BVerfG 14.11.2012 - 1 BvR 3236/08, 1 BvR 3241/08, 1 BvR 83/09, 1 BvR 423/09 - Stattgebender Kammerbeschluss: Parallelentscheidung
Vorinstanz
vorgehend BGH, 14. Oktober 2008, Az: XI ZR 206/07, Beschluss
vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 22. Februar 2007, Az: 2 U 51/06, Urteil
vorgehend LG Magdeburg, 13. März 2006, Az: 10 O 475/05, Urteil
vorgehend BGH, 14. Oktober 2008, Az: XI ZR 320/07, Beschluss
vorgehend OLG Celle, 9. Mai 2007, Az: 3 U 194/06, Urteil
vorgehend LG Hannover, 4. August 2006, Az: 13 O 371/05, Urteil
vorgehend BGH, 9. Dezember 2008, Az: XI ZR 143/08, Beschluss
vorgehend Brandenburgisches Oberlandesgericht, 26. März 2008, Az: 3 U 46/06, Urteil
vorgehend LG Potsdam, 1. März 2006, Az: 8 O 659/04, Urteil
vorgehend BGH, 20. Januar 2009, Az: XI ZR 419/07, Beschluss
vorgehend OLG Celle, 18. Juli 2007, Az: 3 U 267/06, Urteil
vorgehend LG Hannover, 15. November 2006, Az: 11 O 153/05, Urteil
nachgehend BVerfG, 13. Juni 2013, Az: 1 BvR 3236/08, Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren
Tenor
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1. Die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 14. Oktober 2008 - XI ZR 206/07, XI ZR 320/07 -, vom 9. Dezember 2008 - XI ZR 143/08 - und vom 20. Januar 2009 - XI ZR 419/07 - verletzen die Beschwerdeführer jeweils in ihrem Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben und die Sachen an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
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2. Im Übrigen werden die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen.
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3. ...
Gründe
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I.
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1
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Die Verfassungsbeschwerden betreffen jeweils eine zivilrechtliche Auseinandersetzung im Zusammenhang mit dem finanzierten
Erwerb einer Eigentumswohnung zu Steuersparzwecken. In den zivilgerichtlichen Ausgangsverfahren nahmen die Beschwerdeführer
eine Bausparkasse und eine Bank, die den Kauf finanziert hatten, auf Rückabwicklung des Wohnungskaufs und der Finanzierung
im Wege des Schadensersatzes in Anspruch.
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2
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Die Beschwerdeführer erwarben im Zeitraum von 1994 bis 1996 zu Steuersparzwecken ohne Eigenkapital jeweils eine Eigentumswohnung.
Zur Finanzierung des Kaufpreises schlossen die Beschwerdeführer mit der Bank, die hierbei durch die Bausparkasse vertreten
wurde, einen Darlehensvertrag über ein - zunächst tilgungsfreies - Vorausdarlehen und mit der Bausparkasse zwei Bausparverträge.
Die Ablösung des Vorausdarlehens sollte durch die beiden Bausparverträge erfolgen, die nacheinander anzusparen waren.
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3
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Der Erwerb der Wohnung und die Finanzierung wurden durch Unternehmen der - inzwischen insolventen - H. Gruppe vermittelt,
die seit den 1990er Jahren in großem Umfang Anlageobjekte vertrieb, die die im Ausgangsverfahren beklagte Bausparkasse in
Zusammenarbeit mit verschiedenen Banken jeweils nach diesem Modell finanzierte. Der Vertrieb der Wohnungen erfolgte seitens
der H. Gruppe regelmäßig auf Grundlage eines gegenüber den Anlegern formularmäßig verwendeten "Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrags".
In diesem waren neben dem bezifferten Kaufpreis der Wohnung unter anderem eine Finanzierungsvermittlungsgebühr und eine Courtage
betragsmäßig ausgewiesen, die anfangs an ein Unternehmen der H. Gruppe - an die (als I. GmbH fortgeführte) H. GmbH -, ab 1995
regelmäßig an die ebenfalls zur H. Gruppe gehörende B. GmbH beziehungsweise an die I. GmbH zu zahlen waren.
