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EuGH 16.04.2015 - C-591/13
EuGH 16.04.2015 - C-591/13 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer) - 16. April 2015 ( *1) - „Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats — Steuerrecht — Stundung der Steuer auf den Gewinn, der bei der entgeltlichen Veräußerung bestimmter Anlagegüter realisiert wurde — Steuererhebung — Niederlassungsfreiheit — Art. 49 AEUV — Art. 31 des EWR-Abkommens — Ungleichbehandlung von Betriebsstätten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats und Betriebsstätten im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums — Verhältnismäßigkeit“
Leitsatz
In der Rechtssache C-591/13
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 20. November 2013,
Europäische Kommission, vertreten durch W. Mölls und W. Roels als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
Beklagte,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund (Berichterstatter),
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. November 2014,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 49 AEUV und aus Art. 31 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) verstoßen hat, indem sie Vorschriften erlassen und beibehalten hat, nach denen die Steuer auf den Gewinn, der bei der entgeltlichen Veräußerung bestimmter Anlagegüter (im Folgenden: ersetzte Wirtschaftsgüter) realisiert wurde, durch „Übertragung“ dieses Gewinns auf neu angeschaffte oder hergestellte Anlagegüter (im Folgenden: Ersatzwirtschaftsgüter) bis zu deren Veräußerung gestundet wird, soweit die letztgenannten Güter zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen gehören, während eine solche Stundung nicht möglich ist, wenn die Güter zum Anlagevermögen einer Betriebsstätte des Steuerpflichtigen gehören, die sich in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des EWR-Abkommens befindet.
Rechtlicher Rahmen
§ 6b Abs. 1 bis 4 des deutschen Einkommensteuergesetzes (EStG) bestimmt:
„(1) Steuerpflichtige, die
Grund und Boden,
Aufwuchs auf Grund und Boden mit dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn der Aufwuchs zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betriebsvermögen gehört,
Gebäude oder Binnenschiffe
veräußern, können im Wirtschaftsjahr der Veräußerung von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten der in Satz 2 bezeichneten Wirtschaftsgüter, die im Wirtschaftsjahr der Veräußerung oder im vorangegangenen Wirtschaftsjahr angeschafft oder hergestellt worden sind, einen Betrag bis zur Höhe des bei der Veräußerung entstandenen Gewinns abziehen. Der Abzug ist zulässig bei den Anschaffungs- oder Herstellungskosten von
Grund und Boden,
soweit der Gewinn bei der Veräußerung von Grund und Boden entstanden ist,
Aufwuchs auf Grund und Boden mit dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn der Aufwuchs zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betriebsvermögen gehört,
soweit der Gewinn bei der Veräußerung von Grund und Boden oder der Veräußerung von Aufwuchs auf Grund und Boden mit dem dazugehörigen Grund und Boden entstanden ist,
Gebäuden,
soweit der Gewinn bei der Veräußerung von Grund und Boden, von Aufwuchs auf Grund und Boden mit dem dazugehörigen Grund und Boden oder Gebäuden entstanden ist, oder
Binnenschiffen,
soweit der Gewinn bei der Veräußerung von Binnenschiffen entstanden ist.
Der Anschaffung oder Herstellung von Gebäuden steht ihre Erweiterung, ihr Ausbau oder ihr Umbau gleich. Der Abzug ist in diesem Fall nur von dem Aufwand für die Erweiterung, den Ausbau oder den Umbau der Gebäude zulässig.
(2) Gewinn im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den Buchwert übersteigt, mit dem das veräußerte Wirtschaftsgut im Zeitpunkt der Veräußerung anzusetzen gewesen wäre. Buchwert ist der Wert, mit dem ein Wirtschaftsgut nach § 6 anzusetzen ist.
(3) Soweit Steuerpflichtige den Abzug nach Absatz 1 nicht vorgenommen haben, können sie im Wirtschaftsjahr der Veräußerung eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage bilden. Bis zur Höhe dieser Rücklage können sie von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten der in Absatz 1 Satz 2 bezeichneten Wirtschaftsgüter, die in den folgenden vier Wirtschaftsjahren angeschafft oder hergestellt worden sind, im Wirtschaftsjahr ihrer Anschaffung oder Herstellung einen Betrag unter Berücksichtigung der Einschränkungen des Absatzes 1 Satz 2 bis 4 abziehen. Die Frist von vier Jahren verlängert sich bei neu hergestellten Gebäuden auf sechs Jahre, wenn mit ihrer Herstellung vor dem Schluss des vierten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahres begonnen worden ist. Die Rücklage ist in Höhe des abgezogenen Betrags gewinnerhöhend aufzulösen. Ist eine Rücklage am Schluss des vierten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden, so ist sie in diesem Zeitpunkt gewinnerhöhend aufzulösen, soweit nicht ein Abzug von den Herstellungskosten von Gebäuden in Betracht kommt, mit deren Herstellung bis zu diesem Zeitpunkt begonnen worden ist; ist die Rücklage am Schluss des sechsten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden, so ist sie in diesem Zeitpunkt gewinnerhöhend aufzulösen.
(4) Voraussetzung für die Anwendung der Absätze 1 und 3 ist, dass
der Steuerpflichtige den Gewinn nach § 4 Absatz 1 oder § 5 ermittelt,
die veräußerten Wirtschaftsgüter im Zeitpunkt der Veräußerung mindestens sechs Jahre ununterbrochen zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehört haben,
die angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehören,
der bei der Veräußerung entstandene Gewinn bei der Ermittlung des im Inland steuerpflichtigen Gewinns nicht außer Ansatz bleibt und
der Abzug nach Absatz 1 und die Bildung und Auflösung der Rücklage nach Absatz 3 in der Buchführung verfolgt werden können.
Der Abzug nach den Absätzen 1 und 3 ist bei Wirtschaftsgütern, die zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehören oder der selbständigen Arbeit dienen, nicht zulässig, wenn der Gewinn bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern eines Gewerbebetriebs entstanden ist.“
Vorverfahren
Am 15. Mai 2009 richtete die Kommission ein Mahnschreiben an die Bundesrepublik Deutschland. Darin wies sie diesen Mitgliedstaat darauf hin, dass § 6b EStG möglicherweise mit dem freien Kapitalverkehr unvereinbar sei.
Mit Schreiben vom 13. Juli 2009 teilte die Bundesrepublik Deutschland mit, dass sie die Auffassung der Kommission nicht teile, weil die streitige Regelung nicht unter den freien Kapitalverkehr, sondern ausschließlich unter die Niederlassungsfreiheit falle und mit dieser vereinbar sei.
