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BVerfG 10.05.2016 - 1 BvR 2322/14
BVerfG 10.05.2016 - 1 BvR 2322/14 - Auslagenerstattung im Verfassungsbeschwerdeverfahren nach Erledigterklärung durch den Beschwerdeführer - Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde und ausnahmsweise Unzumutbarkeit der Rechtswegerschöpfung in der Hauptsache bei entgegenstehender fachgerichtlicher Rechtsprechung
Normen
§ 34a Abs 3 BVerfGG, § 90 Abs 2 BVerfGG
Vorinstanz
vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 30. Juli 2014, Az: OVG 9 S 14.14, Beschluss
vorgehend VG Cottbus, 12. Mai 2014, Az: VG 6 L 128/14, Beschluss
vorgehend VG Cottbus, 12. Mai 2014, Az: VG 6 L 129/14, Beschluss
vorgehend VG Cottbus, 12. Mai 2014, Az: VG 6 L 130/14, Beschluss
vorgehend VG Cottbus, 8. Mai 2014, Az: VG 6 L 108/14, Beschluss
Tenor
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Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
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I.
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Die Verfassungsbeschwerde betraf die Heranziehung der Beschwerdeführerin zu Kanalanschlussbeiträgen auf der Grundlage des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg (KAG Bbg).
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1. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin mehrerer Grundstücke, die bereits vor dem 3. Oktober 1990 an die Schmutzwasserkanalisation im Gebiet der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Antragsgegnerin) angeschlossen wurden. Im Jahre 2013 zog die Antragsgegnerin die Beschwerdeführerin zu Kanalanschlussbeiträgen für die Grundstücke heran. Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin Widerspruch und beantragte beim Verwaltungsgericht, die aufschiebende Wirkung der Widersprüche anzuordnen. Das Verwaltungsgericht wies die Anträge zurück. Die hiergegen erhobene Beschwerde hatte keinen Erfolg.
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2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügte die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 sowie aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Die Beitragserhebung verletze den Grundsatz des Vertrauensschutzes und das Rückwirkungsverbot.
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Mit Beschluss vom 12. November 2015 - 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 -, NVwZ 2016, S. 300, gab die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zwei gleich gelagerten Verfassungsbeschwerden statt, stellte eine Verletzung der dortigen Beschwerdeführerinnen in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG) durch die angegriffenen Entscheidungen fest, hob die Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts auf, verwies die Sache an dieses zurück und ordnete die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerinnen durch das Land Brandenburg an.
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Mit Urteilen vom 11. Februar 2016 - OVG 9 B 43.15 (OVG 9 B 35.12), OVG 9 B 1.16 -, juris, ließ das Oberverwaltungsgericht in den zurückverwiesenen Sachen die Berufung zu und hob unter Abänderung der erstinstanzlichen Urteile die Beitragsbescheide in Gestalt des jeweiligen Widerspruchsbescheids auf.
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Daraufhin hat die Beschwerdeführerin das vorliegende Verfassungsbeschwerdeverfahren für erledigt erklärt und die Anordnung der Auslagenerstattung beantragt.
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3. Das Ministerium der Justiz und für Europa und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg und die Antragsgegnerin haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
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II.
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Der Beschwerdeführerin sind ihre durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
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1. Wird eine Verfassungsbeschwerde für erledigt erklärt, so ist über sie nicht mehr zu entscheiden (vgl. BVerfGE 85, 109 113>). In Fällen dieser Art ist die Kammer jedoch zur Entscheidung über die Auslagenerstattung befugt (vgl. BVerfGE 72, 34 38 f.>).
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Über die Erstattung der Auslagen ist nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden (vgl. § 34a Abs. 3 BVerfGG). Dabei kann insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zukommen. Beseitigt die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt oder hilft sie der Beschwer auf andere Weise ab, so kann, falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind, davon ausgegangen werden, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt erachtet hat. In diesem Fall ist es billig, die öffentliche Hand ohne weitere Prüfung an ihrer Auffassung festzuhalten und dem Beschwerdeführer die Erstattung seiner Auslagen in gleicher Weise zuzubilligen, wie wenn seiner Verfassungsbeschwerde stattgegeben worden wäre (BVerfGE 85, 109 115>). In gleicher Weise erscheint es billig, einem Beschwerdeführer, erklärt er seine Verfassungsbeschwerde für erledigt, die Erstattung seiner notwendigen Auslagen zuzubilligen, wenn es zwar noch nicht zu einer Beseitigung der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschwer durch die öffentliche Gewalt gekommen, diese jedoch durch die verfassungsgerichtliche Entscheidung in einem anderen Verfahren hierzu gehalten ist. Auch hier greifen Bedenken im Hinblick auf die Funktion und die Tragweite der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht Platz, im Falle einer Erledigung der Verfassungsbeschwerde über die Auslagenerstattung - analog den Regelungen in den Verfahrensordnungen für die Fachgerichte (§ 91a ZPO, § 161 Abs. 2 VwGO, § 138 Abs. 1 FGO) - aufgrund einer überschlägigen Beurteilung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde entscheiden und dabei zu verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen aufgrund einer lediglich kursorischen Prüfung Stellung nehmen zu müssen (vgl. BVerfGE 33, 247 264 f.>); die verfassungsrechtliche Lage ist durch die Entscheidung in den anderen Verfahren bereits geklärt (vgl. BVerfGE 85, 109 115 f.>; 87, 394 397 f.>).
