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BFH 03.07.2014 - X S 9/14 (PKH)
BFH 03.07.2014 - X S 9/14 (PKH) - Entschädigungsklage; Zulässiger Antrag auf Prozesskostenhilfe; Zeiträume der Aktenübersendung im Ausgangsverfahren; Widerruf der Klagerücknahme
Normen
§ 198 Abs 1 S 2 GVG, § 72 Abs 2 S 3 FGO, § 142 Abs 1 FGO, § 114 ZPO, § 121 Abs 1 ZPO, § 117 Abs 1 S 2 ZPO
Leitsatz
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1. NV: Schließt die laienhafte Schilderung des Streitverhältnisses die hinreichende Aussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung zumindest nicht aus, ist der Antrag auf Prozesskostenhilfe zulässig und das Gericht hat die Akten des Ausgangsverfahrens beizuziehen.
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2. NV: Die Zeiträume der vom Kläger des Ausgangsverfahrens verursachten Aktenversendung können dieses nicht unangemessen verlängern.
Tatbestand
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I. Der Antragssteller beantragte per FAX-Schreiben vom 8. Februar 2014 Prozesskostenbeihilfe (PKH) sowie die Beiordnung eines Rechtsanwaltes für eine von ihm angestrebte Entschädigungsklage nach § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG). Diese betreffe das Klageverfahren vor dem Finanzgericht (FG) X mit dem Aktenzeichen 2 K 231/12. In diesem Verfahren habe er sich dagegen gewandt, dass das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) Quellensteuern in Höhe von … € in den Jahren 2008 und 2009 nicht ausgezahlt habe.
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Im Ausgangsverfahren habe er eine Verzögerungsrüge erhoben. Da seine Ansprüche angeblich verjährt gewesen seien, habe er in der mündlichen Verhandlung vor dem FG am 8. Dezember 2012 --gemeint ist anscheinend der 12. Dezember 2012, der Tag, an dem diese durchgeführt worden ist-- eine Erledigungserklärung abgegeben, die er allerdings nach anschließender anwaltlicher Beratung widerrufen habe. Bis heute sei vom FG hierüber nicht entschieden worden.
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Der Antragssteller macht pro Jahr die gesetzlich vorgesehene Entschädigung von 1.200 € jährlich geltend, nach seiner "anteiligen Berechnung" insgesamt 2.000 €.
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Ausweislich der vom Berichterstatter angeforderten Akten des FG ist die Klage im Ausgangsverfahren am 20. Januar 2012 beim FG erhoben worden. Nach der Erwiderung durch das BZSt am 27. April 2012 wurde die Klage in der mündlichen Verhandlung am 12. Dezember 2012 zunächst für die Jahre 2010 und 2011 und anschließend auch für die Jahre 2008 und 2009 zurückgenommen. Am 15. Dezember 2012, eingegangen beim FG am 19. Dezember 2012 widerrief der Antragsteller unter Hinweis auf § 72 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Klagerücknahme hinsichtlich der Jahre 2009 und 2010. Nachdem das BZSt am 16. Januar 2013 eine Stellungnahme abgegeben hatte, wurden die FG-Akten --wie vom Antragssteller beantragt-- bislang drei Mal an das FG Y zur Akteneinsicht übersandt, und zwar am 28. Januar 2013, 22. Oktober 2013 und 11. Februar 2014. Da der Antragssteller trotz wiederholter Aufforderung durch das FG Y die Akteneinsicht nicht wahrnahm, sandte das FG Y die Akten am 25. Februar 2013, 18. November 2013 bzw. 28. März 2014 an das FG zurück.
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Der Antragsteller bat das FG am 21. Februar 2013 um Übersendung eines "rechtsmittelfähigen Bescheides" und fragte am 3. September 2013 nach, ob das Verfahren beendet worden sei. Unter Hinweis auf § 198 GVG erhob er am 6. September 2013 und am 13. Oktober 2013 eine Verzögerungsrüge.
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Aufgrund der vorliegenden Anträge hat der Berichterstatter die Akten des FG am 26. Mai 2014 angefordert und zum Verfahren beigezogen.
Entscheidungsgründe
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II. 1. Der zulässige PKH-Antrag ist unbegründet. Zwar hat der Antragssteller das Streitverhältnis in der gerade noch als geboten zu bezeichnenden Weise dargestellt. Mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung kann PKH jedoch nicht gewährt werden.
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a) Der Antrag ist zulässig.
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aa) Gemäß § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hierbei ist nach § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO in dem PKH-Antrag das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen.
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bb) Wird PKH für eine vor dem Bundesfinanzhof erhobene oder noch zu erhebende Entschädigungsklage gemäß § 198 GVG beantragt, muss der nicht vertretene Antragssteller in laienhafter Form schildern, inwieweit das von dem Entschädigungsanspruch betroffene finanzgerichtliche Verfahren unangemessen verzögert worden ist (vgl. weiterführend: Senatsbeschluss vom 23. Januar 2014 X S 40/13, BFH/NV 2014, 569).