Am 7. Mai 2010 übersandte die Kommission der Bundesrepublik Deutschland ein zusätzliches Mahnschreiben, in dem sie einräumte, dass die Regelung unter die Niederlassungsfreiheit falle. Gleichwohl sei sie nach Prüfung des Vorbringens dieses Mitgliedstaats zu dem Ergebnis gekommen, dass die fragliche Regelung gegen Art. 49 AEUV und Art. 31 des EWR-Abkommens verstoße.
Mit Schreiben vom 7. Juli 2010 widersprach die Bundesrepublik Deutschland der Auffassung der Kommission und blieb bei ihrer Ansicht, dass die fragliche Regelung mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sei.
Am 30. September 2011 übersandte die Kommission der Bundesrepublik Deutschland eine mit Gründen versehene Stellungnahme, in der sie ihre im zusätzlichen Mahnschreiben dargelegte Auffassung bekräftigte und die Bundesrepublik Deutschland aufforderte, dieser mit Gründen versehenen Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrer Zustellung nachzukommen.
Da die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Antwort vom 28. November 2011 erneut vortrug, dass die Auffassung der Kommission nicht zutreffe, beschloss diese, die vorliegende Klage zu erheben.
Zur Klage
Zur Zulässigkeit
Die Bundesrepublik Deutschland hält die vorliegende Klage aus zwei Gründen für unzulässig. Zum einen sei sie verspätet erhoben worden, und zum anderen sei ihr Streitgegenstand geändert worden.
Zur Verspätung der Klageerhebung
– Vorbringen der Parteien
Die Bundesrepublik Deutschland trägt vor, die Kommission habe ihr Klagerecht verwirkt, weil sie nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens zu lange mit der Klageerhebung gewartet habe. Da die eingetretene Verzögerung durch keinen sachlichen Grund gerechtfertigt sei, habe die Kommission rechtsmissbräuchlich gehandelt. Die Kommission habe sich während dieses Zeitraums des Wartens nicht mehr um eine gütliche Lösung des Konflikts mit ihr bemüht.
Außerdem seien die allgemeinen Grundsätze der Rechtssicherheit und der loyalen Zusammenarbeit zu berücksichtigen. Ebenso wie die Mitgliedstaaten bei der Beendigung einer vom Gerichtshof festgestellten Verletzung des AEU-Vertrags zur Kooperation mit der Kommission verpflichtet seien, müsse die Kommission in der Zeit vor Erhebung einer Vertragsverletzungsklage mit dem betreffenden Mitgliedstaat kooperieren, nach Alternativen zu einer Klage suchen und ihn über ihr weiteres Vorgehen informieren. Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit richte sich nicht nur an die Mitgliedstaaten, sondern auch an die Kommission.
Die Kommission macht geltend, die in Art. 258 AEUV aufgestellten Vorschriften kämen zur Anwendung, ohne dass sie zur Einhaltung einer bestimmten Frist verpflichtet sei. Außerdem hätten Erwägungen in Bezug auf den Zeitpunkt der Erhebung einer Vertragsverletzungsklage keinen Einfluss auf deren Zulässigkeit.
Eine Beanstandung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn es dem betreffenden Mitgliedstaat durch eine zu lange Dauer des Vorverfahrens erschwert worden wäre, die Argumente der Kommission zu widerlegen, so dass die Verteidigungsrechte verletzt worden seien. Die Bundesrepublik Deutschland habe jedoch nie behauptet, dass ein solcher Fall vorliege, und es gebe dafür auch keine Anhaltspunkte.
– Würdigung durch den Gerichtshof
Nach ständiger Rechtsprechung ist es Sache der Kommission, den Zeitpunkt für die Erhebung der Vertragsverletzungsklage zu wählen. Die Erwägungen, die für diese Wahl bestimmend sind, können die Zulässigkeit der Klage nicht beeinflussen. Die Bestimmungen des Art. 258 AEUV sind anzuwenden, ohne dass die Kommission eine bestimmte Frist einhalten muss, sofern nicht ein Fall vorliegt, in dem eine zu lange Dauer des Vorverfahrens es dem betroffenen Mitgliedstaat erschweren könnte, die Argumente der Kommission zu widerlegen, und damit die Verteidigungsrechte verletzen würden. Der Nachweis einer solchen überlangen Dauer obliegt dem betroffenen Mitgliedstaat (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Litauen, C-350/08, EU:C:2010:642, Rn. 33 und 34 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Die Bundesrepublik Deutschland hat, wie die Kommission ausführt, das Vorliegen einer solchen Situation nicht geltend gemacht. Deshalb ist die von ihr erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.
Zur Änderung des Streitgegenstands
– Vorbringen der Parteien
Die Bundesrepublik Deutschland weist darauf hin, dass die Kommission das in ihrer Erwiderung angeführte Argument, das die Besteuerung des durch die Veräußerung des ersetzten Wirtschaftsguts erzielten Gewinns im Fall der Abschreibungsfähigkeit des Ersatzwirtschaftsguts betreffe, weder im Vorverfahren noch in ihrer Klageschrift vorgebracht habe. Dies sei als Änderung des Streitgegenstands anzusehen, mit der Folge, dass die Klage insgesamt unzulässig sei.
Die Kommission hat dem in der mündlichen Verhandlung entgegengehalten, dass die Klage zulässig sei. Aus der Klageschrift ergebe sich eindeutig, dass § 6b EStG auch für grenzüberschreitende Sachverhalte gelten solle. Zwar werde die Steuer auf den bei der Veräußerung des ersetzten Wirtschaftsguts erzielten Gewinn im Fall eines abschreibungsfähigen Ersatzwirtschaftsguts, anders als bei einem nicht abschreibungsfähigen Ersatzwirtschaftsgut, nicht vollständig bis zum Verkauf des Ersatzwirtschaftsguts gestundet, sondern nur in einem den geringeren Abschreibungen auf das Ersatzwirtschaftsgut entsprechenden Maß. Gleichwohl werde in beiden Fällen die Steuer auf den bei der Veräußerung des ersetzten Wirtschaftsguts erzielten Gewinn gestundet. Die Fälle unterschieden sich lediglich durch das Ausmaß der Stundung. Bei nicht abschreibungsfähigen Ersatzwirtschaftsgütern erstrecke sich die Stundung bis zu ihrer Veräußerung, während sie bei abschreibungsfähigen Ersatzwirtschaftsgütern von kürzerer Dauer sein könne. Bei Letzteren könne die Bundesrepublik Deutschland nach den in der deutschen Regelung vorgesehenen Abschreibungsregeln eine gestaffelte Zahlung der Steuer verlangen.
– Würdigung durch den Gerichtshof
Es ist festzustellen, dass im vorliegenden Fall weder die Ordnungsmäßigkeit der mit Gründen versehenen Stellungnahme noch die Ordnungsmäßigkeit des ihrer Zustellung vorangegangenen Verfahrens in Abrede gestellt wird.
