausen, Wissenschaftliche Referentin, Teamleitung Lebensmittel im Gesundheitsmarkt
Bereich Ernährung und Umwelt (B4) bei der Verbraucherzentrale NRW

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Podiumsdiskussion mit Michael Bernatek, Martin Danner, Hanna Leichsenring und Oliver Huizinga (v.l.)

In der Podiumsdiskussion diskutierten Leichsenring und Danner zunächst mit Oliver Huizinga, dem Leiter der Präventionsabteilung des AOK-Bundesverbandes – anschließend stellten sich die Drei den Fragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Huizinga wies darauf hin, dass viele Deutsche eine unzureichende Gesundheitskompetenz hätten: „Wir haben in verschiedenen Studien herausgefunden, dass vor allem die Bewertung, ob eine gefundene Information glaubhaft und seriös ist oder nicht, vielen Menschen Probleme bereitet.“ Doch dieser Befund allein reiche nicht aus – in der Debatte dürfe die Verantwortung nicht allein auf die Individuen abgewälzt werden. Vielmehr müssten alle Akteure im Gesundheitssystem Verantwortung dafür übernehmen, dass seriöse und somit fachlich geprüfte Inhalte für alle Bürgerinnen und Bürger überhaupt erst einmal bereitstehen. „Diese Gesundheitsinformationen müssen dann leicht im Netz zu finden und vor allem gut zu verstehen sein“, so Huizinga weiter. Das Online-Gesundheitsmagazin der AOK-Gemeinschaft sei hierfür ein gutes Beispiel. Hier informiert die Gesundheitskasse in Hunderten von Beiträgen zu verschiedenen Erkrankungen oder gesundheitlichen Störungen. Bis zu 5,8 Millionen Menschen nutzten dieses Angebot bereits jeden Monat, um sich evidenzbasiert zu informieren, so der Präventionsexperte Huizinga. 

AOK baut ihr Angebot weiter aus

Claudia Schick vom AOK-Bundesverband

Zum Abschluss zeigte sich Claudia Schick, Selbsthilfereferentin im AOK-Bundesverband und Organisatorin der Veranstaltung, hochzufrieden mit den Ergebnissen der Tagung. „Wir haben heute eine Menge interessanten fachlichen Input bekommen und ich habe auch mitbekommen, wie die Pausen fleißig für den persönlichen Input und die Vernetzung genutzt wurden“, so Schick. Sie plädierte dafür, dass die verschiedenen Akteure intensiver miteinander kooperieren und  ihre Angeboten künftig noch besser vernetzen müssten. So sei eine erste Idee, neben den professionellen Faktencheckern auch  „Peer(fakten)checker" aus der Selbsthilfe zur Prüfung von Des- und Misinformationen und FakeNews einzubinden. Am Ende betonte Schick noch einmal,  dass das Bereitstellen von qualitativ geprüften Gesundheitsinformationen – auch für chronisch Erkrankte – im AOK System einen hohen Stellenwert habe und weiter ausgebaut würde. Daher sollen auch gezielt Projekte der Selbsthilfe aus Mitteln der Selbsthilfeförderung des AOK-Bundesverbandes oder der zuständigen Landes-AOK unterstützt werden, die das Thema Desinformation aufgreifen.