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BFH 02.10.2018 - VII R 17/17
BFH 02.10.2018 - VII R 17/17 - Zum Erlass eines Aufteilungsbescheids vor Beginn der Zwangsvollstreckung
Normen
§ 44 Abs 1 AO, § 276 Abs 3 AO, § 279 Abs 1 S 1 AO, § 26b EStG 2002, § 276 Abs 6 S 2 AO
Vorinstanz
vorgehend FG Köln, 16. Februar 2017, Az: 15 K 1478/14, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Sobald das Leistungsgebot bekanntgegeben worden ist und solange die Steuerschuld noch nicht vollständig getilgt ist, kann der Gesamtschuldner, der eine Erstattung von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen gemäß § 276 Abs. 6 Satz 2 AO begehrt, regelmäßig den Erlass eines Aufteilungsbescheids verlangen .
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2. NV: Ein zulässiger Antrag wird durch spätere Aufrechnung oder Verrechnung gegenüber dem anderen Gesamtschuldner nicht unzulässig .
Tenor
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Die Revision des Finanzamts gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 16. Februar 2017 15 K 1478/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Revisionsverfahrens hat das Finanzamt zu tragen.
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Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Tatbestand
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I.
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Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) verpflichtet ist, die Einkommensteuer 2006 bis 2008 aufzuteilen.
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Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) und der Beigeladene waren in diesen Jahren noch miteinander verheiratet und erzielten jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Beigeladene war in die Lohnsteuerklasse III eingereiht, die Klägerin in die Lohnsteuerklasse V (§ 38b Satz 2 Nr. 3 Buchst. a und Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- in der damals geltenden Fassung). Auf Antrag der Klägerin wurden sie zunächst getrennt veranlagt. Für den Beigeladenen ergaben sich Nachzahlungsbeträge, die nicht durch Vollstreckung beigetrieben werden konnten. Später verpflichtete das Familiengericht die Klägerin, einer gemeinsamen Veranlagung für die Veranlagungszeiträume 2005 bis 2009 zuzustimmen. Hierauf führte das FA Zusammenveranlagungen gemäß § 26b EStG durch. Am 16. Dezember 2013 gab das FA der Klägerin und dem Beigeladenen Leistungsgebote für die Einkommensteuer 2006, 2007 und 2008 bekannt. Am 18. Dezember 2013 beantragte die Klägerin, die eine Erstattung von Steuerabzugsbeträgen gemäß § 276 Abs. 6 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) begehrte, u.a. die Einkommensteuer 2006 bis 2008 aufzuteilen. Am 9. Januar 2014 erfolgte eine "Aufrechnung" (so die Vorentscheidung) des FA gegenüber dem Beigeladenen, wodurch die Rückstände vollständig getilgt wurden. Sodann lehnte das FA den Aufteilungsantrag der Klägerin ab. Das Finanzgericht (FG) hob den Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung auf und verpflichtete das FA, die Einkommensteuer für die Jahre 2006 bis 2008 zum 18. Dezember 2013 aufzuteilen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 1049 veröffentlicht.
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Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Es trägt vor, das Urteil verstoße gegen § 279 Abs. 1 Satz 2 AO, wonach eine Entscheidung über den Aufteilungsantrag nicht erforderlich sei, wenn keine Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen oder bereits ergriffene Vollstreckungsmaßnahmen wieder aufgehoben werden. Im Streitfall sei weder am 18. Dezember 2013 noch danach die Vollstreckung eingeleitet worden. Insbesondere sei auch keine Rückstandsanzeige ausgefertigt worden (vgl. § 276 Abs. 5 AO). Infolge der Tilgung der Steuerschuld durch Verrechnung gegenüber dem Beigeladenen vor Fälligkeit der Steuerbeträge hätten gegenüber der Klägerin zu keinem Zeitpunkt Vollstreckungsmaßnahmen oder eine Aufrechnung gedroht.
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Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
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Der Beigeladene schließt sich den Ausführungen des FA an.
Entscheidungsgründe
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II.
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1. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
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2. Die Revision ist zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Die Vorentscheidung entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).
