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BVerfG 16.06.2016 - 1 BvR 2257/15
BVerfG 16.06.2016 - 1 BvR 2257/15 - Nichtannahmebeschluss: normunmittelbare Verfassungsbeschwerde gegen Tarifeinheitsgesetz unzulässig - unzureichende Ausführungen zur Tariffähigkeit der Beschwerdeführerin
Normen
Art 9 Abs 3 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, TarifEinhG, § 4a Abs 2 S 2 TVG vom 03.07.2015
Tenor
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
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I.
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Die Verfassungsbeschwerde richtet sich in der Sache unmittelbar gegen § 4a TVG in der Fassung des Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) vom 3. Juli 2015 (BGBl I, S. 1130).
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1. Die Beschwerdeführerin ist eine im November 2010 gegründete und noch im Aufbau befindliche Koalition. Durch Entscheidungen der Gerichte für Arbeitssachen wurde der Beschwerdeführerin die Tariffähigkeit abgesprochen; eine hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde ist beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Der zuständige Arbeitgeberverband habe die Aufnahme von Tarifverhandlungen abgelehnt. Aufgrund des nicht abgeschlossenen Statusverfahrens habe die Beschwerdeführerin keine Tarifverträge abschließen können; zwischenzeitlich sei ihr der Abschluss eines Tarifvertrags gelungen.
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2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die Vorschrift des § 4a TVG. Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig. Insbesondere sei sie beschwerdebefugt. Sie werde trotz zunehmender Repräsentation in den Betrieben gegenüber der Branchengewerkschaft in der Minderheitsposition sein. Der Beschwerdebefugnis stehe nicht die fachgerichtliche Entscheidung entgegen, nach der die Beschwerdeführerin nicht tariffähig sei. Das ergebe sich aus dem die Nichtzulassungsbeschwerde begründenden Schriftsatz. Das angegriffene Gesetz beeinflusse zudem den Status der Beschwerdeführerin als tariffähige Gewerkschaft, wodurch es ihr erschwert werde, die von der Rechtsprechung zur Feststellung der Tariffähigkeit vorausgesetzte positive Prognose zu erzielen.
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Die Verfassungsbeschwerde sei begründet, weil § 4a TVG nicht mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar sei. Einer bestehenden Gewerkschaft werde jedenfalls faktisch der Abschluss von Tarifverträgen unmöglich gemacht. Die gesetzlich angeordnete Tarifeinheit führe dazu, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Existenz bedroht werde. Das sei verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Es sei insbesondere für junge Koalitionen unverhältnismäßig und käme einem Gewerkschaftsverbot gleich, weil das in § 4a TVG vorgesehene Mehrheitsprinzip die empirische Feststellung sozialer Mächtigkeit verhindere, während die Rechtsprechung die soziale Mächtigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit fordere.
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II.
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Die Verfassungsbeschwerde wurde mit weiteren gegen das Tarifeinheitsgesetz gerichteten Verfassungsbeschwerden dem Bundestag, dem Bundesrat, dem Bundeskanzleramt, dem Bundeministerium des Innern, dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, allen Landesregierungen, dem Bundesarbeitsgericht, dem Deutschen Gewerkschaftsbund, der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, dem Verband angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, dem Bundesverband Deutscher Privatkliniken, dem Arbeitgeberverband Luftverkehr, der Deutschen Bahn beziehungsweise dem Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister, dem Arbeitgeberverband Deutscher Eisenbahnen, dem Bund der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit, der Bundesrechtsanwaltskammer, dem Deutschen Anwaltverein, der Bundesnotarkammer, dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut zugestellt.
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III.
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Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig ist. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin durch die angegriffene Vorschrift des Tarifeinheitsgesetzes gegenwärtig betroffen und damit beschwerdebefugt ist.
