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EuGH 16.06.2022 - C-572/20
EuGH 16.06.2022 - C-572/20 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer) - 16. Juni 2022 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Freier Kapitalverkehr – Dividenden aus Streubesitzanteilen – Erstattung der von einer gebietsfremden Gesellschaft entrichteten Kapitalertragsteuer – Voraussetzungen – Freier Kapitalverkehr – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“
Leitsatz
In der Rechtssache C-572/20
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Köln (Deutschland) mit Entscheidung vom 20. Mai 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 3. November 2020, in dem Verfahren
ACC Silicones Ltd
gegen
Bundeszentralamt für Steuern
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, der Richter S. Rodin und J.-C. Bonichot (Berichterstatter) sowie der Richterinnen L. S. Rossi und O. Spineanu-Matei,
Generalanwalt: A. M. Collins,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der ACC Silicones Ltd., vertreten durch Rechtsanwalt B. Pignot und Steuerberater A. Linn,
der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Roels und V. Uher als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Januar 2022
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 63 AEUV.
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der ACC Silicones Ltd und dem Bundeszentralamt für Steuern (Deutschland) über die Erstattung der Kapitalertragsteuer, die für die Jahre 2006 bis 2008 auf die Dividenden einbehalten wurde, die von der Ambratec GmbH, einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft, an sie ausgeschüttet wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. 1990, L 225, S. 6) in der durch die Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22. Dezember 2003 (ABl. 2004, L 7, S. 41) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 90/435) galt diese Richtlinie für Muttergesellschaften, die einen Mindestanteil von 20 % am Kapital ihrer Tochtergesellschaften halten, wobei dieser Mindestanteil ab dem 1. Januar 2007 auf 15 % und ab dem 1. Januar 2009 auf 10 % herabgesetzt wurde. Die Richtlinie 90/435 wurde durch die Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30. November 2011 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. 2011, L 345, S. 8) aufgehoben.
Deutsches Recht
In § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: EStG) ist vorgesehen, dass Gewinnanteile (Dividenden) zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören.
§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG bestimmt, dass u. a. bei Kapitalerträgen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG „die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erhoben“ wird.
Nach § 8b Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: KStG), der Beteiligungen an anderen Körperschaften und Personenvereinigungen betrifft, bleiben Bezüge im Sinne u. a. von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz und unterliegen somit nicht der Körperschaftsteuer.
Hinsichtlich der Besteuerung von Dividenden, die an eine in Deutschland ansässige Gesellschaft ausgeschüttet werden, ergibt sich aus § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG in Verbindung mit § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG, dass die als Quellensteuer einbehaltene Kapitalertragsteuer vollständig auf die von dieser Gesellschaft geschuldete Körperschaftsteuer angerechnet wird und ihr gegebenenfalls erstattet werden kann. Die Anrechnung und gegebenenfalls Erstattung der Steuer setzen voraus, dass die Steuer einbehalten und abgeführt worden ist, was durch eine behördliche Bescheinigung nach § 45a Abs. 2 oder 3 EStG nachgewiesen werden muss.
Was die Besteuerung von Dividenden bei Ausschüttung an eine Gesellschaft mit Sitz außerhalb Deutschlands betrifft, heißt es in § 32 Abs. 5 KStG:
„(5) Ist die Körperschaftsteuer des Gläubigers für Kapitalerträge im Sinne des § 20 Absatz 1 Nummer 1 [EStG] nach [§ 32] Absatz 1 abgegolten, wird dem Gläubiger der Kapitalerträge auf Antrag die einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer nach Maßgabe des § 36 Absatz 2 Nummer 2 [EStG] erstattet, wenn
der Gläubiger der Kapitalerträge eine nach § 2 Nummer 1 beschränkt steuerpflichtige Gesellschaft ist, die
zugleich eine Gesellschaft im Sinne des Artikels 54 [AEUV] oder des Artikels 34 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum [vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3)] ist,
ihren Sitz und Ort der Geschäftsleitung innerhalb des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, hat,
im Staat des Orts ihrer Geschäftsleitung ohne Wahlmöglichkeit einer mit § 1 vergleichbaren unbeschränkten Steuerpflicht unterliegt, ohne von dieser befreit zu sein, und
der Gläubiger unmittelbar am Grund- oder Stammkapital der Schuldnerin der Kapitalerträge beteiligt ist und die Mindestbeteiligungsvoraussetzung des § 43b Absatz 2 [EStG] nicht erfüllt.