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cc) Diesen Anforderungen entspricht der vorliegende PKH-Antrag gerade noch. Der Antragssteller stellt dar, dass er Entschädigung für das vor dem FG X noch anhängige Klageverfahren 2 K 231/12 in Höhe von jährlich 1.200 € begehrt, zumindest für die Zeit nach Widerruf seiner Erledigungserklärung, da bislang eine Entscheidung des FG ausstehe.
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dd) Ist aufgrund der laienhaften Schilderung des Streitverhältnisses zumindest nicht auszuschließen, dass eine beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, wird das Gericht tätig werden und nach Beiziehung der Akten überprüfen müssen, ob eine solche Verzögerung feststellbar ist.
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b) Der PKH-Antrag ist unbegründet.
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Die Klage auf Entschädigung wegen der Dauer des Ausgangsverfahrens hat keine Aussicht auf Erfolg.
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aa) Aus den beigezogenen Akten des FG ergibt sich, dass zwar das Ausgangsverfahren hinsichtlich der Jahre 2009 und 2010 --anders als hinsichtlich der Jahre 2008 und 2011-- noch nicht beendet worden ist. Aufgrund der vom Senat aufgestellten Grundsätze für ein Finanzgerichtsverfahren ist allerdings noch nicht von einer Unangemessenheit des Ausgangsverfahrens insoweit auszugehen. Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg kann die beabsichtigte Rechtsverfolgung deshalb nicht haben.
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bb) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts (vgl. hierzu und zum Folgenden ausführlich Senatsurteil vom 7. November 2013 X K 13/12, BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, unter II.2.).
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Nach dieser Entscheidung ist der Begriff der "Angemessenheit" für Wertungen offen. Für finanzgerichtliche Verfahren kann dabei die Vermutung aufgestellt werden, die Dauer des Verfahrens sei angemessen, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und die damit begonnene ("dritte") Phase des Verfahrensablaufs nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt. Dies gilt nicht, wenn der Verfahrensbeteiligte rechtzeitig und in nachvollziehbarer Weise auf Umstände hinweist, aus denen eine besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens folgt.
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Diese Vermutungsregel steht nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Juli 2013 5 C 27/12 D, Bayerische Verwaltungsblätter 2014, 149 (dazu Senatsurteil vom 19. März 2014 X K 3/13, BFH/NV 2014, 1053, unter II.2.c).
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cc) Nach diesen Grundsätzen war die Dauer des Ausgangsverfahrens sowohl hinsichtlich der Jahre 2008 und 2011 als auch 2009 und 2010 nicht unangemessen.
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(1) Die Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG beispielhaft genannten Kriterien vermitteln im Streitfall das Bild eines durchaus schon als komplex anzusehenden Falles.
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Dies ergab sich --bislang-- nicht nur aus dem Einreichen vieler Schriftsätze, sondern auch daraus, dass es durch häufige und sich auch wiederholende Anträge einer besonderen Sorgfalt bei der Durchsicht dieser --teilweise schwer lesbaren-- Schriftsätze wie auch der gesamten Akten bedurfte.
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(2) Die Würdigung, dass die Verfahrensdauer hinsichtlich der Jahre 2009 und 2010 noch angemessen ist, ergibt sich aus einer Betrachtung des konkreten Verfahrensablaufs.
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Das Ausgangsverfahren, soweit es die Jahre 2009 und 2010 betrifft, ist derzeit noch als angemessen anzusehen. Es ist aufgrund des Widerrufs der Klagerücknahme noch nicht beendet. Vielmehr ist aufgrund dieses Widerrufs durch Gerichtsbescheid oder nach mündlicher Verhandlung durch Urteil darüber zu entscheiden, ob die Klagerücknahme zulässig und wirksam war (vgl. z.B. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 72 FGO Rz 28, m.w.N.). Diese Entscheidung steht noch aus.
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Dieses Ausgangsverfahren wird jedoch auch in der seit Februar 2014 begonnenen "dritten" Phase vom FG erkennbar einer (weiteren) Entscheidung zugeführt. Allerdings ist das FG derzeit durch die verschiedenen Maßnahmen des Antragsstellers (noch) gehindert gewesen, das Verfahren zu beenden.
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So hat das FG aufgrund der wiederholten Anträge des Antragsstellers die Akten an das FG Y zur --wiederum vom Antragssteller nicht wahrgenommenen-- Akteneinsicht übersandt. Im Anschluss daran mussten die Akten dem angerufenen Senat wegen dieses PKH-Verfahrens übermittelt werden.
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Deshalb konnte das FG das Ausgangsverfahren bislang nicht beenden und über den Widerruf der Klagerücknahme entscheiden. Eine Unangemessenheit des Ausgangsverfahrens kann deshalb insoweit noch nicht vorliegen.
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2. Mangels Begründetheit des PKH-Antrags kommt die Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 121 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 142 Abs. 1 FGO nicht in Frage.
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3. Eine Stellungnahme des Antragsgegners wurde wegen der Unbegründetheit des PKH-Antrags nicht eingeholt.
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4. Gerichtsgebühren sind für das Verfahren wegen Bewilligung von PKH sowie Beiordnung eines Rechtsanwalts in Ermangelung eines Gebührentatbestands nicht zu erheben.
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