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1. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG muss sich die Verfassungsbeschwerde mit dem zugrunde liegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint. Beschwerdeführende müssen darlegen, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidiert (vgl. BVerfGE 99, 84 87>; 108, 370 386 f.>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 10. November 2015 - 1 BvR 2056/12 -, www.bverfg.de, Rn. 9). Zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gehört auch, dass Beschwerdeführende ihre gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit ausreichend substantiieren (vgl. BVerfGE 79, 1 15>; 123, 267 329>). Wird die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz erhoben, so müssen die Tatsachen, aus denen sich die Betroffenheit der Beschwerdeführenden ergibt, im Verfassungsbeschwerdeverfahren hinreichend belegt werden. Die bloße Behauptung oder Versicherung der Beschwerdeführenden reicht dazu nicht aus (vgl. BVerfGE 83, 162 169 f.>; siehe auch als Frage der Begründetheit in BVerfGE 84, 90 116>; 85, 117 120>).
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Gegenwärtig ist die Betroffenheit, wenn die angegriffene Vorschrift auf die Rechtsstellung der Beschwerdeführenden aktuell und nicht nur virtuell einwirkt, wenn das Gesetz die Normadressatinnen und -adressaten mit Blick auf seine künftig eintretenden Wirkungen zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwingt oder wenn klar abzusehen ist, dass und wie Beschwerdeführende in der Zukunft von der Regelung betroffen sein werden (vgl. BVerfGE 102, 197 207>; 110, 141 151 f.>; 114, 258 277>). Allein die vage Ansicht, dass Beschwerdeführende irgendwann einmal in Zukunft von der Regelung betroffen sein könnten, genügt hingegen nicht (vgl. BVerfGE 1, 97 102>; 43, 291 385 f.>; 60, 360 371>; 74, 297 319>; 114, 258 277>).
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2. Unter Berücksichtigung dessen kann der Verfassungsbeschwerde nicht entnommen werden, dass die Beschwerdeführerin gegenwärtig betroffen ist.
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a) Die Verfassungsbeschwerde ist nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG entsprechend begründet. Mangels substantiierter Ausführungen zur Tariffähigkeit (zu den Voraussetzungen BAG, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 1 ABR 88/09 -, juris, Rn. 28 ff.) ist nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin derzeit oder in naher Zukunft von der Kollisionsregel des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG erfasst wird, weil von ihr wirksam abgeschlossene Tarifverträge verdrängt werden könnten. Insbesondere kann eigener Vortrag dazu nicht durch den Verweis auf eine Rechtsmittelbegründung im fachgerichtlichen Verfahren ersetzt werden, weil es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist, aufgrund eines undifferenzierten Hinweises auf frühere Schriftsätze den dortigen Vortrag auf verfassungsrechtlich relevante Lebenssachverhalte hin zu untersuchen (vgl. BVerfGE 80, 257 263>).
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Dass der zuständige Arbeitgeberband die Aufnahme von Tarifverhandlungen mit der Beschwerdeführerin abgelehnt hat, wird nicht konkretisiert. Soweit die Beschwerdeführerin vorträgt, sie habe aufgrund des noch nicht abgeschlossenen Statusverfahrens keine Tarifverträge abschließen können, ist ein hinreichend konkreter Zusammenhang mit dem Tarifeinheitsgesetz nicht erkennbar. Soweit sie auf eine durch das Tarifeinheitsgesetz verursachte Gefährdung ihrer Existenz verweist, genügen allgemeine Überlegungen zu möglichen Gesetzesfolgen ebenfalls nicht, um die Möglichkeit einer hinreichenden Betroffenheit in eigenen Rechten nachvollziehbar erkennen zu lassen.
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b) Die weiteren Ausführungen lassen eine gegenwärtige Betroffenheit der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht erkennen. Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, die vom Tarifeinheitsgesetz verursachte Unmöglichkeit, Tarifverträge abzuschließen, verhindere eine positive Prognose für ihre Tariffähigkeit, trägt dies nicht. Ungeachtet des Umstandes, dass das Bundesarbeitsgericht aus dem Abschluss von Tarifverträgen in nennenswertem Umfang Rückschlüsse auf die Tariffähigkeit zieht, entsteht die Tariffähigkeit nicht etwa mit dem Abschluss von Tarifverträgen, sondern ist eine Voraussetzung für deren Wirksamkeit (vgl. BAG, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 1 ABR 88/09 -, juris, Rn. 41 ff.).
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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