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BFH 28.10.2022 - VI B 48/22 (AdV)
BFH 28.10.2022 - VI B 48/22 (AdV) - (Teilweise inhaltsgleich mit Beschluss des BFH vom 28.10.2022 VI B 15/22AdV) - AdV-Verfahren: Keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge
Normen
§ 240 Abs 1 S 1 AO, § 238 AO, § 233a AO, § 227 AO, § 218 Abs 2 AO, § 69 Abs 2 S 2 FGO, § 38 Abs 2 EStG 2009, Art 3 Abs 1 GG, Art 100 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend FG Münster, 15. Juni 2022, Az: 8 V 299/22 AO, Beschluss
Leitsatz
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NV: Bei summarischer Prüfung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge (entgegen BFH-Beschlüsse vom 31.08.2021 - VII B 69/21 (AdV), und vom 23.05.2022 - V B 4/22 (AdV)).
Tenor
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Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Finanzgerichts Münster vom 15.06.2022 - 8 V 299/22 AO aufgehoben.
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Der Antrag der Antragstellerin, die Vollziehung des Abrechnungsbescheids über Säumniszuschläge zur Lohnsteuer für Oktober 2021 vom 20.01.2022 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, spätestens bis zur anderweitigen Beendigung des Einspruchsverfahrens in voller Höhe aufzuheben, wird abgelehnt.
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Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Beteiligten streiten im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu § 233a der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 238 AO vom 08.07.2021 in den Verfahren 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 betreffend die Vollverzinsung in fixer Höhe von 0,5 % pro Monat (BVerfGE 158, 282, BGBl I 2021, 4303) über die Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen.
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Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist eine GmbH. Die Lohnsteuer für Oktober 2021 in Höhe von 1.639,91 € entrichtete die Antragstellerin jedenfalls bis zum 20.01.2022 nicht. Hierdurch entstanden nach § 240 AO Säumniszuschläge in Höhe von 48 €.
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Auf Antrag der Antragstellerin erließ der Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--) am 20.01.2022 einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO, der die vorgenannten und in der Zwischenzeit gezahlten Säumniszuschläge zur Lohnsteuer für Oktober 2021 zulasten der Antragstellerin in Höhe von 48 € auswies.
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Gegen den Abrechnungsbescheid legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte Aufhebung der Vollziehung (AdV). Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu § 233a AO bestünden ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel an der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge. Das FA lehnte den Antrag ab.
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Hierauf beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG) gemäß § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) AdV des angefochtenen Abrechnungsbescheids, weil ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge bestünden.
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Mit Beschluss vom 15.06.2022 - 8 V 299/22 AO hat das FG die Vollziehung des Abrechnungsbescheids vom 20.01.2022 betreffend die Säumniszuschläge zur Lohnsteuer für Oktober 2021 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung, spätestens bis zu einer anderweitigen Beendigung des Einspruchsverfahrens in voller Höhe aufgehoben. Im Hinblick auf den BVerfG-Beschluss in BVerfGE 158, 282, BGBl I 2021, 4303 und die teilweise darauf gründende Rechtsprechung des VII. Senats des BFH betreffend ernstlicher verfassungsrechtlicher Zweifel an § 240 Abs. 1 Satz 1 AO (BFH-Urteil vom 30.06.2020 - VII R 63/18, BFHE 270, 7, BStBl II 2021, 191, sowie BFH-Beschlüsse vom 14.04.2020 - VII B 53/19, und vom 31.08.2021 - VII B 69/21 (AdV)) erscheine die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge wegen des darin enthaltenen Zinsanteils, soweit sie --wie hier-- nach dem 31.12.2018 entstanden seien, ernstlich zweifelhaft. Im Streitfall sei AdV in vollem Umfang zu gewähren, da die einheitliche Regelung in § 240 AO zur unteilbar gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge nur insgesamt verfassungsgemäß oder --wie vorliegend-- verfassungswidrig sein könne. Eine nur hälftige Aufhebung in Höhe eines gedachten Zinsanteils komme daher nicht in Betracht.
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Über den Einspruch der Antragstellerin hat das FA bislang noch nicht entschieden.
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Gegen die AdV des Abrechnungsbescheids wendet sich das FA mit der vom FG zugelassenen Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat.
