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BFH 16.12.2020 - VIII B 141/19
BFH 16.12.2020 - VIII B 141/19 - Berechtigtes Interesse als Sachurteilsvoraussetzung der isolierten Anfechtungsklage
Normen
§ 40 Abs 1 Alt 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 126 Abs 4 FGO, § 357 Abs 1 AO
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 4. Februar 2019, Az: 11 K 621/18, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Das berechtigte Interesse an einer isolierten Aufhebung der Einspruchsentscheidung ist nicht gegeben, wenn namens eines Klägers von zwei verschiedenen Prozessbevollmächtigten zu verschiedenen Zeitpunkten Einspruch erhoben wird, die Beteiligten davon ausgehen, dass im zuerst begonnenen Einspruchsverfahren eine vollumfängliche Überprüfung des angefochtenen Einkommensteuerbescheids stattzufinden hat und die Beteiligten darüber streiten, ob der danach erhobene Einspruch vom FA zu Recht als eigenständiger zweiter Einspruch angesehen und als unzulässig verworfen werden durfte.
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2. NV: § 126 Abs. 4 FGO ist im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde entsprechend anzuwenden. Die Revision kann danach ungeachtet der geltend gemachten Zulassungsgründe nicht zuzulassen sein, wenn das FG die erhobene isolierte Anfechtungsklage durch Prozessurteil als unzulässig statt als unbegründet hätte abweisen müssen.
Tenor
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Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 04.02.2019 - 11 K 621/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Gründe
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Die Beschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist unbegründet.
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Die Beschwerde bleibt in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne Erfolg. Die von den Klägern gegen die Einspruchsentscheidung vom 29.03.2018 erhobene isolierte Anfechtungsklage ist unzulässig. Auf dieser Grundlage kommt eine Zulassung der Revision oder Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht (FG) gemäß § 116 Abs. 6 FGO im Streitfall nicht in Betracht.
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1. Nach § 126 Abs. 4 FGO ist eine Revision auch dann zurückzuweisen, wenn die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts ergeben, sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig darstellt. Die Vorschrift ist im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision entsprechend anzuwenden. Der § 126 Abs. 4 FGO zugrundeliegende Rechtsgedanke ist im Rahmen aller Zulassungsgründe gemäß § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO heranzuziehen (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18.06.2015 - X B 20/15, BFH/NV 2015, 1418, Rz 11 bis 13).
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2. Auch im Streitfall ist § 126 Abs. 4 FGO entsprechend anzuwenden und die vorliegende Beschwerde unbegründet. Die von den Klägern erhobene isolierte Anfechtungsklage ist mangels des erforderlichen rechtlichen Interesses an der Klageerhebung unzulässig. Die Abweisung der Klage durch das FG ist im prozessualen Ergebnis richtig.
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a) Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Einspruchsentscheidung vom 29.03.2018.
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aa) In dieser Einspruchsentscheidung hat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) über einen Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2012 vom 06.02.2018 entschieden und den Einspruch als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat sich das FA darauf gestützt, dass gegen den Einkommensteuerbescheid 2012 durch den jetzigen Prozessbevollmächtigten schon zuvor ein Einspruch erhoben worden und der im Schriftsatz vom 12.02.2018 eingelegte weitere Einspruch überflüssig sei, weil in dem anderen Einspruchsverfahren die Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids voll überprüft werden könne. Dem am 12.02.2018 erhobenen weiteren Einspruch fehle das Rechtsschutzbedürfnis.
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Die Kläger haben während des Einspruchsverfahrens und vor dem FG die Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 29.03.2018 begehrt. Das FA habe das Schreiben der ... vom 12.02.2018 nicht als weiteren (zweiten) Einspruch der Kläger verstehen dürfen, sondern als ergänzenden Vortrag im Rahmen des zuvor begonnenen Einspruchsverfahrens. Es entspreche der Rechtsprechung des BFH, dass nach Einlegung einer Revision die durch einen weiteren Bevollmächtigten angebrachte Revision nicht als zweite Rechtsmitteleinlegung zu verstehen sei.
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bb) Das FG sah die isolierte Anfechtungsklage der Kläger zwar als zulässig, aber unbegründet an.
