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EuGH 13.07.2023 - C-344/22
EuGH 13.07.2023 - C-344/22 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zehnte Kammer) - 13. Juli 2023 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 2 Abs. 1 Buchst. c – Dienstleistungen gegen Entgelt – Einrichtungen des öffentlichen Rechts – Gemeinde, die für die Bereitstellung von für jedermann zugänglichen Kureinrichtungen eine Kurtaxe erhebt“
Leitsatz
In der Rechtssache C-344/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 15. Dezember 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Mai 2022, in dem Verfahren
Gemeinde A
gegen
Finanzamt
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. Gratsias sowie der Richter I. Jarukaitis und Z. Csehi (Berichterstatter),
Generalanwältin: T. Ćapeta,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Gemeinde A, vertreten durch Rechtsanwältinnen G. Burret und N. Katemann,
der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und N. Scheffel als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaitė und B. Martenczuk als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c und Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gemeinde A (Deutschland) und dem Finanzamt (Deutschland) über das Recht der Gemeinde A auf Vorsteuerabzug.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Art. 2 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
…
Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt;
…“
Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“
Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Umsätzen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.
Falls sie solche Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Umsätze jedoch als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.
…“
Art. 168 der Richtlinie sieht vor:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;
…“
Deutsches Recht
§ 1 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: UStG) sieht vor:
„Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:
die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Steuerbarkeit entfällt nicht, wenn der Umsatz auf Grund gesetzlicher oder behördlicher Anordnung ausgeführt wird oder nach gesetzlicher Vorschrift als ausgeführt gilt;
…“
§ 2 UStG bestimmt:
„(1) Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Das Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird.
…
(3) Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art … und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig. …“
In § 12 Abs. 2 UStG heißt es:
„Die Steuer ermäßigt sich auf sieben Prozent für die folgenden Umsätze:
…
die unmittelbar mit dem Betrieb der Schwimmbäder verbundenen Umsätze sowie die Verabreichung von Heilbädern. Das Gleiche gilt für die Bereitstellung von Kureinrichtungen, soweit als Entgelt eine Kurtaxe zu entrichten ist; …“
§ 4 Abs. 1 der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: GemO) sieht vor:
„Die Gemeinden können die weisungsfreien Angelegenheiten durch Satzung regeln, soweit die Gesetze keine Vorschriften enthalten. …“
§ 10 Abs. 2 und 3 GemO lautet:
„(2) Die Gemeinde schafft in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit die für das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Wohl ihrer Einwohner erforderlichen öffentlichen Einrichtungen. Die Einwohner sind im Rahmen des geltenden Rechts berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Gemeinde nach gleichen Grundsätzen zu benutzen. Sie sind verpflichtet, die Gemeindelasten zu tragen.
(3) Personen, die in der Gemeinde ein Grundstück besitzen oder ein Gewerbe betreiben und nicht in der Gemeinde wohnen, sind in derselben Weise berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen zu benutzen, die in der Gemeinde für Grundbesitzer oder Gewerbetreibende bestehen, und verpflichtet, für ihren Grundbesitz oder Gewerbebetrieb zu den Gemeindelasten beizutragen.“
§ 2 Abs. 1 des Kommunalabgabengesetzes für Baden-Württemberg in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung sieht vor:
„Die Kommunalabgaben werden auf Grund einer Satzung erhoben. Die Satzung soll insbesondere den Kreis der Abgabenschuldner, den Gegenstand, den Maßstab und den Satz der Abgabe sowie die Entstehung und die Fälligkeit der Abgabenschuld bestimmen.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist eine Gemeinde und ein staatlich anerkannter heilklimatischer Luftkurort. Ihre Kurverwaltung wird kommunalrechtlich als sogenannter Eigenbetrieb geführt und ist körperschaftsteuerrechtlich ein Betrieb gewerblicher Art.
In diesem Zusammenhang erhebt die Klägerin des Ausgangsverfahrens gemäß § 4 GemO in Verbindung mit der Satzung gemäß § 2 des Kommunalabgabengesetzes für Baden-Württemberg (im Folgenden: kommunale Satzung) eine Kurtaxe zur Deckung ihres Aufwands für die Herstellung und Unterhaltung der zu Kur- und Erholungszwecken bereitgestellten Einrichtungen und für die zu diesem Zweck durchgeführten Veranstaltungen.
