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Karenztag: Ruf nach Wiedereinführung stößt auf Kritik

07.01.2025 2:30 Min. Lesedauer

Die Debatte um die Wiedereinführung eines Karenztages bei einer Krankschreibung erhitzt zunehmend die Gemüter. Während Wirtschaftsvertreter sich angesichts eines hohen Krankenstands in Deutschland für diese Idee erwärmen, hagelt es von anderer Seite, etwa von Gesundheitsexperten, Kritik. „Wenn ich Unternehmer wäre und stellte in meinem Unternehmen fest, ich habe einen hohen Krankenstand, dann muss man, glaube ich, auch mal ins Unternehmen gehen und schauen, was ich für eine Unternehmenskultur habe“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer (Bäk), Klaus Reinhardt, heute in Berlin. „Es ist keine Fragestellung aus ärztlicher Betrachtung, es ist eine gesellschaftliche Fragestellung.“

Der Chef des Versicherungskonzerns Allianz, Oliver Bäte, hatte im „Handelsblatt“ vorgeschlagen, dass „Arbeitnehmer die Kosten für den ersten Krankheitstag selbst tragen“. So würden Arbeitgeber entlastet, argumentierte er. Angestellte hierzulande seien im Schnitt 20 Tage pro Jahr krank, der EU-Schnitt liege bei acht Tagen. Deutschland werde um Leistungskürzungen im Sozialbereich nicht herumkommen, betonte Bäte. „Wir brauchen eine Debatte darüber, was wir uns in einer alternden Gesellschaft noch leisten können.“ Unions-Fraktionsvize Sepp Müller (CDU) zeigte sich offen dafür. Die Sozialsysteme würden immer weiter beansprucht, sagte er dem Nachrichtenportal „Politico“. Auch die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer hatte sich kürzlich für Karenztage ausgesprochen. 

„Nur die allerwenigsten Menschen melden sich aus Spaß krank“, monierte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge, in „Politico“. Er forderte einen „Krankenstands-Gipfel“, um mit den beteiligten Akteuren über die Lage zu beraten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte auf X, die hohen Krankheitszahlen gingen „auf Versagen bei Vorbeugung chronischer Krankheiten zurück“.

Die IG Metall bezeichnete Bätes Vorstoß als „unverschämt und fatal“. Karenztage aus der Mottenkiste zu holen, greife die soziale Sicherheit an und fördere die Verschleppung von Krankheiten. Der Karenztag wurde in den 1970er Jahren abgeschafft, Arbeiter und Angestellte bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall somit gleichgestellt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnte vor einer zunehmenden Tendenz bei Beschäftigten in Deutschland, trotz Krankheit zu arbeiten.

Wie es gehen könnte, zeigt derweil der aktuelle Fehlzeiten-Report 2024 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO): Beschäftigte mit höherer emotionaler Bindung an den Arbeitgeber sind demnach weniger krank. (bhu/at)