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BFH 20.11.2014 - V B 80/14
BFH 20.11.2014 - V B 80/14 - Aussetzung des Verfahrens - Begründetheit einer Beschwerde - maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt
Normen
§ 15 Abs 1 S 1 Nr 2 UStG, § 74 FGO, § 128 FGO, § 132 FGO, § 155 FGO, § 571 Abs 2 S 1 ZPO
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 4. Juni 2014, Az: 6 K 1794/11, Beschluss
Leitsatz
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1. NV: Die Beschwerde gegen die Aussetzung des Verfahrens ist begründet, wenn das Beschwerdegericht zugunsten des Beschwerdeführers zu einer abweichenden Entscheidung kommt, weil sich die Rechtslage aufgrund zulässigen neuen Vorbringens geändert hat. Dabei können die neuen Tatsachen auch durch den Beschwerdegegner in das Verfahren eingeführt worden sein.
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2. NV: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Begründetheit der Beschwerde gegen die Aussetzung des Verfahrens ist der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung.
Tatbestand
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I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit des Beschlusses des Finanzgerichts (FG) vom 4. Juni 2014, mit dem es das Klageverfahren (6 K 1794/11) bis zum rechtskräftigen Abschluss des zivilgerichtlichen Rechtsstreits (Az. …/12) ausgesetzt hat.
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Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der D-GmbH. Das Insolvenzverfahren wurde am … Dezember 2009 eröffnet. Mit der finanzgerichtlichen Klage macht er den Abzug entrichteter Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes geltend, obgleich er nicht im Besitz der zollamtlichen Belege oder etwaiger vom Zollamt bescheinigter Ersatzbelege war.
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Die D-GmbH hatte die I-GmbH --vor Insolvenzeröffnung-- mit der Zolllagerverwaltung beauftragt. Dem Zolllager entnommene Waren wurden teilweise nicht den Einfuhrabgaben (Einfuhrzoll und Einfuhrumsatzsteuer) unterworfen. Aufgrund von Selbstanzeigen und entsprechender Unterlagen setzte das Hauptzollamt (HZA) Einfuhrabgaben für den Zeitraum September 2007 bis Juni 2009 gegenüber der nicht vorsteuerabzugsberechtigten I-GmbH fest und stellte dieser nach Entrichtung der festgesetzten Einfuhrumsatzsteuer sog. Ersatzbelege für Zwecke des Vorsteuerabzugs aus. Die I-GmbH übergab diese Belege weder der D-GmbH noch dem Kläger.
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Mit der am 6. Oktober 2010 vom Kläger für die D-GmbH beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) eingegangenen zustimmungsbedürftigen Umsatzsteuervoranmeldung für August 2010 machte dieser den Abzug der durch die Einfuhrabgabenbescheide festgesetzten und von der I-GmbH entrichteten Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von … € als Vorsteuer geltend.
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Nach zunächst erteilter Zustimmung erließ das FA am 14. Dezember 2010 einen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für August 2010, in dem es den zuvor anerkannten Vorsteuerabzug aus Einfuhrumsatzsteuer nicht mehr berücksichtigte.
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Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
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Mit der beim FG dagegen erhobenen Klage (6 K 1794/11) begehrt der Kläger weiterhin, die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer abzuziehen, da die vom HZA erteilte Aufstellung über die entrichteten Einfuhrabgaben und die Tabellenanmeldung in der besonderen Situation eines Insolvenzverfahrens amtlichen Belegen gleichzustellen seien. Deshalb komme es --entgegen Abschn. 199 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abschn. 202 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 der Umsatzsteuer-Richtlinien 2008-- für den Vorsteuerabzug nicht darauf an, ob der Kläger im Besitz der zollamtlichen Dokumente sei.
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Während des finanzgerichtlichen Verfahrens wurde dem FG bekannt, dass der Kläger die I-GmbH auf Auskunft, eidesstattliche Versicherung und Herausgabe der vom HZA ausgestellten Ersatzbelege im Wege der Stufenklage verklagt hatte. Das Landgericht hatte bereits durch Teilurteil vom 27. September 2013 (Az. …/12) zugunsten des Klägers entschieden, dass die I-GmbH zur Auskunft verpflichtet sei und in der Urteilsbegründung ausgeführt, dass der Kläger auch einen Anspruch auf Herausgabe der Ersatzbelege habe.