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Es beantragt sinngemäß,
den Beschluss des FG Münster vom 15.06.2022 - 8 V 299/22 AO aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin, die Vollziehung des Abrechnungsbescheids über Säumniszuschläge zur Lohnsteuer für Oktober 2021 vom 20.01.2022 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, spätestens bis zur anderweitigen Beendigung des Einspruchsverfahrens in voller Höhe aufzuheben, abzulehnen.
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Die Antragstellerin ist der Beschwerde unter Verweis auf den BFH-Beschluss vom 23.05.2022 - V B 4/22 (AdV) entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
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II. Die nach § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO zulässige Beschwerde ist begründet. Der Beschluss des FG vom 15.06.2022 - 8 V 299/22 AO ist aufzuheben und der Antrag der Antragstellerin, die Vollziehung des Abrechnungsbescheids über Säumniszuschläge zur Lohnsteuer für Oktober 2021 vom 20.01.2022 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung, spätestens bis zur anderweitigen Beendigung des Einspruchsverfahrens in voller Höhe aufzuheben, abzulehnen. Zum einen hat der beschließende Senat keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der nach dem 31.12.2018 verwirkten Säumniszuschläge und folglich auch nicht an den streitbefangenen Säumniszuschlägen zur Lohnsteuer für Oktober 2021. Zum anderen fehlt es auch an dem jedenfalls im Streitfall erforderlichen (besonderen) Aufhebungsinteresse.
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1. Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge hätte. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die AdV, auch gegen Sicherheit, anordnen (§ 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO).
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Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 30.03.2021 - V B 63/20 (AdV), und vom 08.04.2009 - I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (BFH-Beschluss vom 07.09.2011 - I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, Rz 12, m.w.N.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschluss in BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, Rz 12). Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein (s. BFH-Beschluss vom 04.07.2019 - VIII B 128/18, Rz 12) oder sich aus einem möglichen Verstoß des Steuergesetzes gegen eine unionsrechtliche Bestimmung ergeben (vgl. BFH-Beschluss vom 12.12.2013 - XI B 88/13, Rz 15).
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2. Nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO ist, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 € teilbaren Betrag.
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3. Der beschließende Senat hat keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge.
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a) Solche Zweifel ergeben sich insbesondere nicht aus dem BVerfG-Beschluss in BVerfGE 158, 282, BGBl I 2021, 4303.
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aa) Ausgangspunkt der in der Entscheidung des BVerfG vom 08.07.2021 als verfassungswidrig angesehenen Ungleichbehandlung war die in § 233a Abs. 2 Satz 1 AO geregelte fünfzehnmonatige Karenzzeit, welche nach Ansicht des BVerfG zu einer verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Steuerpflichtigen führt (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 158, 282, BGBl I 2021, 4303, Rz 103); nämlich derjenigen Steuerschuldner, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit (zutreffend) festgesetzt wurde, gegenüber denjenigen, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit endgültig festgesetzt wurde, mithin eine Ungleichbehandlung zinszahlungspflichtiger gegenüber nicht zinszahlungspflichtigen Steuerschuldnern (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 158, 282, BGBl I 2021, 4303, Rz 104). Dabei spielte die Frage, ob ein Zinssatz von monatlich 0,5 % den durch eine Vollverzinsung zulasten der Steuerpflichtigen auszugleichenden Vorteil der Höhe nach realitätsgerecht abbildet, erst in der anschließenden Rechtfertigungsprüfung nach strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen eine Rolle (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 158, 282, BGBl I 2021, 4303, Rz 109 ff.).
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bb) Die nach § 233a AO geregelte Vollverzinsung soll stark typisierend objektive Zins- und Liquiditätsvorteile erfassen, die dadurch entstehen, dass zwischen Entstehung des Steueranspruchs und seiner Fälligkeit nach Festsetzung ein Zeitraum von mehreren Jahren liegen kann (vgl. BeckOK AO/Oosterkamp, 21. Ed. [01.07.2022], AO § 233a Rz 1). Nachzahlungszinsen sind dementsprechend --anders als etwa ein Verspätungszuschlag-- weder Sanktion noch Druckmittel (vgl. insoweit BTDrucks 8/1410, S. 4; BTDrucks 19/20836, S. 5), sondern ein Ausgleich für die Kapitalnutzung (vgl. BTDrucks 8/1410, S. 4; BRDrucks 324/18, S. 2). Die Vollverzinsung hat keine zusätzliche Lenkungsfunktion dahingehend, die Steuerpflichtigen dazu anzuhalten, ihre Steuererklärungen frühzeitig abzugeben oder etwaige Vorauszahlungen angemessen anzusetzen (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 158, 282, BGBl I 2021, 4303, Rz 126). Die Regelung wirkt sowohl zugunsten (im Fall der Steuererstattung) wie zuungunsten (im Fall der Steuernachforderung) der Steuerpflichtigen. Darauf, ob sie tatsächlich einen Zinsvorteil oder -nachteil durch die späte Steuerfestsetzung erzielt haben, kommt es nicht an. Auch die Gründe für die späte Steuerfestsetzung und insbesondere, ob die Steuerpflichtigen oder die Behörde hieran ein Verschulden trifft, sind für die Anwendung des § 233a AO unerheblich (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 158, 282, BGBl I 2021, 4303, Rz 7).
