Ein Baustein für die Gendermedizin
Die Gendermedizin rückt zunehmend in den Fokus. Ein Beispiel ist das Innovationsfonds-Projekt GenderVasc, in das Daten von vier Millionen Frauen und Männern mit kardiovaskulären Erkrankungen eingeflossen sind.
Kardiovaskuläre Erkrankungen sind mit weitem Abstand die Hauptursachen für Hospitalisierungen und Todesfälle in Deutschland. Die Universität Münster hat mit Unterstützung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Behandlung und der Prognose erkrankter Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung, einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) oder einer cerebrovaskulären Verschlusskrankheit (cAVK) analysiert. Bei diesen drei häufigsten kardiovaskulären Erkrankungen gibt es erhebliche Geschlechtsunterschiede.
Projektziel von GenderVasc
Übergeordnetes Projektziel war eine Verbesserung der medizinischen Versorgungsqualität mithilfe eines optimierten Ressourceneinsatzes. Von besonderem Interesse war dabei das sogenannte Gender-Paradox. Dieses Phänomen beschreibt den Widerspruch, dass Frauen grundsätzlich seltener und erst im späteren Lebensalter unter Problemen an Herz und Blutgefäßen leiden, wenn sie aber erkranken, deutlich höhere Komplikationsraten und schlechtere Prognosen als männliche Patienten aufweisen.
Die Ergebnisse von GenderVasc veröffentlichten die Forscherinnen und Forscher unter anderem im Versorgungs-Report des WIdO 2023. Demnach gibt es generell kein Indiz für einen geschlechtsspezifischen Faktor, der die Prognose für Frauen verschlechtert. Vielmehr resultieren die ungünstigen Aussichten aus einem höheren Lebensalter, häufigeren Begleiterkrankungen und Unterschieden in der Behandlung.
Ein Beispiel: Bei Frauen mit ST-Hebungsinfarkt werden seltener diagnostische und therapeutische Koronarangiographie und Bypass-Operationen durchgeführt als bei Männern (siehe Grafik).
Unterschiedliche Versorgung von Männern und Frauen
Ein ähnlich ungleiches Bild ergibt sich in der leitliniengerechten Pharmakotherapie bei pAVK. Eva Freisinger, Studienautorin und Kardiologin, kritisiert: „Insbesondere Patienten weiblichen Geschlechts sind von einer Unterversorgung mit invasiven und medikamentösen Maßnahmen betroffen. Vor dem Hintergrund chronisch progressiver Krankheitsverläufe und damit einhergehenden Einschränkungen sowie hohem Sterberisiko bei der koronaren Herzerkrankung als auch bei kritischer Extremitätenischämie ist eine Optimierung therapeutischer und präventiver Maßnahmen von großer Bedeutung.“ Von Relevanz sei außerdem die Identifikation von Risikogruppen (zum Beispiel Hochbetagte) und deren spezielle Versorgungsbedürfnisse.
Insgesamt leisten die Ergebnisse von GenderVasc einen Beitrag zum Verständnis der Versorgungssituation kardiovaskulärer Erkrankungen in Deutschland und zeigen Defizite bei der Einhaltung von Leitlinien auf. Freisinger: „Es wird Aufgabe künftiger Projekte sein, die sich daraus ergebenden Fragestellungen – unter Berücksichtigung des Geschlechts – dezidiert aufzuarbeiten.“ Die im Projekt erzielten Ergebnisse wurden bereits an sieben Fachgesellschaften, wie beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung und die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), zur Information weitergeleitet.
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