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4
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Die Beschwerdeführer, die ebenfalls die H. GmbH (1 BvR 83/09) beziehungsweise die I. GmbH und die B. GmbH beauftragt hatten,
ihnen den Erwerb der Eigentumswohnung zu vermitteln, stützten ihr Schadensersatzbegehren im jeweiligen Ausgangsverfahren auf
eine Aufklärungspflichtverletzung. Dazu machten sie unter anderem geltend, die beklagte Bausparkasse und die beklagte Bank
hätten sie darüber unterrichten müssen, dass sie durch die Angaben im "Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrag", der
auch ihnen gegenüber verwendet worden sei, über die Höhe der Vertriebsprovisionen getäuscht worden seien. Zusätzlich zu den
dort offen ausgewiesenen Vertriebsprovisionen - Finanzierungsvermittlungs- gebühr (i.d.R. ca. 2 % des Kaufpreises) und Courtage
(3,45 % bzw. 5,75 % des Kaufpreises) - seien in dem für die Wohnung zu zahlenden Kaufpreis weitere Provisionen in Höhe von
bis zu 23 % eingerechnet gewesen, die ebenfalls an den Vertrieb geflossen seien. Es sei zu vermuten, dass die Beklagten hiervon
Kenntnis gehabt hätten, weil sie mit dem Vertrieb nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ
168, 1 22> Rn. 50 ff.) in institutionalisierter Weise zusammengewirkt hätten.
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5
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Das jeweilige Landgericht wies die Klage ab. Die dagegen gerichtete Berufung der Beschwerdeführer blieb ohne Erfolg, weil
nach Auffassung des jeweiligen Berufungsgerichts keine Aufklärungspflicht verletzt worden sei. Eine finanzierende Bank sei
nur unter besonderen Umständen verpflichtet, über die Risiken des finanzierten Geschäfts aufzuklären, beispielsweise wenn
sie in Bezug auf spezielle Risiken des zu finanzierenden Vorhabens einen konkreten Wissensvorsprung gegenüber dem Darlehensnehmer
habe und dies auch erkennen könne. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall. Die Revision ließ das Berufungsgericht nicht
zu.
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6
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Mit ihren hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerden machten die Beschwerdeführer jeweils geltend, das Berufungsgericht
habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, weil es entscheidungserheblichen Vortrag zur Täuschung
über die Höhe der von ihnen zu zahlenden Vermittlungsprovisionen nicht beachtet habe. Das Berufungsgericht habe den Vortrag
lediglich unter dem Gesichtspunkt geprüft, ob der Kaufpreis überhöht gewesen sei. Dies habe die rechtliche Tragweite ihres
Vorbringens nicht erfasst. Sie, die Beschwerdeführer, hätten auf Grundlage der Angaben im formularmäßig verwendeten "Objekt-
und Finanzierungsvermittlungsauftrag" davon ausgehen müssen, dass als Vertriebsgebühren nur die dort ausgewiesene Finanzierungsvermittlungsgebühr
und Courtage anfielen. Die Diskrepanz zwischen der offen ausgewiesenen und der tatsächlich gezahlten höheren Vertriebsprovision
stelle sich als Täuschung dar, weil derjenige, der eine Auskunft gebe, diese zutreffend erteilen müsse, auch wenn er die Auskunft
an sich nicht schulde. Die Kenntnis der beklagten Bausparkasse, die sich die beklagte finanzierende Bank zurechnen lassen
müsse (§ 166 Abs. 1 BGB), sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 168, 1 22> Rn. 50 ff.) zu vermuten,
da diese mit dem Vertrieb in institutionalisierter Weise zusammengearbeitet habe. Die den Beklagten anzulastende Pflichtverletzung
beruhe mithin nicht auf einer unterbliebenen Aufklärung über die Höhe der Innenprovisionen, sondern auf dem Umstand, dass
diese von ihrer arglistigen Täuschung über die Höhe der zu zahlenden Innenprovision Kenntnis gehabt hätten.
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7
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Der Bundesgerichtshof wies die Nichtzulassungsbeschwerden - teilweise mit dem Begründungszusatz, dass von einer arglistigen
Täuschung über eine Innenprovision "hier keine Rede sein" könne - zurück.
