Ökonomen fürchten massive Folgen durch aufgeschobene Reformen
Führende Ökonomen befürchten negative wirtschaftliche Folgen durch die von Union und SPD im Koalitionsvertrag vertagten Reformen der gesetzlichen Kranken- und der Pflegeversicherung. „Der Handlungsdruck in der GKV ist akut, aber der Koalitionsvertrag setzt vor allem auf Analyse statt auf Maßnahmen“, sagte Christian Hagist von der WHU – Otto Beisheim School of Management zu G+G. Eine Kommission, die erst bis 2027 Ergebnisse für die GKV-Finanzen liefern solle, komme angesichts der angespannten Finanzlage zu spät. Jochen Pimpertz vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln warnte vor weiter anziehenden Beitragssätzen. Diese drückten auf die Investitionsanreize und führten dazu, dass „der Inlandskonsum schrumpft und sich die Wachstumsperspektiven dauerhaft eintrüben“.
Zuvor hatten bereits die gesetzlichen Krankenkassen kritisiert, dass milliardenschwere Entlastungen für GKV und soziale Pflegeversicherung (SPV), die in einem ersten Arbeitspapier der Fachpolitiker beider Parteien noch enthalten waren, gestrichen wurden. So hatten die Kassen gehofft, dass die Aufwendungen für Bürgergeldbeziehende im Umfang von neun bis zehn Milliarden Euro künftig aus Steuermitteln finanziert werden.
Hagist verwies auf die bereits existierenden Rekordbeiträge. Ohne kurzfristige strukturelle Eingriffe drohe ein weiterer Anstieg. „Aus meiner Sicht wäre das fatal, da GKV und SPV zusammen heute schon eine größere Beitragsbelastung darstellen als die gesetzliche Rentenversicherung – und Gesundheits- und Pflegeausgaben zudem stärker als die Gesamtwirtschaft wachsen.“ Höhere Sozialabgaben wirkten wie eine „schleichende Steuer auf Arbeit – sie bremsen Beschäftigung und belasten insbesondere untere und mittlere Einkommen“, so der Ökonom. Gerade in einer Phase wirtschaftlicher Unsicherheit sei das ein Problem. „Deshalb wäre es dringend nötig, auch auf der Ausgabenseite gegenzusteuern und echte Strukturreformen wie eine Wiedereinführung der Praxisgebühr oder Managed-Care-Ansätze schnell und zügig anzugehen.“ Auch bei der Pflegeversicherung werde im Bündnisvertrag auf eine geplante Kommission verwiesen, aber Beitragszahlende, Investoren und Beschäftigte im Pflegesektor bräuchten schon heute Verlässlichkeit.
IW-Experte Pimpertz vertrat ebenfalls die Ansicht, Kommissionsvorschläge für die GKV-Finanzen kämen 2027 „aller Voraussicht nach zu spät“. Denn die Empfehlungen müssten auch politisch beschlossen und umgesetzt werden. „Unter dem Strich trägt der Koalitionsvertrag den Herausforderungen nur unzureichend Rechnung: Der demografische Wandel entfaltet ab jetzt seine Wirkung“, sagte Pimpertz zu G+G. (sev)
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