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cc) Säumniszuschläge sind demgegenüber ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Darüber hinaus verfolgt § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgerecht zahlen (z.B. BFH-Beschluss vom 02.03.2017 - II B 33/16, BFHE 257, 27, BStBl II 2017, 646, Rz 32, sowie BFH-Urteile vom 19.12.2000 - VII R 63/99, BFHE 193, 524, BStBl II 2001, 217, unter II., und vom 30.03.2006 - V R 2/04, BFHE 212, 23, BStBl II 2006, 612, unter II.2., jeweils m.w.N.).
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dd) Neben der den Säumniszuschlägen zukommenden Lenkungsfunktion unterscheiden sich diese von Nachzahlungszinsen insbesondere dadurch, dass der Steuerpflichtige --anders als bei der Vollverzinsung-- grundsätzlich die Wahl hat, ob er den Tatbestand der Säumnis verwirklicht und deshalb die Säumniszuschläge nach § 240 AO entstehen oder ob er die Steuerschuld bei Fälligkeit tilgt und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu günstigeren Konditionen beschafft (vgl. BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 158, 282, BGBl I 2021, 4303, Rz 243, und vom 04.05.2022 - 2 BvL 1/22). Dem steht nicht entgegen, dass Säumniszuschläge kraft Gesetz entstehen, ohne dass es auf ein Verschulden des Steuerpflichtigen ankommt (z.B. BFH-Beschluss in BFHE 257, 27, BStBl II 2017, 646, Rz 32, m.w.N.).
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b) § 233a AO und § 240 AO regeln folglich unterschiedliche Sachverhalte. Aufgrund der wesentlichen Unterschiede von Nachzahlungszinsen und Säumniszuschlägen kann die Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 158, 282, BGBl I 2021, 4303 zur Vollverzinsung auf § 240 AO auch nicht allein wegen eines gedachten Zinsanteils der Säumniszuschläge übertragen werden. Ebenso wenig werden unter Berücksichtigung dieser Entscheidung --etwa im Wege eines "Erst-Recht-Schlusses"-- ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge begründet (vgl. BVerfG-Beschluss vom 04.05.2022 - 2 BvL 1/22, Rz 26).
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c) Vielmehr vermag der Senat angesichts der aufgezeigten Unterschiede zwischen Säumniszuschlägen gemäß § 240 AO und Zinsen nach § 233a AO keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von säumigen und nicht säumigen Steuerschuldnern durch die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge zu erkennen. Die in § 240 AO angelegte unterschiedliche Behandlung der beiden Vergleichsgruppen ist bereits durch die vom Steuerschuldner veranlasste Säumnis gerechtfertigt. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ist daher insoweit nicht zu beklagen.
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d) Gleiches gilt im Hinblick auf die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge. Die dahingehende Typisierung obliegt der grundsätzlichen Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Sie ist erst dann nicht mehr zu rechtfertigen, wenn die Höhe der Säumniszuschläge unter veränderten tatsächlichen Bedingungen oder angesichts einer veränderten Erkenntnislage weder durch die maßstabsbildend zugrunde gelegten noch durch sonstige geeignete Kriterien getragen ist. Einen solchen Rechtfertigungsmangel sieht der beschließende Senat --auch unter Berücksichtigung des seit 2014 währenden strukturellen Niedrigzinsniveaus-- nicht.