Kurtaxepflichtig sind erstens ortsfremde Personen, die sich in der Gemeinde aufhalten und denen die Möglichkeit zur Benutzung der Einrichtungen und zur Teilnahme an den betreffenden Veranstaltungen geboten ist, zweitens Einwohner der Gemeinde, die den Schwerpunkt der Lebensbeziehungen in einer anderen Gemeinde haben, und drittens ortsfremde Personen, die sich aus beruflichen Gründen zur Teilnahme an Tagungen oder sonstigen Veranstaltungen in der Gemeinde aufhalten (im Folgenden zusammen: Kurtaxeschuldner). Dagegen wird die Kurtaxe nicht von Tagesgästen sowie von Ortsfremden oder Einwohnern erhoben, die in der Gemeinde arbeiten oder in Ausbildung stehen.
Die Kurtaxe wird für Ortsfremde auf einen bestimmten Betrag pro Aufenthaltstag und für kurtaxepflichtige Einwohner auf einen jährlichen Pauschalbetrag festgesetzt, der unabhängig von der Dauer und Häufigkeit sowie der Jahreszeit des Aufenthalts zu entrichten ist.
Nach den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen ist, wer Personen gegen Entgelt beherbergt, einen Campingplatz betreibt oder seine Wohnung als Ferienwohnung ortsfremden Personen gegen Entgelt zur Verfügung stellt, verpflichtet, diese Personen innerhalb von drei Tagen nach Ankunft bzw. Abreise an- bzw. abzumelden. Daneben sind Reiseunternehmen meldepflichtig, wenn in dem von dem Reiseteilnehmer zu entrichtenden Entgelt auch die Kurtaxe enthalten ist.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens finanzierte mit den Einnahmen aus der Erhebung dieser Taxe in den Jahren 2009 bis 2012 (im Folgenden: Streitjahre) die Herstellung, den Unterhalt und die Sanierung u. a. von Kurpark, Kurhaus und Wegen (im Folgenden zusammen: Kureinrichtungen). Diese Einrichtungen sind für jedermann frei zugänglich; eine Kurkarte wird zum Eintritt nicht benötigt.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens sah im Rahmen ihrer Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre die Kurtaxe als Entgelt für eine umsatzsteuerpflichtige Tätigkeit, nämlich den Kurbetrieb, an und begehrte den Abzug der für alle mit dem Fremdenverkehr zusammenhängenden Eingangsleistungen entrichteten Umsatzsteuer.
Im Rahmen einer vom Beklagten des Ausgangsverfahrens durchgeführten Außenprüfung ließ der Prüfer u. a. die nicht mit dem Kurbetrieb zusammenhängenden Vorsteuerbeträge außer Betracht und berücksichtigte die Vorsteuerbeträge für das Kurhaus nur insoweit, als dieses entgeltlich verpachtet worden war. Am 20. März 2015 erließ der Beklagte des Ausgangsverfahrens entsprechend diesen Feststellungen Umsatzsteuer-Änderungsbescheide.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin des Ausgangsverfahrens Klage beim Finanzgericht Baden-Württemberg (Deutschland).
Mit Urteil vom 18. Oktober 2018 wies dieses Gericht die Klage ab, wobei es im Wesentlichen feststellte, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens durch ihre Betätigung zur Erhebung einer Kurtaxe nicht unternehmerisch gehandelt habe. Da der Betrieb der Kureinrichtungen gegen eine Kurtaxe keine unternehmerische Tätigkeit darstelle, seien die erklärten Umsätze aus der Erhebung dieser Taxe nicht umsatzsteuerbar und folglich die vom Beklagten des Ausgangsverfahrens ursprünglich gewährten Vorsteuerbeträge abzuerkennen. Allerdings sei eine Verböserung der Steuerfestsetzung zulasten der Klägerin (reformatio in peius) verboten.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens legte gegen dieses Urteil Revision beim Bundesfinanzhof (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, ein.
Erstens fragt sich das vorlegende Gericht, ob im vorliegenden Fall Dienstleistungen gegen Entgelt vorliegen, wobei es klarstellt, dass es dazu neige, die Frage zu verneinen. Die Kureinrichtungen könnten nämlich auch von nicht kurtaxepflichtigen Personen kostenfrei genutzt werden. Der Empfänger der als Gegenleistung für die Kurtaxe erbrachten Leistung sei bei dieser Sichtweise nicht feststellbar, denn die kurtaxepflichtige Person habe gegenüber der Allgemeinheit, die diese Einrichtungen ebenfalls kostenlos nutzen dürfe, keinen verbrauchsfähigen konkreten Vorteil erhalten, der über den Vorteil der Allgemeinheit hinausgehe. Das vorlegende Gericht hegt jedoch Zweifel, ob das Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin des Ausgangsverfahrens und den Kurgästen isoliert zu betrachten ist. Diese zahlten nämlich aufgrund der kommunalen Satzung für die Bereitstellung von Kureinrichtungen eine Kurtaxe in Höhe eines bestimmten Betrags pro Aufenthaltstag. Die Zahlungen stellten sich somit als Gegenleistung für die Möglichkeit dar, diese Kureinrichtungen zu nutzen. Schließlich weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass nicht ausgeschlossen sei, dass eine dauerdefizitäre Tätigkeit vorliege, da die Kurtaxe die Betriebskosten der Kureinrichtungen nicht decke.
