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EuGH 15.03.2012 - C-292/10
EuGH 15.03.2012 - C-292/10 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer) - 15. März 2012 ( *1) - „Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen — Öffentliche Zustellung gerichtlicher Schriftstücke — Fehlen eines bekannten Wohnsitzes oder Aufenthaltsorts des Beklagten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats — Zuständigkeit für Klagen aus ‚unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist‘ — Verletzung der Persönlichkeitsrechte, die möglicherweise durch die Veröffentlichung von Lichtbildern im Internet begangen wurde — Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“
Leitsatz
In der Rechtssache C-292/10
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Regensburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 17. Mai 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Juni 2010, in dem Verfahren
G
gegen
Cornelius de Visser
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter M. Safjan (Berichterstatter), A. Borg Barthet und J.-J. Kasel sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der dänischen Regierung, vertreten durch C. Vang als Bevollmächtigten,
Irlands, vertreten durch D. O’Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von A. Collins, SC, und M. Noonan, BL,
der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Varone, avvocato dello Stato,
der luxemburgischen Regierung, vertreten durch C. Schiltz als Bevollmächtigten,
der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, K. Szíjjártó und K. Molnár als Bevollmächtigte,
der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und S. Grünheid als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Grundrechtecharta), von Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) (ABl. L 178, S. 1), der Art. 4 Abs. 1, 5 Nr. 3 und 26 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) sowie von Art. 12 der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ABl. L 143, S. 15).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen G und Herrn de Visser über einen Anspruch auf Schadensersatz wegen des Einstellens von Lichtbildern in eine Internetseite, auf denen G teilweise nackt zu sehen ist.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2000/31
Der 23. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/31 lautet:
„Diese Richtlinie zielt weder darauf ab, zusätzliche Regeln im Bereich des internationalen Privatrechts hinsichtlich des anwendbaren Rechts zu schaffen, noch befasst sie sich mit der Zuständigkeit der Gerichte; Vorschriften des anwendbaren Rechts, die durch Regeln des Internationalen Privatrechts bestimmt sind, dürfen die Freiheit zur Erbringung von Diensten der Informationsgesellschaft im Sinne dieser Richtlinie nicht einschränken.“
Nach ihrem Art. 1 Abs. 1 soll diese Richtlinie „einen Beitrag zum einwandfreien Funktionieren des Binnenmarktes leisten, indem sie den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellt“.
Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 2000/31 lautet:
„Diese Richtlinie schafft weder zusätzliche Regeln im Bereich des internationalen Privatrechts, noch befasst sie sich mit der Zuständigkeit der Gerichte.“
Art. 3 („Binnenmarkt“) Abs. 1 der Richtlinie 2000/31 bestimmt:
„Jeder Mitgliedstaat trägt dafür Sorge, dass die Dienste der Informationsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen.“
Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2000/31 lautet:
„Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen.“
Verordnung Nr. 44/2001
Der zweite Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 lautet:
„Die Unterschiede zwischen bestimmten einzelstaatlichen Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen erschweren das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts. Es ist daher unerlässlich, Bestimmungen zu erlassen, um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und die Formalitäten im Hinblick auf eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus den durch diese Verordnung gebundenen Mitgliedstaaten zu vereinfachen.“
Art. 2 dieser Verordnung sieht vor:
„(1) Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.
(2) Auf Personen, die nicht dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, angehören, sind die für Inländer maßgebenden Zuständigkeitsvorschriften anzuwenden.“
Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 bestimmt:
„Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden.“
Art. 4 der Verordnung Nr. 44/2001 lautet:
„(1) Hat der Beklagte keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, so bestimmt sich vorbehaltlich der Artikel 22 und 23 die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedstaats nach dessen eigenen Gesetzen.
(2) Gegenüber einem Beklagten, der keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann sich jede Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in diesem Staat auf die dort geltenden Zuständigkeitsvorschriften, insbesondere auf die in Anhang I aufgeführten Vorschriften, wie ein Inländer berufen, ohne dass es auf ihre Staatsangehörigkeit ankommt.“
In Kapitel II Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“) der Verordnung Nr. 44/2001 heißt es in Art. 5 Nr. 3:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:
…
wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht;
…“
Art. 26 in Kapitel II Abschnitt 8 („Prüfung der Zuständigkeit und der Zulässigkeit des Verfahrens“) der Verordnung Nr. 44/2001 lautet:
„(1) Lässt sich der Beklagte, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat und der vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats verklagt wird, auf das Verfahren nicht ein, so hat sich das Gericht von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn seine Zuständigkeit nicht nach dieser Verordnung begründet ist.
