Muskel-Skelett-System
Myositis: So erkennt und behandelt man die seltene Muskelerkrankung
Veröffentlicht am:09.01.2024
6 Minuten Lesedauer
Bei einer Myositis entzünden sich Teile der Muskulatur. Das ist oft schmerzhaft, vor allem aber verlieren die Muskeln an Kraft. Es gibt mehrere Formen der Myositis, die verschiedene Ursachen und Symptome haben und unterschiedlich behandelt werden.
Was ist eine Myositis?
Myositis ist die Bezeichnung für eine Gruppe entzündlicher Muskelerkrankungen. Der Name sagt es schon: „Myo“ heißt Muskel und „itis“ steht in der Medizin für Entzündung. Myositiden (so der Plural) führen zu Muskelschwäche und Kraftverlust. Außer den Muskeln sind bei verschiedenen Formen der Myositis auch anderere Organe von Entzündungen betroffen, wie zum Beispiel die Haut, die Speiseröhre, das Herz oder die Lunge.
Die meisten Formen der Myositis sind Autoimmunkrankheiten (autoimmune Myositis). Bei Menschen mit einer Autoimmunerkrankung ist das körpereigene Abwehrsystem fehlgesteuert und greift außer Krankheitserregern auch körpereigene Strukturen an, wodurch es zu Entzündungen in Geweben oder Organen kommt – bei Myositis in den Muskeln.
Eine Myositis kann aber auch durch äußere Erreger wie Viren, Bakterien, Parasiten und selten durch Pilze ausgelöst werden (erregerbedingte oder infektiöse Myositis). Bei infektiösen Myositiden kann der Krankheitserreger nachgewiesen werden und ihre Behandlung zielt auf die Bekämpfung dieses Erregers. Eine solche präzise Diagnose und zielgerichtete Behandlung ist bei einer autoimmunen Myositis nicht möglich.
Myositiden sind selten: Durchschnittlich erkranken ungefähr zehn Menschen pro eine Million Einwohner an einer der Formen der Myositis. Betroffen sind Menschen jeglichen Alters, vom Kindes- bis ins hohe Erwachsenenalter. Frauen erkranken häufiger als Männer, nur bei der sogenannten Einschlusskörpermyositis verhält es sich umgekehrt.
Dermatomyositis
Außer den Muskeln – vorwiegend im Schulter- und Beckenbereich – erkrankt hier typischerweise auch die Haut. Eine Dermatomyositis tritt in der Regel im Erwachsenalter auf und kann mit Krebserkrankungen in Verbindung stehen. Wenn Kinder erkranken, ist das eine Sonderform und wird juvenile Dermatomyositis genannt. Bei der juvenilen Dermatomyositis besteht kein Zusammenhang mit Krebserkrankungen.
Polymyositis
Diese seltenste Form der Myositis betrifft keine weiteren Organe. Das Immunsystem greift ausschließlich die Skelettmuskulatur an. Oft kommt es zu Muskelschwund, wenn sich geschädigtes Gewebe nicht mehr regenerieren kann. Eine Polymyositis betrifft in aller Regel Erwachsene und nur sehr selten Kinder.
Einschlusskörpermyositis
Eine Einschlusskörpermyositis tritt vor allem bei Menschen über 45 Jahren auf. Ihr Name kommt daher, dass sich unter dem Mikroskop in Gewebeproben von Erkrankten im Inneren der Muskelzellen abgelagerte Eiweiße nachweisen lassen: sogenannte Einschlusskörperchen. Diese sind ein Hinweis auf eine Degeneration des Muskelgewebes. Die Einschlusskörpermyositis kann alle Muskeln im Körper betreffen, typischerweise aber die Oberschenkelstrecker und die Fingerbeuger.
Immunvermittelte nekrotisierende Myopathie
Der komplizierte Name erklärt sich dadurch, dass es auch andere Muskelerkrankungen (Myopathien) gibt, die mit dem Absterben von Zellen (Nekrose) einhergehen, aber nichts mit einer Autoimmunreaktion zu tun haben. Stattdessen werden diese zum Beispiel durch Gift oder Medikamente hervorgerufen. Vor allem die Arm- und Beinmuskulatur entzündet sich bei einer immunvermittelten nekrotisierenden Myopathie, teilweise sind auch Herz und Lunge beteiligt. Weil es zum Absterben zahlreicher Zellen kommt, sind schwere Muskelschäden typisch für diese Form der Myositis.