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II.
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8
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Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihren Verfassungsbeschwerden jeweils gegen die Urteile des Landgerichts und des Berufungsgerichts
sowie gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs. Sie rügen hinsichtlich dieser Entscheidungen eine Verletzung des Art. 2
Abs. 1 GG und hinsichtlich der angegriffenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs darüber hinaus - teils ausdrücklich, teils
der Sache nach - eine Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) sowie des Willkürverbots
(Art. 3 Abs. 1 GG).
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9
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Sie machen unter anderem geltend, die jeweilige Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen,
beruhe auf einer nicht haltbaren Anwendung der Zulassungskriterien des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO und verletze sie daher in ihren
verfassungsmäßigen Rechten. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sei die Zulassung der Revision dann geboten,
wenn andernfalls schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstünden oder fortbestünden, wobei es auf die Bedeutung
der angefochtenen Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen ankomme. Danach sei die Revision zuzulassen, wenn ein Rechtsanwendungsfehler
über den Einzelfall hinaus Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühre. Vor dem Hintergrund, dass es dem Bundesgerichtshof
obliege, Allgemeine Geschäftsbedingungen einheitlich auszulegen, sei die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde zumindest
deshalb unhaltbar, weil das Oberlandesgericht Schleswig zu diesem Zeitpunkt den in Rede stehenden "Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrag"
bereits abweichend im Sinne einer Täuschung der Anleger über die Höhe der Innenprovisionen ausgelegt habe, was dem Bundesgerichtshof
auch bekannt gewesen sei.
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III.
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10
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Die Verfassungsbeschwerden sind der Bundesregierung, dem Niedersächsischen Justizministerium (1 BvR 3241/08, 1 BvR 423/09),
dem Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten des Landes Brandenburg (1 BvR 83/09), der Staatskanzlei des Landes
Sachsen-Anhalt (1 BvR 3236/08) sowie der im Ausgangsverfahren beklagten Bausparkasse und Bank zugestellt worden. Der Bundesgerichtshof
wurde in einem Parallelverfahren (betreffend den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 23. September 2008 - XI ZR 379/07 -,
aufgehoben durch Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. Juni 2012 - 1 BvR 2952/08 -, juris) um die Abgabe einer
Stellungnahme gebeten. Die Akten der Ausgangsverfahren sind beigezogen.
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1. Die Bundesregierung, das Niedersächsische Justizministerium, das Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten des
Landes Brandenburg und die Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt haben von einer Äußerung abgesehen.
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2. Die Bausparkasse und die Bank als die von den Ausgangsentscheidungen Begünstigten vertreten die Auffassung, der Bundesgerichtshof
habe den Justizgewährungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) der Beschwerdeführer nicht verletzt. Die Beschwerdeführer
hätten sich in der Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerden ausschließlich auf den Zulassungsgrund der Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO) berufen, weil das Berufungsgericht Vorbringen zur arglistigen
Täuschung mittels des "Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrags" gehörswidrig unberücksichtigt gelassen habe. Dies habe
der jeweiligen Nichtzulassungsbeschwerde bereits deshalb nicht zum Erfolg verhelfen können, weil dieses Vorbringen nach der
damaligen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entscheidungserheblich gewesen sei. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
habe das Formular damals noch dahingehend ausgelegt, dass es nicht den unzutreffenden Eindruck erwecke, in den Gesamtkosten
seien keine weiteren Vertriebskosten enthalten. Das jeweilige Berufungsurteil habe daher in Einklang mit der seinerzeitigen
höchstrichterlichen Rechtsprechung gestanden, so dass der Bundesgerichtshof die Nichtzulassungsbeschwerden zu Recht zurückgewiesen
habe.
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Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) sei mit den Nichtzulassungsbeschwerden nicht
in zulässiger Weise geltend gemacht worden. Auch dieser Zulassungsgrund habe im Übrigen zum Zeitpunkt der Zurückweisung der
jeweiligen Nichtzulassungsbeschwerde nicht vorgelegen. Es sei um keine klärungsbedürftige Rechtsfrage, sondern allein um die
Auslegung einer privatschriftlichen Vertragsurkunde gegangen, die dem Bundesgerichtshof aus zahlreichen Verfahren bekannt
gewesen sei und die er - auf Grundlage der damaligen Auffassung - für nicht täuschungsbegründend erachtet habe.
