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BVerfG 01.08.2019 - 2 BvR 1556/17
BVerfG 01.08.2019 - 2 BvR 1556/17 - Anordnung der Auslagenerstattung im Verfassungsbeschwerde- sowie im eA-Verfahren gem § 34a Abs 3 BVerfGG nach Erledigungserklärung des Beschwerdeführers - Zu den Anforderungen der Rechtsschutzgarantie (Art 19 Abs 4 S 1 GG) an die Handhabung hoch streitiger Fragen im fachgerichtlichen Eilverfahren - Gegenstandswertfestsetzung
Normen
Art 19 Abs 4 S 1 GG, § 34a Abs 3 BVerfGG, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG, § 58 Abs 2 S 1 VwGO
Vorinstanz
vorgehend VG Osnabrück, 27. Juni 2017, Az: 5 B 210/17, Beschluss
vorgehend VG Osnabrück, 8. Juni 2017, Az: 5 B 177/17, Beschluss
nachgehend BVerfG, 15. Juni 2020, Az: 2 BvR 1556/17, Kammerbeschluss
Tenor
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Das Verfahren wird eingestellt. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
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Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
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Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 20.000 Euro (in Worten: zwanzigtausend Euro) und für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf 10.000 Euro (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.
Gründe
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I.
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Die Verfassungsbeschwerde und der zugehörige Eilantrag betrafen die Ablehnung verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes im Zusammenhang mit einer als unrichtig gerügten Rechtsbehelfsbelehrung.
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1. Der Beschwerdeführer stammt aus Simbabwe. Seinen Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge durch Bescheid vom 9. Januar 2017 als einfach unbegründet ab und drohte ihm die Abschiebung nach Simbabwe an. Die Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid enthält den Satz: "Die Klage muss … in deutscher Sprache abgefasst sein."
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2. Am 4. April 2017 erhob der Beschwerdeführer Klage gegen den Bescheid und machte unter Bezugnahme auf entsprechende Entscheidungen erstinstanzlicher Gerichte geltend, die Klage sei nicht verfristet, weil der Bescheid mit einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung versehen gewesen sei. Am 19. Mai 2017 stellte der Beschwerdeführer zusätzlich zur Klage einen Eilantrag. In Anbetracht der Tatsache, dass inzwischen auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Würt-temberg von der Fehlerhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung ausgehe (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18. April 2017 - A 9 S 333/17 -, juris, Rn. 28 ff.), könne man hier kaum davon sprechen, dass seine Klage offensichtlich keinen Erfolg haben werde. Selbst wenn das Verwaltungsgericht die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg nicht teile, seien die Erfolgsaussichten der Klage offen, da es sich um eine Rechtsfrage von erheblicher Schwierigkeit handele, die nicht im Eilverfahren, sondern im Hauptsachverfahren zu klären sei.
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3. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag durch Beschluss des Einzelrichters vom 8. Juni 2017 ab. Nach in der obergerichtlichen Rechtsprechung weithin vertretener Ansicht komme einer Klage keine aufschiebende Wirkung zu, wenn "diese (offensichtlich) verspätet eingelegt" worden sei. Eine solche Konstellation sei hier gegeben. Die Klage sei nicht fristgerecht binnen zwei Wochen nach der Zustellung des Bescheides eingelegt worden. Die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung sei nicht unrichtig. Das Verwaltungsgericht nahm hierzu Bezug auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 23. Januar 2017 (- 3 B 90/17 -, juris). Dessen wesentliche Begründung (a.a.O., Rn. 6 - 9) zitierte es wörtlich und fügte den Satz hinzu: "Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das Gericht - in Kenntnis der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Urteil vom 18. April 2017 - A 9 S 333/17 -, juris) - an."
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4. Eine vom Beschwerdeführer erhobene Anhörungsrüge gemäß § 152a VwGO wies das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 27. Juni 2017 zurück.
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5. Der Beschwerdeführer hat fristgerecht Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Er hat unter anderem gerügt, die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts verletzten sein Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Diese Vorschriften geböten, durch die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile zu verhindern, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten. Das Gericht habe nicht von der Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung ausgehen dürfen, indem es sich einer der in der Rechtsprechung vertretenen Meinungen anschloss, ohne sich mit den übrigen Auffassungen und vorgetragenen Argumenten eingehend auseinanderzusetzen. Das Rechtsmittel sei jedenfalls nicht offensichtlich unzulässig und für die Klärung nicht offensichtlicher Rechtsfragen sei das Hauptsacheverfahren vorgesehen.
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6. Die Verfassungsbeschwerde ist dem Niedersächsischen Justizministerium zugestellt worden. Über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht entschieden worden, weil die zuständige Ausländerbehörde mitgeteilt hatte, auf eine Abschiebung zunächst zu verzichten.
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7. Durch Schreiben vom 11. Juni 2019 hat der Beschwerdeführer mitgeteilt, dass das Verwaltungsgericht inzwischen die Hauptsacheklage gegen den Bescheid vom 9. Januar 2017 abgewiesen habe und diese Entscheidung rechtskräftig geworden sei. Er hat die Verfassungsbeschwerde für erledigt erklärt und die Anordnung der Auslagenerstattung gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG beantragt.