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2. Nach vorstehenden Grundsätzen ist es im vorliegenden Fall angezeigt, die Auslagenerstattung anzuordnen. Die Verfassungsbeschwerde wäre voraussichtlich erfolgreich gewesen.
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a) Die Verfassungsbeschwerde war zulässig. Der Zulässigkeit stand insbesondere nicht entgegen, dass sie gegen Entscheidungen gerichtet war, die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangen sind. Zwar reicht die formelle Erschöpfung des Rechtswegs regelmäßig dann nicht aus, wenn mit der Verfassungsbeschwerde - wie hier - ausschließlich Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen, so dass sich die Chance bietet, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen (vgl. BVerfGE 77, 381 401>; 79, 275 278 f.>; stRspr). Allerdings ist eine Verfassungsbeschwerde auch unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsgrundsatzes ausnahmsweise zulässig, wenn diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung abgesehen werden kann (vgl. BVerfGE 53, 30 53 f.>; 58, 257 263>). Das setzt regelmäßig voraus, dass die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen Aufklärung abhängt und es für den Beschwerdeführer nicht zumutbar ist, vorab das Hauptsacheverfahren zu betreiben (vgl. BVerfGE 69, 233 241>; 104, 65 71>). Dies ist der Fall, wenn eine Klage im Hinblick auf entgegenstehende Rechtsprechung der Fachgerichte von vornherein als aussichtslos erscheinen muss (vgl. BVerfGE 70, 180 186>; 79, 275 278 f.>).
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So lag der Fall hier. Bis zu den Urteilen vom 11. Februar 2016 - OVG 9 B 43.15 (OVG 9 B 35.12), OVG 9 B 1.16 -, juris, entsprach es der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, dass die Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben vom 17. Dezember 2003 (GVBl I S. 294) - n.F. - in Fällen, in denen eine Veranlagung zu einem Herstellungsbeitrag gemäß § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg in der Fassung vom 27. Juni 1991 (GVBl I S. 200) - a.F. - nicht mehr möglich gewesen wäre, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Rückwirkungsverbots begegne und auch kein Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes vorliege. Die durch die Neufassung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg bewirkte Rechtsfolge, das Hinausschieben des Zeitpunkts für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht und des Verjährungsbeginns, stelle keinen rückwirkenden Eingriff in einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Tatbestand dar, sondern knüpfe lediglich für die Zukunft neue abgabenrechtliche Folgerungen an die andauernde Vorteilslage (vgl. grundlegend OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Dezember 2007 - OVG 9 B 45.06 -, juris, Rn. 51 ff.; nachfolgend BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 2008 - BVerwG 9 B 22.08 -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. März 2012 - OVG 9 S 9.12 -, juris, Rn. 12 ff.; Urteil vom 23. Juli 2013 - OVG 9 B 64.11 -, juris, Rn. 66 ff.; Urteil vom 14. November 2013 - OVG 9 B 34.12 -, juris, Rn. 57; Beschluss vom 13. Mai 2014 - OVG 9 S 11.14 -, juris, Rn. 11; Beschluss vom 16. Juli 2014 - OVG 9 N 69.14 -, juris, Rn. 10 ff.; vgl. auch Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 21. September 2012 - VfGBbg 46/11 -, juris, Rn. 74 ff.).
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Angesichts dieser gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung war es der Beschwerdeführerin bis zu den anderslautenden Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts vom 11. Februar 2016 (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 11. Februar 2016 - OVG 9 B 43.15 <OVG 9 B 35.12>, OVG 9 B 1.16 - juris, Rn. 27 bzw. Rn. 30) ausnahmsweise unzumutbar, vorab das Hauptsacheverfahren zu betreiben.
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b) Die Verfassungsbeschwerde wäre auch in der Sache erfolgreich gewesen. Die verfassungsrechtliche Lage ist durch den Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 - 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 -, NVwZ 2016, S. 300, geklärt. Danach verstößt die Anwendung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg n.F. in Fällen, in denen - wie hier - Beiträge nach der ursprünglichen Fassung dieser Vorschrift nicht mehr erhoben werden könnten, gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot.
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