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3. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat in dem Parallelverfahren die Stellungnahme des Vorsitzenden des XI. Zivilsenats
übermittelt.
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Dieser hat mitgeteilt, im Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde jenes Beschwerdeführers (23. September
2008) habe kein Grund bestanden, der die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO gerechtfertigt hätte. Eine Zulassung
der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) oder zur Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 Fall 1 ZPO) habe der Beschwerdeführer nicht geltend gemacht. Er habe sich ausschließlich auf den Zulassungsgrund
der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO) gestützt und beanstandet, das Berufungsgericht
habe unter Verkennung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sein entscheidungserhebliches Vorbringen dazu nicht berücksichtigt,
dass er mittels des "Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrags" arglistig über die Höhe der an den Vertrieb gezahlten
Innenprovisionen getäuscht worden sei, worüber ihn die finanzierende Bank beziehungsweise Bausparkasse habe aufklären müssen.
Hiermit habe der Beschwerdeführer seinerzeit keinen Zulassungsgrund dargetan. Eine Täuschung mittels des "Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrags"
sei nach der damaligen Auffassung des Senats nicht in Betracht gekommen. Die maßgebliche Auslegung des Formulars habe nach
der damaligen Ansicht des Senats ergeben, dass den Anlegern nicht vorgespiegelt werde, im nicht näher aufgeschlüsselten "Kaufpreis"
seien neben den ausdrücklich aufgelisteten Courtagen keine weiteren Vertriebskosten enthalten. Seinerzeit habe daher kein
Grund für die Zulassung der Revision bestanden, da das Berufungsgericht aus damaliger Sicht rechtsfehlerfrei und ohne Verletzung
des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) eine arglistige Täuschung durch den "Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrag"
nicht in Erwägung gezogen habe.
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Allerdings habe der Senat seine Auffassung zur Auslegung des auch gegenüber jenem Beschwerdeführer verwendeten "Objekt- und
Finanzierungsvermittlungsauftrags" zwischenzeitlich geändert. Mit Urteil vom 29. Juni 2010 (BGHZ 186, 96 107> Rn. 30 ff.)
habe der Senat ausgeführt, eine Auslegung des "Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrags", wonach dieser den Eindruck
erwecke, die beiden dort bezeichneten Vermittlungsgesellschaften hätten ihre Leistungen ausschließlich zu den im Formular
ausgewiesenen Provisionen erbringen sollen, sei ebenfalls vertretbar. Diese Auslegung sei insbesondere unter Berücksichtigung
der Unklarheitenregel des § 5 AGBG (jetzt: § 305c Abs. 2 BGB) maßgeblich, nach welcher bei mehreren möglichen Auslegungen
das für den Verwender ungünstigere Ergebnis zugrunde zu legen sei. Bei dieser Auslegung des "Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrags"
liege eine arglistige Täuschung der Anleger über die Höhe der Vermittlungsprovisionen vor, die - unter weiteren Voraussetzungen
- nunmehr zu einer Haftung der beklagten Bausparkasse führe.
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Der Vorsitzende des XI. Zivilsenats hat ferner darauf hingewiesen, dass in Anwendung dieser neuen Rechtsprechungsgrundsätze
auch der jener Verfassungsbeschwerde zugrunde liegende Sachverhalt heute anders zu entscheiden wäre. Im Anschluss und mit
Rücksicht auf das vorgenannte Senatsurteil habe der Senat aus Gründen der Fairness in allen Fällen auf Nichtzulassungsbeschwerden,
die auf eine Aufklärungspflichtverletzung im Zusammenhang mit einer arglistigen Täuschung mittels eines gleichlautenden "Objekt-
und Finanzierungsvermittlungsauftrags" gestützt gewesen seien, die Revision zugelassen.
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IV.
