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BFH 15.12.2011 - II R 16/11
BFH 15.12.2011 - II R 16/11 - Anforderungen an die unverschuldete Fristversäumnis - Ausscheiden eines Steuerberaters aus einer Sozietät - Antrag auf Fristverlängerung vor Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Normen
§ 56 FGO, § 120 Abs 2 S 3 FGO, § 155 FGO, § 85 Abs 2 ZPO
Vorinstanz
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 3. März 2011, Az: 3 K 142/09, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Macht ein Prozessbevollmächtigter geltend, er habe eine Frist wegen Schwierigkeiten beim Ausscheiden aus seiner Sozietät versäumt, ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er keine Angaben zur Führung eines Fristenkontrollbuchs oder einer vergleichbaren Einrichtung zur Wahrung von Fristen macht .
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2. NV: War ein Antrag auf Verlängerung der Frist für die Begründung eines Rechtsmittels möglich, scheidet ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus .
Tatbestand
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I. Das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer Steuerberatungsgesellschaft, ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 10. März 2011 zugestellt. Die vom FG zugelassene Revision wurde zwar fristgerecht eingelegt, aber nicht innerhalb der in § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bestimmten und in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils genannten Frist von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils begründet.
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Nachdem der Senatsvorsitzende die Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 18. Mai 2011 auf die Fristversäumnis und die Möglichkeit, gemäß § 56 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen, hingewiesen hatte, beantragte die Klägerin mit Schriftsatz vom 23. Mai 2011 die Wiedereinsetzung. Zur Begründung führte sie aus, ihre Prozessbevollmächtigte habe im April 2011 Steuerberater A von B & C OHG (BC) beauftragt, die Revisionsbegründung zu entwerfen und den Rechtsstreit beim Bundesfinanzhof (BFH) weiterzuführen. Ihre Prozessbevollmächtigte habe A dazu die Akten übergeben. A sei zum 30. April 2011 aus der Sozietät BC ausgeschieden und habe sich Anfang Mai 2011 mit der DE Steuerberatungsgesellschaft mbH (DE) selbständig gemacht. Wegen der Mandatsübernahme und der Aktenmitnahme sei es zu Streitigkeiten zwischen A und BC gekommen mit der Folge, dass A die Akten des vorliegenden Verfahrens erst aufgrund einer am 16. Mai 2011 erzielten Einigung ausgehändigt erhalten habe.
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Die Revisionsbegründung wurde von DE, die am 7. Juni 2011 von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin Prozessvollmacht erhielt, erstellt und ging am 8. Juni 2011 beim BFH ein. Mit Schreiben vom 28. Juli 2011 erläuterte DE die geltend gemachten Gründe für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO). Die Klägerin hat die Revision nicht rechtzeitig begründet. Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der in § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO bestimmten Frist für die Begründung der Revision ist nicht zu gewähren.
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1. Nach § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag ist bei Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Die den Antrag begründenden Tatsachen müssen innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden. Nur die Glaubhaftmachung kann noch während des Verfahrens erfolgen (BFH-Beschluss vom 10. Dezember 2010 V R 60/09, BFH/NV 2011, 617, m.w.N.). Innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO ist eine vollständige, substantiierte und in sich schlüssige Darstellung der für die Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen erforderlich (BFH-Beschluss vom 23. September 2010 III R 64/09, BFH/NV 2011, 54). Dazu muss zumindest der Kern der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vorgebracht werden. Nach Ablauf der Frist können Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben, sondern nur noch unklare und unvollständige Angaben erläutert oder ergänzt werden (BFH-Beschluss vom 20. Mai 2011 V S 10/11, BFH/NV 2011, 1526, m.w.N.). Bleibt die Verschuldensfrage offen, ist das Wiedereinsetzungsbegehren abzulehnen (BFH-Beschluss vom 18. Februar 2000 I B 136/99, BFH/NV 2000, 1108, m.w.N.).
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2. Den Ausführungen im Wiedereinsetzungsantrag vom 23. Mai 2011 lässt sich nicht entnehmen, dass die Klägerin ohne Verschulden verhindert gewesen sei, die Frist für die Revisionsbegründung einzuhalten.
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a) Ein Prozessbevollmächtigter ist verpflichtet, seinen Bürobetrieb so zu organisieren, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen sind. Dazu ist es unerlässlich, dass ein Fristenkontrollbuch (Fristenkalender) oder eine vergleichbare Einrichtung zur Wahrung von Fristen geführt wird. In diesem Buch muss der Fristablauf für jede einzelne Sache vermerkt sein. Die Einhaltung der laufenden Fristen muss durch tägliche Einsichtnahme in den Fristenkalender gesichert werden. Die Frist darf frühestens gelöscht werden, wenn das zur Fristwahrung bestimmte Schriftstück abgesandt oder zumindest postfertig gemacht worden ist (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2011, 54, und vom 8. Dezember 2010 IX R 12/10, BFH/NV 2011, 445).
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b) Die Klägerin hat im Wiedereinsetzungsantrag vom 23. Mai 2011 und auch im ergänzenden Schreiben vom 28. Juli 2011 keine Angaben dazu gemacht, ob und gegebenenfalls welche Vorkehrungen zur Wahrung von Fristen ihre Prozessbevollmächtigte und A getroffen hatten und ob die Frist zur Begründung der Revision in ein Fristenkontrollbuch oder eine vergleichbare Einrichtung eingetragen war.
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Bereits dies steht der Gewährung der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegen. Der fehlende Vortrag zu den Maßnahmen zur Fristenkontrolle kann nicht durch die Darstellung der Probleme des A bei dem Ausscheiden aus der Kanzlei BC ersetzt werden. Dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin A mit der weiteren Führung des Revisionsverfahrens beauftragt hatte, änderte grundsätzlich nichts an der ihr als Prozessbevollmächtigter obliegenden Pflicht, auf die Revisionsbegründungsfrist zu achten (vgl. BFH-Beschluss vom 19. September 1985 V R 29/80, BFH/NV 1986, 472). Ob etwas anderes gelten würde, wenn die Prozessbevollmächtigte und A klar und eindeutig vereinbart hätten, allein A solle für die Einhaltung der Frist verantwortlich sein, kann auf sich beruhen. Dass eine solche Vereinbarung zwischen der Prozessbevollmächtigten und A vorgelegen habe, hat die Klägerin nämlich nicht vorgetragen.
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A hätte zudem der Prozessbevollmächtigten der Klägerin mitteilen müssen, dass er aufgrund der Probleme beim Ausscheiden aus der Kanzlei BC voraussichtlich nicht in der Lage sein werde, die Revisionsbegründungsfrist zu wahren, um so der Prozessbevollmächtigten die Einhaltung der Frist zu ermöglichen. Es hätte dabei genügt, eine Fristverlängerung nach § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO zu beantragen. Dass ein Fristverlängerungsantrag ohne Verschulden der Prozessbevollmächtigten und des A nicht habe gestellt werden können, hat die Klägerin nicht vorgebracht. War ein Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist möglich, scheidet ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (BFH-Beschluss vom 27. Juni 2003 IV B 27/02, BFH/NV 2003, 1438).
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c) Die Klägerin muss sich das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung; BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 445).
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