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BVerfG 03.05.2023 - 2 BvQ 52/23
BVerfG 03.05.2023 - 2 BvQ 52/23 - Erfolgreicher isolierter Eilantrag auf Aufhebung eines Zwangsversteigerungstermins wegen konkreter Suizidgefahr der Vollstreckungsschuldnerin - Folgenabwägung
Normen
Art 2 Abs 2 S 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 32 Abs 2 BVerfGG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 765a Abs 1 S 1 ZPO, § 885 Abs 1 S 1 ZPO
Vorinstanz
vorgehend AG Stralsund, 11. Januar 2023, Az: 703 K 79/21
Tenor
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Der Versteigerungstermin vom 4. Mai 2023 (Terminsbestimmung des Amtsgerichts Stralsund vom 11. Januar 2023 - 703 K 79/21 -) wird aufgehoben. Das Teilungsversteigerungsverfahren wird einstweilen bis zu einer Entscheidung über die noch einzulegende Verfassungsbeschwerde - längstens für die Dauer von sechs Monaten - ausgesetzt.
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Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat der Antragstellerin die notwendigen Auslagen für das Verfahren der einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Gründe
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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
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Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Hoheitsakte angeführt werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren, hier also die Verfassungsbeschwerde, erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 76, 253 255>; 99, 57 66>; stRspr). Ist ein Hauptsacheverfahren noch nicht anhängig, ist ein Eilantrag nur zulässig, wenn der Streitfall als Hauptsache in zulässiger Weise vor das Bundesverfassungsgericht gebracht werden könnte (vgl. BVerfGE 105, 235 238>; stRspr).
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2. Nach diesen Maßstäben hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Erfolg.
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a) Eine noch einzulegende Verfassungsbeschwerde wäre weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Den von der Antragstellerin vorgelegten psychiatrischen Gutachten vom 3. April 2023 und 28. April 2023 lassen sich konkrete Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass bereits die Durchführung des Versteigerungstermins zu einer konkreten Gefahr für Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) führen könnte. Die Vollstreckungsgerichte haben in ihrer Verfahrensgestaltung die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit Verfassungsverletzungen durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ausgeschlossen werden und dadurch der sich aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ergebenden Schutzpflicht staatlicher Organe Genüge getan wird (vgl. BVerfGE 52, 214 219 f.>). Ob die Gerichte dem genügt haben, erscheint derzeit offen.
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b) Über den Antrag auf einstweilige Anordnung ist deshalb nach Maßgabe einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese fällt zugunsten der Antragstellerin aus.
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Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die noch einzulegende Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, wäre nicht auszuschließen, dass aufgrund der Durchführung des Versteigerungstermins möglicherweise nicht rückgängig zu machende Folgen für Leib und Leben der Antragstellerin eintreten. Nach den vorgelegten psychiatrischen Gutachten vom 3. April und 28. April 2023 leidet die Antragstellerin an einer rezidivierenden depressiven Störung und befindet sich nach einem schwerwiegenden Suizidversuch seit dem 16. März 2023 in stationärer Behandlung. Die anstehende Teilungsversteigerung führe zu einer Verstärkung der depressiven Symptomatik und - wie zuletzt - auch bis hin zu akuter Suizidalität. Dieser könne durch die stationäre Behandlung nicht zu 100 % entgegengewirkt werden.
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Erginge demgegenüber die einstweilige Anordnung, bliebe die noch einzulegende Verfassungsbeschwerde aber später ohne Erfolg, so verzögerte sich der Versteigerungstermin voraussichtlich nur um wenige Monate. Dies wiegt insgesamt weniger schwer als die der Antragstellerin drohenden Nachteile.
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3. Gemäß § 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG wurde wegen der besonderen Dringlichkeit im Hinblick auf den kurzfristig bevorstehenden Versteigerungstermin davon abgesehen, den Begünstigten des Ausgangsverfahrens und den Äußerungsberechtigten Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu geben.
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4. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 3 BVerfGG.
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