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aa) Zum einen lässt sich § 240 AO nicht entnehmen, in welchem quantitativen Verhältnis die vom Gesetz verfolgten Zwecke (Druckmittel, zinsähnliche Funktion, Verwaltungsaufwand) zueinander stehen. Aus der Rechtsprechung des BFH zum (Teil-)Erlass von Säumniszuschlägen aus Billigkeitsgründen folgt nichts anderes. Danach sind zwar Säumniszuschläge typisierend (nur) zur Hälfte wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, wenn sie wegen Zahlungsunfähigkeit des Steuerschuldners ihren Sinn als Druckmittel verloren haben (z.B. BFH-Urteil vom 24.04.2014 - V R 52/13, BFHE 245, 105, BStBl II 2015, 106, Rz 14, m.w.N.). Ein Zinsanteil von 0,5 % lässt sich hieraus jedoch nicht ableiten. Denn der verbleibende hälftige Anteil dient nicht nur dem Vorteilsausgleich für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern, sondern gilt daneben den durch die Säumnis entstehenden Verwaltungsmehraufwand ab. In welchem Verhältnis Zinsanteil und "Verwaltungsentgelt" zueinander stehen, ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist die Höhe des im Säumniszuschlag enthaltenen Zinses ungeklärt (BVerfG-Beschluss vom 04.05.2022 - 2 BvL 1/22, Rz 24).
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Dementsprechend kann der beschließende Senat den Zinsanteil wegen der multifunktionalen Zielsetzung der Säumniszuschläge nicht belastbar beziffern. Ein lediglich gedachter, nicht zu quantifizierender Zinsanteil vermag ernstliche Zweifel an deren gesetzlich festgelegter Höhe von 1 % je angefangenem Monat nicht zu begründen (ebenso Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen --OVG NRW--, Beschluss vom 29.04.2022 - 14 B 403/22, Rz 8). Da Säumniszuschläge im Hinblick auf ihre Höhe nur insgesamt als verfassungsgemäß oder -widrig beurteilt werden können --eine Teilverfassungswidrigkeit in Bezug auf einen bestimmten Zweck einer Norm gibt es nicht (BFH-Beschluss vom 04.07.2019 - VIII B 128/18, Rz 16, zu ernstlichen Zweifeln bei Aussetzungszinsen)--, kommt auch eine teilweise AdV des angefochtenen Abrechnungsbescheids nicht in Betracht.
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bb) Zum anderen könnte selbst ein gedachter Zinsanteil an den Säumniszuschlägen von 0,5 % pro angefangenem Monat nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des § 240 Abs. 1 Satz 1 AO führen. Denn ein Säumniszuschlag von 1 % für jeden angefangenen Monat der Säumnis wäre nach Auffassung des Senats jedenfalls im Hinblick auf die im vorliegenden Streitfall verspätet entrichteten Steuern auch allein zur Erzwingung deren rechtzeitiger Zahlung und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands verhältnismäßig und daher verfassungsrechtlich auch unter Berücksichtigung des seit 2014 währenden strukturellen Niedrigzinsniveaus unbedenklich (ebenso OVG NRW, Beschluss vom 29.04.2022 - 14 B 403/22, Rz 8).
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Für die nicht rechtzeitig abgeführte Lohnsteuer folgt dies aus dem Umstand, dass diese ein bei der Lohnzahlung zurückbehaltener Teil des Lohnes der Arbeitnehmer ist. Der Arbeitnehmer ist Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes). Der Arbeitgeber --hier die Antragstellerin-- zieht die Lohnsteuer gewissermaßen nur treuhänderisch für den Arbeitnehmer und den Steuerfiskus ein. Für den Arbeitgeber ist die Lohnsteuer Fremdgeld, welches er daher nicht sach- und zweckwidrig selbst verwenden darf. Durch die verspätete Abführung der Lohnsteuer verletzt der Arbeitgeber schuldhaft die ihm obliegende Verpflichtung, die Steuer aus den von ihm verwalteten Mitteln bis zum Ablauf des Fälligkeitstages zu entrichten (so bereits BFH-Urteil vom 20.04.1982 - VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521, m.w.N.).
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Angesichts dessen teilt der Senat die Zweifel des VII. und V. Senats des BFH an der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge nicht.