Satz 1 gilt nur, soweit
keine Erstattung der betreffenden Kapitalertragsteuer nach anderen Vorschriften vorgesehen ist,
die Kapitalerträge nach § 8b Absatz 1 bei der Einkommensermittlung außer Ansatz bleiben würden,
die Kapitalerträge aufgrund ausländischer Vorschriften keiner Person zugerechnet werden, die keinen Anspruch auf Erstattung nach Maßgabe dieses Absatzes hätte, wenn sie die Kapitalerträge unmittelbar erzielte,
ein Anspruch auf völlige oder teilweise Erstattung der Kapitalertragsteuer bei entsprechender Anwendung des § 50d Absatz 3 [EStG] nicht ausgeschlossen wäre und
die Kapitalertragsteuer nicht beim Gläubiger oder einem unmittelbar oder mittelbar am Gläubiger beteiligten Anteilseigner angerechnet oder als Betriebsausgabe oder als Werbungskosten abgezogen werden kann; die Möglichkeit eines Anrechnungsvortrags steht der Anrechnung gleich.
Der Gläubiger der Kapitalerträge hat die Voraussetzungen für die Erstattung nachzuweisen. Er hat insbesondere durch eine Bescheinigung der Steuerbehörden seines Ansässigkeitsstaates nachzuweisen, dass er in diesem Staat als steuerlich ansässig betrachtet wird, dort unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig und nicht von der Körperschaftsteuer befreit sowie der tatsächliche Empfänger der Kapitalerträge ist. Aus der Bescheinigung der ausländischen Steuerverwaltung muss hervorgehen, dass die deutsche Kapitalertragsteuer nicht angerechnet, nicht abgezogen oder nicht vorgetragen werden kann und inwieweit eine Anrechnung, ein Abzug oder Vortrag auch tatsächlich nicht erfolgt ist. Die Erstattung der Kapitalertragsteuer erfolgt für alle in einem Kalenderjahr bezogenen Kapitalerträge im Sinne des Satzes 1 auf der Grundlage eines Freistellungsbescheids nach § 155 Absatz 1 Satz 3 der Abgabenordnung.“
Doppelbesteuerungsabkommen
Das Abkommen vom 26. November 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung in der durch das Revisionsprotokoll vom 23. März 1970 geänderten Fassung (BGBl. 1966 II S. 359, BGBl. 1967 II S. 828, BGBl. 1971 II S. 46, im Folgenden: Doppelbesteuerungsabkommen) bestimmt in Art. VI Abs. 1:
„(1) Dividenden, die eine in einem der Gebiete ansässige Gesellschaft an eine in dem anderen Gebiet ansässige Person zahlt, können auch in dem erstgenannten Gebiete besteuert werden. Die Steuer in dem erstgenannten Gebiet darf jedoch 15 vom Hundert des Bruttobetrags der Dividenden nicht übersteigen, wenn die Dividenden entweder in dem anderen Gebiet steuerpflichtig sind oder wenn es sich um solche von einer im Vereinigten Königreich ansässigen Gesellschaft gezahlte Dividenden handelt, die nach Artikel XVIII Absatz 2 Buchstabe a von der Steuer der Bundesrepublik befreit sind“.
Art. XVIII Abs. 1 Buchst. a des Abkommens lautet:
„(1) Im Rahmen der Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs über die Anrechnung der in einem Gebiet außerhalb des Vereinigten Königreichs zu zahlenden Steuer auf die Steuer des Vereinigten Königreichs (jedoch unbeschadet der hierin enthaltenen allgemeinen Grundsätze) wird folgende Steueranrechnung gewährt:
Die nach dem Recht der Bundesrepublik und in Übereinstimmung mit diesem Abkommen von Gewinnen, Einkünften oder steuerpflichtigen Veräußerungsgewinnen aus Quellen innerhalb der Bundesrepublik unmittelbar oder im Abzugswege zu zahlende Steuer der Bundesrepublik (bei Dividenden aber nicht die Steuer von den Gewinnen, aus denen die Dividenden gezahlt worden sind) wird auf die Steuern des Vereinigten Königreichs angerechnet, die von den Gewinnen, Einkünften oder steuerpflichtigen Veräußerungsgewinnen erhoben werden, auf welche sich die Steuer der Bundesrepublik bezieht.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
ACC Silicones ist eine im Vereinigten Königreich ansässige Gesellschaft, die in den Jahren 2006 bis 2008 5,26 % des Kapitals von Ambratec, einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft, hielt. ACC Silicones ihrerseits stand zu 100 % im Eigentum einer anderen, im Vereinigten Königreich ansässigen und an der Börse notierten Gesellschaft.
In den Jahren 2006 bis 2008 schüttete Ambratec an ACC Silicones Dividenden aus, auf die eine an der Quelle einbehaltene Kapitalertragsteuer in Höhe von 20 % zuzüglich eines Solidaritätszuschlags in Höhe von 5,5 % abgeführt wurde.
Am 29. Dezember 2009 beantragte ACC Silicones die Erstattung der damit entrichteten Steuer. Sie begehrte zum einen, u. a. gestützt auf Art. VI Abs. 1 des Doppelbesteuerungsabkommens, die Begrenzung des Quellensteuersatzes auf 15 %. Unter Berufung auf die Grundfreiheiten des Binnenmarkts und insbesondere den freien Kapitalverkehr beantragte sie zum anderen die Erstattung der verbleibenden abgeführten Beträge.