Nach ständiger Rechtsprechung wird der Gegenstand einer Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission festgelegt, so dass die Klage auf die gleichen Gründe und das gleiche Vorbringen gestützt sein muss wie diese Stellungnahme. Dieses Erfordernis kann jedoch nicht so weit gehen, dass in jedem Fall eine völlige Übereinstimmung zwischen der Darlegung der Rügen im Tenor der mit Gründen versehenen Stellungnahme und in den Anträgen der Klageschrift bestehen muss, falls der Streitgegenstand, wie er in der mit Gründen versehenen Stellungnahme umschrieben ist, nicht erweitert oder geändert wurde. Insbesondere kann die Kommission ihre ursprünglichen Rügen in ihrer Klageschrift präzisieren, sofern sie den Streitgegenstand nicht ändert (vgl. Urteil Kommission/Polen, C-281/11, EU:C:2013:855, Rn. 87 und 88 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall hat die Kommission sowohl im Rahmen des Vorverfahrens als auch vor dem Gerichtshof eindeutig vorgetragen, dass sie der Bundesrepublik Deutschland vorwerfe, durch den Erlass und die Beibehaltung der in § 6b EStG vorgesehenen Regelung gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 49 AEUV und Art. 31 des EWR-Abkommens verstoßen zu haben.
Die Anwendung dieser Regelung hat im Wesentlichen zur Folge, dass die Steuer auf die Gewinne aus der Veräußerung der zum Anlagevermögen einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen gehörenden ersetzten Wirtschaftsgüter gestundet wird, sofern diese Gewinne in den Kauf oder die Herstellung von Ersatzwirtschaftsgütern reinvestiert werden. Der Steuerpflichtige kann diesen Steuervorteil jedoch nur dann in Anspruch nehmen, wenn die Ersatzwirtschaftsgüter zum Anlagevermögen einer ebenfalls in Deutschland belegenen Betriebsstätte gehören, nicht aber dann, wenn sie zum Anlagevermögen einer Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat der Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums gehören. Diese Ungleichbehandlung stellt nach Ansicht der Kommission einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit dar.
Mit den Ausführungen in ihrer Erwiderung zu der nach den deutschen Abschreibungsvorschriften bei abschreibungsfähigen Ersatzwirtschaftsgütern erfolgenden Stundung der Steuer auf die realisierten Gewinne ist die Kommission lediglich – in Beantwortung des von der Bundesrepublik Deutschland erhobenen Vorwurfs, ihr sei ein Fehler unterlaufen, als sie angegeben habe, dass die Steuer auf die beim Verkauf der ersetzten Wirtschaftsgüter realisierten Gewinne stets bis zur Veräußerung der Ersatzwirtschaftsgüter gestundet werde – näher auf die zur Stützung ihres Vorbringens zur gerügten Vertragsverletzung angeführten Argumente eingegangen, die sie bereits in allgemeinerer Form im Rahmen des Vorverfahrens sowie in der Klageschrift dargelegt hatte.
Insoweit ist hervorzuheben, dass der Umstand, dass der Zeitpunkt der Besteuerung des aus der Veräußerung des ersetzten Wirtschaftsguts resultierenden Gewinns nach der genannten Regelung davon abhängt, ob das Ersatzwirtschaftsgut abschreibungsfähig ist, den Streitgegenstand unberührt lässt. Die Steuer auf den bei der Veräußerung des ersetzten Wirtschaftsguts erzielten Gewinn wird nämlich, unabhängig davon, ob das Ersatzwirtschaftsgut abschreibungsfähig ist, in beiden Fällen gestundet; sie unterscheiden sich lediglich durch das Ausmaß der Stundung. Bei nicht abschreibungsfähigen Ersatzwirtschaftsgütern könnte sich die Stundung bis zu ihrer Veräußerung erstrecken, während sie bei abschreibungsfähigen Ersatzwirtschaftsgütern von kürzerer Dauer sein kann. Dieser Vorteil gilt jedoch in beiden Fällen nur für Reinvestitionen zum Erwerb von Ersatzwirtschaftsgütern, die zum Anlagevermögen einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen gehören.
Die bloße Tatsache, dass die Kommission im Vorverfahren und in der Klageschrift hinsichtlich des Zeitpunkts der Besteuerung des aus der Veräußerung der ersetzten Wirtschaftsgüter resultierenden Gewinns nur auf die Veräußerung von Ersatzwirtschaftsgütern Bezug genommen hat, lässt daher nicht auf das Vorliegen eines neuen Angriffsmittels schließen, was zu einer Beschränkung des Umfangs der Klage allein auf nicht abschreibungsfähige Ersatzwirtschaftsgüter führen würde.
Folglich ist festzustellen, dass die von der Kommission erhobene Rüge während des gesamten vorgerichtlichen und gerichtlichen Verfahrens unverändert geblieben ist.
Nach den vorstehenden Erwägungen ist die Klage der Kommission zulässig.
Zur Begründetheit
Vorbringen der Parteien
Die Kommission macht geltend, § 6b EStG verstoße gegen die Bestimmungen des AEU-Vertrags und des EWR-Abkommens über die Niederlassungsfreiheit.
Nach dem Wortlaut von § 6b EStG sei ein Steuerpflichtiger berechtigt, die bei der Veräußerung bestimmter zum Anlagevermögen einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen gehörender Anlagegüter realisierten Gewinne unversteuert auf bestimmte Ersatzwirtschaftsgüter zu übertragen, sofern diese Gewinne in den Erwerb oder die Herstellung dieser Ersatzwirtschaftsgüter reinvestiert würden. Eine solche Stundung der Steuer auf diese Gewinne sei jedoch nach § 6b Abs. 4 Nr. 3 EStG nur möglich, wenn die Ersatzwirtschaftsgüter zum Anlagevermögen einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen gehörten. Gehörten die Ersatzwirtschaftsgüter dagegen zum Anlagevermögen einer außerhalb Deutschlands belegenen Betriebsstätte, würden die aus der Veräußerung des ersetzten Wirtschaftsguts resultierenden Gewinne sofort besteuert.
Ein Wirtschaftsteilnehmer werde deshalb der Tatsache Rechnung tragen, dass eine außerhalb Deutschlands getätigte Reinvestition steuerlich ungünstiger behandelt werde als eine dort vorgenommene Reinvestition. Diese Ungleichbehandlung könne eine in Deutschland ansässige Gesellschaft davon abhalten, ihre Tätigkeiten mittels einer in einem anderen Mitgliedstaat der Union oder des EWR als der Bundesrepublik Deutschland belegenen Betriebsstätte auszuüben.