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cc) Mit der vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde halten die Kläger an ihrer Argumentation fest. Sie nehmen eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) an, weil klärungsbedürftig sei, ob bei Einspruchserhebung mehrerer Berater gegen denselben Einkommensteuerbescheid von mehreren Einspruchsverfahren oder stets ein- und demselben Einspruchsverfahren auszugehen sei. Zudem sehen die Kläger eine Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO), weil das FG die für die mehrfache Revisionseinlegung durch verschiedene Berater entwickelten Grundsätze der BFH-Rechtsprechung, die für alle Rechtsbehelfe und damit auch das Einspruchsverfahren zu beachten seien, im Streitfall für nicht anwendbar gehalten habe. Als Verfahrensverstöße des FG gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO rügen die Kläger im Wesentlichen verschiedene Verletzungen der Begründungspflicht gemäß § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO, eine unzulässige Besetzung des FG wegen der Entscheidung des Streitfalls durch die Einzelrichterin gemäß § 119 Nr. 1 FGO, dass das FG den Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung des Verfassers des Schriftsatzes der ... vom 12.02.2018 übergangen habe und schließlich, dass das FG den Schriftsatz vom 12.02.2018 zu Unrecht als nicht auslegungsfähig angesehen habe.
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b) Die von den Klägern erhobene isolierte Anfechtungsklage ist unzulässig, weil es den Klägern an dem erforderlichen besonderen Rechtsschutzinteresse fehlt.
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aa) Bei Aufhebung einer Einspruchsentscheidung durch eine isolierte Anfechtungsklage wird das Verfahren in den Stand vor Erlass der Einspruchsentscheidung zurückversetzt. Für die Zulässigkeit einer solchen Klage verlangt die ständige Rechtsprechung des BFH, dass entweder ein besonderes rechtliches Interesse des Einspruchsführers und Klägers an der Wiederholung des Vorverfahrens besteht, etwa weil anderenfalls der Rechtsschutz verkürzt würde oder die Entlastungswirkung des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens entwertet wäre, oder dass sich eine eigenständige Beschwer ausschließlich aus der Einspruchsentscheidung ergibt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 07.07.1976 - I R 66/75, BFHE 119, 368, BStBl II 1976, 680; vom 11.10.1977 - VII R 73/74, BFHE 124, 1, BStBl II 1978, 154; vom 22.07.1987 - I R 226/83, BFH/NV 1988, 743, unter 2.; Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 44 FGO Rz 340, m.w.N.).
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bb) Im Streitfall ist eine Verkürzung des Rechtsschutzes der Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid 2012 durch die Verwerfung des Einspruchs als unzulässig in der Einspruchsentscheidung vom 29.03.2018 ausgeschlossen. Der Einkommensteuerbescheid 2012 kann in dem zwischen den Beteiligten unstreitig weiterhin anhängigen Einspruchsverfahren, welches mit dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 08.02.2018 begonnen wurde, vollumfänglich gemäß § 367 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) überprüft werden.
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cc) Eine selbständige Beschwer durch die Einspruchsentscheidung, die zu einer isolierten Anfechtungsklage berechtigt, nimmt die Rechtsprechung des BFH auch in Fällen an, in denen die Einspruchsentscheidung gegenüber einer Person ergeht, die keinen Einspruch erhoben hat. Durch die isolierte Anfechtungsklage und Aufhebung einer Einspruchsentscheidung kann der Rechtsschein beseitigt werden, der durch eine Zurückweisung des Rechtsbehelfs als unbegründet gegenüber demjenigen erzeugt wird, der keinen Einspruch erhoben hat (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 01.10.2014 - I R 18/13, BFHE 247, 388, BStBl II 2015, 474, Rz 12; zu zusammenveranlagten Ehegatten vgl. z.B. BFH-Urteil vom 17.07.2013 - X R 28/13, BFH/NV 2014, 351, Rz 8; zur Entscheidung über einen Einspruch, obwohl die Änderung eines Bescheids gemäß § 164 Abs. 2 AO beantragt war, BFH-Urteil vom 13.11.2008 - V R 24/06, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2009, 817, unter II.1.a). Die Kläger machen zwar geltend, das FA habe einen von ihnen gar nicht erhobenen zweiten Einspruch als unzulässig verworfen. Auch in der Fallgruppe einer "eigenständigen Beschwer durch die Einspruchsentscheidung" muss jedoch ein berechtigtes Interesse an der isolierten Aufhebung der Rechtsbehelfsentscheidung bestehen (Steinhauff in HHSp, § 44 FGO Rz 345, m.w.N.). Daran fehlt es hier.
