PIM-Liste: Arzneimittel für Menschen ab 65
Um Ärzte dabei zu unterstützen, die Therapiesicherheit für ihre älteren und multimorbiden Patienten zu erhöhen, haben Forscher Arzneimittel identifiziert, die für Menschen ab 65 Jahren als potenziell ungeeignet einzustufen sind.
Ältere Menschen sind häufig von mehreren chronischen Erkrankungen betroffen und nehmen daher eine Vielzahl von Arzneimitteln ein. Zugleich bauen Leber und Niere die Arzneistoffe im Alter langsamer ab. Dadurch reagieren Senioren empfindlicher und sind anfälliger für unerwünschte Arzneimittelwirkungen.
Forschende haben bestimmte Arzneimittelidentifiziert, die für Menschen ab 65 Jahren potenziell inadäquat sind. Diese potenziell inadäquate Medikation wird als PIM abgekürzt. Die Einnahme solcher potenziell ungeeigneten Wirkstoffe kann das Risiko für Krankenhauseinweisungen erhöhen.
Was ist die Priscus-Liste?
Für die Priscus-Liste haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Arzneistoffe ausgewählt, die erstens relativ häufig verordnet werden und zweitens ein mögliches Risikopotenzial für ältere Menschen bergen. Der Name „Priscus“ leitet sich vom lateinischen Wort für „alt“, „altehrwürdig“ ab.
Grundlage für die Priscus-Liste waren internationalen Literaturrecherchen, die Sondierung des deutschen Marktes sowie die Bewertung von Fachleuten aus den unterschiedlichen medizinischen Fachrichtungen.
Die Priscus-Liste nennt beispielsweise Arzneimittel, die das Sturzrisiko erhöhen oder die Wahrnehmung beeinträchtigen können. Bei altersbedingter Osteoporose etwa können Stürze leicht zu einem Knochenbruch führen – eine Konsequenz, die bei jüngeren Menschen in dieser Ausprägung nicht zu erwarten wäre.
Hinweise für die Behandlung
Die Forschenden haben sich aber nicht nur auf eine einfache Aufzählung von Wirkstoffnamen beschränkt, sondern auch die Anwendbarkeit in der ärztlichen Praxis analysiert. So enthält die Liste Hinweise auf Begleiterkrankungen, die die Gefahr beim Einsatz eines Wirkstoffs besonders erhöht. Zu jeder der aufgeführten Substanzen werden darüber hinaus Therapiealternativen genannt. Dabei werden auch nicht medikamentöse Optionen berücksichtigt.
Schließlich enthält die Priscus-Liste konkrete Maßnahmen, die es Ärztinnen und Ärzten ermöglicht, das Risiko zu begrenzen, wenn sich die Anwendung eines Arzneimittels im Einzelfall doch nicht vermeiden lassen sollte. Hierzu gehören beispielsweise regelmäßige Kontrollen der Leber- oder der Nierenfunktion, Verringerung der Dosierung oder Beschränkung der Therapiedauer.
Priscus 2.0: 177 Wirkstoffe
Die Priscus-Liste ist erstmals 2010 mit zunächst 83 Wirkstoffen aus 18 Wirkstoffgruppen veröffentlicht worden. Im Jahr 2022 erfolgte mit der Version 2.0 eine Aktualisierung und Erweiterung der Liste. Nun enthält sie eine Übersicht über 177 Wirkstoffe, die bei der Arzneimitteltherapie älterer und multimorbider Menschen nicht oder nur mit besonderer Vorsicht angewendet werden sollten.
Zudem machen die Fachleute für einige Wirkstoffe auch Angaben zu Therapiedauer oder Dosisobergrenze. So erhalten Ärztinnen und Ärzte einen Überblick dazu, unter welchen Bedingungen diese Arzneimittel potenziell inadäquat sind.
Wichtig: Die Übersicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Für Ärztinnen und Ärzte ersetzt sie auch nicht die individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung.
Download der Priscus-Liste
Die vollständige aktuelle Priscus-Liste mit allen 177 Wirkstoffen können Interessierte auf der Website www.priscus2-0.de herunterladen.
An der Erstellung der Priscus-Liste waren als Projektpartner beteiligt:
- Lehrstuhl für Klinische Pharmakologie, Universität Witten/Herdecke
- Institut für Forschung in der Operativen Medizin (IFOM), Universität Witten/Herdecke
- Wissenschaftliches Institut der AOK, WIdO
- Abteilung für Allgemein- und Familienmedizin, Medizinische Universität Wien
Zur kompletten Priscus-Liste
- Über das ProjektPriscus 2.0
Medikationsplan für ältere und multimorbide Patienten
In dem Kontext der Therapie älterer und multimorbider Menschen wird häufig auch das Thema Multimedikation oder Polypharmazie aufgegriffen. Dies umfasst eine weitere Dimension in der Arzneimitteltherapie und betrachtet das Zusammenwirken mehrerer gleichzeitig angewendeter Arzneimittel. Dazu werden unter anderem Wirkstoff, Dosierung, Einnahmegrund und sonstige Hinweise zur Einnahme aufgeführt.
Patientinnen und Patienten haben seit 2016 Anspruch auf einen vollständigen Medikationsplan. Voraussetzung ist, dass sie mindestens drei zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnete, systemisch wirkende Arzneimittel gleichzeitig einnehmen oder anwenden. Die Anwendung muss dauerhaft – für mindestens 28 Tage – vorgesehen sein.
