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BFH 26.09.2023 - IX R 9/22
BFH 26.09.2023 - IX R 9/22 - Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis bei vorläufiger Steuerfestsetzung - Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags
Normen
Art 2 Abs 1 GG, Art 3 Abs 1 GG, Art 106 Abs 1 Nr 6 GG, § 165 Abs 1 S 2 Nr 3 AO, § 1 Abs 1 SolZG 1995, § 3 SolZG 1995, § 4 SolZG 1995
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 16. Mai 2022, Az: 10 K 1693/21, Urteil
Leitsatz
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Für eine Klage, mit der die Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags ab dem Jahr 2020 geltend gemacht wird, fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Steuerfestsetzung wegen dieses Punktes vorläufig ist und beim Bundesverfassungsgericht bereits ein einschlägiges Musterverfahren (hier: 2 BvR 1505/20) anhängig ist.
Tenor
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Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 16.05.2022 - 10 K 1693/21 aufgehoben.
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Die Klage wird abgewiesen.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I.
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Streitig ist, ob die Erhebung des Solidaritätszuschlags nach dem Solidaritätszuschlaggesetz 1995 durch Art. 31 des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23.06.1993 (BGBl I 1993, 944, 975) i.d.F. der Bekanntmachung der Neufassung des Solidaritätszuschlaggesetzes vom 15.10.2002 (BGBl I 2002, 4130), geändert durch Art. 4 des Zweiten Familienentlastungsgesetzes vom 01.12.2020 (BGBl I 2020, 2616), im Jahr 2020 und ab dem Jahr 2021 gegen Verfassungsrecht verstößt.
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Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Kläger erzielten unter anderem Einkünfte aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit und aus Kapitalvermögen. Mit Bescheid vom 01.04.2020 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für 2018 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt --FA--) den Solidaritätszuschlag auf … € und die Vorauszahlungen auf den Solidaritätszuschlag für die letzten drei Quartale 2020 in Höhe von jeweils … € und ab 2021 in Höhe von vierteljährlich … € fest. Die Festsetzung des Solidaritätszuschlags erfolgte gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) vorläufig.
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Die Kläger legten gegen den Bescheid vom 01.04.2020 Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 15.06.2021 erklärte das FA die Festsetzung der Vorauszahlungen zum Solidaritätszuschlag gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO für vorläufig hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995. Es verwies auf die beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) seit dem 24.08.2020 anhängige Verfassungsbeschwerde (Aktenzeichen 2 BvR 1505/20) sowie auf ein seinerzeit beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängiges Revisionsverfahren (Aktenzeichen IX R 15/20). Unter Bezugnahme auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 04.01.2021 (BStBI I 2021, 49) führte es aus, der Vorläufigkeitsvermerk erfasse auch die Frage, ob die fortgeltende Erhebung des Solidaritätszuschlags nach Auslaufen des Solidarpakts II zum 31.12.2019 verfassungsgemäß sei. Im Übrigen wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück.
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Die Kläger haben gegen die Einspruchsentscheidung am 15.07.2021 Klage beim Finanzgericht (FG) erhoben. Zur Begründung haben sie insbesondere ausgeführt, die Klage sei zulässig. Das beim BVerfG unter dem Aktenzeichen 2 BvR 1505/20 anhängige Verfassungsbeschwerdeverfahren stehe nicht entgegen, da dieses mangels Rechtswegerschöpfung unzulässig sei. Es fehle an einer Ermächtigungsgrundlage, da es sich bei dem Solidaritätszuschlag nicht um eine Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 des Grundgesetzes (GG) handele. Zudem verletze der Solidaritätszuschlag nach seiner nur teilweisen Abschaffung ab 2021 Art. 3 Abs. 1 GG sowie Art. 6 GG.
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Im Laufe des Klageverfahrens ergingen geänderte Vorauszahlungsbescheide zum Solidaritätszuschlag, zuletzt am 28.01.2022 für die Jahre 2021 bis 2023 und weitere Jahre. Die Festsetzungen erfolgten gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995. Am 22.04.2022 erging ein Bescheid für 2020 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag. Der Solidaritätszuschlag 2020 wurde auf … € festgesetzt. Die Festsetzung des Solidaritätszuschlags erfolgte gemäß § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig.