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Daraufhin hat das FG --nach Anhörung der Beteiligten-- mit dem vorliegend angefochtenen Beschluss das Verfahren (6 K 1794/11) gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zum rechtskräftigen Abschluss des zivilgerichtlichen Verfahrens (Az. …/12) ausgesetzt. Das zivilgerichtliche Verfahren sei vorgreiflich, weil dort über ein bürgerlich-rechtliches Rechtsverhältnis entschieden werde, welches u.a. die Herausgabe der zollamtlichen Ersatzbelege zum Gegenstand habe. Der Besitz dieser Belege würde den Kläger --unstreitig-- zum Abzug der entrichteten Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer berechtigen. Der Herausgabeanspruch habe demnach Auswirkungen auf den materiellen Steueranspruch.
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Hiergegen richtet sich die --vom FG nicht abgeholfene-- Beschwerde des Klägers. Er trägt insbesondere vor, dass der Ausgang des Zivilverfahrens nicht vorgreiflich und die Entscheidung des FG zudem ermessensfehlerhaft sei.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Aussetzungsbeschluss des FG aufzuheben und das Verfahren fortzusetzen.
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Das FA hat keinen Antrag gestellt.
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Es teilte jedoch mit, dass eine (weitere) Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens nicht mehr erforderlich sei. Der Kläger sei zwischenzeitlich im Besitz der zollamtlichen Ersatzbelege. Der begehrte Vorsteuerabzug sei deshalb zu gewähren.
Entscheidungsgründe
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II. Die nach § 128 Abs. 1 FGO zulässige Beschwerde ist begründet. Der Beschluss des FG war daher aufzuheben (§ 132 FGO).
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1. Die Voraussetzungen einer Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO liegen jedenfalls im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht vor.
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a) Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei. Die Aussetzung unterliegt dem Ermessen des Gerichts, das prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Verfahrensbeteiligten gegeneinander abzuwägen hat (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. Dezember 2005 III B 145/05, BFH/NV 2006, 1103, unter II.2.a, m.w.N.).
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Begründet ist die Beschwerde u.a. dann, wenn das Beschwerdegericht zugunsten des Beschwerdeführers zu einer abweichenden Entscheidung kommt, weil sich die Rechtslage aufgrund zulässigen neuen Vorbringens (§ 155 i.V.m. § 571 Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung) geändert hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Begründetheit der Beschwerde ist der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 27. November 1992 III B 133/91, BFHE 169, 498, BStBl II 1993, 240, unter 1., und vom 15. Mai 2009 IV B 24/09, BFH/NV 2009, 1402, unter II.1.). Bei Beschlüssen ohne mündliche Verhandlung muss jedes Vorbringen berücksichtigt werden, das bis zur Hinausgabe der Entscheidung zur Bekanntgabe eingeht (Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 132 Rz 12).
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b) Nach diesen Maßstäben ist der Beschluss des FG vom 4. Juni 2014 6 K 1794/11 aufzuheben.
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Die vom FG angenommene Vorgreiflichkeit des zivilgerichtlichen Verfahrens kann kein Grund mehr für die Aussetzung des finanzgerichtlichen Klageverfahrens (6 K 1794/11) sein.
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Nachdem der Kläger zwischenzeitlich im Besitz der zollamtlichen Ersatzbelege ist, deren Herausgabe er mit dem zivilgerichtlichen Verfahren (Az. …/12) erwirken wollte, kommt es im finanzgerichtlichen Verfahren nicht mehr auf den Ausgang des zivilgerichtlichen Verfahrens an. Da das FG den Ausgang des Rechtsstreits maßgeblich vom Besitz dieser Belege abhängig gemacht und der Kläger nunmehr deren Besitz erlangt hat, ist eine für eine Aussetzung des Verfahrens maßgebliche Änderung der Rechtslage eingetreten. Unerheblich ist dabei, dass die neuen Tatsachen nicht durch den Kläger, sondern durch den Schriftsatz des FA in das Beschwerdeverfahren eingeführt worden sind. Der Kläger hat ihnen nicht widersprochen, so dass die neuen Erkenntnisse als wahr unterstellt und bei der Entscheidung über die Beschwerde berücksichtigt werden konnten.
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c) Der beschließende Senat musste daher nicht entscheiden, ob die Voraussetzungen einer Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO im Zeitpunkt der Beschlussfassung durch das FG vorgelegen hatten. Insbesondere bedurfte es nicht mehr der Überprüfung, ob der Zivilrechtsstreit vorgreiflich für das finanzgerichtliche Verfahren oder der FG-Beschluss in diesem Zusammenhang von --im Rahmen des § 74 FGO unbeachtlichen-- Zweckmäßigkeitserwägungen geleitet war (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1103, unter II.2.a, m.w.N.).
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2. Eine Kostenentscheidung ist in diesem unselbständigen Nebenverfahren nicht zu treffen; über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist im Rahmen der Entscheidung über die Hauptsache zu befinden (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006, 1103, unter II.3., m.w.N.).
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