Eine solche Ungleichbehandlung könne nicht mit einer objektiv unterschiedlichen Situation gerechtfertigt werden. Wenn sich die Betriebsstätte, in der die Reinvestition getätigt werde, in einem anderen Mitgliedstaat der Union oder des EWR als der Bundesrepublik Deutschland befinde, könne daraus lediglich der Schluss gezogen werden, dass der betreffende Wirtschaftsteilnehmer von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch gemacht habe.
Die auf die Territorialität der Besteuerung gestützten Rechtfertigungsgründe seien nicht stichhaltig. Im vorliegenden Fall gehe es um Gewinne, die in Deutschland bei der Veräußerung des ersetzten Wirtschaftsguts erzielt worden seien. Die Bundesrepublik Deutschland sei unstreitig berechtigt, diese Gewinne zu besteuern. Dieses Recht werde im Übrigen im Fall einer Reinvestition außerhalb Deutschlands durch die sofortige Besteuerung der Gewinne tatsächlich ausgeübt. Die steuerliche Behandlung von Betriebsstätten aufgrund von Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (im Folgenden: Doppelbesteuerungsabkommen) sei in diesem Zusammenhang unerheblich.
Dass dies zur Folge haben könnte, dass die Bundesrepublik Deutschland den Zeitpunkt der Fälligkeit der für derartige Gewinne geschuldeten Steuer auch dann, wenn die Reinvestitionen außerhalb Deutschlands getätigt würden, aufschieben müsse, wie sie es bei Reinvestitionen im Inland tue, ändere nichts an der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse in Bezug auf diese Gewinne.
Die Rechtfertigung mit der Notwendigkeit, die Kohärenz des nationalen Steuersystems zu wahren, könne nur dann durchgreifen, wenn es einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dem Ausgleich dieses Vorteils durch eine bestimmte steuerliche Belastung gebe. Die Besteuerung der Gewinne aus der Veräußerung des Ersatzwirtschaftsguts sei aber als solche nicht das Gegenstück zur Stundung der Steuer auf die bei der Veräußerung des ersetzten Wirtschaftsguts realisierten Gewinne. Das Gegenstück zu diesem steuerlichen Vorteil – der Stundung der auf die letztgenannten Gewinne geschuldeten Steuer – sei die spätere Besteuerung der aus der Veräußerung eben dieses Wirtschaftsguts resultierenden Gewinne und nicht die Besteuerung anderer, bei der Veräußerung des Ersatzwirtschaftsguts erzielter Gewinne.
Auch der Wunsch, Umstrukturierungen und Reinvestitionen zu fördern, sei kein legitimes Ziel. Es spiele zudem keine Rolle, ob ein solches allgemeines Ziel wirtschaftlicher Art im Einzelfall einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen könne. Die Bundesrepublik Deutschland habe jedenfalls weder behauptet noch nachgewiesen, dass dieses Ziel nicht auch ohne eine Schlechterstellung der fraglichen grenzüberschreitenden Reinvestitionen erreicht werden könnte.
Die gewählte rechtliche Konstruktion stelle ebenfalls als solche keine Rechtfertigung dar. Das Gleiche gelte für Ziele der nationalen Wirtschaftsförderung. Die bloße Tatsache, dass ein steuerlicher Vorteil bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt nicht mittels der gleichen Technik gewährt werden könne wie bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt, rechtfertige keine unterschiedliche Behandlung dieser Sachverhalte.
Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der in Rede stehenden Maßnahme stelle sich mangels eines einschlägigen Rechtfertigungsgrundes nicht.
Der Gerichtshof sei jedenfalls im Urteil National Grid Indus (C-371/10, EU:C:2011:785) hinsichtlich des vom Steuerpflichtigen zu tragenden Verwaltungsaufwands zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser das Recht habe, zwischen einer sofortigen und einer aufgeschobenen Besteuerung zu wählen. Eine sofortige Besteuerung der fraglichen Gewinne sei daher nicht verhältnismäßig.
Die Bundesrepublik Deutschland hält die Klage für unbegründet. Die Situation einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte sei objektiv nicht mit der einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte vergleichbar. Hilfsweise macht sie für den Fall, dass eine Beschränkung festgestellt werden sollte, geltend, diese sei jedenfalls aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, und zwar nach dem Grundsatz der Territorialität der Besteuerung und aufgrund des Erfordernisses, die Kohärenz des nationalen Steuersystems zu wahren, gerechtfertigt.
Von der fraglichen Steuerregelung gehe keinerlei abschreckende Wirkung aus, die einen Steuerpflichtigen davon abhalten könnte, Betriebsstätten in anderen Mitgliedstaaten zu gründen und seine Tätigkeiten mittels solcher Betriebsstätten auszuüben. Die fehlende Möglichkeit, zum Anlagevermögen einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte gehörende Anlagegüter zu verkaufen, ohne dass die dabei erzielten Gewinne besteuert würden, habe als solche keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Tätigkeiten einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte.
§ 6b EStG diene zur Verbesserung der Liquidität von Unternehmen und zur Erleichterung von Umstrukturierungen durch die Begünstigung von Reinvestitionen in den eigenen Betrieb. Derartige Reinvestitionen seien erforderlich, um die Produktion angesichts des Verschleißes von Produktionsgütern oder des technischen Fortschritts wieder auf den vorherigen Stand zu bringen. Durch den Verzicht auf eine sofortige Besteuerung der bei der Veräußerung des ersetzten Wirtschaftsguts erzielten Gewinne werde es dem betreffenden Unternehmen ermöglicht, sich in wirtschaftlicher Hinsicht auf strukturelle Änderungen bei Produktionstechniken und Vertrieb oder auf regionale Veränderungen einzustellen. Die Reinvestition dieser Gewinne erleichtere größere betriebliche Umstrukturierungen und verhindere die Besteuerung der besonders hohen stillen Reserven, die bei der Veräußerung des betreffenden Wirtschaftsguts aufgedeckt würden.
Die in § 6b EStG vorgesehene Steuerregelung laufe darauf hinaus, dass das ersetzte Wirtschaftsgut und das Ersatzwirtschaftsgut als ein einziges Wirtschaftsgut aufgefasst würden, denn in wirtschaftlicher Hinsicht führten beide Produktionsgüter zu Einnahmen in Deutschland. Dieses Ergebnis werde dadurch erzielt, dass das ersetzte Wirtschaftsgut für steuerliche Zwecke dem Ersatzwirtschaftsgut gleichgestellt werde. Die bei der Veräußerung des ersetzten Wirtschaftsguts erzielten Gewinne würden in der Bilanz des betreffenden Unternehmens auf das Ersatzwirtschaftsgut übertragen. In dieser Bilanz werde das ersetzte Wirtschaftsgut so behandelt, als sei es dem Betriebsvermögen des Unternehmens nie entnommen worden. Diese Fiktion einer ununterbrochenen Zugehörigkeit des ersetzten Wirtschaftsguts zum Betriebsvermögen sei in technischer Hinsicht nur dann statthaft, wenn das Ersatzwirtschaftsgut zum Anlagevermögen desselben Steuerpflichtigen gehöre und ebenfalls der Besteuerungsbefugnis der deutschen Behörden unterliege.