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4. Unbilligen Härten im Einzelfall im Hinblick auf die gesetzliche Höhe der Säumniszuschläge, z.B. bei Zahlungsunfähigkeit des Steuerschuldners, die die Funktion von Säumniszuschlägen als Druckmittel entfallen lassen könnte, kann durch (Teil-)Erlass nach § 227 AO begegnet werden. Auch dieser Umstand streitet gegen die Verfassungswidrigkeit von § 240 AO (ebenso OVG NRW, Beschluss vom 29.04.2022 - 14 B 403/22, Rz 8). Für Letzteres bestehen im Streitfall jedoch keine Anhaltspunkte. Die Antragstellerin trägt nicht vor, über kein Vermögen zu verfügen, aus dem sie die geschuldeten Steuern entrichten könnte.
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5. Schließlich wäre der Antragstellerin die begehrte AdV auch bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge nicht zu gewähren. Denn hierfür fehlt es an dem im Streitfall erforderlichen besonderen Aufhebungsinteresse.
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a) Nach der Rechtsprechung des BFH (z.B. Beschlüsse vom 10.02.1984 - III B 40/83, BFHE 140, 396, BStBl II 1984, 454; vom 01.04.2010 - II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558; vom 09.03.2012 - VII B 171/11, BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418; vom 15.04.2014 - II B 71/13, sowie vom 20.09.2022 - II B 3/22 (AdV)) ist bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes grundsätzlich ein besonderes berechtigtes Interesse an der AdV erforderlich.
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b) Ob an dieser Rechtsprechung weiter festzuhalten ist, haben der beschließende Senat (Senatsbeschluss vom 25.08.2009 - VI B 69/09, BFHE 226, 85, BStBl II 2009, 826) wie auch andere Senate des BFH (z.B. BFH-Beschlüsse vom 02.08.2007 - IX B 92/07, BFH/NV 2007, 2270, und vom 09.05.2012 - I B 18/12) zuletzt dahinstehen lassen. Auch das BVerfG hat es in neuerer Zeit offengelassen, ob das Erfordernis eines besonderen Aussetzungsinteresses mit dem Grundsatz der Gewährung effektiven Rechtsschutzes vereinbar ist (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 24.10.2011 - 1 BvR 1848/11, 1 BvR 2162/11, Neue Juristische Wochenschrift 2012, 372, Rz 4, und vom 06.05.2013 - 1 BvR 821/13, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2013, 639, Rz 7).
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c) Dies bedarf im Streitfall aber keiner Entscheidung.
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aa) Denn jedenfalls in dem vorliegenden Bagatellfall, in dem die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts ausschließlich auf verfassungsrechtlichen Einwendungen gegen die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Gesetzesvorschrift beruhen, kommt AdV nach Auffassung des Senats (weiterhin) nur in Betracht, wenn ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorliegt. Dies ist dem Geltungsanspruch jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes geschuldet.
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bb) Das danach für eine Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erforderliche besondere berechtigte Aussetzungsinteresse hat der BFH in verschiedenen Fallgruppen regelmäßig als erfüllt angesehen, insbesondere wenn der BFH die vom Antragsteller als verfassungswidrig angesehene Vorschrift bereits dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hat oder ein beim BFH anhängiges Verfahren, das für die Beantwortung von Rechtsfragen vorgreiflich ist, im Hinblick auf mehrere beim BVerfG anhängige Verfahren der konkreten Normenkontrolle ruht. Das berechtigte Aussetzungsinteresse hat der BFH auch in den Fällen bejaht, in denen der sofortige Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts zu einem steuerlichen Eingriff mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen führt, etwa weil dem Antragsteller irreparable Nachteile drohen oder sein zu versteuerndes Einkommen abzüglich der darauf zu entrichtenden Einkommensteuer das sozialhilferechtlich garantierte Existenzminimum unterschreitet (z.B. BFH-Beschluss vom 17.12.2018 - VIII B 91/18, Rz 21, m.w.N.).
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d) Auf dieser Grundlage kommt im Streitfall eine AdV des angefochtenen Abrechnungsbescheids nicht in Betracht. Insbesondere kann im Streitfall nicht angenommen werden, dass die Entrichtung der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer für Oktober 2021 in Höhe von insgesamt 48 € für die Antragstellerin zu einer derart schwerwiegenden Belastung führt, dass ihr bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens irreparable Nachteile drohen, zumal die Antragstellerin ihrer (vorläufigen) Verpflichtung zur Begleichung der hier streitigen Säumniszuschläge bereits nachgekommen ist. Anderes ist von der Antragstellerin weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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