Für den Fall, dass die in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannte Frage zu bejahen ist, möchte das vorlegende Gericht zweitens vom Gerichtshof wissen, ob für die Feststellung, ob „größere Wettbewerbsverzerrungen“ im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorliegen, die Prüfung nicht nur das Gebiet der Klägerin des Ausgangsverfahrens, sondern auch die benachbarten Gemeinden, das Land Baden-Württemberg (Deutschland) oder das Bundesgebiet betreffen muss.
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Übt unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine Gemeinde, die aufgrund einer kommunalen Satzung von Besuchern, die sich in der Gemeinde aufhalten (Kurgäste), für die Bereitstellung von Kureinrichtungen (z. B. Kurpark, Kurhaus, Wege) eine „Kurtaxe“ (in Höhe eines bestimmten Betrags pro Aufenthaltstag) erhebt, mit der Bereitstellung der Kureinrichtungen an die Kurgäste gegen Kurtaxe auch dann eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie aus, wenn die Kureinrichtungen ohnehin für jedermann (und daher z. B. auch für nicht kurtaxepflichtige Einwohner oder andere nicht kurtaxepflichtige Personen) frei zugänglich sind?
Falls die Frage 1 bejaht wird: Ist unter den oben genannten Umständen des Ausgangsverfahrens bei der Prüfung, ob die Behandlung der Gemeinde als nicht Steuerpflichtige zu „größeren Wettbewerbsverzerrungen“ im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie führen würde, der räumlich relevante Markt nur das Gemeindegebiet?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Soweit das vorlegende Gericht im Wortlaut der ersten Frage auf den Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ abstellt, ist daran zu erinnern, dass nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie als „Steuerpflichtiger“ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt. Nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 gelten als „wirtschaftliche Tätigkeit“ alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe.
Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Tätigkeit aber nur dann als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie eingestuft werden, wenn mit ihr einer der in Art. 2 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie genannten Steuertatbestände erfüllt wird (Urteil vom 15. April 2021, Administration de l’Enregistrement, des Domaines et de la TVA, C-846/19, EU:C:2021:277, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Um festzustellen, ob die Bereitstellung von Kureinrichtungen unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellt und ob folglich die Klägerin des Ausgangsverfahrens Steuerpflichtige im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie ist, ist zunächst festzustellen, ob sie im Rahmen dieser Bereitstellung eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie erbracht hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Mai 2016, Gemeente Borsele und Staatssecretaris van Financiën, C-520/14, EU:C:2016:334, Rn. 22).
Da sich anhand der Angaben, die das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen gemacht hat, feststellen lässt, dass im Ausgangsverfahren tatsächlich eine Dienstleistung in Frage steht, ist weiter zu prüfen, ob diese Dienstleistung als von der Klägerin des Ausgangsverfahrens gegen Entgelt erbracht angesehen werden kann, wie es Art. 2 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie voraussetzt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Mai 2016, Gemeente Borsele und Staatssecretaris van Financiën, C-520/14, EU:C:2016:334, Rn. 23).
Daher ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Bereitstellung von Kureinrichtungen durch eine Gemeinde eine „Dienstleistung gegen Entgelt“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn die Gemeinde von Besuchern, die sich in der Gemeinde aufhalten, aufgrund einer kommunalen Satzung eine Kurtaxe in Höhe eines bestimmten Betrags pro Aufenthaltstag erhebt, wobei diese Einrichtungen für jedermann frei und unentgeltlich zugänglich sind.
Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt.
Eine Dienstleistung wird nur dann „gegen Entgelt“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie erbracht, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für eine dem Leistungsempfänger erbrachte bestimmbare Dienstleistung bildet. Dies ist dann der Fall, wenn zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht (Urteil vom 20. Januar 2022, Apcoa Parking Danmark, C-90/20, EU:C:2022:37, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass zwischen einer Gemeinde, die aufgrund einer kommunalen Satzung bei Besuchern, die sich in ihrem Gebiet aufhalten, eine Kurtaxe in Höhe eines bestimmten Betrags pro Aufenthaltstag erhebt, und diesen Besuchern, die das Recht haben, die von dieser Gemeinde bereitgestellten Kureinrichtungen zu nutzen, die für jedermann, auch für nicht kurtaxepflichtige Personen, frei zugänglich sind, ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden.