(2) Das Gericht hat das Verfahren so lange auszusetzen, bis festgestellt ist, dass es dem Beklagten möglich war, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück so rechtzeitig zu empfangen, dass er sich verteidigen konnte oder dass alle hierzu erforderlichen Maßnahmen getroffen worden sind.
(3) An die Stelle von Absatz 2 tritt Artikel 19 der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten [ABl. L 160, S. 37], wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach der genannten Verordnung von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu übermitteln war.
(4) Sind die Bestimmungen der Verordnung … Nr. 1348/2000 nicht anwendbar, so gilt Artikel 15 des Haager Übereinkommens vom 15. November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen [im Folgenden: Haager Übereinkommen von 1965], wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach dem genannten Übereinkommen zu übermitteln war.“
Art. 34 Abs. 2 in Kapitel III („Anerkennung und Vollstreckung“) der Verordnung Nr. 44/2001 sieht vor, dass eine Entscheidung nicht anerkannt wird, wenn
„dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte“.
Art. 59 der Verordnung Nr. 44/2001 bestimmt:
„(1) Ist zu entscheiden, ob eine Partei im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, dessen Gerichte angerufen sind, einen Wohnsitz hat, so wendet das Gericht sein Recht an.
(2) Hat eine Partei keinen Wohnsitz in dem Mitgliedstaat, dessen Gerichte angerufen sind, so wendet das Gericht, wenn es zu entscheiden hat, ob die Partei einen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, das Recht dieses Mitgliedstaats an.“
Verordnung Nr. 805/2004
Mit der Verordnung Nr. 805/2004 wird gemäß ihrem Art. 1 ein Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen eingeführt, um durch die Festlegung von Mindestvorschriften den freien Verkehr von Entscheidungen, gerichtlichen Vergleichen und öffentlichen Urkunden in allen Mitgliedstaaten zu ermöglichen, ohne dass im Vollstreckungsmitgliedstaat ein Zwischenverfahren vor der Anerkennung und Vollstreckung angestrengt werden muss.
Art. 5 („Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens“) dieser Verordnung lautet:
„Eine Entscheidung, die im Ursprungsmitgliedstaat als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden ist, wird in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann.“
In Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 805/2004 heißt es:
„Eine Entscheidung über eine unbestrittene Forderung im Sinne von Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe b) oder c) kann nur dann als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden, wenn das gerichtliche Verfahren im Ursprungsmitgliedstaat den verfahrensrechtlichen Erfordernissen nach diesem Kapitel genügt hat.“
Art. 14 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 805/2004 bestimmt:
„(1) Das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück sowie eine Ladung zu einer Gerichtsverhandlung kann dem Schuldner auch in einer der folgenden Formen zugestellt worden sein:
persönliche Zustellung unter der Privatanschrift des Schuldners an eine in derselben Wohnung wie der Schuldner lebende Person oder an eine dort beschäftigte Person;
wenn der Schuldner Selbständiger oder eine juristische Person ist, persönliche Zustellung in den Geschäftsräumen des Schuldners an eine Person, die vom Schuldner beschäftigt wird;
Hinterlegung des Schriftstücks im Briefkasten des Schuldners;
Hinterlegung des Schriftstücks beim Postamt oder bei den zuständigen Behörden mit entsprechender schriftlicher Benachrichtigung im Briefkasten des Schuldners, sofern in der schriftlichen Benachrichtigung das Schriftstück eindeutig als gerichtliches Schriftstück bezeichnet oder darauf hingewiesen wird, dass die Zustellung durch die Benachrichtigung als erfolgt gilt und damit Fristen zu laufen beginnen;
postalisch ohne Nachweis gemäß Absatz 3, wenn der Schuldner seine Anschrift im Ursprungsmitgliedstaat hat;
elektronisch, mit automatisch erstellter Sendebestätigung, sofern sich der Schuldner vorab ausdrücklich mit dieser Art der Zustellung einverstanden erklärt hat.