Mit Bescheid vom 7. Oktober 2010 gab das Bundeszentralamt für Steuern dem ersten Teil der Anträge statt und nahm eine Erstattung der über die im Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen 15 % hinausgehenden Quellensteuer vor. Mit Bescheiden vom 8. Juni 2015 lehnte es hingegen eine Erstattung der verbleibenden abgeführten Steuer an die Gesellschaft mit der Begründung ab, dass die in § 32 Abs. 5 KStG vorgesehenen Bedingungen, die der Umsetzung des Urteils vom 20. Oktober 2011, Kommission/Deutschland (C-284/09, EU:C:2011:670) dienten, nicht erfüllt seien.
Nachdem ACC Silicones vergeblich per Einspruch eine Erstattung der abgeführten Steuer verlangt hatte, erhob sie beim vorlegenden Gericht, dem Finanzgericht Köln (Deutschland), Klage gegen die Bescheide vom 8. Juni 2015, mit der sie geltend machte, dass sie die Voraussetzungen für eine Erstattung erfülle und insbesondere die nach § 32 Abs. 5 KStG erforderlichen Nachweise vorgelegt habe.
Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass ACC Silicones die von den nationalen Rechtsvorschriften verlangten Voraussetzungen mit Ausnahme der in § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 KStG vorgesehenen erfüllt, nach der ein Erstattungsanspruch versagt wird, wenn die einbehaltene Kapitalertragsteuer beim Gläubiger oder dem am Gläubiger unmittelbar oder mittelbar beteiligten Anteilseigner angerechnet oder als Betriebsausgabe oder Werbungskosten abgezogen werden kann, wobei bereits die Möglichkeit eines Anrechnungsvortrags einer Anrechnung gleichsteht. Dieser Bestimmung lasse sich entnehmen, dass eine Erstattung nur gewährt werden könne, wenn die Benachteiligung nicht ansässiger Dividendenbezieher im Vergleich zu inländischen Dividendenbeziehern nicht durch Anrechnung, Abzug von der Bemessungsgrundlage oder Anrechnungsvortrag im Ausland ausgeglichen werde.
Das vorlegende Gericht führt aus, dass ACC Silicones gemäß § 32 Abs. 5 Satz 5 KStG diese Voraussetzung durch die Vorlage einer Bescheinigung der ausländischen Steuerverwaltung nachzuweisen habe, dass die deutsche Kapitalertragsteuer nicht angerechnet, nicht abgezogen oder nicht vorgetragen werden könne und insoweit eine Anrechnung, ein Abzug oder Vortrag tatsächlich nicht erfolgt sei.
Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist eine Feststellung, ob diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt ist, unmöglich. Die Behandlung der von der Bundesrepublik Deutschland als Quellensteuer einbehaltenen Kapitalertragsteuer bei der im Vereinigten Königreich ansässigen und an der Börse notierten Gesellschaft, die in den Jahren 2006 bis 2008 100 % des Kapitals von ACC Silicones gehalten habe, sei nämlich nicht konkret nachvollziehbar, so dass der Antrag von ACC Silicones zurückzuweisen sei.
Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht Zweifel an der Vereinbarkeit der in § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 und Satz 5 KStG vorgesehenen Voraussetzungen mit dem freien Kapitalverkehr.
Es möchte erstens wissen, ob der Umstand, dass die Erstattung der Körperschaftsteuer an gebietsfremde Gesellschaften, die Dividenden aus Beteiligungen erhalten, die unterhalb der von der Richtlinie 90/435 vorgesehenen Schwellenwerte liegen (im Folgenden: Dividenden aus Streubesitzanteilen), unter strengere Voraussetzungen gestellt wird als die Erstattung dieser Steuer an ansässige Gesellschaften, gegen den freien Kapitalverkehr verstößt. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass gebietsfremde Gesellschaften nämlich gemäß § 32 Abs. 5 KStG die an der Quelle einbehaltene Kapitalertragsteuer auf solche von deutschen Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden nur dann erstattet bekommen können, wenn diese Steuer bei ihnen oder ihren unmittelbaren oder mittelbaren Anteilseignern nicht angerechnet oder als Anrechnungsvortrag berücksichtigt oder als Betriebsausgabe oder Werbungskosten abgezogen werden kann, was über eine Bescheinigung der ausländischen Steuerverwaltung nachzuweisen ist. Für ansässige Gesellschaften gelte eine derartige Anforderung aber nicht. Im Einzelnen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die seiner Ansicht nach durch die deutschen Rechtsvorschriften eingeführte Beschränkung des Kapitalverkehrs insbesondere nach Maßgabe der Kriterien gerechtfertigt ist, die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 8. November 2007, Amurta (C-379/05, EU:C:2007:655), aufgestellt hat.