Nach den Bestimmungen der von der Bundesrepublik Deutschland geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen stelle eine Betriebsstätte eine selbständige steuerliche Einheit dar. Das ersetzte Wirtschaftsgut und das Ersatzwirtschaftsgut befänden sich somit nicht in den Händen desselben Steuerpflichtigen, sondern in den Händen verschiedener Steuerpflichtiger, die von verschiedenen Mitgliedstaaten besteuert würden. Demzufolge könne der in der fraglichen Regelung vorgesehene Steuervorteil in Form der Möglichkeit, ein Anlagegut auf steuerlich neutrale Art und Weise durch ein demselben Steuerpflichtigen gehörendes Gut zu ersetzen, seinem Wesen nach unter derartigen Umständen nicht gewährt werden. Die Bundesrepublik Deutschland könne diese spezifische Art eines Steuervorteils bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt weder rechtlich noch faktisch mittels einer anderen Technik gewähren, da Wirtschaftsgüter einer ausländischen Betriebsstätte nicht der deutschen Steuerhoheit unterlägen.
Die besondere Technik sei nicht willkürlich gewählt worden, um grenzüberschreitende Sachverhalte von vornherein auszuschließen. Sie sei vielmehr die einzige Technik, mit der in fachlich und politisch vertretbarer Weise ein Steuervorteil für betriebliche Reinvestitionen gewährt werden könne.
Die Kommission wolle eine spezielle Regelung von Investitions- und Umstrukturierungsanreizen für grenzüberschreitende Sachverhalte schaffen, die nicht für rein inländische Gesellschaften gelte. Da das deutsche Recht für rein inländische Sachverhalte eine solche Regelung nicht allgemein vorsehe, könne das Unionsrecht bei seinem gegenwärtigen Stand nicht die Einführung einer speziellen Form der Stundung von Steuern auf Gewinne verlangen. Die Mitgliedstaaten verfügten beim gegenwärtigen Stand der Harmonisierung des Steuerrechts auf Unionsebene über eine gewisse steuerliche Autonomie. Sie seien keineswegs verpflichtet, ihr eigenes Steuersystem den verschiedenen Steuersystemen der übrigen Mitgliedstaaten anzupassen, um zu gewährleisten, dass eine Gesellschaft, die beschlossen habe, sich in einem bestimmten Mitgliedstaat niederzulassen, dort genauso besteuert werde wie eine Gesellschaft, die beschlossen habe, sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen. Diese steuerliche Autonomie bedeute auch, dass ein Mitgliedstaat Bedingungen und Höhe der Besteuerung der verschiedenen Niederlassungsformen im Ausland tätiger inländischer Gesellschaften frei festlegen könne, soweit er ihnen eine Behandlung gewähre, die gegenüber vergleichbaren inländischen Niederlassungen nicht diskriminierend sei.
Die in § 6b EStG vorgesehene Steuerregelung sei jedenfalls durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt, die auf der Notwendigkeit beruhten, die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren. Nach den Doppelbesteuerungsabkommen verfüge die Bundesrepublik Deutschland im steuerlichen Bereich über keine Befugnisse in Bezug auf das Ersatzwirtschaftsgut und könne daher weder die Höhe der Abschreibungen für dieses Wirtschaftsgut noch die Steuer auf dessen Verkauf festlegen. Deshalb sei es technisch nicht möglich, die in § 6b EStG vorgesehene Regelung auf Ersatzwirtschaftsgüter anzuwenden, die zu einer außerhalb Deutschlands belegenen Betriebsstätte gehörten. Es gebe auch keine andere Technik, die es rechtlich oder faktisch ermögliche, diese spezielle Art von Steuervorteil auf einen grenzüberschreitenden Sachverhalt anzuwenden.
Diese Steuerregelung sei auch aus dem zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt, die Kohärenz des nationalen Steuersystems zu wahren. Zwischen dem fraglichen steuerlichen Vorteil und dem Ausgleich dieses Vorteils durch eine bestimmte steuerliche Belastung bestehe ein unmittelbarer Zusammenhang. Bei der Übertragung der aus der Veräußerung des ersetzten Wirtschaftsguts resultierenden Gewinne auf das Ersatzwirtschaftsgut werde in der Praxis eine ununterbrochene Zugehörigkeit des ersetzten Wirtschaftsguts zum Betriebsvermögen des betreffenden Unternehmens fingiert. Wirtschaftlich betrachtet handele es sich bei den Gewinnen aus der Veräußerung des ersetzten Wirtschaftsguts und den Gewinnen aus der Veräußerung des Ersatzwirtschaftsguts um ein und denselben Gewinn, so dass die Besteuerung der dem Ersatzwirtschaftsgut zuzuordnenden Gewinne untrennbar mit der Besteuerung der dem ersetzten Wirtschaftsgut zuzurechnenden Gewinne verbunden sei. Die Modalitäten der Besteuerung des Ersatzwirtschaftsguts seien deshalb integraler Bestandteil des fraglichen Steuervorteils. Die steuerliche Begünstigung der Gewinne aus der Veräußerung des ersetzten Wirtschaftsguts hänge zudem eng mit der Besteuerung der mit Hilfe des Ersatzwirtschaftsguts in Deutschland erzielten Einnahmen zusammen.
Schließlich sei die genannte Steuerregelung aus dem zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt, der in dem politischen Anliegen bestehe, betriebliche Reinvestitionen zu fördern, um die Produktionsanlagen zu erhalten oder auf den neuesten Stand zu bringen, den Fortbestand des Unternehmens zu gewährleisten und die Beschäftigung aufrechtzuerhalten. Dieses Ziel, Reinvestitionen in das Unternehmen selbst zu fördern, damit anstelle des veräußerten Anlageguts ein neues erworben werde, könne jedoch nur erreicht werden, wenn auch die Besteuerung des neuen Wirtschaftsguts der deutschen Steuerhoheit unterliege.
Zur Verhältnismäßigkeit der fraglichen Maßnahme trägt die Bundesrepublik Deutschland vor, dass sich eine Prüfung, ob es möglicherweise weniger einschneidende Maßnahmen gebe, erübrige, falls keine unionsrechtliche Diskriminierung vorliege oder eine solche Diskriminierung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei.