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Das FG wies die Klage mit Urteil vom 16.05.2022 - 10 K 1693/21 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2022, 1397) als unbegründet ab.
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Zur Begründung ihrer am 10.06.2022 eingelegten Revision haben die Kläger vorgetragen, das FG sei zu Recht von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen. Das Rechtsschutzbedürfnis sei nicht durch den Vorläufigkeitsvermerk entfallen. Das BVerfG-Verfahren 2 BvR 1505/20 sei von vornherein aussichtslos. Es fehle an der Rechtswegerschöpfung. Die von den dortigen Beschwerdeführern geltend gemachte allgemeine Bedeutung der Verfassungsbeschwerde liege nicht vor. Es sei nahezu ausgeschlossen, dass das BVerfG das Verfahren 2 BvR 1505/20 als zulässig erachten werde.
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Das FG habe verkannt, dass das Solidaritätszuschlaggesetz 1995 bereits durch das Auslaufen des Solidarpakts II seit dem Veranlagungszeitraum 2020, jedenfalls aufgrund der nur selektiven Abschaffung des Solidaritätszuschlags ab dem Veranlagungszeitraum 2021 verfassungswidrig sei. Bei dem Solidaritätszuschlag handele es sich nicht (mehr) um eine Ergänzungsabgabe im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG. Dies gelte umso mehr ab dem Veranlagungszeitraum 2021, da der Solidaritätszuschlag nach seiner nur teilweisen Abschaffung ab 2021 zu einer "Reichensteuer" umgestaltet worden sei. Damit werde das finanzverfassungsrechtliche Kompetenzgefüge verletzt. Zudem verletze der Solidaritätszuschlag seit dem Veranlagungszeitraum 2021 den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
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Mit Schreiben vom 12.05.2023 haben die Kläger ergänzend vorgebracht, der Solidaritätszuschlag sei auch deshalb verfassungswidrig, weil Steuerpflichtige mit Einkünften, die nicht der Gewerbesteuer unterfallen, gegenüber Steuerpflichtigen, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb in gleicher Höhe erzielen und bei denen die Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer angerechnet werde, ungleich behandelt würden. Denn im letztgenannten Fall sei aufgrund der Gewerbesteueranrechnung die Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag niedriger, obwohl es sich hinsichtlich der finanziellen Leistungsfähigkeit um vergleichbare Sachverhalte handele.
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Am 30.05.2023 ist ein neuer Bescheid für Solidaritätszuschlag 2020 in Höhe von … € ergangen. Der Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO ist bestehen geblieben.
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Die Kläger beantragen sinngemäß,
das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 16.05.2022 - 10 K 1693/21, die Einspruchsentscheidung vom 15.06.2021, den geänderten Bescheid für 2020 über Solidaritätszuschlag vom 30.05.2023 und die Vorauszahlungsbescheide über Solidaritätszuschlag ab dem 01.01.2021 vom 28.01.2022 aufzuheben.
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Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
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Das FA hält die Klage aufgrund des Vorläufigkeitsvermerks für unzulässig. Die Verfassungsbeschwerde unter dem BVerfG-Aktenzeichen 2 BvR 1505/20 habe allgemeine Bedeutung im Sinne von § 90 Abs. 2 Satz 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG). Das Solidaritätszuschlaggesetz 1995 sei nicht verfassungswidrig. Es schließe sich insoweit der Senatsentscheidung vom 17.01.2023 - IX R 15/20 (BFHE 279, 403, BStBl II 2023, 351) an.
Entscheidungsgründe
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II.
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Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben; einer Zurückverweisung an das FG bedarf es nicht (dazu unter 1.). In der Sache hat die Revision jedoch keinen Erfolg. Die Vorinstanz ist fehlerhaft davon ausgegangen, dass die Klage zulässig war (dazu unter 2.). Die Klage ist daher abzuweisen (dazu unter 3.).
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1. Da der angefochtene Bescheid über Solidaritätszuschlag 2020 vom 22.04.2022 während des Revisionsverfahrens durch den Bescheid vom 30.05.2023 geändert worden ist, ist das angefochtene Urteil aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG bedarf es nicht.