(2) Für die Zwecke dieser Verordnung ist eine Zustellung gemäß Absatz 1 nicht zulässig, wenn die Anschrift des Schuldners nicht mit Sicherheit ermittelt werden kann.“
Verordnung (EG) Nr. 1393/2007
Die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 1348/2000 (ABl. L 234, S. 79) findet nach ihrem Art. 1 Abs. 2 keine Anwendung, wenn die Anschrift des Empfängers des Schriftstücks unbekannt ist.
Art. 19 („Nichteinlassung des Beklagten“) der Verordnung Nr. 1393/2007 lautet:
„(1) War ein verfahrenseinleitendes Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach dieser Verordnung zum Zweck der Zustellung in einen anderen Mitgliedstaat zu übermitteln und hat sich der Beklagte nicht auf das Verfahren eingelassen, so hat das Gericht das Verfahren auszusetzen, bis festgestellt ist,
dass das Schriftstück in einem Verfahren zugestellt worden ist, das das Recht des Empfangsmitgliedstaats für die Zustellung der in seinem Hoheitsgebiet ausgestellten Schriftstücke an dort befindliche Personen vorschreibt, oder
dass das Schriftstück tatsächlich entweder dem Beklagten persönlich ausgehändigt oder nach einem anderen in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren in seiner Wohnung abgegeben worden ist,
und dass in jedem dieser Fälle das Schriftstück so rechtzeitig zugestellt oder ausgehändigt bzw. abgegeben worden ist, dass der Beklagte sich hätte verteidigen können.
(2) Jeder Mitgliedstaat kann nach Artikel 23 Absatz 1 mitteilen, dass seine Gerichte ungeachtet des Absatzes 1 den Rechtsstreit entscheiden können, auch wenn keine Bescheinigung über die Zustellung oder die Aushändigung bzw. Abgabe eingegangen ist, sofern folgende Voraussetzungen gegeben sind:
Das Schriftstück ist nach einem in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren übermittelt worden.
Seit der Absendung des Schriftstücks ist eine Frist von mindestens sechs Monaten verstrichen, die das Gericht nach den Umständen des Falles als angemessen erachtet.
Trotz aller zumutbaren Schritte bei den zuständigen Behörden oder Stellen des Empfangsmitgliedstaats war eine Bescheinigung nicht zu erlangen.
(3) Unbeschadet der Absätze 1 und 2 kann das Gericht in dringenden Fällen einstweilige Maßnahmen oder Sicherungsmaßnahmen anordnen.
(4) War ein verfahrenseinleitendes Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nach dieser Verordnung zum Zweck der Zustellung in einen anderen Mitgliedstaat zu übermitteln und ist eine Entscheidung gegen einen Beklagten ergangen, der sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat, so kann ihm das Gericht in Bezug auf Rechtsmittelfristen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligen, sofern
der Beklagte ohne sein Verschulden nicht so rechtzeitig Kenntnis von dem Schriftstück erlangt hat, dass er sich hätte verteidigen können, und nicht so rechtzeitig Kenntnis von der Entscheidung erlangt hat, dass er sie hätte anfechten können, und
die Verteidigung des Beklagten nicht von vornherein aussichtslos scheint.
Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nur innerhalb einer angemessenen Frist, nachdem der Beklagte von der Entscheidung Kenntnis erhalten hat, gestellt werden.
Jeder Mitgliedstaat kann nach Artikel 23 Absatz 1 erklären, dass dieser Antrag nach Ablauf einer in seiner Mitteilung anzugebenden Frist unzulässig ist; diese Frist muss jedoch mindestens ein Jahr ab Erlass der Entscheidung betragen.
(5) Absatz 4 gilt nicht für Entscheidungen, die den Personenstand betreffen.“
Nationales Recht
Die deutsche Zivilprozessordnung enthält in den §§ 185, 186 und 188 folgende Bestimmungen zur öffentlichen Zustellung:
„§ 185 Öffentliche Zustellung
Die Zustellung kann durch öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustellung) erfolgen, wenn
1. der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist,
2. bei juristischen Personen, die zur Anmeldung einer inländischen Geschäftsanschrift zum Handelsregister verpflichtet sind, eine Zustellung weder unter der eingetragenen Anschrift noch unter einer im Handelsregister eingetragenen Anschrift einer für Zustellungen empfangsberechtigten Person oder einer ohne Ermittlungen bekannten anderen inländischen Anschrift möglich ist,
3. eine Zustellung im Ausland nicht möglich ist oder keinen Erfolg verspricht oder
4. die Zustellung nicht erfolgen kann, weil der Ort der Zustellung die Wohnung einer Person ist, die nach den §§ 18 bis 20 des Gerichtsverfassungsgesetzes der Gerichtsbarkeit nicht unterliegt.