Hilfsweise macht sie geltend, dass die in § 6b EStG vorgesehene Maßnahme, deren Anwendung auf Ersatzwirtschaftsgüter beschränkt sei, die zum Anlagevermögen einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte gehörten, verhältnismäßig sei.
Es wäre für sie schwierig, andere ebenso geeignete Maßnahmen für alle grenzüberschreitenden Fälle zu finden. Etwaige solche Maßnahmen wären nicht weniger einschneidend, da sie mit unzumutbarem Verwaltungsaufwand sowohl für die Steuerverwaltung als auch für den Steuerpflichtigen verbunden wären.
Die Stundung von Steuern auf die fraglichen Gewinne hätte bei grenzüberschreitenden Sachverhalten unerwünschte Folgen. Die Ausdehnung des steuerlichen Vorteils auf diese Sachverhalte könnte unmittelbar dazu führen, dass Anlagegüter und Produktionsbetriebe ins Ausland verlegt würden. Eine solche gezielte Auslagerung der Produktion durch die Förderung von Reinvestitionen könne jedoch nicht geboten sein.
Würdigung durch den Gerichtshof
Die Kommission wirft der Bundesrepublik Deutschland im Wesentlichen vor, dass sie Gewinne, die durch die entgeltliche Veräußerung bestimmter zum Anlagevermögen einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte gehörender Anlagegüter erzielt worden seien, im Fall der Reinvestition dieser Gewinne in bestimmte neu angeschaffte oder hergestellte Ersatzwirtschaftsgüter, die zum Anlagevermögen einer in einem anderen Mitgliedstaat der Union oder des EWR belegenen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen gehörten, ungünstiger behandele als bei einer ähnlichen, innerhalb Deutschlands getätigten Reinvestition.
Diese Ungleichbehandlung sei geeignet, die Niederlassungsfreiheit zu behindern, und verstoße gegen Art. 49 AEUV sowie gegen Art. 31 des EWR-Abkommens.
– Zum Verstoß gegen die in Art. 49 AEUV vorgesehene Niederlassungsfreiheit
Nach Art. 49 AEUV sind die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit zu beseitigen. Mit dieser Freiheit ist für die im Einklang mit den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in der Union haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben (Urteil Kommission/Dänemark, C-261/11, EU:C:2013:480, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Die Niederlassungsfreiheit gilt auch für die Übertragung von Tätigkeiten eines Steuerpflichtigen vom Gebiet eines Mitgliedstaats in einen anderen Mitgliedstaat (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Dänemark, C-261/11, EU:C:2013:480, Rn. 28).
Auch wenn die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit nach ihrem Wortlaut die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sicherstellen sollen, verbieten sie es ebenfalls, dass der Herkunftsmitgliedstaat die Niederlassung eines seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat behindert. Als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit sind alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (Urteil Kommission/Dänemark, C-261/11, EU:C:2013:480, Rn. 26 und 27 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall hat die in § 6b EStG vorgesehene Steuerregelung zur Folge, dass die Stundung der Steuerschuld für die Gewinne, die bei der entgeltlichen Veräußerung eines zum Anlagevermögen einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen gehörenden Anlageguts erzielt wurden, nur unter der Voraussetzung gewährt wird, dass die Gewinne in den Erwerb von Ersatzwirtschaftsgütern reinvestiert werden, die zum Anlagevermögen einer solchen in Deutschland belegenen Betriebsstätte gehören. Eine ähnliche Reinvestition zum Zweck des Erwerbs von Ersatzwirtschaftsgütern, die zum Anlagevermögen einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen gehören, hat dagegen die sofortige Besteuerung der Gewinne zur Folge.
Diese Ungleichbehandlung hinsichtlich der Stundung der Steuerschuld für die fraglichen Gewinne kann für die Liquidität des Steuerpflichtigen, der diese Gewinne reinvestieren möchte, um Ersatzwirtschaftsgüter für eine in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland belegene Betriebsstätte zu erwerben, im Verhältnis zu einem Steuerpflichtigen, der eine ähnliche Reinvestition in eine in Deutschland belegene Betriebsstätte tätigt, von Nachteil sein.
Die Ungleichbehandlung ist zumindest geeignet, eine außerhalb Deutschlands getätigte Reinvestition weniger attraktiv zu machen als eine in Deutschland getätigte Reinvestition. Folglich kann sie, wie die Kommission geltend macht, einen in Deutschland ansässigen Steuerpflichtigen davon abhalten, seine Tätigkeiten mittels einer in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland belegenen Betriebsstätte auszuüben.
Eine solche Ungleichbehandlung lässt sich nicht durch eine objektiv unterschiedliche Situation erklären. In Ansehung der Regelung eines Mitgliedstaats zur Besteuerung der in seinem Hoheitsgebiet erzielten Gewinne ist nämlich die Situation eines Steuerpflichtigen, der die Gewinne reinvestiert, um ein Ersatzwirtschaftsgut zu erwerben, das für eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte bestimmt ist, in Bezug auf die Besteuerung der im erstgenannten Mitgliedstaat vor dieser Reinvestition erzielten Gewinne mit der Situation eines Steuerpflichtigen vergleichbar, der die Gewinne reinvestiert, um ein Ersatzwirtschaftsgut zu erwerben, das für eine in diesem Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte bestimmt ist.
Demzufolge beschränkt die in § 6b EStG vorgesehene Steuerregelung die Niederlassungsfreiheit dadurch, dass eine Stundung der Steuerschuld für die Gewinne, die bei der entgeltlichen Veräußerung eines zum Anlagevermögen einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen gehörenden Anlageguts erzielt wurden, nur unter der Voraussetzung gewährt wird, dass die Gewinne reinvestiert werden, um Ersatzwirtschaftsgüter zu erwerben, die zum Anlagevermögen einer ebenfalls in Deutschland belegenen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen gehören.
Es ist jedoch zu prüfen, ob diese Beschränkung objektiv aus unionsrechtlich anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein kann.
Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch eine nationale Regelung nur statthaft, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In diesem Fall muss die Beschränkung zudem geeignet sein, die Erreichung des fraglichen Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. Urteil DI. VI. Finanziaria di Diego della Valle & C., C-380/11, EU:C:2012:552, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Was zunächst die Rechtfertigung mit der Notwendigkeit angeht, die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, ist darauf hinzuweisen, dass diese Rechtfertigung ein vom Gerichtshof anerkanntes legitimes Ziel ist und dass die Mitgliedstaaten nach ständiger Rechtsprechung in Ermangelung unionsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen befugt bleiben, zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen (Urteil DMC, C-164/12, EU:C:2014:20, Rn. 46 und 47 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Gerichtshof hat in seinem Urteil National Grid Indus (C-371/10, EU:C:2011:785) in Bezug auf eine nationale Regelung, nach der die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Gesellschaft nationalen Rechts in einen anderen Mitgliedstaat die sofortige Besteuerung nicht realisierter Wertzuwächse der überführten Wirtschaftsgüter zur Folge hatte, während derartige Wertzuwächse im nationalen Rahmen erst bei ihrer tatsächlichen Realisierung besteuert wurden, festgestellt, dass eine solche Verlegung nicht bedeuten kann, dass der Herkunftsmitgliedstaat auf sein Recht zur Besteuerung von Wertzuwächsen, die im Rahmen seiner Steuerhoheit vor dieser Verlegung erzielt wurden, verzichten muss. Der Gerichtshof hat deshalb entschieden, dass ein Mitgliedstaat nach dem Grundsatz der steuerlichen Territorialität das Recht hat, die in seinem Hoheitsgebiet entstandenen nicht realisierten Wertzuwächse zum Zeitpunkt der Verlegung zu besteuern. Eine solche Maßnahme soll nämlich Situationen verhindern, die das Recht des Herkunftsmitgliedstaats auf Ausübung seiner Steuerhoheit im Zusammenhang mit den in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten gefährden können, und kann daher zur Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten gerechtfertigt sein (vgl. in diesem Sinne Urteil National Grid Indus, C-371/10, EU:C:2011:785, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass es verhältnismäßig ist, wenn ein Mitgliedstaat, um die Ausübung seiner Steuerhoheit zu wahren, die Steuer auf die in seinem Hoheitsgebiet entstandenen nicht realisierten Wertzuwächse zu dem Zeitpunkt festsetzt, zu dem seine Besteuerungsbefugnis in Bezug auf die betreffende Gesellschaft endet, d. h. im konkreten Fall zum Zeitpunkt der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat (vgl. in diesem Sinne Urteil National Grid Indus, C-371/10, EU:C:2011:785, Rn. 52).
Hingegen erachtete er eine Regelung eines Mitgliedstaats, die bei der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Gesellschaft aus seinem Hoheitsgebiet heraus eine sofortige Besteuerung der im Rahmen seiner Steuerhoheit erzielten nicht realisierten Wertzuwächse vorsah, für unverhältnismäßig, da es Maßnahmen gibt, die die Niederlassungsfreiheit weniger stark beeinträchtigen als die sofortige Erhebung dieser Steuer. Hierzu hat er ausgeführt, dass dem Steuerpflichtigen die Wahl zwischen der sofortigen Zahlung dieser Steuer oder dem Aufschub ihrer Zahlung, gegebenenfalls zuzüglich Zinsen entsprechend der anwendbaren nationalen Regelung, zu lassen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile National Grid Indus, C-371/10, EU:C:2011:785, Rn. 73 und 85, sowie DMC, C-164/12, EU:C:2014:20, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall geht es um die Besteuerung des aus der Veräußerung des ersetzten Wirtschaftsguts resultierenden Gewinns, der im Rahmen der Steuerhoheit der Bundesrepublik Deutschland erzielt wurde. Die Kommission bestreitet insoweit nicht, dass die Bundesrepublik Deutschland zur Besteuerung dieses Gewinns berechtigt ist.
Nach der in Rn. 65 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung kann eine Reinvestition von Gewinnen, die unter die Steuerhoheit der Bundesrepublik Deutschland fallen, zum Zweck des Erwerbs von Ersatzwirtschaftsgütern, die zu einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen gehören, nicht bedeuten, dass die Bundesrepublik Deutschland auf ihr Recht, die im Rahmen ihrer Steuerhoheit erzielten Gewinne vor deren Transfer ins Ausland zu besteuern, verzichten muss, weil sie zum Zweck des Erwerbs derartiger Ersatzwirtschaftsgüter reinvestiert wurden.
Selbst wenn die Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Reinvestition des aus der Veräußerung der ersetzten Wirtschaftsgüter resultierenden Gewinns zum Zweck des Erwerbs von Ersatzwirtschaftsgütern, die zum Anlagevermögen einer außerhalb Deutschlands belegenen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen gehören, nicht berechtigt wäre, die mit diesen Ersatzwirtschaftsgütern erzielten Einkünfte zu besteuern, würde sie nicht ihres Rechts beraubt, die im Rahmen ihrer Steuerhoheit in ihrem Hoheitsgebiet durch die Veräußerung der ersetzten Wirtschaftsgüter erzielten Gewinne vor der Reinvestition zu besteuern. Dieses Recht wird im Übrigen mittels der sofortigen Besteuerung der fraglichen Gewinne bei einer solchen Reinvestition ausgeübt.
Im vorliegenden Fall spielt es dabei keine Rolle, ob es sich um nicht realisierte Gewinne oder um realisierte Gewinne handelt. Entscheidend ist nämlich, dass in beiden Fällen ähnliche, im rein innerstaatlichen Rahmen eines Mitgliedstaats stattfindende Vorgänge, anders als ein grenzüberschreitender Vorgang, nicht zu einer sofortigen Besteuerung dieser Gewinne geführt hätten.
Auch wenn eine Besteuerung der fraglichen Gewinne im Fall ihrer Reinvestition zum Zweck des Erwerbs von Ersatzwirtschaftsgütern im Ausland aus Gründen gerechtfertigt sein könnte, die mit der Notwendigkeit zusammenhängen, die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, geht – wie sich aus Rn. 67 des vorliegenden Urteils ergibt – eine nationale Regelung wie die hier in Rede stehende, die stets eine sofortige Besteuerung der im Ausland reinvestierten Gewinne vorsieht, jedenfalls deshalb, weil es Maßnahmen gibt, die die Niederlassungsfreiheit weniger stark beeinträchtigen als eine sofortige Besteuerung, über das hinaus, was erforderlich ist, um das mit der Notwendigkeit, die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, verbundene Ziel zu erreichen.
Insoweit genügt der Hinweis, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs dem Steuerpflichtigen die Wahl zu lassen ist, ob er den durch die Stundung der fraglichen Steuer entstehenden Verwaltungsaufwand betreiben oder die Steuer sofort entrichten will. Sieht der Steuerpflichtige diesen Verwaltungsaufwand nicht als übermäßig an und möchte ihn betreiben, kann auch der die Steuerverwaltung treffende Aufwand nicht als übermäßig eingestuft werden (vgl. in diesem Sinne Urteil National Grid Indus, C-371/10, EU:C:2011:785, Rn. 77).
