Forderung nach Pandemie-Aufarbeitung bleibt aktuell
Für die Behandlung von Patienten mit Verdacht auf Long Covid gibt es seit Jahresbeginn erstmals eigene Leistungen im ärztlichen Honorarsystem. Sie ermöglichen das Umsetzen einer vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) beschlossenen Richtlinie zur koordinierten und strukturierten Versorgung von Menschen mit Verdacht auf Long Covid und Erkrankungen mit ähnlicher Ursache oder Krankheitsausprägung. An oder mit einer Corona-Infektion sind in Deutschland seit dem ersten Todesfall am 8. März 2020 bis zum 31. Dezember vorigen Jahres 186.244 Menschen gestorben. Eine systematische Aufarbeitung der akuten Krisenjahre steht noch aus.
„Für eine Gesamtbilanz der Corona-Pandemie ist es aus meiner Sicht noch zu früh“, sagte der Unparteiische GBA-Vorsitzende Josef Hecken G+G. „Wir wissen beispielsweise nach wie vor nicht, warum Menschen an Long Covid erkranken und ob man sie hätte schützen können. Oder welche langfristigen Folgen beispielsweise die Schulschließungen auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen haben.“ Als wünschenswert bezeichnete Hecken eine „systematische und international vergleichende Aufarbeitung der Schutzmaßnahmen, bei der es nicht um Schuldzuweisung sondern um zu ziehende Lehren geht“.
„Die Corona-Pandemie muss aufgearbeitet werden – auch und gerade aus der Perspektive der Pflegefachpersonen, Patientinnen und Patienten und Pflegebedürftigen“, forderte die Präsidentin des Deutschen Pflegerates, Christine Vogler. Die Pflegeberufe müssten „endlich systematisch in die Pandemiebewältigung eingebunden werden, sowohl auf strategischer als auch auf operativer Ebene“, sagte Vogler G+G.
Auch der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lars Schaade, sprach sich gegenüber G+G für eine Aufarbeitung aus: „Die Erfahrungen aus der Pandemie sollten alle Akteure auswerten, um für die nächste Pandemie besser vorbereitet zu sein.“ Als Vorbereitung auf mögliche künftige Gesundheitskrisen werde der Nationale Pandemieplan derzeit von Bund und Bundesländern neu konzipiert – „basierend auf den Erfahrungen während der Covid-19-Pandemie“.
Der Intensivmediziner Christian Karagiannidis, Mitglied des Expertenrates „Gesundheit und Resilienz“ der Bundesregierung, warnte vor einer zu stark rückwärtsgewandten Perspektive. „Ich glaube, wir würden uns mit der Aufarbeitung grundsätzlich schwer tun.“ Retrospektiv habe jeder ein anderes Bild von dem, was damals wirklich passiert sei. „Vor einer langen und Ressourcen-intensiven Aufarbeitung sollten wir gut überlegen, ob wir dann auch bereit sind die Vorschläge umzusetzen“, so Karagiannidis. „Wir täten allerdings gut daran, noch einmal klar zu machen, wie die wahre Ist-Situation war.“ (toro)