§ 186 Bewilligung und Ausführung der öffentlichen Zustellung
(1) Über die Bewilligung der öffentlichen Zustellung entscheidet das Prozessgericht. Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen.
(2) Die öffentliche Zustellung erfolgt durch Aushang einer Benachrichtigung an der Gerichtstafel oder durch Einstellung in ein elektronisches Informationssystem, das im Gericht öffentlich zugänglich ist. Die Benachrichtigung kann zusätzlich in einem von dem Gericht für Bekanntmachungen bestimmten elektronischen Informations- und Kommunikationssystem veröffentlicht werden. Die Benachrichtigung muss erkennen lassen
die Person, für die zugestellt wird,
den Namen und die letzte bekannte Anschrift des Zustellungsadressaten,
das Datum, das Aktenzeichen des Schriftstücks und die Bezeichnung des Prozessgegenstandes sowie
die Stelle, wo das Schriftstück eingesehen werden kann.
Die Benachrichtigung muss den Hinweis enthalten, dass ein Schriftstück öffentlich zugestellt wird und Fristen in Gang gesetzt werden können, nach deren Ablauf Rechtsverluste drohen können. Bei der Zustellung einer Ladung muss die Benachrichtigung den Hinweis enthalten, dass das Schriftstück eine Ladung zu einem Termin enthält, dessen Versäumung Rechtsnachteile zur Folge haben kann.
(3) In den Akten ist zu vermerken, wann die Benachrichtigung ausgehängt und wann sie abgenommen wurde.
…
§ 188 Zeitpunkt der öffentlichen Zustellung
Das Schriftstück gilt als zugestellt, wenn seit dem Aushang der Benachrichtigung ein Monat vergangen ist. Das Prozessgericht kann eine längere Frist bestimmen.“
§ 331 („Versäumnisurteil gegen den Beklagten“) der deutschen Zivilprozessordnung bestimmt:
„(1) Beantragt der Kläger gegen den im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienenen Beklagten das Versäumnisurteil, so ist das tatsächliche mündliche Vorbringen des Klägers als zugestanden anzunehmen. Dies gilt nicht für Vorbringen zur Zuständigkeit des Gerichts nach § 29 Abs. 2, § 38.
(2) Soweit es den Klageantrag rechtfertigt, ist nach dem Antrag zu erkennen; soweit dies nicht der Fall, ist die Klage abzuweisen.
(3) Hat der Beklagte entgegen § 276 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 nicht rechtzeitig angezeigt, dass er sich gegen die Klage verteidigen wolle, so trifft auf Antrag des Klägers das Gericht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung; dies gilt nicht, wenn die Erklärung des Beklagten noch eingeht, bevor das von den Richtern unterschriebene Urteil der Geschäftsstelle übermittelt ist. Der Antrag kann schon in der Klageschrift gestellt werden. Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist auch insoweit zulässig, als das Vorbringen des Klägers den Klageantrag in einer Nebenforderung nicht rechtfertigt, sofern der Kläger vor der Entscheidung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Herr de Visser ist Domaininhaber und Verantwortlicher für die Internetseite www.*****.de. Unter dem Link „Fotos und Videos“ dieser Internetseite ist ein Lichtbild von G zu erkennen. Nach Anklicken des Links „für weitere Fotos hier klicken“ werden diverse Lichtbilder von G auf der Internetseite gezeigt bzw. bereitgestellt, auf denen G teilweise nackt zu sehen ist.