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs
über die Zurückweisung der Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision richten, und gibt ihnen nach § 93c Abs. 1 Satz
1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Insoweit sind die Verfassungsbeschwerden zulässig und unter Berücksichtigung
der bereits hinreichend geklärten Maßstäbe zu Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG auch offensichtlich begründet.
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1. Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig. Sie genügen dem in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommenden Grundsatz
der Subsidiarität.
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Nach diesem Grundsatz reicht es nicht aus, dass der Beschwerdeführer den fachgerichtlichen Rechtsweg lediglich formell erschöpft
hat; er muss vielmehr da- rüber hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen,
um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern
oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 77, 381 401>; 81, 97 102 f.>; 107, 395 414>; stRspr). Dazu können Rechtsausführungen vor
den Fachgerichten gehören, sofern das maßgebliche Prozessrecht, wie beispielsweise bei der Einlegung einer Beschwerde gegen
die Nichtzulassung eines Rechtsmittels, rechtliche Darlegungen verlangt (vgl. BVerfGE 112, 50 60>; BVerfG, Beschluss der
3. Kammer des Ersten Senats vom 28. April 2011 - 1 BvR 3007/07 -, NJW 2011, S. 2276). Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde
sind die Zulassungsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO in der Beschwerdebegründung darzulegen (§ 544 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Dies erfordert,
zu den Zulassungsgründen, auf die die Beschwerde gestützt wird, so substantiiert vorzutragen, dass das Revisionsgericht in
die Lage versetzt wird, allein anhand der Beschwerdebegründung und des Berufungsurteils die Zulassungsvoraussetzungen zu prüfen
(vgl. BGHZ 152, 182 185>; BGH, Beschluss vom 25. März 2010 - V ZB 159/09 -, NJW-RR 2010, S. 784 Rn. 5). Diesen Anforderungen
entsprechend haben die Beschwerdeführer der Sache nach hinreichend zu den Voraussetzungen der Grundsatzbedeutung (§ 543 Abs.
2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) der Auslegung des in Rede stehenden "Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrags" vorgetragen; die Benennung
eines anderen nicht einschlägigen Zulassungsgrundes (hier: § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO: Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung) steht dem nicht entgegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. Juni 2012 - 1 BvR
2952/08 -, juris, Rn. 20; BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2002 - V ZR 100/02 -, NJW 2003, S. 754 f.; Ball, in: Musielak, ZPO,
9. Aufl. 2012, § 544 Rn. 17a).
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2. Die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerden verletzen die Beschwerdeführer
in ihrem Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).
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a) Der aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Grundrechten, insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG, abzuleitende Justizgewährungsanspruch
gewährleistet nicht nur den Zugang zu den Gerichten sowie eine verbindliche Entscheidung durch den Richter aufgrund einer
grundsätzlich umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung des Streitgegenstandes (vgl. BVerfGE 97, 169 185>; 107, 395
401>; 108, 341 347>). Das Gebot effektiven Rechtsschutzes beeinflusst auch die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen,
die für die Eröffnung eines Rechtswegs und die Beschreitung eines Instanzenzugs von Bedeutung sind. Es begründet zwar keinen
Anspruch auf eine weitere Instanz; die Entscheidung über den Umfang des Rechtsmittelzugs bleibt vielmehr dem Gesetzgeber überlassen
(vgl. BVerfGE 54, 277 291>; 89, 381 390>; 107, 395 401 f.>). Hat der Gesetzgeber sich jedoch für die Eröffnung einer weiteren
Instanz entschieden und sieht die betreffende Prozessordnung dementsprechend ein Rechtsmittel vor, so darf der Zugang dazu
nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 77, 275 284>;
78, 88 99>; 88, 118 124>). Das Rechtsmittelgericht darf ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel daher
nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer leerlaufen lassen (vgl. BVerfGE 78, 88 98 f.>; 96, 27 39>).