Anti-Synthetase-Syndrom
Die Bezeichnung geht auf die charakteristischen Antikörper (Anti-Synthetase-Antikörper) zurück, die sich bei dieser Myositis labortechnisch nachweisen lassen. Beim Anti-Synthetase-Syndrom sind die Gelenke und unterschiedliche Organe – oft die Lunge – mit betroffen. Eine Muskelentzündung kann am Anfang der Krankheit manchmal sogar ausbleiben. Häufige Begleiterscheinungen sind Lungenerkrankungen und Arthritis.
Overlap-Myositis
Hiervon spricht man, wenn die Myositis in Verbindung mit anderen Autoimmunerkrankungen steht, zum Beispiel:
- systemischer Lupus Erythematodes
- systemischen Sklerodermie (seltene Form des entzündlichen Rheumas)
- primäres Sjögren-Syndrom (Autoimmunerkrankung, die vor allem Tränen- und Speicheldrüsen angreift)
- Mischkollagenose (Mischung einer Polymyositis mit einer oder mehreren der zuvor genannten Krankheiten)
- rheumatoide Arthritis
Wie entsteht eine Myositis?
Diese Frage lässt sich nur bei infektiösen Myositiden einfach beantworten, bei denen die Entzündung durch nachweisbare Erreger hervorgerufen wird. Bei den autoimmunen Myositiden ist unklar, was sie konkret auslöst und wie das geschieht. Es ist zwar anerkannt, dass Autoimmunvorgänge eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung von Myositiden spielen – so sind für die meisten Formen Immunreaktionen gegen körpereigene Eiweißstoffe über das Vorhandensein entsprechender Autoantikörper nachgewiesen. Der konkrete Auslöser der Immunreaktion ist hingegen noch nicht verstanden. Zumindest bei einigen Myositis-Formen dürfte eine genetische Veranlagung eine wesentliche Rolle spielen.
Passend zum Thema
An welchen Symptomen erkennt man eine Myositis?
Das Hauptsymptom aller Myositiden ist Kraftlosigkeit aufgrund der Muskelschwäche. Die Kraft kann schleichend oder plötzlich nachlassen. Dann fallen alltägliche Bewegungsabläufe schwer, zum Beispiel:
- Aufstehen
- Treppensteigen
- Anheben von Gegenständen
Außerdem kommt es bei einer Myositis oft zu Schmerzen in den Muskeln.
Nur bei der Polymyositis beschränken sich die Beschwerden meist auf die Muskeln, in erster Linie auf die Oberarme, Schultern, Hüfte und Oberschenkel. Die Beschwerden sind in der Regel beidseitig und entwickeln sich schleichend über Wochen und Monate.
Bei anderen Myositiden treten zusätzliche Symptome auf.
- Bei Dermatomyositis:
- Schwellungen um Nasenwurzel und Augenlider
- rosa-violette Färbung an Oberlidern, Haaransatz, Stirn und im Dekolleté
- rosa-violette Knötchen an den Fingern
- Rötungen an Knien und Gelenken
- Beim Anti-Synthetase-Syndrom:
- Fieber
- kalte und blasse Finger (Raynaud-Syndrom)
- rissige, raue Haut an den Händen
- Bei Einschlusskörpermyositis fallen oft das Gehen und Stehen sowie der Faustschluss schwer. Außerdem hat die Mehrzahl der Betroffenen Schluckbeschwerden (Dysphagie). Sie verläuft chronisch und führt zu oft sichtbarem Muskelschwund.
- Typisch für eine immunvermittelte nekrotisierende Myopathie ist eine sich schnell entwickelnde stark ausgeprägte Schwäche der Arm- und Beinmuskeln.
Die genannten Symptome sind für eine jeweilige Myositis typisch, treten aber auch bei anderen Formen auf. So kommen zum Beispiel Schluckstörungen bei allen Myositiden vor – wenn die Muskulatur im Hals- und Kehlkopfbereich beeinträchtigt ist – aber besonders oft bei Einschlusskörpermyositis.