Dies beruht darauf, dass sich G etwa im Jahr 2003 für die Internetseite und die Dienstleistungen von Herrn de Visser interessiert hatte und deshalb mit ihm in Kontakt getreten war. In der Folgezeit waren von diesem über eine Mitarbeiterin bzw. einen von ihm beauftragten Fotografen die Lichtbilder von G in Deutschland mit dem Verwendungszweck „für eine Party“ gefertigt worden. G hatte sich jedoch zu keinem Zeitpunkt mit einer Veröffentlichung dieser Lichtbilder einverstanden erklärt. Über ein Einstellen dieser Lichtbilder ins Internet war mit G auch nie gesprochen und also auch keine konkrete Vereinbarung getroffen worden.
Erst im Jahr 2009 wurde G von Arbeitskollegen mit diesen ins Internet eingestellten Lichtbildern konfrontiert.
Als Admin-C (administrative contact) ist sowohl im Impressum der Website als auch in der Datenbank DENIC (Register der Domains. de) Herr N***** mit einer Adresse in Dortmund (Deutschland) eingetragen. Im Telefonbuch für Dortmund findet sich unter diesem Namen jedoch niemand.
Wo sich der Server, auf dem die Website gespeichert ist, befindet, ist nicht bekannt.
Im Impressum auf der Webseite www.*****.de ist Herr de Visser als Domaininhaber mit einer Anschrift in Terneuzen (Niederlande) und einer Postanschrift in Venlo (Niederlande) eingetragen. Eine Zustellung unter diesen Adressen war jedoch nicht möglich, die Postsendungen kamen jeweils mit dem Vermerk „Unter dieser Adresse unbekannt“ zurück. Auf Anfrage teilte das Konsulat des Königreichs der Niederlande in München (Deutschland) mit, dass Herr de Visser in den Niederlanden nirgendwo einwohnermelderechtlich gemeldet sei.
Nach Gewährung von Prozesskostenhilfe für G ordnete das vorlegende Gericht mit Beschluss vom 8. Februar 2010 die öffentliche Zustellung der Klage sowie ein schriftliches Vorverfahren an. Zuvor war im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens vergeblich versucht worden, den Klageentwurf Herrn de Visser auf normalem postalischem Weg an unterschiedliche Adressen zukommen zu lassen.
Die öffentliche Zustellung nach deutschem Zivilprozessrecht wurde dadurch bewirkt, dass eine Benachrichtigung über diese Zustellung an der Gerichtstafel des Landgerichts Regensburg in der Zeit vom 11. Februar bis 15. März 2010 ausgehängt war. Im Zeitpunkt des Erlasses der Vorlageentscheidung waren die Fristen, die Herrn de Visser in dieser Zustellung zur Anzeige seiner Verteidigungsbereitschaft gesetzt worden waren, verstrichen, ohne dass er reagiert hätte. Dem vorlegenden Gericht zufolge muss nach Lage der Dinge davon ausgegangen werden, dass Herr de Visser von dem vorliegenden Rechtsstreit bisher keine Kenntnis hat.
Ergänzend führt das vorlegende Gericht aus, dass G, falls die Zulässigkeit einer öffentlichen Zustellung der Klage nach nationalem Recht hinter die Regeln des Unionsrechts zurücktreten müsste, nur die Möglichkeit bliebe, weitere ladungsfähige Anschriften von Herrn de Visser anzugeben, wozu G mangels Kenntnis bzw. Möglichkeiten der Ermittlung nicht in der Lage sein dürfte. Dies sei aber möglicherweise mit Art. 47 Abs. 1 der Grundrechtecharta unvereinbar, weil G damit faktisch der ihr garantierte wirksame gerichtliche Rechtsbehelf genommen würde.
Zudem hat das Landgericht Regensburg Zweifel in Bezug auf die Anwendbarkeit und die Auslegung der Verordnung Nr. 44/2001 und die Bestimmung des auf die Klage im Ausgangsverfahren anwendbaren materiellen Rechts. Es hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Stehen die Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 erster Halbsatz EUV in Verbindung mit Art. 47 Abs. 2 Satz 1 der Grundrechtecharta oder andere europäische Rechtsvorschriften einer sogenannten öffentlichen Zustellung nach nationalem Recht (gemäß §§ 185 bis 188 der deutschen Zivilprozessordnung durch Aushang der Benachrichtigung über die Zustellung an der Aushangtafel des die Zustellung anordnenden Gerichts für die Dauer von einem Monat) entgegen, wenn der Gegner eines (beginnenden) Zivilrechtsstreits zwar auf seiner Website eine Adresse auf dem Gebiet der Europäischen Union angibt, jedoch eine Zustellung mangels dortigen Aufenthalts des Beklagten nicht möglich und auch sonst nicht feststellbar ist, wo sich der Beklagte momentan aufhält?