Die fragliche Beschränkung kann sodann nicht mit der Notwendigkeit, die Kohärenz des nationalen Steuersystems zu gewährleisten, gerechtfertigt werden, die der Gerichtshof als zwingenden Grund des Allgemeininteresses anerkannt hat. Ein auf diesen Rechtfertigungsgrund gestütztes Argument kann nur dann Erfolg haben, wenn erwiesen ist, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung besteht (Urteile Kommission/Portugal, C-345/05, EU:C:2006:685, Rn. 29, und Kommission/Schweden, C-104/06, EU:C:2007:40, Rn. 26).
Im vorliegenden Fall besteht jedoch kein derartiger unmittelbarer Zusammenhang. Wie die Kommission ausgeführt hat, ist das Gegenstück des fraglichen steuerlichen Vorteils – die Stundung der Steuer auf die Gewinne, die durch die Veräußerung des ersetzten Wirtschaftsguts erzielt wurden – ungeachtet der bei der Gewährung dieses steuerlichen Vorteils angewandten Technik die spätere Besteuerung der aus der Veräußerung eben dieses Wirtschaftsguts resultierenden Gewinne und nicht die Besteuerung anderer, durch die Veräußerung des Ersatzwirtschaftsguts entstandener Gewinne.
Schließlich kann nicht davon ausgegangen werden, dass das mit der fraglichen nationalen Regelung angestrebte Ziel, Investitionen in das Unternehmen selbst und dessen Umstrukturierung zu fördern, um seinen Fortbestand zu gewährleisten und die Beschäftigung in Deutschland aufrechtzuerhalten – unterstellt, dass derartige Erwägungen in bestimmten Fällen und unter bestimmten Voraussetzungen eine akzeptable Rechtfertigung für eine nationale Regelung darstellen könnten, die eine Steuervergünstigung für natürliche oder juristische Personen vorsieht (vgl. in diesem Sinne Urteil Geurts und Vogten, C-464/05, EU:C:2007:631, Rn. 26) –, nur dann erreicht werden kann, wenn auch das Ersatzwirtschaftsgut der Besteuerungsbefugnis der deutschen Behörden unterliegt.
Das genannte Ziel kann erreicht werden, ohne dass eine Pflicht zur Reinvestition im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehen werden muss. Es kann nämlich gleichermaßen erreicht werden, wenn sich der Steuerpflichtige dafür entscheidet, den aus der Veräußerung des ersetzten Wirtschaftsguts resultierenden Gewinn zum Zweck des Erwerbs eines Ersatzwirtschaftsguts zu reinvestieren, das zum Anlagevermögen seiner nicht in Deutschland, sondern im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats belegenen Betriebsstätte gehört. Unbeschadet der Einstufung einer im Ausland belegenen Betriebsstätte in steuerrechtlichen Abkommen und der Behandlung des Ersatzwirtschaftsguts in solchen Abkommen wäre das Ersatzwirtschaftsgut jedenfalls mit der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen verbunden und würde damit zur Förderung der Investition in das Unternehmen und zu dessen Umstrukturierung beitragen, so dass es den Fortbestand dieser wirtschaftlichen Tätigkeit gewährleisten könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Portugal, C-345/05, EU:C:2006:685, Rn. 31 bis 33 und 35).
Der bloße Umstand, dass im Fall einer Reinvestition im Ausland die Befugnis zur Besteuerung der durch das Ersatzwirtschaftsgut erzielten Einkünfte einem anderen Mitgliedstaat zustehen könnte, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Dazu genügt der Hinweis, dass nach ständiger Rechtsprechung ein rein wirtschaftliches Ziel wie das Bestreben, die nationalen Steuereinnahmen zu erhöhen, oder befürchtete Mindereinnahmen nicht als zwingender Grund des Allgemeininteresses betrachtet werden können, der die Beschränkung einer durch den Vertrag garantierten Grundfreiheit zu rechtfertigen vermag (vgl. Urteile Verkooijen, C-35/98, EU:C:2000:294, Rn. 48 und 59, sowie DI. VI. Finanziaria di Diego della Valle & C., C-380/11, EU:C:2012:552, Rn. 50).
Folglich ist die von der Kommission geltend gemachte Rüge eines Verstoßes gegen Art. 49 AEUV begründet.
– Zum Verstoß gegen Art. 31 des EWR-Abkommens
Die Bestimmungen über das Verbot von Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit in Art. 31 des EWR-Abkommens sind mit denen von Art. 49 AEUV identisch. Der Gerichtshof hat deshalb klargestellt, dass in dem in Rede stehenden Bereich die Bestimmungen des EWR-Abkommens und die des AEU-Vertrags einheitlich auszulegen sind (Urteil Kommission/Dänemark, C-261/11, EU:C:2013:480, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Die Unionsrechtsprechung zu Beschränkungen der Ausübung der Verkehrsfreiheiten innerhalb der Union kann jedoch nicht in vollem Umfang auf die vom EWR-Abkommen garantierten Freiheiten übertragen werden, da sich deren Ausübung in einen anderen rechtlichen Rahmen einfügt (Urteil Kommission/Dänemark, C-261/11, EU:C:2013:480, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall hat die Bundesrepublik Deutschland keine Gründe angeführt, aus denen die Erwägungen zu der nach Art. 49 AEUV verbotenen Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und zu ihrer fehlenden Rechtfertigung nicht sinngemäß auch für Art. 31 des EWR-Abkommens gelten sollten. Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die von der Kommission geltend gemachte Rüge eines Verstoßes gegen Art. 31 des EWR-Abkommens ebenfalls begründet ist.
Nach alledem ist festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 49 AEUV und aus Art. 31 des EWR-Abkommens verstoßen hat, indem sie die in § 6b EStG vorgesehene Steuerregelung erlassen und beibehalten hat, nach der die Stundung der Steuerschuld für Gewinne, die bei der entgeltlichen Veräußerung eines zum Anlagevermögen einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen gehörenden Anlageguts erzielt wurden, nur unter der Voraussetzung gewährt wird, dass diese Gewinne in den Erwerb von Ersatzwirtschaftsgütern reinvestiert werden, die zum Anlagevermögen einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen gehören.
Kosten
Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
Die Bundesrepublik Deutschland hat gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 49 AEUV und aus Art. 31 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 verstoßen, indem sie die in § 6b des Einkommensteuergesetzes vorgesehene Steuerregelung erlassen und beibehalten hat, nach der die Stundung der Steuerschuld für Gewinne, die bei der entgeltlichen Veräußerung eines zum Anlagevermögen einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen gehörenden Anlageguts erzielt wurden, nur unter der Voraussetzung gewährt wird, dass diese Gewinne in den Erwerb von Ersatzwirtschaftsgütern reinvestiert werden, die zum Anlagevermögen einer in Deutschland belegenen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen gehören.
Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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