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Der Bescheid für 2020 über Solidaritätszuschlag vom 30.05.2023 ist Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden (§ 68 Satz 1 i.V.m § 121 Satz 1, § 127 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Daher ist das angefochtene Urteil aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil sich der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, geändert hat. Das vorinstanzliche Urteil ist damit gegenstandslos geworden (§ 127 FGO). Die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind hierdurch jedoch nicht weggefallen. Einer Zurückverweisung der Sache an das FG bedarf es nicht, da der Streitstoff unverändert geblieben und die Sache aufgrund der fortwirkenden Feststellungen des FG spruchreif ist. Der Senat entscheidet daher nach Maßgabe der Feststellungen des FG in der Sache selbst (vgl. § 121 Satz 1 i.V.m. § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO).
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2. Das Urteil des FG verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO), soweit es die Klage als unbegründet statt als unzulässig abgewiesen hat. Denn das FG ist zu Unrecht von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen. Für die Klage fehlt wegen des Vorläufigkeitsvermerks nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO das Rechtsschutzbedürfnis. Die Klage war daher wegen Fehlens einer Sachurteilsvoraussetzung von Beginn an unzulässig.
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a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Steuerbescheid in dem verfassungsrechtlichen Streitpunkt vorläufig ergangen ist, diese Streitfrage sich in einer Vielzahl im Wesentlichen gleich gelagerter Verfahren (Massenverfahren) stellt und bereits ein nicht von vornherein aussichtsloses Musterverfahren beim BVerfG anhängig ist (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 22.03.1996 - III B 173/95, BFHE 180, 217, BStBl II 1996, 506, unter II.1.b; BFH-Urteil vom 16.02.2005 - VI R 37/01, BFH/NV 2005, 1323, unter II.1.a und BFH-Beschluss vom 30.11.2007 - III B 26/07, BFH/NV 2008, 374, unter II.3.a, jeweils m.w.N.). Liegen diese Voraussetzungen vor, muss ein Steuerpflichtiger im Allgemeinen die Klärung der Streitfrage in dem Musterverfahren abwarten, ohne dadurch unzumutbare Rechtsnachteile zu erleiden. Eine weitere verfassungsrechtliche Klärung in eigener Sache kann der Steuerpflichtige gegebenenfalls später durch Rechtsbehelfe gegen die vom FA nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO zu treffende Entscheidung herbeiführen, wenn ihm nach Ausgang des Musterverfahrens die Streitfrage nicht ausreichend beantwortet erscheint (BFH-Beschluss vom 22.03.1996 - III B 173/95, BFHE 180, 217, BStBl II 1996, 506, unter II.1.b).
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Bei verfassungsrechtlichen Streitfragen fehlt das Rechtsschutzbedürfnis erst, wenn das Musterverfahren bereits beim BVerfG anhängig ist. Andernfalls wäre unsicher, ob es überhaupt zu einer Klärung der Rechtsfrage durch das BVerfG kommen wird (vgl. BFH-Urteil vom 06.10.1995 - III R 52/90, BFHE 178, 559, BStBl II 1996, 20, unter 2.a aa). Klage- und Musterverfahren müssen hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Streitfrage im Wesentlichen gleichgelagert sein. In dem Musterverfahren darf es nicht um einen anderen Sachverhalt gehen, der zusätzliche möglicherweise sogar vorrangige Streitfragen aufwirft. Klage- und Musterverfahren müssen zudem dieselben Vorschriften, nicht aber notwendig das gleiche Streitjahr, betreffen (vgl. BFH-Beschluss vom 22.03.1996 - III B 173/95, BFHE 180, 217, BStBl II 1996, 506, unter II.1.b, m.w.N.). Notwendig ist allein, dass sich das Klageverfahren durch die Entscheidung in dem bereits anhängigen verfassungsrechtlichen Musterverfahren "sicher" erledigen lässt (vgl. BFH-Beschluss vom 22.03.1996 - III B 173/95, BFHE 180, 217, BStBl II 1996, 506, unter II.2.; Reddig, AO-Steuerberater 2021, 25, 27).
