Soziale Kluft bei Lebenserwartung nimmt zu – Experten fordern Chancengleichheit
Die Schere zwischen Arm und Reich bei den Gesundheitschancen geht in Deutschland weiter auseinander. Dies geht aus einer Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI) hervor, die heute auf dem Kongress „Armut und Gesundheit“ in Berlin vorgestellt wurde. Die Ergebnisse zeigten, dass sich die gesundheitliche Ungleichheit in den letzten Jahrzehnten verstärkt habe, sagte RKI-Wissenschaftler Jens Hoebel. Eine umfassende Strategie zur Verbesserung gesundheitlicher Chancengerechtigkeit gehöre daher mehr denn je auf die politische Agenda.
Nach Hoebels Worten wiesen Frauen in sozioökonomisch benachteiligten Regionen zuletzt eine 4,3 Jahre kürzere Lebenserwartung auf als ihre Geschlechtsgenossinnen in den reichen Wohnorten Deutschlands. Bei den Männern betrage dieser Unterschied sogar 7,2 Jahre. Anfang der 2000er Jahre habe diese Lücke bei der Lebenserwartung noch bei 2,6 Jahren für Frauen und 5,7 Jahren für Männer gelegen. Als Erklärung führte Hoebel an, dass Menschen in wohlhabenden Regionen stärker vom allgemeinen Anstieg der Lebenserwartung profitiert hätten, während Menschen aus ärmeren Gegenden in der Corona-Pandemie stärkere Einbußen bei der Lebenserwartung hätten hinnehmen müssen. Die gesundheitliche Ungleichheit zeige sich über ein sehr breites Spektrum von Krankheiten – von Herz-Kreislauferkrankungen über Diabetes zu chronischen Atemwegserkrankungen.
Gesundheitliche Chancengleichheit sei in Deutschland nach wie vor nicht gegeben, konstatierte auch Anne Kaman vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Dies zeige sich bei der seelischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Claudia Röhl vom Umweltbundesamt wies darauf hin, dass arme Haushalte stärker durch schlechte Luft, Lärm und Hitzetage belastet seien.
Berlins Gesundheitssenatorin Ina Czyborra forderte eine stärkere Präventionsförderung. „Wir brauchen hier eine gute Finanzierungsgrundlage“, sagte die SPD-Politikerin. Gesundheit zu fördern heiße auch Demokratie zu fördern. Die immer stärkere Spreizung von Einkommen beschädige den sozialen Zusammenhalt, mahnte der Gesundheitsökonom Rolf Rosenbrock, Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Gesundheit Berlin-Brandenburg, welche den Kongress jährlich ausrichtet. Die Einrichtung eines Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit müsse bei den laufenden Koalitionsverhandlungen erörtert werden. Der Kongress findet seit 1995 jährlich statt. (at)