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II.
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Dem Beschwerdeführer sind gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG seine Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren und im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
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1. Die Entscheidung über die Anordnung der Auslagenerstattung gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG ist nach Billigkeitsgesichtspunkten zu treffen (vgl. BVerfGE 85, 109 114>; 133, 37 38>). Hierbei kommt eine summarische Prüfung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde regelmäßig nicht in Betracht, wenn dabei zu verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen aufgrund einer lediglich kursorischen Prüfung Stellung genommen werden müsste (vgl. BVerfGE 85, 109 115>; 87, 394 398>; 133, 37 38>). Diese Bedenken greifen allerdings unter anderem dann nicht, wenn die verfassungsrechtliche Lage - etwa durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem gleichgelagerten Fall - bereits geklärt worden ist (vgl. BVerfGE 87, 394 398>; 133, 37 38 f.>).
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2. So liegt der Fall hier. Das Bundesverfassungsgericht hat inzwischen zur Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG entschieden, dass Rechtsfragen, die schwierig und ungeklärt sind oder die im entscheidungserheblichen Zeitpunkt als hoch streitig eingestuft werden müssen, ein Gericht für sich genommen nicht daran hindern, eine abschließende Prüfung in einem Eilverfahren vorzunehmen. Das Gericht hat in solchen Fällen allerdings in den Blick zu nehmen, dass sich eine solche Prüfung im Eilverfahren auf die Möglichkeiten des Rechtsschutzsuchenden auswirkt, die Entscheidungsfindung im Hauptsacheverfahren und im Rahmen prozessrechtlich vorgesehener Rechtsmittelverfahren zu beeinflussen; dies gilt im Asylverfahren in besonderer Weise (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2018 - 2 BvR 80/18 -).
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3. Diese Maßstäbe werden auch durch die hier angegriffenen Entscheidungen nicht hinreichend beachtet.
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Die Frage, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung mit dem Zusatz "Die Klage muss … in deutscher Sprache abgefasst sein" unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO war, musste das Verwaltungsgericht im hier entscheidungserheblichen Zeitpunkt, am 8. Juni 2017, als höchst streitig einstufen. Mehrere Verwaltungsgerichte (VG Oldenburg, Beschluss vom 20. Oktober 2016 - 15 B 5090/16 -, juris, Rn. 5 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 15. November 2016 - 14a L 2496/16.A -, juris, Rn. 20 ff.; VG Berlin, Beschlüsse vom 24. Januar 2017 - 21 K 346.16 A -, juris, Rn. 21 f. und vom 16. November 2016 - 6 L 1249/16.A -, juris, Rn. 15; VG des Saarlandes, Urteil vom 19. Dezember 2016 - 3 K 2501/16 -, juris; VG Hamburg, Beschluss vom 11. Januar 2017 - 4 AE 94/17 -, juris, Rn. 10) hatten entschieden, die Rechtsbehelfsbelehrung sei richtig. Andere Verwaltungsgerichte (VG Augsburg, Beschluss vom 3. Dezember 2014 - Au 7 S 14.50321 -, juris, Rn. 19 ff.; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 24. Juni 2016 - 3a K 4187/15.A -, juris, Rn. 15 ff. und Beschluss vom 30. Januar 2017 - 15a L 3029/16.A -, juris, Rn. 5 ff.; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2016 - 22 K 4119/15.A -, juris, Rn. 44 f.; VG Hannover, Beschluss vom 15. September 2016 - 3 B 4870/16 -, juris, Rn. 12; VG Meiningen, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 5 E 21517/16 Me -, juris) waren dagegen zu dem Ergebnis gekommen, dass die Rechtsbehelfsbelehrung missverständlich und damit unrichtig sei. Auch ein Obergericht hatte sich schon gegen die Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung ausgesprochen und diese Entscheidung detailliert begründet (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18. April 2017 - A 9 S 333/17 -, juris, Rn. 28 ff.).
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Die große Anzahl dieser Judikate aus mehreren Instanzen hätte im Rahmen einer im oben genannten Sinne "abschließenden" Prüfung eine - zumindest knappe - eigene Auseinandersetzung des Verwaltungsgerichts mit dem Meinungsstand erfordert. Sein Verweis auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen (Urteil vom 23. Januar 2017 - 3 B 90/17 -, juris) sowie der Hinweis, dass es sich dessen Ausführungen auch in Kenntnis der danach ergangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Urteil vom 18. April 2017 - A 9 S 333/17 -, juris) anschließe, genügten dafür nicht. Das Gericht hätte zusätzlich auf diejenigen Überlegungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg eingehen müssen, die das Verwaltungsgericht Göttingen mangels Kenntnis der später ergangenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg noch nicht hatte berücksichtigen können (vgl. VGH Baden-Württemberg, a.a.O., insbesondere Rn. 28 - 30).
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4. Die Festsetzung der Gegenstandswerte beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 366 ff.>). Höhere Gegenstandswerte sind - auch angesichts der Ausführungen des Beschwerdeführers in dessen Schriftsatz vom 24. Oktober 2017 - nicht angemessen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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