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BFH 11.11.2015 - VII B 74/15
BFH 11.11.2015 - VII B 74/15 - Haftung des GmbH-Geschäftsführers für Steuerschuld der GmbH - Mittelvorsorgepflicht setzt Kenntnis der voraussichtlichen Entstehung von Steuerverbindlichkeiten voraus
Normen
§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 96 Abs 1 FGO, § 76 Abs 1 FGO, § 191 Abs 1 AO, § 34 AO, § 69 AO
Vorinstanz
vorgehend FG Düsseldorf, 6. Mai 2015, Az: 7 K 3587/14 H, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Der Frage, ob für eine Kapitalgesellschaft auch dann eine Mittelvorsorgepflicht besteht, wenn ihr im Zeitpunkt der Entstehung einer Steuerforderung weder deren Höhe noch deren Grund bekannt gewesen ist, kommt keine Klärungsbedürftigkeit zu .
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2. NV: Die Pflicht eines GmbH-Geschäftsführers, finanzielle Mittel zur Entrichtung geschuldeter Steuern bereitzuhalten, besteht unabhängig von der Fälligkeit der Steuern. Allerdings setzt sie voraus, dass dem gesetzlichen Vertreter überhaupt Umstände bekannt sind, die auf eine bevorstehende Entstehung von Steuern schließen lassen .
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 6. Mai 2015 7 K 3587/14 H wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war bis … Dezember 2008 und erneut ab dem … Oktober 2009 Geschäftsführer einer GmbH, die persönlich haftende Gesellschafterin und Geschäftsführerin einer GmbH & Co. KG (KG) war. Am 5. November 2009 wurden für die KG für die Monate Mai bis Juli und September 2009 korrigierte Voranmeldungen abgegeben. Für den Monat Oktober 2009 wurde am 10. November 2009 erstmalig eine Voranmeldung abgegeben. Die fälligen Beträge wurden von der KG nicht entrichtet. Nachdem die KG am 23. November 2009 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt hatte, wurde am 26. November 2009 eine vorläufige Insolvenzverwalterin bestellt. Im Februar 2010 wurde das Insolvenzverfahren über die Vermögen der KG und der GmbH eröffnet. Mit der Begründung, der Kläger hafte aufgrund schuldhafter Verletzung der ihm obliegenden steuerlichen Pflichten als gesetzlicher Vertreter der GmbH nach § 191 Abs. 1, § 34 und § 69 der Abgabenordnung (AO) für ausgefallene Umsatzsteuern, nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Kläger mit Bescheid vom 20. November 2012 als Haftungsschuldner in Anspruch. Das Einspruchsverfahren führte zu einer Verringerung der Haftungssumme infolge einer Herabsetzung der Tilgungsquote. Die Klage hatte keinen Erfolg.
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Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Kläger sei zu den jeweiligen Fälligkeitsterminen im November 2009 zumindest grob fahrlässig der Steuerentrichtungspflicht nicht nachgekommen. Rechnungen anderer Unternehmen seien im November 2009 zu ca. 70 % beglichen worden. Da weder der Kläger noch die Insolvenzverwalterin dem FA Auskünfte erteilt hätten, habe dieses die Tilgungsquote anhand der Erkenntnisse einer Umsatzsteuersonderprüfung ermitteln können. Eine niedrigere Schätzung komme nicht in Betracht, denn der Kläger, der seit Mitte Oktober 2009 erneut Geschäftsführer gewesen sei, sei seiner Pflicht zur Mittelvorsorge nicht nachgekommen. Dass Nachzahlungen aufgrund berichtigter Voranmeldungen anfallen könnten, müsse ein sorgfältiger und gewissenhafter Geschäftsführer in seine Planungen mit einbeziehen.