Um diese besondere Herausforderung im Therapiealltag zu meistern, sind alle an der Behandlung Beteiligten gefragt: Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzte sowie Apothekerinnen und Apotheker.
Wichtig ist dabei, dass der Medikationsplan von Ärztinnen und Ärzten oder Apothekerinnen und Apothekern immer auf dem aktuellsten Stand gehalten wird - und auch zusätzliche rezeptfrei gekaufte Arzneimittel oder zum Beispiel Nahrungsergänzungsmittel enthält.
Weiterführende Informationen
- Kassenärztliche BundesvereinigungMedikationsplan
PRISCUS-Liste 2.0 – Was ist neu?
Mit 177 Wirkstoffen ist die neue PRISCUS-Liste mehr als doppelt so umfangreich wie die ursprüngliche PRISCUS-Liste. Als potentiell inadäquate Medikation im Alter (PIM) werden nun auch Protonenpumpenhemmer ab einer Verordnungsdauer von acht Wochen wie auch die selektiven Cox-2-Hemmer gelistet.
Teilweise wurde nicht mehr die Wirkstoffklasse insgesamt betrachtet, sondern nach einzelnen Stoffen differenziert. Risperidon sollte beispielsweise maximal sechs Wochen verordnet werden, Ibuprofen nicht höher als 1200 mg/Tag.
AOK-Verordnungsdaten: Welche PIM kommen häufig zum Einsatz?
Die folgenden fünf Wirkstoffgruppen machen ca. 80 Prozent der verordneten Tagesdosen aller PIM-Verordnungen aus:
- Protonenpumpeninhibitoren (PPI)
- Antihypertensiva
- Psychoanaleptika
- Antiphlogistika und Antirheumatika
- Psycholeptika (z. B. Antipsychotika, Anxiolytika und Schlafmittel).
Die PRISCUS-Liste in der Praxis
Die PRISCUS-Liste bietet sowohl mögliche Therapiealternativen für die PIM als auch Maßnahmen für den Fall, dass doch ein PIM verordnet werden muss. Darüber hinaus gibt sie Auskunft über Dosiergrenzen oder kritische Therapiedauern für ältere Menschen. Es gilt der Grundsatz „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“.
- Protonenpumpeninhibitoren: Ihr Einsatz sollte bei Personen über 65 Jahren auf acht Wochen begrenzt werden. Gerade der Langzeitgebrauch kann zu Nebenwirkungen wie Clostridium difficile-Infektionen und osteoporosebedingten Frakturen führen.
- Ist die Versorgung mit einem PPI (noch) notwendig? Überprüfen Sie hier regelmäßig die gestellte Indikation. Nicht selten wird nach einem Krankenhausaufenthalt eine Therapie mit einem PPI angesetzt, dessen Indikation bereits weggefallen ist. Unser PPI-Absetzplan hilft beim Absetzen der Protonenpumpenhemmer.
- Ibuprofen: Bei Dosierungen > 1200 mg/Tag ohne ein PPI sollte die Gabe maximal eine Woche erfolgen, bei entsprechend hoher Dosierung mit einem PPI maximal acht Wochen. Hier besteht die Gefahr von gastrointestinalen Blutungen und kardiovaskulären Komplikationen. Bedarf es über einen längeren Zeitraum Schmerzmittel, finden sich in der PRISCUS-Liste konkrete Alternativen wie z. B. Paracetamol, Metamizol oder auch topisch anzuwendende Substanzen.
- Vergessen Sie hier nicht die apothekenpflichtigen Präparate, die Ihre Patientin oder Ihr Patient womöglich ohne Ihr Wissen einnimmt – fragen Sie bei Gelegenheit nach.
- Bei allen Arzneimitteln, die das Nervensystem beeinflussen, sollte bei Älteren mit Bedacht verschrieben und dosiert werden. Bei kognitiven Einschränkungen oder auch Sturzneigungen prüfen Sie kritisch, ob es sich hierbei um die Folge bereits angesetzter Arzneimittel handeln könnte.
Bitte schauen Sie besonders auf die Medikation Ihrer älteren Patientinnen und Patienten, die Blutdrucksenker einnehmen. Nehmen Menschen ein Diuretikum und einen ACE-Hemmer oder ein Sartan, sollten sie nicht zusätzlich ein NSAR gegen ihre Schmerzen erhalten. Diese Kombination ist kritisch, weil diese Arzneimittel zusammen die Durchblutung der Niere so verschlechtern können, dass ein Nierenversagen droht.
Weitere Informationen
Mehr Informationen zur PRISCUS-Liste und deren Aktualisierung sowie die Liste selbst sind auf der Webseite zu PRISCUS 2.0 zu finden.
Eine genauere Analyse von Verordnungsdaten mit Blick auf die Arzneimittelversorgung Älterer findet sich in der aktuellen Ausgabe des Arzneimittel-Kompass 2022.
Bei Interesse an einer individuellen PharmPRO-Beratung wenden Sie sich gern an Ihre KVN-Bezirksstelle oder beauftragen Sie uns mit der Organisation. Über unser Portal für Gesundheitspartner können Sie uns Ihren Beratungswunsch direkt online mitteilen.