Weitere Symptome hängen davon ab, ob eine Myositis auf weitere Organe oder Strukturen übergreift, zum Beispiel:
- Atemnot
- Herzbeschwerden
- Magen-Darm-Probleme
- Gelenkschmerzen
Passende Artikel zum Thema
Wie wird eine Myositis diagnostiziert?
Weil Myositiden so selten vorkommen und ein sehr komplexes Krankheitsbild aufweisen, ist die Diagnose einer Myositis und die genaue Bestimmung der Myositis-Form schwierig. Außerdem gibt es nichtentzündliche Muskelerkrankungen mit ähnlichen Symptomen. Sollte Ihr Hausarzt oder Ihre Hausärztin nach Abklärung Ihrer Beschwerden eine Myositis vermuten, werden Sie an eine fachärztliche Praxis überwiesen.
Diagnosemöglichkeiten sind:
- Elektromyographie (EMG), um die elektrische Aktivität in Ihren Muskeln zu messen
- Muskel- und Hautbiopsie (Entnahme und Untersuchung von Muskelgewebe- und Hautproben)
- Blutuntersuchung zum Nachweis von Autoantikörpern im Blut (bei Polymyositis gibt es keinen typischen Autoantikörpernachweis). Bestimmte weitere Blutwerte weisen auf eine Myositis hin, darunter die Konzentration des Enzyms Kreatinkinase, das von zerstörten Muskelfasern freigesetzt wird.
- Kapillarmikroskopie (Untersuchung der Blutgefäße am Nagelfalz)
- Muskelsonographie (Ultraschalluntersuchung der Muskeln)
- Magnetresonanztomographie (MRT)
Wie wird eine Myositis behandelt?
Es gibt keine Behandlungsmethoden, die zu einer vollständigen Heilung einer autoimmunen Myositis führen. Eine korrekte und frühzeitige Diagnose ermöglicht es aber in der Regel, die Beschwerden zu lindern. Die konkrete Behandlung hängt von der Art der Myositis und der Schwere der Muskelschwäche ab. Man unterscheidet zwischen einer Behandlung, um akute Beschwerden zu verringern, und einer Langzeittherapie, um den Krankheitsverlauf der Myositis zu kontrollieren. Weil verschiedene Bereiche des Körpers betroffen sein können, sollten Ärzte und Ärztinnen aus verschiedenen medizinischen Fachrichtungen an der Behandlung beteiligt sein, zum Beispiel aus der Neurologie, Rheumatologie, Hautheilkunde oder Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde.
Häufig eingesetzte Medikamente sind:
- Glukokortikoide, Kortison
- immunsuppressive Medikamente, die Immunreaktionen abschwächen
- Immunglobulintherapie mit Antikörpern aus Blutspenden
- Schmerzmittel, in der Regel nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen oder Paracetamol
Weitere unterstützende Maßnahmen sind:
- regelmäßige Physiotherapie, um die Muskelkraft zu verbessern
- Ergotherapie
- Logopädie bei Schluckbeschwerden und mündlichen Verständigungsproblemen
- bei fortgeschrittener Muskelschwäche Hilfsmittel wie Gehhilfen, Rollstühle, Greif- oder Schreibhilfen
Außerdem ist oft eine Behandlung von Erkrankungen anderer Organe notwendig, zum Beispiel bei Haut-, Lungen-, Herz- oder Magen-Darm-Krankheiten. Wie stark die Lebenserwartung bei einer Myositis eingeschränkt ist, hängt wesentlich von den Begleiterkrankungen ab.
Exklusiver Service für AOK-Versicherte mit verständlichen Antworten auf medizinische Fragen
AOK-Clarimedis: medizinische Informationen am Telefon
An 365 Tagen im Jahr, 24 Stunden täglich, helfen Ihnen medizinische Experten und Expertinnen unter der kostenfreien Telefonnummer 0800 1 265265 dabei, Symptome, Diagnosen, Laborwerte, Therapien oder Themen wie Vorsorge oder Impfungen besser zu verstehen.