Studie: Unzufriedenheit mit dem Gesundheitswesen nimmt zu
In Deutschland bemängeln immer mehr Menschen die Gesundheitsversorgung. Laut heute von der Techniker Krankenkasse (TK) veröffentlichten Umfrageergebnissen ist aktuell jeder Dritte unzufrieden. Fast 40 Prozent ärgern sich über langes Warten auf Facharzttermine. 94 Prozent der Befragten rechnen mit weiter steigenden Krankenkassenbeiträgen. TK-Chef Jens Baas rief Union und SPD dazu auf, die Gesundheitspolitik bei den Koalitionsverhandlungen nicht als Randthema zu behandeln. Der Politologe Wolfgang Schroeder warnte vor Vertrauensverlust. Ein funktionierendes Gesundheitswesen sei ein Stabilitätsfaktor für die Demokratie.
Wesentliche Ergebnisse der TK-Befragung decken sich mit einem durch die AOK vor der Bundestagswahl erhobenen Meinungsbild. Danach wächst der Frust der Patienten trotz immer mehr Leistungsausgaben. Die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) propagierte „Entökonomisierung der Medizin“ habe zu keinem sinnvolleren Einsatz der Beitragsmittel geführt, kritisierte Baas. Er forderte ein Ende von „Was-geht-Preisen“ durch das Koppeln der Leistungsausgaben an die Einnahmen. Als Kernproblem diagnostizierte er „chaotische Prozesse“ im Gesundheitswesen, verursacht durch sektorale Gliederung, Überregulierung und fehlende Patientensteuerung.
Schroeder wertete die Umfrageergebnisse als „Alarmzeichen“. Die Sozialversicherungen trügen Verantwortung „für das ganze System der Demokratie“. „Ein leistungskräftiges Gesundheitssystem für alle ist eines der besten Medikamente gegen Populismus, Erosion von Vertrauen, Zurückgezogenheit und Missmut“, so der Politologe. Er plädierte für die Bildung einer „großen Expertenkommission“ zur Benennung konkreter Reformen. Die Politik müsse „die Bereitschaft der Menschen zum Umbau und zu Reformen aufgreifen“. Bei der TK-Umfrage sahen 80 Prozent der Teilnehmer grundlegenden oder stellenweisen Reformbedarf im Gesundheitswesen.
Baas bezeichnete eine konsequente Patientensteuerung als wichtigsten Reformschritt. Vor jeder medizinischen Versorgung müsse die Frage beantwortet werden, ob und welche Behandlung durch wen sinnvoll sei. Im Idealfall funktioniere das nach dem Motto „digital vor ambulant vor stationär“. Auf Dauer sei auch die Teilung in gesetzliche und private Krankenversicherung nicht durchzuhalten, betonte der TK-Chef. Durch die Umfrage sieht er sich bestätigt: 83 Prozent bezeichneten die getrennte Versorgung als ungerecht. 72 Prozent wünschten sich eine einheitliche Krankenversicherung. Dem stimmten auch 58 Prozent der Privatversicherten zu. (toro)