Soweit dies der Fall ist, möchte das vorlegende Gericht zweitens wissen, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Prinzip des Effet utile einer nationalen Bestimmung entgegenstehen, die von gebietsfremden Gesellschaften für den in der vorstehenden Randnummer genannten Nachweis die Vorlage einer Bescheinigung der ausländischen Steuerverwaltung verlangt, wonach die einbehaltene Kapitalertragsteuer bei ihnen oder ihren unmittelbaren oder mittelbaren Anteilseignern nicht angerechnet oder als Anrechnungsvortrag berücksichtigt oder abgezogen werden kann und diese Steuer auch tatsächlich nicht angerechnet, vorgetragen oder abgezogen wurde.
Vor diesem Hintergrund hat das Finanzgericht Köln beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Steht Art. 63 AEUV (ex-Art. 56 EG) einer nationalen Steuervorschrift wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegen, die von einer im Ausland ansässigen Gesellschaft, die Dividenden aus Beteiligungen bezieht und nicht die Mindestbeteiligung gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 90/435 erreicht, zum Zwecke der Erstattung der Kapitalertragsteuer den Nachweis durch Bescheinigung der ausländischen Steuerverwaltung verlangt, dass die Kapitalertragsteuer nicht bei ihr oder einem unmittelbar oder mittelbar an ihr beteiligten Anteilseigner angerechnet oder als Betriebsausgabe oder als Werbungskosten abgezogen werden kann und inwieweit eine Anrechnung, ein Abzug oder Vortrag auch tatsächlich nicht erfolgt ist, wenn von einer im Inland ansässigen Gesellschaft bei gleicher Beteiligungshöhe zum Zwecke der Erstattung der Kapitalertragsteuer ein solcher Nachweis nicht gefordert wird?
Für den Fall, dass die Frage zu 1 verneint werden sollte: Stehen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Prinzip des Effet utile dem Erfordernis der in Frage 1 genannten Bescheinigung entgegen, wenn es dem im Ausland ansässigen Bezieher von Dividenden aus sogenannten Streubesitzanteilen faktisch unmöglich ist, diese Bescheinigung beizubringen?
Zu den Vorlagefragen
Zur Zulässigkeit
Die deutsche Regierung trägt vor, dass sich der Ausgangsrechtsstreit ausschließlich auf die steuerliche Behandlung von Dividenden aus Streubesitzanteilen beziehe, die an eine in einem anderen Mitgliedstaat der Union ansässige Gesellschaft ausgeschüttet würden. Vor diesem Hintergrund ist sie der Meinung, dass die Vorlagefragen unzulässig seien, soweit sie die Erstattung der an der Quelle einbehaltenen Kapitalertragsteuer auf Dividenden beträfen, die an Gesellschaften in einem Drittstaat ausgeschüttet würden.
Nach ständiger Rechtsprechung spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit von an den Gerichtshof gerichteten Vorabentscheidungsersuchen. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die rechtlichen oder tatsächlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 24. November 2020, Openbaar Ministerie [Urkundenfälschung], C-510/19, EU:C:2020:953, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall müssen die in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften nach Auffassung des vorlegenden Gerichts, wenn sie für Gesellschaften gelten, die ihren Sitz oder ihren Ort der Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums haben, auch für Gesellschaften gelten, die ihren Sitz oder ihren Ort der Geschäftsleitung in Drittländern haben.
Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Vereinbarkeit der Erstattungsmodalitäten der an der Quelle einbehaltenen Kapitalertragsteuer auf Dividenden, die an in Drittstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, einer eigenständigen Beurteilung bedarf, da Art. 63 Abs. 1 AEUV Beschränkungen des Kapitalverkehrs einschließlich zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern zwar generell untersagt, die Rechtsprechung zu Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs in der Union allerdings nicht in vollem Umfang auf den Kapitalverkehr zwischen Mitgliedstaaten und dritten Ländern übertragen werden kann, der sich in einen anderen rechtlichen Rahmen einfügt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2019, X [In Drittländern ansässige Zwischengesellschaften], C-135/17, EU:C:2019:136, Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Vorlageentscheidung lässt sich allerdings entnehmen, dass sich der Ausgangsrechtsstreit ausschließlich auf die Erstattung der an der Quelle einbehaltenen Kapitalertragsteuer bezieht, die auf Dividenden deutschen Ursprungs erhoben wurde, die an eine gebietsfremde Gesellschaft mit Sitz im Vereinigten Königreich ausgeschüttet wurden, als dieser Staat Mitgliedstaat der Union war.
Folglich steht die Frage, ob im Fall von Dividenden, die an in einem Drittland ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, die in den fraglichen deutschen Rechtsvorschriften vorgesehenen Voraussetzungen für die Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer gegen die Unionsvorschriften über den freien Kapitalverkehr verstoßen, wie der Generalanwalt in Nr. 30 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, in keinem Zusammenhang mit dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits.
Das Vorabentscheidungsersuchen ist daher insoweit unzulässig.