Es kann nämlich nicht angenommen werden, dass die von der Gemeinde empfangene Vergütung, d. h. die Kurtaxe, auf der Erbringung einer Dienstleistung, nämlich der Bereitstellung der Kureinrichtungen, beruht, für die sie den unmittelbaren Gegenwert darstellt.
Insoweit ist festzustellen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, wenn sich zwei Leistungen gegenseitig bedingen, d. h., wenn die eine Leistung nur unter der Voraussetzung erbracht wird, dass auch die andere Leistung erfolgt, und umgekehrt (Urteil vom 11. März 2020, San Domenico Vetraria, C-94/19, EU:C:2020:193, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Die Pflicht zur Zahlung der Kurtaxe besteht für die Schuldner dieser Taxe aber aufgrund der kommunalen Satzung, die auch die Höhe dieser Taxe festlegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Januar 2017, SAWP, C-37/16, EU:C:2017:22, Rn. 28).
Vor allem hängt die Pflicht zur Entrichtung der Kurtaxe nicht von der Nutzung der von der Gemeinde bereitgestellten Kureinrichtungen durch die dieser Pflicht unterliegenden Personen ab, sondern vom Aufenthalt im Gemeindegebiet, gleichviel, welchen Grund es für diesen gibt. So sind Besucher, die sich in der Gemeinde aufhalten, auch dann verpflichtet, dieses Entgelt zu entrichten, wenn sie sich aus einem anderen Grund dort aufhalten, wie beispielsweise dem Besuch von dort wohnenden Familienangehörigen oder Bekannten, und nicht die Absicht haben, die Kureinrichtungen zu nutzen (vgl. entsprechend Urteil vom 22. Juni 2016, Český rozhlas, C-11/15, EU:C:2016:470, Rn. 25 und 26).
Im Übrigen haben die Kurtaxeschuldner zwar die Möglichkeit, die Kureinrichtungen zu nutzen, doch sind diese Einrichtungen für jedermann, auch für Einwohner oder Tagesgäste, frei und unentgeltlich zugänglich, unabhängig davon, ob die betreffende Person zur Zahlung der Kurtaxe verpflichtet ist oder nicht. Somit haben die Kurtaxeschuldner keine anderen Vorteile als Personen, die diese Kureinrichtungen benutzen und nicht kurtaxepflichtig sind.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die Bereitstellung von Kureinrichtungen durch eine Gemeinde keine „Dienstleistung gegen Entgelt“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn die Gemeinde von Besuchern, die sich in der Gemeinde aufhalten, aufgrund einer kommunalen Satzung eine Kurtaxe in Höhe eines bestimmten Betrags pro Aufenthaltstag erhebt, wobei die Verpflichtung zur Entrichtung dieser Taxe nicht an die Nutzung dieser Einrichtungen, sondern an den Aufenthalt im Gemeindegebiet geknüpft ist und diese Einrichtungen für jedermann frei und unentgeltlich zugänglich sind.
Zur zweiten Frage
Da das vorlegende Gericht ausgeführt hat, dass die Klage abzuweisen sei, falls die erste Vorabentscheidungsfrage verneint werde, und dass die zweite Vorabentscheidungsfrage nur für den Fall gestellt werde, dass die erste Frage bejaht werde, braucht die zweite Vorabentscheidungsfrage nicht beantwortet zu werden.
Kosten
Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zehnte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
ist dahin auszulegen, dass
die Bereitstellung von Kureinrichtungen durch eine Gemeinde keine „Dienstleistung gegen Entgelt “ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn die Gemeinde von Besuchern, die sich in der Gemeinde aufhalten, aufgrund einer kommunalen Satzung eine Kurtaxe in Höhe eines bestimmten Betrags pro Aufenthaltstag erhebt, wobei die Verpflichtung zur Entrichtung dieser Taxe nicht an die Nutzung dieser Einrichtungen, sondern an den Aufenthalt im Gemeindegebiet geknüpft ist und diese Einrichtungen für jedermann frei und unentgeltlich zugänglich sind.
Gratsias
Jarukaitis
Csehi
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 13. Juli 2023.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Kammerpräsident
D. Gratsias
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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