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a) Gemäß § 268 AO können Personen, die zusammen zu einer Steuer vom Einkommen veranlagt worden und deshalb Gesamtschuldner (§ 44 Abs. 1 AO) sind, beantragen, dass die Vollstreckung wegen dieser Steuern jeweils auf den Betrag beschränkt wird, der sich nach Maßgabe der §§ 269 bis 278 AO bei einer Aufteilung der Steuern ergibt.
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Aus § 276 Abs. 1 AO folgt, dass der Aufteilungsantrag schon vor Einleitung der Vollstreckung zulässig ist. Der Antragsteller muss lediglich die Bekanntgabe des Leistungsgebots abwarten (§ 269 Abs. 2 Satz 1 AO). Die Antragstellung vor oder nach Einleitung der Vollstreckung --dieser Zeitpunkt wird mit der Ausfertigung der Rückstandsanzeige bestimmt (§ 276 Abs. 5 AO)-- hat nur Bedeutung für den Umfang der aufzuteilenden Steuer (§ 276 Abs. 1 und Abs. 2 AO; vgl. Senatsurteil vom 1. März 1990 VII R 135/87, BFH/NV 1991, 6). Gemäß § 276 Abs. 3 AO sind Steuerabzugsbeträge und getrennt festgesetzte Vorauszahlungen in die Aufteilung einzubeziehen, unabhängig davon, ob sie vor oder nach Antragstellung entrichtet worden sind.
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Nach dem Wortlaut der Aufteilungsvorschriften (vgl. insbesondere §§ 277 bis 279 AO) führt die Aufteilung der Gesamtschuld zu einer Vollstreckungsbeschränkung. Ehegatten sollen nicht in einer Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes widersprechenden Weise dadurch benachteiligt werden, dass jeder für die Schulden des anderen aufkommen muss; dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Urteil vom 21. Februar 1961 1 BvL 29/57, BVerfGE 12, 151) eine Aufteilung nicht stets vorzunehmen. Es genügt, wenn der Gesetzgeber dem Ehegatten das Recht gibt, durch Antrag die Aufteilung der rückständigen Schuld herbeizuführen, wenn gegen ihn Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden.
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Der erkennende Senat hat darüber hinaus entschieden (Senatsurteile in BFH/NV 1991, 6, und vom 12. Januar 1988 VII R 66/87, BFHE 152, 206, BStBl II 1988, 406), dass die Aufteilung nicht nur eine Vollstreckungsbeschränkung zur Folge hat, sondern jegliche Verwirklichung der Gesamtschuld über den auf den jeweiligen Ehegatten entfallenden Aufteilungsbetrag hinaus (etwa durch eine Aufrechnung) ausschließt. Daraus folgt, dass jeder Ehegatte --unabhängig davon, ob die Zwangsvollstreckung wegen der Gesamtschuld eingeleitet ist oder droht-- befugt sein muss, deren Aufteilung zu beantragen, um u.a. auch eine Aufrechnung des FA mit der Gesamtschuld ihm gegenüber auf den auf ihn entfallenden Aufteilungsbetrag zu beschränken (Senatsurteil in BFH/NV 1991, 6).
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Entsprechend ist § 279 Abs. 1 Satz 1 AO dahin zu verstehen, dass er einer Entscheidung über den Antrag auf Beschränkung der Vollstreckung vor deren Einleitung im Fall eines berechtigten Interesses nicht entgegensteht, sondern nur angibt, wann ein Aufteilungsbescheid stets zu erlassen ist, also nach Einleitung der Vollstreckung durch Ausfertigung der Rückstandsanzeige gemäß § 276 Abs. 5 AO (a.A. Urteil des Hessischen FG vom 20. Mai 2008 8 K 166/07, EFG 2008, 1850). § 279 Abs. 1 Satz 2 AO regelt zwar, dass eine Entscheidung "nicht erforderlich" ist, wenn keine Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen oder bereits ergriffene wieder aufgehoben werden. Aber auch diese Vorschrift ist im Licht der Senatsrechtsprechung (Senatsurteile in BFH/NV 1991, 6, und in BFHE 152, 206, BStBl II 1988, 406) dahin auszulegen, dass ein Aufteilungsbescheid zwischen Erlass des Leistungsgebots und vollständiger Tilgung der Steuerschuld regelmäßig zu erlassen ist, wenn der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an einer Aufteilung hat (vgl. auch Müller-Eiselt in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 279 AO Rz 4; Horn in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 279 AO Rz 5; Koenig/Zöllner, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 279 Rz 4; Zeller-Müller in Gosch, AO § 279 Rz 5).