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 63 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Bestimmung in der Steuergesetzgebung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die Erstattung der Kapitalertragsteuer auf Dividenden, die aus Streubesitzanteilen stammen und an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft ausgeschüttet werden, von dem Nachweis abhängig macht, dass die Steuer bei dieser Gesellschaft oder ihren unmittelbaren oder mittelbaren Anteilseignern nicht angerechnet oder als Anrechnungsvortrag berücksichtigt oder als Betriebsausgabe oder Werbungskosten abgezogen werden kann, während eine solche Bedingung hinsichtlich der Erstattung der Kapitalertragsteuer, die eine gebietsansässige Gesellschaft, die Einkünfte gleicher Art bezieht, entrichtet, nicht vorgesehen ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs stellen u. a. Maßnahmen, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die in einem Mitgliedstaat Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten, Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs dar (Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C-575/17, EU:C:2018:943, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Es ist Sache der Mitgliedstaaten, in Bezug auf Beteiligungen, die unterhalb der von der Richtlinie 90/435 bestimmten Schwellenwerte liegen, festzulegen, ob und in welchem Umfang die wirtschaftliche Doppelbesteuerung oder die mehrfache Belastung der ausgeschütteten Gewinne vermieden werden soll, und dazu einseitig oder durch mit anderen Mitgliedstaaten geschlossene Doppelbesteuerungsabkommen Mechanismen zur Abschwächung oder Vermeidung dieser wirtschaftlichen Doppelbesteuerung oder mehrfachen Belastung einzuführen. Dies gibt ihnen aber nicht das Recht, Maßnahmen zu ergreifen, die gegen die Verkehrsfreiheiten verstoßen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, C-374/04, EU:C:2006:773, Rn. 54, und vom 8. November 2007, Amurta, C-379/05, EU:C:2007:655, Rn. 24).
Wie der Gerichtshof im Urteil vom 20. Oktober 2011, Kommission/Deutschland (C-284/09, EU:C:2011:670, Rn. 72 und 73), entschieden hat, bilden nationale Rechtsvorschriften, die für Beteiligungen, die nicht unter die Richtlinie 90/435 fallen, eine Erstattung der an der Quelle einbehaltenen Kapitalertragsteuer auf an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden vorsehen, während für Dividenden, die an in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, keine Erstattungsmöglichkeit vorgesehen ist, ohne dass diese Ungleichbehandlung im Wege eines Abkommens ausgeglichen würde, eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs.
Gleiches gilt für nationale Rechtsvorschriften, die eine solche Möglichkeit der Erstattung der Quellensteuer auf an gebietsfremde, in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden erstreckt, sie aber gegenüber der Erstattung der Quellensteuer auf Dividenden, die an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, unter zusätzliche Voraussetzungen stellt, ohne dass diese Ungleichbehandlung im Wege eines Abkommens ausgeglichen würde. Derartige Rechtsvorschriften führen nämlich dazu, dass gebietsfremden Gesellschaften die Ausübung des Rechts auf Erstattung im Vergleich zu gebietsansässigen Gesellschaften erschwert wird und somit die an sie ausgeschütteten Dividenden ungünstiger behandelt werden als an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden.
Dem Vorabentscheidungsersuchen lässt sich entnehmen, dass nach den in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften die Voraussetzungen, unter denen die an der Quelle einbehaltene Kapitalertragsteuer auf Dividenden aus Streubesitzanteilen erstattet werden kann, je nachdem, ob es sich bei der Empfängerin der Dividenden um eine gebietsansässige oder eine gebietsfremde Gesellschaft handelt, unterschiedlich sind.
Nach den dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen wird die Quellensteuer bei einer gebietsansässigen Gesellschaft nämlich in vollem Umfang auf die von dieser geschuldete Körperschaftsteuer angerechnet und ihr der Restbetrag gegebenenfalls erstattet. Bei einer gebietsfremden Gesellschaft steht eine Erstattung der Kapitalertragsteuer hingegen unter der Bedingung, dass die Steuer bei dieser Gesellschaft oder ihren unmittelbaren oder mittelbaren Anteilseignern nicht angerechnet oder als Anrechnungsvortrag berücksichtigt oder als Betriebsausgabe oder Werbungskosten bei der Gesellschaft abgezogen werden kann.
Eine solche Ungleichbehandlung ist gemäß Art. 65 Abs. 1 AEUV nur zulässig, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. April 2020, Société Générale, C-565/18, EU:C:2020:318, Rn. 24).
Für den Nachweis einer Diskriminierung ist bei der Prüfung der Vergleichbarkeit einer grenzüberschreitenden Situation mit einer mitgliedstaatsinternen Situation das mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgte Ziel zu berücksichtigen (Urteil vom 30. April 2020, Société Générale, C-565/18, EU:C:2020:318, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung), das im vorliegenden Fall nach den Angaben des vorlegenden Gerichts darin besteht, eine Doppelbesteuerung oder eine mehrfache Belastung von Gewinnen zu verhindern.
In Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats zur Erreichung eines solchen Ziels befinden sich Dividenden beziehende gebietsansässige Gesellschaften zwar nicht unbedingt in einer Situation, die der von Dividenden beziehenden Gesellschaften, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, vergleichbar wäre (Urteil vom 20. Oktober 2011, Kommission/Deutschland, C-284/09, EU:C:2011:670, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Sofern jedoch ein Mitgliedstaat nicht nur die gebietsansässigen, sondern auch die gebietsfremden Gesellschaften hinsichtlich der Dividenden, die sie von einer gebietsansässigen Gesellschaft beziehen, einseitig oder im Wege eines Abkommens der Einkommensteuer unterwirft, nähert sich die Situation der gebietsfremden Gesellschaften derjenigen der gebietsansässigen Gesellschaften an (Urteil vom 20. Oktober 2011, Kommission/Deutschland, C-284/09, EU:C:2011:670, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Allein schon die Ausübung der Steuerhoheit durch diesen Mitgliedstaat birgt nämlich unabhängig von einer Besteuerung in einem anderen Mitgliedstaat die Gefahr einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung in sich. In einem solchen Fall hat der Staat des Sitzes der ausschüttenden Gesellschaft dafür zu sorgen, dass die gebietsfremden Empfängergesellschaften hinsichtlich des in seinem nationalen Recht vorgesehenen Mechanismus zur Vermeidung oder Abschwächung einer mehrfachen Belastung oder einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung eine Behandlung erfahren, die derjenigen der gebietsansässigen Empfängergesellschaften gleichwertig ist, damit sie sich nicht einer – nach Art. 63 AEUV grundsätzlich verbotenen – Beschränkung des freien Kapitalverkehrs gegenübersehen (Urteil vom 20. Oktober 2011, Kommission/Deutschland, C-284/09, EU:C:2011:670, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland dafür entschieden hat, ihre Steuerhoheit für sämtliche Dividenden aus Streubesitzanteilen unabhängig davon auszuüben, ob sie an gebietsansässige Gesellschaften oder an Gesellschaften ausgeschüttet werden, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind. Aufgrund dieses bloßen Umstands befinden sich diese beiden Kategorien von Gesellschaften, was die Gefahr einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung oder einer mehrfachen Belastung dieser Dividenden angeht, in einer vergleichbaren Situation. Sie müssen daher einer gleichwertigen Behandlung unterzogen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Oktober 2011, Kommission/Deutschland, C-284/09, EU:C:2011:670, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Für den Nachweis, dass dies hier der Fall ist, bezieht sich die deutsche Regierung auf das Doppelbesteuerungsabkommen.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich ein Mitgliedstaat zwar nicht auf einen von einem anderen Mitgliedstaat einseitig gewährten Vorteil berufen kann, um sich den ihm aus dem Vertrag obliegenden Verpflichtungen zu entziehen. Das Ziel, eine gleichwertige Behandlung von Dividenden zu erreichen, die an gebietsansässige und gebietsfremde Gesellschaften ausgeschüttet werden, kann jedoch über ein mit einem anderen Mitgliedstaat geschlossenes Doppelbesteuerungsabkommen erreicht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. November 2007, Amurta, C-379/05, EU:C:2007:655, Rn. 78 und 79 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), soweit dessen Anwendung ermöglicht, die Wirkungen der sich aus den nationalen Rechtsvorschriften ergebenden Ungleichbehandlung vollständig auszugleichen.
Die unterschiedliche Behandlung von Dividenden, die an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, und Dividenden, die an gebietsfremde Gesellschaften ausgeschüttet werden, wird nur dann beseitigt, wenn die nach den nationalen Rechtsvorschriften erhobene Quellensteuer auf die im anderen Mitgliedstaat geschuldete Steuer in dem Umfang angerechnet werden kann, in dem aufgrund des nationalen Rechts eine unterschiedliche Behandlung besteht (Urteil vom 17. September 2015, Miljoen u. a., C-10/14, C-14/14 und C-17/14, EU:C:2015:608, Rn. 79 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Nach den gegenüber dem Gerichtshof gemachten Angaben ist der Quellensteuersatz, der von der Bundesrepublik Deutschland auf Dividenden aus Streubesitzanteilen einbehalten wird, die an eine im Vereinigten Königreich ansässige Gesellschaft ausgeschüttet werden, in Anwendung des Doppelbesteuerungsabkommens auf 15 % begrenzt und kann diese Quellensteuer auf die britische Steuer angerechnet werden. Gemäß Art. XVIII Abs. 1 Buchst. a des Abkommens beschränkt sich diese Anrechnung aber auf die britische Steuer, die auf Grundlage der für die Berechnung der deutschen Steuer berücksichtigen Gewinne oder Einkünfte berechnet wird.