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b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen des Justizgewährungsanspruchs an die Anwendung des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO
genügen die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerden nicht. Die Annahme des
Bundesgerichtshofs, der Sache komme auf Grundlage des Beschwerdevorbringens keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz
1 Nr. 1 ZPO) zu, ist - bezogen auf den damaligen Entscheidungszeitpunkt - nicht haltbar.
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aa) Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO kommt einer Sache nach der ständigen Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft,
die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit
an der einheitlichen Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BGHZ 154, 288 291>; 159, 135 137>; BGH, Beschluss
vom 8. Februar 2010 - II ZR 54/09 -, NJW-RR 2010, S. 1047 Rn. 3). Klärungsbedürftig sind solche Rechtsfragen, deren Beantwortung
zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden oder die noch nicht oder nicht hinreichend höchstrichterlich
geklärt sind. Hat der Bundesgerichtshof eine Rechtsfrage bereits geklärt, kann sich weiterer Klärungsbedarf ergeben, wenn
neue Argumente ins Feld geführt werden können, die den Bundesgerichtshof zu einer Überprüfung seiner Auffassung veranlassen
könnten (vgl. BVerfGK 11, 420 431>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 27. Mai 2010 - 1 BvR 2643/07 -,
FamRZ 2010, S. 1235 1236 f.>; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. September 2010 - 1 BvR 2649/06 -, juris,
Rn. 29; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. April 2011 - 1 BvR 3007/07 -, NJW 2011, S. 2276 2277>).
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bb) Diese Voraussetzungen lagen zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde (im Oktober 2008
und später) ersichtlich vor. Die Frage, ob die beklagte Bausparkasse und die beklagte Bank schadensersatzpflichtig sind, weil
sie trotz eines insoweit bestehenden Wissensvorsprungs nicht über eine arglistige Täuschung betreffend die Höhe der Innenprovisionen
aufgeklärt haben, hängt nach der fachrechtlichen Beurteilung entscheidend von der Auslegung des in Rede stehenden "Objekt-
und Finanzierungsvermittlungsauftrags" ab. Eine arglistige Täuschung seitens des Vertriebs kommt dann in Betracht, wenn man
das Formular - wie von den Beschwerdeführern im jeweiligen Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde reklamiert - dahingehend
versteht, die betragsmäßig bezifferte Auflistung einzelner Vertriebsprovisionen erwecke den unzutreffenden Eindruck, im nicht
näher aufgeschlüsselten Kaufpreis seien keine weiteren Innenprovisionen enthalten. Auch wenn der Bundesgerichtshof nach seiner
damaligen Rechtsauffassung ein solches Verständnis nicht zugrunde legen wollte, wäre der Frage, ob der in Rede stehende "Objekt-
und Finanzierungsvermittlungsauftrag" über die Höhe der Vertriebsprovisionen täuscht, dennoch grundsätzliche Bedeutung zugekommen.
Eine dahingehende Entscheidung des Revisionsgerichts hätte wie ein "Musterprozess" (vgl. BGHZ 152, 182 191>) eine über den
Einzelfall hinausgehende Bedeutung für die Allgemeinheit gehabt. Das erhellt sich auch daraus, dass der Bundesgerichtshof
im Rahmen des später ergangenen Grundsatzurteils vom 29. Juni 2010 dieses Formular wegen dessen massenhafter, bundesweiter
Verwendung selbst verbindlich ausgelegt hat (vgl. BGHZ 186, 96 107> Rn. 28). Dass der Bundesgerichtshof diese Frage auch
unter Zugrundelegung seiner damaligen Auslegung nicht für zweifelsfrei und daher für nicht klärungsbedürftig hätte erachten
dürfen, zeigt bereits der Umstand, dass der zuständige Senat seine dahingehende Rechtsauffassung selbst geändert hat und nunmehr
- in jeder Hinsicht überzeugend - ein Verständnis im Sinne der Beschwerdeführer für "ebenfalls vertretbar", sogar "nahe liegender"
hält (vgl. BGHZ 186, 96 107 f.> Rn. 30) und dieses Auslegungsergebnis unter Anwendung des § 5 AGBG (jetzt: § 305c Abs. 2
BGB) verbindlich vorgibt (vgl. BGHZ 186, 96 108> Rn. 31).
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3. Auch die übrigen Voraussetzungen der Annahme der Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG liegen hinsichtlich der die Nichtzulassungsbeschwerden zurückweisenden Beschlüsse vor.