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Voraussetzung nach der oben genannten Rechtsprechung ist, dass das Musterverfahren nicht von vornherein aussichtslos erscheint. Die Anforderungen für die Annahme eines nicht vornherein aussichtslosen Musterverfahrens, das beim BVerfG anhängig ist, dürfen nicht überspannt werden (vgl. Koenig/Gercke, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 165 Rz 25). Die in dem Musterverfahren geltend gemachten Argumente dürfen nicht so wenig Gewicht haben, dass dem Verfahren von vornherein eine Erfolgsaussicht abzusprechen ist (vgl. BFH-Beschluss vom 07.02.1992 - III B 24, 25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408, unter 3.d). Insbesondere kommt es nach dem Wortlaut des § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO nicht darauf an, ob und in welchem Umfang das Musterverfahren letztlich Erfolg haben wird.
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Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn besondere Gründe materiell-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art substantiiert geltend gemacht werden, die es rechtfertigen, trotz Anhängigkeit des Musterverfahrens Rechtsschutz gegen den im Streitpunkt für vorläufig erklärten Bescheid zu gewähren (vgl. BFH-Beschluss vom 22.03.1996 - III B 173/95, BFHE 180, 217, BStBl II 1996, 506, unter II.1.b; BFH-Urteil vom 16.02.2005 - VI R 37/01, BFH/NV 2005, 1323, Rz 10 und BFH-Beschluss vom 30.11.2007 - III B 26/07, BFH/NV 2008, 374, unter II.3.a). Ein Rechtsschutzbedürfnis kann bei vorläufiger Steuerfestsetzung unter anderem dann bestehen, wenn der Steuerpflichtige aus berechtigtem Interesse ein weiteres Verfahren einleiten will, weil er zum Beispiel bisher in den Musterverfahren nicht geltend gemachte Gründe substantiiert vorträgt und diese an das BVerfG oder den Gerichtshof der Europäischen Union herantragen möchte (vgl. BFH-Urteile vom 30.09.2010 - III R 39/08, BFHE 231, 7, BStBl II 2011, 11, Rz 50 und vom 16.02.2011 - X R 10/10, Rz 11). Dem Steuerpflichtigen darf dann nicht die Möglichkeit abgeschnitten werden, die verfassungsrechtlichen Bedenken in einem eigenen Verfahren zu verfolgen (vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 165 AO Rz 18; Brockmeyer, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 1996, 1, 4).
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b) Daran gemessen fehlte den Klägern von Beginn des Klageverfahrens an das Rechtsschutzbedürfnis für ihr Begehren. Es war den Klägern zuzumuten, aufgrund des bestehenden Vorläufigkeitsvermerks den Ausgang des beim BVerfG anhängigen Verfahrens 2 BvR 1505/20 abzuwarten.
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Im Zeitpunkt der Klageerhebung war vor dem BVerfG hinsichtlich der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 das Verfahren 2 BvR 1505/20 anhängig. Dieses Verfahren war unter Berufung auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 106, Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG eingeleitet worden. Die Kläger berufen sich in ihrem Klageverfahren auf dieselben verfassungsrechtlichen Vorschriften wie in dem BVerfG-Verfahren 2 BvR 1505/20. Auch sind dieselben Normen des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 streitig.
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Die Kläger haben im Klageverfahren keinen zusätzlichen Gesichtspunkt geltend gemacht, der im BVerfG-Verfahren 2 BvR 1505/20 keine Rolle spielt. Ungeachtet der Frage, ob die Begründung der Kläger sich mit Blick auf die Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 als erfolgversprechend darstellt, hatten sie sich in ihrer Klage auf keinen weiteren Gesichtspunkt berufen, für den das anhängige Verfahren beim BVerfG nicht vorgreiflich ist.
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Zwar bringen die Kläger im Rahmen ihrer Revisionsbegründung erstmals vor, der Solidaritätszuschlag sei auch deshalb verfassungswidrig, weil Steuerpflichtige mit Einkünften, die nicht der Gewerbesteuer unterfielen, gegenüber Steuerpflichtigen, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb in gleicher Höhe erzielten, aufgrund der Gewerbesteueranrechnung ungleich behandelt würden. Dieses Vorbringen wurde aber erstmals im Revisionsverfahren und nicht im Klageverfahren vorgebracht. Auf die Entscheidung des FG konnte es daher keinen Einfluss haben.