Für den Fall, dass die erste Frage zu bejahen ist:
Hat dann das nationale Gericht die nationalen Vorschriften, die eine öffentliche Zustellung zulassen, entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs (zuletzt Urteil vom 12. Januar 2010, Petersen, C-341/09, Slg. 2010, I-47) auch dann unangewendet zu lassen, wenn das nationale Recht eine solche Verwerfungskompetenz nur dem Bundesverfassungsgericht zubilligt?
und:
Müsste die Klägerin eine neue zustellungsfähige Anschrift des Beklagten dem Gericht zur erneuten Zustellung der Klage mitteilen, um ihr die Durchsetzung ihrer Rechte zu ermöglichen, da nach nationalem Recht ohne öffentliche Zustellung und mangels Kenntnis vom Aufenthaltsort des Beklagten eine Durchführung des Prozesses nicht möglich wäre?
Für den Fall, dass die erste Frage verneint wird: Steht im vorliegenden Fall dem Erlass eines Versäumnisurteils nach § 331 der deutschen Zivilprozessordnung, also eines Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen im Sinne der Verordnung Nr. 805/2004, soweit die Verurteilung zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 20000 Euro nebst Zinsen und Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1419,19 Euro nebst Zinsen begehrt wird, Art. 26 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 entgegen?
Die nachfolgenden Fragen stehen jeweils unter der Bedingung, dass der Rechtsstreit für die Klägerin entsprechend den Antworten des Gerichtshofs zu den Fragen 1 bis 3 weiter durchführbar ist:
Ist die Verordnung Nr. 44/2001 im Hinblick auf ihre Art. 4 Abs. 1, 5 Nr. 3 auch in Fällen anwendbar, in denen der Beklagte eines Zivilprozesses, wegen Betriebs einer Website auf Unterlassung, Auskunft und Schmerzensgeld verklagt, zwar (mutmaßlich) Unionsbürger im Sinne des Art. 9 Satz 2 EUV, jedoch sein Aufenthaltsort unbekannt, und es damit auch denkbar, aber keineswegs sicher ist, dass er sich derzeit außerhalb des Unionsgebiets und auch außerhalb des Restvertragsbereichs des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, geschlossen in Lugano am 16. September 1988, aufhält, sowie der genaue Standort des Servers, auf dem die Website gespeichert ist, nicht bekannt, es jedoch naheliegend ist, dass sich dieser auf Unionsgebiet befindet?
Wenn die Verordnung Nr. 44/2001 in diesem Fall anwendbar ist: Ist die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis einzutreten droht“ in Art. 5 Nr. 3 dieser Verordnung bei (drohenden) Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Inhalte auf einer Internet-Website dahin gehend auszulegen,
dass die Klägerin eine Unterlassungs-, Auskunfts- und Schadensersatzklage gegen den Betreiber der Website unabhängig davon, wo (innerhalb oder außerhalb des Unionsgebiets) der Beklagte niedergelassen ist, auch bei den Gerichten jedes Mitgliedstaats erheben kann, in dem die Website abgerufen werden kann,
oder
setzt die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem der Beklagte nicht niedergelassen ist, oder es keinerlei Anhaltspunkte für den Aufenthalt des Beklagten auf dem Gebiet dieses Mitgliedstaats gibt, voraus, dass ein über die technisch mögliche Abrufbarkeit hinausgehender besonderer Bezug der angegriffenen Inhalte oder der Website zum Gerichtsstaat (Inlandsbezug) besteht?
Wenn ein solcher besonderer Inlandsbezug erforderlich ist: Nach welchen Kriterien bestimmt sich dieser Bezug?