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aaa) Die BFH-Rechtsprechung verlangt für ein berechtigtes Interesse als Voraussetzung der isolierten Anfechtungsklage bei fehlender Einspruchseinlegung, dass aufgrund der Zurückweisung des nicht erhobenen Einspruchs (als unbegründet) die abstrakte Möglichkeit besteht, dass der Adressat in seinen Angriffsrechten gegen die Wirksamkeit (Bekanntgabe) des Ausgangsbescheids beschränkt sein könnte (BFH-Urteile in HFR 2009, 817, unter II.1.a; vom 19.12.1995 - III R 64/90, BFH/NV 1996, 729, unter 1.).
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bbb) Im Streitfall fehlt nach diesem Maßstab ein berechtigtes Interesse. Die Verwerfung des Einspruchs der Kläger als unzulässig kann keinen nachteiligen Rechtsschein im Hinblick auf die Wirksamkeit des angefochtenen Ausgangsbescheids (des Einkommensteuerbescheids 2012) erzeugen. Auch Fragen der wirksamen Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids 2012 können im Rahmen des unstreitig weiterhin anhängigen Einspruchsverfahrens geklärt werden. Zudem hat der BFH das berechtigte Interesse an einer isolierten Anfechtungsklage für die Konstellation verneint, dass der Ausgangsbescheid Gegenstand eines Rechtsbehelfsverfahrens ist und in einem weiteren Rechtsbehelfsverfahren eine Einspruchsentscheidung isoliert angefochten wird, die als zweite Einspruchsentscheidung eine zuvor ergangene erste Einspruchsentscheidung ersetzt (BFH-Urteil vom 16.07.1992 - VII R 61/91, BFH/NV 1993, 39, unter II.1.: keine Beschwer durch die zweite Einspruchsentscheidung). Diese Situation ist derjenigen im Streitfall vergleichbar, weil der Einkommensteuerbescheid 2012 im anhängigen (ersten) Einspruchsverfahren vollumfänglich überprüft wird und die Kläger durch die Verwerfung des vom FA angenommenen (zweiten) Einspruchs als unzulässig in ihrem Rechtsschutz nicht beeinträchtigt sind.
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c) Folge der entsprechenden Anwendung von § 126 Abs. 4 FGO im Streitfall ist, dass die von den Klägern als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Fragen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und das Vorliegen einer Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) wegen der unheilbar unzulässigen isolierten Anfechtungsklage in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig wären. Ferner kann das im prozessualen Ergebnis zutreffende Urteil des FG nicht auf den geltend gemachten Verfahrensfehlern (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), welche zudem ausschließlich im Zusammenhang mit der Prüfung der Begründetheit der Klage und dessen Begründung durch das FG erhoben werden, beruhen. Auch soweit die Kläger die aus ihrer Sicht nicht vorschriftsmäßige Besetzung des FG wegen der Entscheidung durch die Einzelrichterin gemäß § 119 Nr. 1 FGO rügen, schließt die entsprechende Anwendung von § 126 Abs. 4 FGO die Zulassung der Revision oder eine Zurückverweisung gemäß § 116 Abs. 6 FGO aus. Denn wegen der endgültig unzulässigen isolierten Anfechtungsklage steht bereits im vorliegenden Beschwerdeverfahren fest, dass die Klage auch bei einem Verstoß gegen § 119 Nr. 1 FGO im zweiten Rechtsgang wieder als unzulässig abzuweisen wäre (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2015, 1418, Rz 12; vom 07.07.2017 - V B 168/16, BFH/NV 2017, 1445, Rz 20, 21, 23).
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3. Der Senat sieht gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO von einer Darstellung des Tatbestands und einer weiteren Begründung ab.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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