Ein derartiger Mechanismus ist offensichtlich ungeeignet, in allen Fällen einen Ausgleich der Ungleichbehandlung sicherzustellen, die sich aus den nationalen Rechtsvorschriften ergibt, da ein solcher Ausgleich nämlich nur unter der Annahme möglich ist, dass der Betrag der auf die ausgeschütteten Dividenden berechneten britischen Steuer mindestens demjenigen der von der Bundesrepublik Deutschland einbehaltenen Quellensteuer entspricht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Oktober 2011, Kommission/Deutschland, C-284/09, EU:C:2011:670, Rn. 67 und 68, sowie vom 17. September 2015, Miljoen u. a., C-10/14, C-14/14 und C-17/14, EU:C:2015:608, Rn. 86).
Ohne eine Erstattung der Quellensteuer würde aber nur deren vollständige Anrechnung auf die Steuer, die von der Dividenden beziehenden Gesellschaft im Mitgliedstaat der Niederlassung geschuldet wird, eine Beseitigung der Ungleichbehandlung ermöglichen, die sich aus den nationalen Rechtsvorschriften ergibt, wobei etwaige Möglichkeiten der Anrechnung auf der Ebene der unmittelbaren oder mittelbaren Anteilseigner dieser Gesellschaft außer Betracht zu lassen wären, ein Gesichtspunkt, den die deutschen Rechtsvorschriften im Übrigen bei gebietsansässigen Gesellschaften nicht heranziehen.
Während gebietsansässige Gesellschaften in den Genuss einer sofortigen Anrechnung und gegebenenfalls einer Erstattung des Restbetrags der abgeführten Quellensteuer kommen, sind hingegen weder ein Abzug der Quellensteuer von der Bemessungsgrundlage der Steuer, die von der Dividenden beziehenden Gesellschaft im Mitgliedstaat der Niederlassung geschuldet wird, als Betriebsausgabe oder Werbungskosten noch eine Möglichkeit für diese Gesellschaft, einen Anrechnungsvortrag in Anspruch zu nehmen, dessen Inanspruchnahme stets unsicher ist, geeignet, eine vollständige Neutralisierung dieser Ungleichbehandlung zu ermöglichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. September 2015, Miljoen u. a., C-10/14, C-14/14 und C-17/14, EU:C:2015:608, Rn. 83, und entsprechend Urteil vom 22. November 2018, Sofina u. a., C-575/17, EU:C:2018:943, Rn. 28 bis 34).
Vorbehaltlich der dem vorlegenden Gericht obliegenden Prüfungen sind Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die eine Erstattung der an der Quelle einbehaltenen Kapitalertragsteuer an strengere Voraussetzungen knüpft, wenn die Dividenden von einer gebietsfremden und nicht von einer gebietsansässigen Gesellschaft bezogen werden, ohne dass diese Ungleichbehandlung im Wege eines Abkommens neutralisiert wird, geeignet, in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften von Investitionen in Gesellschaften des betreffenden Mitgliedstaats abzuhalten, und können auch ein Hindernis für die Kapitalbeschaffung gebietsansässiger Gesellschaften bei in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften darstellen. Sie bilden daher eine nach Art. 63 Abs. 1 AEUV grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann eine solche Beschränkung allerdings zulässig sein, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt und geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist (Urteile vom 26. Februar 2019, X [In Drittländern ansässige Zwischengesellschaften], C-135/17, EU:C:2019:136, Rn. 70, und vom 30. Januar 2020, Köln-Aktienfonds Deka, C-156/17, EU:C:2020:51, Rn. 83 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Nach Auffassung der deutschen Regierung sind die nationalen Rechtsvorschriften durch das Ziel der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten sowie durch die Verhinderung einer doppelten Berücksichtigung einbehaltener Quellensteuer gerechtfertigt.
Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass die Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses zählt, die eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs rechtfertigen können, wie etwa eine Maßnahme, mit der Verhaltensweisen verhindert werden sollen, die geeignet sind, das Recht eines Mitgliedstaats auf Ausübung seiner Steuerhoheit für die in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten zu gefährden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom10. Februar 2011, Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen, C-436/08 und C-437/08, EU:C:2011:61, Rn. 121, sowie vom 10. April 2014, Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company, C-190/12, EU:C:2014:249, Rn. 98).
Ein solches Ziel kann allerdings die Besteuerung von gebietsfremden Gesellschaften, die Dividenden beziehen, durch einen Mitgliedstaat, der sich dafür entschieden hat, gebietsansässige Gesellschaften im Hinblick auf diese Art von Einkünften nicht zu besteuern, nicht rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Oktober 2011, Kommission/Deutschland, C-284/09, EU:C:2011:670, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall hat sich die Bundesrepublik Deutschland zwar dafür entschieden, ihre Steuerhoheit für sämtliche Dividenden aus Streubesitzanteilen auszuüben. Allerdings hat sie sich nach den gegenüber dem Gerichtshof gemachten Angaben auch dafür entschieden, die Belastung durch die Quellensteuer auf diese Dividenden vollständig zu neutralisieren, wenn sie an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden. Unter diesen Umständen kann die Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten eine Besteuerung von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften hinsichtlich dieser Art von Einkünften nicht rechtfertigen.