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Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Grundsätzlich bedeutsam sei die Frage, ob für eine Kapitalgesellschaft eine Mittelvorhaltungspflicht auch dann bestehe, wenn der Gesellschaft bei Entstehung der Forderung des FA weder die Höhe noch der Grund der Forderung des FA bekannt gewesen seien. Zudem habe das FG entscheidungserhebliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen. Die Insolvenzverwalterin habe alle Buchungen, einschließlich der Lohnsteuerabbuchungen und sonstige Steuerzahlungen, "bis zu einem Zeitpunkt von sechs Monaten" wieder zurückbuchen lassen. In jedem Fall wären dem FA keine Vermögensmittel zugeflossen. Darüber hinaus sei dem Kläger zum Zeitpunkt seiner Bestellung als Geschäftsführer der GmbH überhaupt nicht bewusst gewesen, dass Umsatzsteuerverbindlichkeiten bestanden hätten. In einem Parallelverfahren habe das FG dies ebenso gesehen. Nach dem Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. April 2013 VII B 245/12 (BFH/NV 2013, 1063) treffe den Geschäftsführer einer GmbH nur dann eine Mittelvorsorgepflicht, wenn Steueransprüche erkennbar gewesen seien. Der KG habe der Kläger keine Vermögenswerte entzogen. Auch habe er keine besondere Gestaltung gewählt, die die Begleichung der Umsatzsteuer unmöglich gemacht habe. Im Übrigen sei die Behauptung des FA unrichtig, die KG habe noch im November 2009 Forderungen anderer Gläubiger der Gesellschaft zu ca. 70 % erfüllt.
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Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Im Streitfall habe der Kläger als Geschäftsführer der GmbH am 5. November 2009 berichtigte Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Mai bis Oktober 2009 abgegeben. Allerdings habe er die errechneten und sofort fälligen Umsatzsteuerbeträge nicht entrichtet. Auch habe er in Hinblick auf einen Einzug der Forderungen per Lastschrift nicht für eine ausreichende Deckung des Kontos gesorgt. Hinsichtlich der Berufung auf eine Rückforderung geleisteter Zahlungen durch die Insolvenzverwalterin handele es sich um neuen Tatsachenvortrag. Im Klageverfahren habe der Kläger jegliche Mitwirkung verweigert, so dass eine entsprechende Aufklärung nicht möglich gewesen sei.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist als unbegründet zurückzuweisen. Der von ihr aufgeworfenen Frage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Zudem werden die behaupteten Verfahrensmängel nicht schlüssig dargelegt, wie dies nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlich ist.
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1. Für die nach § 116 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO zu fordernde Darlegung der Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) muss der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formulieren und auf ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Erforderlich ist darüber hinaus der substantiierte Vortrag, warum im Einzelnen die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Ferner muss die aufgeworfene Frage klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig sein (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Mai 2014 VII B 116/12, BFH/NV 2014, 1550, und vom 27. Oktober 2003 VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232).
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Nach diesen Grundsätzen kommt der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage keine grundsätzliche Bedeutung zu. Denn die Frage, ob für eine Kapitalgesellschaft auch dann eine Mittelvorsorgepflicht besteht, wenn ihr im Zeitpunkt der Entstehung einer Steuerforderung weder deren Höhe noch deren Grund bekannt war, ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich und bedarf damit keiner Klärung. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann sich ein gesetzlicher Vertreter bereits vor Fälligkeit einer Steuer der Verletzung seiner Pflicht zur Bereithaltung von Mitteln schuldig machen. Denn von ihm ist zu verlangen, dass er vorausschauend plant und insbesondere in der Krise finanzielle Mittel zur Entrichtung der geschuldeten Steuern bereithält. Vom Eintritt der Fälligkeit der Steuern ist diese Pflicht unabhängig (BFH-Urteil vom 9. Januar 1997 VII R 51/96, BFH/NV 1997, 324). Sollen die Steuerschulden durch Erteilung einer Einzugsermächtigung beglichen werden, hat der Geschäftsführer einer GmbH dafür Sorge zu tragen, dass von der Einzugsermächtigung auch Gebrauch gemacht werden kann und dass das Konto eine Deckung aufweist (BFH-Beschluss vom 19. März 1999 VII B 158/98, BFH/NV 1999, 1304). Im Streitfall beruht die Haftung des Klägers darauf, dass er die im November 2009 fällig gewordenen Umsatzsteuern nicht entrichtet hat. Da die entsprechenden Voranmeldungen am 5. November 2009 und somit während seiner Amtszeit als Geschäftsführer abgegeben worden sind, kann er sich nicht darauf berufen, ihm sei weder Grund noch Höhe der Umsatzsteuerforderungen, für die er nun haftet, bekannt gewesen. Nur in Bezug auf die Tilgungsquote hat das FG darauf hingewiesen, dass die Schätzung des FA nicht zu beanstanden sei, weil der Kläger seiner Pflicht zur Mittelvorsorge --zumindest ab Mitte Oktober 2009-- nicht nachgekommen sei. Bei diesem Befund bedarf die Frage keiner Klärung, ob eine Kapitalgesellschaft verpflichtet ist, Mittel für die Begleichung unbekannter Steuerschulden bereitzuhalten. Denn wie bereits ausgeführt, geht es bei der haftungsbegründenden Pflichtverletzung i.S. des § 69 AO nicht um die steuerlichen Pflichten der vom Haftenden vertretenen Gesellschaft, sondern um die persönliche Pflicht des gesetzlichen Vertreters der Gesellschaft. Auch waren im Streitfall die Höhe und der Grund der Forderung in dem für die Haftung entscheidenden Zeitpunkt der Verletzung der dem Kläger obliegenden Entrichtungspflicht bekannt.
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2. Soweit der Beschwerde die Rüge eines Verstoßes gegen den Inhalt der Akten (§ 96 Abs. 1 AO) entnommen werden könnte, wird der behauptete Verfahrensmangel nicht hinreichend dargelegt. Das Gericht ist nicht verpflichtet, sich in seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu befassen. Deshalb setzt die schlüssige Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes voraus, dass konkret unter Angabe der Fundstelle benannt wird, welches Vorbringen das FG vermeintlich unberücksichtigt gelassen hat. Auch ist aufzuzeigen, aus welchen Gründen dem Urteil entnommen werden kann, dass das Gericht das Vorbringen nicht in Erwägung gezogen hat (BFH-Beschluss vom 15. Dezember 2008 VII B 24/08, BFH/NV 2009, 1124, m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Der Kläger behauptet lediglich, dass das Gericht Tatsachen nicht beachtet habe, die seine Entscheidung hätten beeinflussen können. Soweit er damit eine mögliche Anfechtung geleisteter Zahlungen durch die Insolvenzverwalterin oder eine von ihr veranlasste Rückbuchung meint, werden Fundstellen in den Akten nicht benannt.
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Soweit er vorträgt, dem FG hätte sich das Erfordernis weiterer Sachverhaltsaufklärung gemäß § 76 Abs. 1 FGO von Amts wegen aufdrängen müssen, legt er nicht hinreichend dar, welche Tatsachen das FG hätte aufklären müssen und warum das Ergebnis weiterer Aufklärung --auch unter Beachtung der Rechtsprechung des BFH zur Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe in Haftungsfällen (vgl. die Rechtsprechungsübersichten bei Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 AO Rz 21 und Jatzke in Beermann/Gosch, AO, § 69 Rz 46.1)-- zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Anlass hierzu hätte jedoch bestanden, zumal der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren selbst vorgetragen hat, die Insolvenzverwalterin habe angegeben, dass im Bereich der Anfechtung lediglich geringfügigste Einnahmen zu erzielen seien, was nahelegt, dass sie nicht beabsichtigte, von ihren Anfechtungsrechten Gebrauch zu machen. Jedenfalls legt die Beschwerde nicht schlüssig dar, dass sich dem FG nach diesem Hinweis das Erfordernis einer weiteren Sachaufklärung in Bezug auf etwaige Anfechtungsmöglichkeiten und hypothetische Kausalverläufe hätte aufdrängen müssen. Im Übrigen hat der Kläger ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung keine Beweisanträge gestellt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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