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BVerfG 04.01.2023 - 2 BvR 1851/22
BVerfG 04.01.2023 - 2 BvR 1851/22 - Erlass einer einstweiligen Anordnung: Übermäßig restriktive Auslegung des § 261 BGB (Änderung einer eidesstattlichen Versicherung) und damit verbundener Zwang zur Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung (§ 156 StGB) kann Grundrechte aus Art 2 Abs 1 GG bzw Art 2 Abs 2 S 2 GG verletzen - Folgenabwägung
Normen
Art 2 Abs 1 GG, Art 2 Abs 2 S 2 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 261 BGB, § 156 StGB, § 888 ZPO, § 889 Abs 2 ZPO
Vorinstanz
vorgehend LG München I, 30. September 2022, Az: 16 T 10239/22, Beschluss
vorgehend LG München I, 14. September 2022, Az: 16 T 10239/22, Beschluss
vorgehend LG München I, 16. September 2022, Az: 16 T 10239/22, Beschluss
vorgehend LG München I, 25. August 2022, Az: 16 T 10239/22, Beschluss
vorgehend AG München, 15. August 2022, Az: 1537 M 30975/21, Beschluss
vorgehend AG München, 28. März 2022, Az: 1537 M 30975/21, Beschluss
Tenor
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Die Zwangsvollstreckung aus dem Schlussurteil des Landgerichts Düsseldorf vom 27. Januar 2020 - 5 O 390/16 - wird einstweilen bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für sechs Monate, ausgesetzt.
Gründe
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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG (in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG) kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
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Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ist ein strenger Maßstab anzulegen. Dabei haben die Gründe, die der Beschwerdeführer für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Hoheitsakte anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen abwägen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 76, 253 255>; 99, 57 66>; stRspr).
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2. Nach diesen Maßstäben hat der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Erfolg.
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a) Die Verfassungsbeschwerde erscheint jedenfalls bezüglich der im Rubrum genannten Beschwerdegegenstände zu 2. nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand weder von vornherein unzulässig (aa) noch offensichtlich unbegründet (bb).
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aa) Die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist gewahrt. Maßgeblich für den Beginn der Frist ist die Zustellung der Entscheidung über die Anhörungsrüge, da die Anhörungsrüge nicht offensichtlich aussichtslos war (vgl. nur BVerfGE 122, 190 198>; 134, 106 113 f. Rn. 22 f.>). Die Beschwerdeführerin zu 1. hatte sich mit ihrer Anhörungsrüge unter anderem darauf berufen, das Landgericht habe im Beschluss vom 25. August 2022 den Inhalt ihres Antrags auf Änderung der eidesstattlichen Versicherung gemäß § 261 BGB nicht richtig erfasst, weil es ihr Vorbringen dazu nur bruchstückhaft und allenfalls vordergründig in den Blick genommen habe. Insoweit musste die Beschwerdeführerin zu 1. die Durchführung eines Anhörungsrügeverfahrens nicht für offensichtlich aussichtslos halten, auch wenn das Landgericht die Anhörungsrüge mangels Rüge einer Gehörsverletzung als unzulässig verworfen hat.
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Die Entscheidung des Landgerichts vom 16. September 2022 über die Anhörungsrüge ist der Beschwerdeführerin zu 1. am 19. September 2022 zugestellt worden, so dass die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG mit dem Eingang der Verfassungsbeschwerde am 17. Oktober 2022 gewahrt ist.
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bb) Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht offensichtlich unbegründet.
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(1) Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer zu 2. durch die Auslegung von § 261 BGB in den angegriffenen Entscheidungen in seiner durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit und in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt ist.
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Die angegriffenen Entscheidungen haben eine Änderung der eidesstattlichen Versicherung, zu der die Beschwerdeführerin zu 1. durch das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 27. Januar 2020 - 5 O 390/16 - verurteilt worden ist, abgelehnt. Der Beschwerdeführer zu 2. wird deshalb als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH der Beschwerdeführerin zu 1. durch die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung gemäß § 889 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 888 ZPO möglicherweise zur Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt gezwungen, die den Straftatbestand des § 156 StGB erfüllt. Nach dem Vortrag der Beschwerdeführer war die erteilte Auskunft, deren Richtigkeit und Vollständigkeit an Eides Statt versichert werden soll, unvollständig und sollte diese zunächst ergänzt und sodann die Richtigkeit und Vollständigkeit der ergänzten Auskunft eidesstattlich versichert werden.
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Weigert sich der Beschwerdeführer zu 2. vor diesem Hintergrund weiterhin, die eidesstattliche Versicherung für die Beschwerdeführerin zu 1. mit der vom Landgericht Düsseldorf tenorierten Eidesformel abzugeben, droht ihm im weiteren Verlauf der Zwangsvollstreckung möglicherweise Zwangshaft und damit ein Eingriff in sein Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG.
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Im Hauptsacheverfahren wird zu prüfen sein, inwieweit die Vollstreckungsgerichte dem bei der Auslegung von § 261 BGB Rechnung zu tragen haben.
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(2) Ferner kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschluss des Landgerichts vom 25. August 2022 die Beschwerdeführerin zu 1. in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG verletzt hat. Das Landgericht hat den Antrag der Beschwerdeführerin zu 1. vom 9. März 2022 auf Änderung der Eidesformel einschränkend ausgelegt und damit möglicherweise den Kern des Vorbringens der Beschwerdeführerin zu 1. außer Acht gelassen, ohne ihr zumindest durch einen vorherigen Hinweis nach § 139 Abs. 1 ZPO Gelegenheit zu geben, ihren Antrag im Hinblick auf das damit verfolgte Rechtsschutzziel zu präzisieren.
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b) Über den Antrag auf einstweilige Anordnung ist deshalb nach Maßgabe einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese fällt zugunsten der Beschwerdeführer aus.
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aa) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, könnte aus dem Schlussurteil des Landgerichts Düsseldorf vom 27. Januar 2020 - 5 O 390/16 - vollstreckt und könnten weitere Zwangsmittel gegen die Beschwerdeführerin zu 1. beziehungsweise zulasten des Beschwerdeführers zu 2. verhängt werden. Dadurch könnten insbesondere nicht wiedergutzumachende Folgen für die Freiheit des Beschwerdeführers zu 2. eintreten, sofern er durch das Zwangsmittel der Zwangshaft in dieser beschränkt wird. Falls der Beschwerdeführer zu 2. sich dagegen der Zwangsvollstreckung beugt und die Versicherung an Eides statt entsprechend der möglicherweise unvollständigen Eidesformel abgibt, droht ihm eine Strafbarkeit nach § 156 StGB.
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bb) Erginge demgegenüber die einstweilige Anordnung, bliebe die Verfassungsbeschwerde später aber ohne Erfolg, so verzögerte sich die zwangsweise Durchsetzung der abzugebenden eidesstattlichen Versicherung um wenige Monate. Das wiegt insgesamt weniger schwer als die den Beschwerdeführern drohenden Nachteile, da es auch im Interesse des Gläubigers ist, mit der Erzwingung einer eidesstattlichen Versicherung auf die Abgabe einer richtigen und vollständigen Auskunft hinzuwirken.
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