Zu der Rechtfertigung mit der Notwendigkeit, eine doppelte Berücksichtigung der Quellensteuer bei den in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften, die die Dividenden beziehen, oder ihren unmittelbaren oder mittelbaren Anteilseignern zu verhindern, ist darauf hinzuweisen, dass die in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften, die Dividenden beziehen, auferlegte Verpflichtung, einen Nachweis dafür zu erbringen, dass die Quellensteuer bei ihnen oder ihren unmittelbaren oder mittelbaren Anteilseignern nicht angerechnet oder als Anrechnungsvortrag berücksichtigt oder als Betriebsausgabe oder Werbungskosten abgezogen wurde, keine Entsprechung bei gebietsansässigen Gesellschaften findet. Es lässt sich allerdings nicht ausschließen, dass diese Gesellschaften auch von gebietsfremden Anteilseignern gehalten werden, die nationalen Rechtsvorschriften unterliegen, die auf Ebene dieser Anteilseigner eine Berücksichtigung der Quellensteuer ermöglicht, die von der Gesellschaft, die die Dividenden bezieht, einbehalten wurde. Die Möglichkeit einer doppelten Berücksichtigung der an der Quelle einbehaltenen Steuer kann folglich bezogen auf gebietsansässige Gesellschaften nicht ausgeschlossen werden; der Umstand, dass die deutschen Rechtsvorschriften eine Berücksichtigung der Quellensteuer nur auf der Ebene der Gesellschaft zulassen, die die Dividenden bezieht, ist insoweit ohne Belang.
Es ist daran zu erinnern, dass eine Maßnahme, um als zur Verwirklichung des verfolgten Ziels geeignet angesehen zu werden, dem Anliegen gerecht werden muss, dieses Ziel in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (vgl. u. a. in diesem Sinne im Bereich der Niederlassungsfreiheit Urteil vom 14. November 2018, Memoria und Dall'Antonia, C-342/17, EU:C:2018:906, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs Urteil vom 3. Februar 2021, Fussl Modestraße Mayr, C-555/19, EU:C:2021:89, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Dies ist, wie der Generalanwalt in Nr. 69 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, für das Ziel der Vermeidung einer doppelten Berücksichtigung der einbehaltenen Steuer bei nationalen Rechtsvorschriften nicht der Fall, die eine Erstattung der Quellensteuer auf Dividenden aus Streubesitzanteilen bei in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften, die diese Dividenden beziehen, an strengere Voraussetzungen knüpfen als bei gebietsansässigen Gesellschaften, und das, obgleich eine doppelte Berücksichtigung der Quellensteuer bei gebietsansässigen Gesellschaften nicht ausgeschlossen werden kann. Derartige Rechtsvorschriften können somit in jedem Fall nicht mit der Notwendigkeit gerechtfertigt werden, eine doppelte Berücksichtigung der Quellensteuer zu verhindern.
Nach alledem ist dem vorlegenden Gericht zu antworten, dass Art. 63 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Bestimmung in der Steuergesetzgebung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die Erstattung der Kapitalertragsteuer auf Dividenden, die aus Streubesitzanteilen stammen und an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft ausgeschüttet werden, von dem Nachweis abhängig macht, dass die Steuer bei dieser Gesellschaft oder ihren unmittelbaren oder mittelbaren Anteilseignern nicht angerechnet oder als Anrechnungsvortrag berücksichtigt oder abgezogen werden kann, während eine solche Bedingung für die Erstattung der Kapitalertragsteuer, die eine gebietsansässige Gesellschaft, die Einkünfte gleicher Art bezieht, entrichtet, nicht vorgesehen ist.
Zur zweiten Frage
In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.
Kosten
Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Bestimmung in der Steuergesetzgebung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die Erstattung der Kapitalertragsteuer auf Dividenden, die aus unterhalb der – von der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten in der durch die Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22. Dezember 2003 geänderten Fassung vorgesehenen – Schwellenwerte liegenden Beteiligungen stammen und an eine in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft ausgeschüttet werden, von dem Nachweis abhängig macht, dass die Steuer bei dieser Gesellschaft oder ihren unmittelbaren oder mittelbaren Anteilseignern nicht angerechnet oder als Anrechnungsvortrag berücksichtigt oder abgezogen werden kann, während eine solche Bedingung für die Erstattung der Kapitalertragsteuer, die eine gebietsansässige Gesellschaft, die Einkünfte gleicher Art bezieht, entrichtet, nicht vorgesehen ist.
Lycourgos
Rodin
Bonichot
Rossi
Spineanu-Matei
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Juni 2022.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Vierten Kammer
C. Lycourgos
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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