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Das ist nicht nur der Fall, wenn ihm die Vollstreckung droht oder er eine Aufrechnung verhindern will, sondern auch, wenn er die Anrechnung von Zahlungen gemäß § 276 Abs. 3 oder Abs. 6 Satz 1 AO und damit eine Erstattung gemäß § 276 Abs. 6 Satz 2 AO erreichen will (vgl. auch Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. November 2009 VI B 118/09, BFH/NV 2010, 604, in dem dort entschiedenen Fall waren die Beträge lediglich "angemahnt"; zu § 276 Abs. 6 AO vgl. Senatsurteile in BFHE 152, 206, BStBl II 1988, 406; in BFH/NV 1991, 6; vom 12. Juni 1990 VII R 69/89, BFHE 163, 498, BStBl II 1991, 493, und vom 18. Dezember 2001 VII R 56/99, BFHE 197, 19, BStBl II 2002, 214).
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Gegen die Auffassung des FA, ein zulässiger Aufteilungsantrag könne durch eine Aufrechnung oder eine Verrechnung zwischen Eingang des Antrags und seiner Bescheidung unzulässig werden, spricht auch der Rechtsgedanke des § 277 AO, wonach vor einer Entscheidung über den Antrag beiden Gesamtschuldnern gegenüber (nicht nur gegenüber dem Antragsteller) nur Sicherungsmaßnahmen durchgeführt werden dürfen (vgl. auch Senatsurteil in BFHE 152, 206, BStBl II 1988, 406).
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b) Nach diesen Grundsätzen hat das FG zutreffend geurteilt, dass das FA verpflichtet war, die von der Klägerin und dem Beigeladenen für die Jahre 2006 bis 2008 gesamtschuldnerisch (§ 44 AO i.V.m. §§ 26, 26b EStG) geschuldete Einkommensteuer aufzuteilen. Die Klägerin, die eine Erstattung von Steuerabzugsbeträgen gemäß § 276 Abs. 6 Satz 2 AO i.V.m. § 276 Abs. 3 AO erreichen wollte, stellte am 18. Dezember 2013, also nach Bekanntgabe des Leistungsgebots (§ 269 Abs. 2 Satz 1 AO) und vor vollständiger Tilgung der Steuerschulden 2006 bis 2008, einen --gemäß § 276 Abs. 1 AO auch vor Einleitung der Vollstreckung-- zulässigen Antrag auf Erlass eines Aufteilungsbescheids. Durch eine anschließende Auf- oder Verrechnung wurde der Antrag nicht unzulässig.
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c) Dem FG ist darin zu folgen, dass das FA bei Erlass des Bescheids die sich aus den Leistungsgeboten vom 16. Dezember 2013 ergebenden und am 18. Dezember 2013 (§ 276 Abs. 1 AO) rückständigen Steuern dergestalt aufzuteilen hat, dass in einem ersten Schritt gemäß § 270 Satz 1 AO die rückständige Steuer nach dem Verhältnis der Beträge aufgeteilt wird, die sich bei Einzelveranlagung nach Maßgabe des § 26a EStG und der §§ 271 bis 276 AO ergäben. Zur rückständigen Steuer gehören auch Säumniszuschläge, Zinsen und Verspätungszuschläge (§ 276 Abs. 4 AO). In einem zweiten Schritt sind die Steuerabzugsbeträge und getrennt festgesetzte Vorauszahlungen in die Aufteilung einzubeziehen, auch wenn sie vor der Stellung des Antrags entrichtet worden sind (§ 276 Abs. 3 AO).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind gemäß § 139 Abs. 4 FGO nicht erstattungsfähig. Es entspricht in der Regel nur dann der Billigkeit, dem Beigeladenen eine Kostenerstattung zuzubilligen, wenn er selbst einen Sachantrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (BFH-Urteil vom 15. Oktober 1997 I R 10/92, BFHE 184, 212, BStBl II 1998, 63). Der Beigeladene hat lediglich mitgeteilt, er teile die Auffassung des FA. Damit hat er weder einen Antrag gestellt noch einen wesentlichen Beitrag zur Aufarbeitung des Prozessstoffs geleistet.
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