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Prüfungsgegenstand im Rahmen der Revision ist nach § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO allein das Urteil des FG mit Blick auf die Verletzung von Bundesrecht. Im FG-Verfahren haben sich die Kläger auf den vorgenannten Umstand aber nicht berufen. Dort haben sie keinen über den Vorläufigkeitsvermerk oder das BVerfG-Verfahren 2 BvR 1505/20 hinausgehenden Punkt vorgetragen.
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Welche Erfolgsaussichten das beim BVerfG anhängige (Muster-)Verfahren 2 BvR 1505/20 hat, muss der erkennende Senat nicht entscheiden. Das Verfahren erscheint --trotz der möglicherweise fehlenden Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 BVerfGG)-- jedenfalls nicht von vornherein aussichtslos und damit als Musterverfahren im Rahmen eines Vorläufigkeitsvermerks ungeeignet (vgl. zur Aufnahme in den Vorläufigkeitskatalog das BMF-Schreiben vom 15.01.2018, BStBl 2018, 2 i.V.m. BMF-Schreiben vom 04.01.2021, BStBl I 2021, 49). Insbesondere besitzen die in der Verfassungsbeschwerde geltend gemachten Gründe, warum die Verfassungsbeschwerde trotz fehlender Rechtswegerschöpfung zulässig sein soll, nicht so wenig Gewicht, dass dem Verfahren von vornherein jede Erfolgsaussicht abzusprechen wäre.
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Dieses Ergebnis verletzt auch nicht das Gebot eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für das Begehren der Kläger. Die Kläger erleiden auch dann keine unzumutbaren Rechtsnachteile, wenn die materiell-rechtliche Frage in dem BVerfG-Musterverfahren 2 BvR 1505/20 nicht geklärt werden sollte. Die Kläger können nach Erledigung des Musterverfahrens gemäß § 165 Abs. 2 Satz 4 AO beantragen, dass die Festsetzung des Solidaritätszuschlags für endgültig erklärt wird, und gegen die dann auch insoweit endgültige Festsetzung Einspruch einlegen und gegebenenfalls anschließend Klage erheben zur weiteren verfassungsrechtlichen Klärung, ohne dass dem § 351 Abs. 1 AO entgegensteht (vgl. BFH-Urteil vom 30.09.2010 - III R 39/08, BFHE 231, 7, BStBl II 2011, 11, Rz 51; Seer in Tipke/Kruse, § 165 AO Rz 54; Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl., § 165 Rz 32 und 85; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 165 AO Rz 155; Brockmeyer, DStZ 1996, 1, 3). Erklärt das FA die vorläufige Festsetzung des Solidaritätszuschlags für endgültig oder entfällt der Vorläufigkeitsvermerk in einem geänderten Bescheid, sind ebenfalls Einspruch und gegebenenfalls Klage möglich. Die dadurch entstehende zeitliche Verzögerung ist hinzunehmen (vgl. BFH-Beschluss vom 09.08.1994 - X B 26/94, BFHE 174, 498, BStBl II 1994, 803, unter II.2.d; kritisch mit Blick auf die langen Verfahrensdauern beim BVerfG Steinhauff, Steuerrecht kurzgefasst 2011, 139, 141).
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3. Hat das FG die Klage als unbegründet abgewiesen, obwohl es sie richtigerweise --mangels Rechtsschutzbedürfnis-- als unzulässig hätte zurückweisen müssen, ist das FG-Urteil trotz dieses Rechtsfehlers nicht aufzuheben, weil der Tenor des FG-Urteils richtig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 23.01.1997 - IV R 36/95, BFHE 182, 533, BStBl II 1997, 498; vom 20.04.1988 - I R 67/84, BFHE 154, 5, BStBl II 1988, 927, unter II.1; kritisch dazu Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 126 Rz 8). Das gilt aber nicht, wenn das FG-Urteil aus anderen --verfahrensrechtlichen-- Gründen aufzuheben ist. Das ist hier der Fall, weil sich der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das FG zu entscheiden hatte, geändert hat und das angefochtene Urteil damit gegenstandslos geworden ist (§ 127 FGO).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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