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Allerdings ist die Annahme einer Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung als verletzt gerügter Rechte dann nicht angezeigt,
wenn deutlich abzusehen ist, dass der betreffende Beschwerdeführer auch im Falle einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht
im Ergebnis keinen Erfolg haben würde (vgl. BVerfGE 90, 22 25 f.>). So verhält es sich hier jedoch gerade nicht. Der Bundesgerichtshof
hat zur Täuschung über Innenprovisionen mittels des auch hier verwendeten "Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrags"
zwar in seinem Urteil vom 29. Juni 2010 Stellung genommen (BGHZ 186, 96), so dass die Grundsatzbedeutung zwischenzeitlich
entfallen ist. Das steht der hinreichenden Erfolgsaussicht der Nichtzulassungsbeschwerden der Beschwerdeführer aber ersichtlich
nicht entgegen. Entfällt der Zulassungsgrund - wie hier die grundsätzliche Bedeutung - vor der Entscheidung des Revisionsgerichts
deshalb, weil die Rechtsfrage in einem anderen Verfahren geklärt worden ist, gebietet eine verfassungskonforme Auslegung der
§ 543 Abs. 2 Satz 1, § 544 Abs. 4 ZPO im Lichte des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3
GG) die Revision gleichwohl dann zuzulassen, wenn diese Aussicht auf Erfolg verspricht (vgl. BVerfGK 6, 79 81 ff.>; BVerfG,
Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. April 2008 - 1 BvR 1440/07 -, NJW 2008, S. 2493 2494>; Beschluss der 3.
Kammer des Ersten Senats vom 29. September 2010 - 1 BvR 2649/06 -, juris, Rn. 23). Die Erfolgsaussicht der Revision ist auf
Grundlage der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keinesfalls zu verneinen, sondern drängt sich
auf. Der Bundesgerichtshof geht aufgrund der Unklarheitenregel des § 5 AGBG davon aus, dass das in Rede stehende Formular
den Eindruck erweckt, die beiden dort bezeichneten Vermittlungsgesellschaften hätten ihre Leistungen ausschließlich zu den
im Formular ausgewiesenen Provisionen erbringen sollen (vgl. BGHZ 186, 96 108> Rn. 31). Bei dieser Auslegung des "Objekt-
und Finanzierungsvermittlungsauftrags" liegt eine Täuschung der Beschwerdeführer über die Höhe der Vermittlungsprovisionen
vor, die - unter weiteren Voraussetzungen - nunmehr zu einer Haftung der in den Ausgangsverfahren jeweils beklagten Bank und
Bausparkasse führen kann.
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Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen die jeweils im Instanzenzug vorausgegangenen Urteile des jeweiligen Landgerichts
und Oberlandesgerichts richten, ist ihre Annahme zur Entscheidung weder wegen grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung
noch zur Durchsetzung der verfassungsmäßigen Rechte der Beschwerdeführer angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Mit der Aufhebung
der die Nichtzulassungsbeschwerden zurückweisenden Beschlüsse verbunden mit der Zurückverweisung der Sachen an den Bundesgerichtshof
ist die Möglichkeit einer fachgerichtlichen Korrektur der Entscheidung wieder eröffnet. Der Bundesgerichtshof wird unter Einbeziehung
seiner zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung (vgl. BGHZ 186, 96) erneut über die Zulassung der Revision zu entscheiden
haben, so dass die Frage, ob das jeweilige Urteil des Berufungsgerichts letztlich Bestand haben wird, noch offen ist. Einer
Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht, ob diese Urteile wegen eines vom jeweiligen Landgericht beziehungsweise Berufungsgericht
nicht hinreichend beachteten "strukturellen Ungleichgewichts" zwischen den Vertragspartnern mit Art. 2 Abs. 1 GG unvereinbar
ist, wie die Beschwerdeführer meinen, bedarf es daher hier nicht (vgl. BVerfGE 50, 115 125>).
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Von einer weiteren Begründung wird insoweit nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2, Abs. 3 BVerfGG. Im Hinblick auf den wesentlichen Teilerfolg der
Verfassungsbeschwerde erscheint die Anordnung der Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführer angemessen.