Kommt es darauf an, ob sich die angegriffene Website gemäß der Bestimmung des Betreibers zielgerichtet (auch) an die Internetnutzer im Gerichtsstaat richtet oder genügt es, dass die auf der Website abrufbaren Informationen objektiv einen Bezug zum Gerichtsstaat in dem Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen – Interesse der Klägerin an der Achtung ihres Persönlichkeitsrechts und Interesse des Betreibers an der Gestaltung seiner Website – nach den Umständen des konkreten Falls, insbesondere aufgrund des Inhalts der beanstandeten Website, im Gerichtsstaat tatsächlich eingetreten sein kann oder eintreten kann bzw. dadurch eingetreten ist, dass ein oder mehrere Bekannte der in ihrem Persönlichkeitsrecht Verletzten vom Inhalt der Website Kenntnis genommen haben?
Kommt es für die Feststellung des besonderen Inlandsbezugs maßgeblich auf die Anzahl der Abrufe der beanstandeten Website vom Gerichtsstaat aus an?
Für den Fall, dass für die Klage das vorlegende Gericht nach vorstehenden Fragen zuständig sein sollte: Gelten die Rechtsgrundsätze im Urteil des Gerichtshofs vom 7. März 1995, Shevill u. a. (C-68/93, Slg. 1995, I-415), auch im vorstehend beschriebenen Fall?
Wenn es für die Bejahung der Zuständigkeit keines besonderen Inlandsbezugs bedarf oder wenn es für die Annahme eines solchen genügt, dass die beanstandeten Informationen objektiv einen Bezug zum Gerichtsstaat in dem Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen im Gerichtsstaat nach den Umständen des konkreten Falls, insbesondere aufgrund des Inhalts der beanstandeten Website, tatsächlich eingetreten sein kann oder eintreten kann bzw. dadurch eingetreten ist, dass ein oder mehrere Bekannte der in ihrem Persönlichkeitsrecht Verletzten Kenntnis vom Inhalt der Website genommen haben, und die Annahme eines besonderen Inlandsbezugs nicht die Feststellung einer Mindestanzahl von Abrufen der beanstandeten Website vom Gerichtsstaat aus voraussetzt, oder die Verordnung Nr. 44/2001 auf den vorliegenden Fall gar nicht anwendbar ist:
Ist Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/31 dahin gehend auszulegen, dass diesen Bestimmungen ein kollisionsrechtlicher Charakter in dem Sinne beizumessen ist, dass sie auch für den Bereich des Zivilrechts unter Verdrängung der nationalen Kollisionsnormen die alleinige Anwendung des im Herkunftsland geltenden Rechts anordnen,
oder
handelt es sich bei diesen Vorschriften um ein Korrektiv auf materiell-rechtlicher Ebene, durch das das sachlich-rechtliche Ergebnis des nach den nationalen Kollisionsnormen für anwendbar erklärten Rechts inhaltlich modifiziert und auf die Anforderungen des Herkunftslandes reduziert wird?
Für den Fall, dass Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/31 kollisionsrechtlichen Charakter hat:
Ordnen die genannten Bestimmungen lediglich die alleinige Anwendung des im Herkunftsland geltenden Sachrechts oder auch die Anwendung der dort geltenden Kollisionsnormen an mit der Folge, dass ein Renvoi des Rechts des Herkunftslands auf das Recht des Bestimmungslands möglich bleibt?
Für den Fall, dass Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/31 kollisionsrechtlichen Charakter hat:
Ist für die Bestimmung des Ortes der Niederlassung des Diensteanbieters auf dessen (mutmaßlichen) jetzigen Aufenthaltsort, den Aufenthaltsort zu Beginn der Veröffentlichung der Fotos von der Klägerin oder den (mutmaßlichen) Standort des Servers, auf dem die Website gespeichert ist, abzustellen?
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2011 hat die Kanzlei des Gerichtshofs dem vorlegenden Gericht eine Kopie des Urteils vom 25. Oktober 2011, eDate Advertising u. a. (C-509/09 und C-161/10, Slg. 2011, I-10269), übersandt und es gebeten, anzugeben, ob es im Licht dieses Urteils seine Vorlagefragen fünf bis elf aufrechterhalte.
Mit Beschlüssen vom 10. und 16. November 2011, die am 10. bzw. 16. November 2011 beim Gerichtshof eingegangen sind, hat das vorlegende Gericht seine Fragen fünf bis zehn zurückgezogen und die elfte Frage wie folgt umformuliert:
Ist Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/31 unter Berücksichtigung des Urteils eDate Advertising u. a. dahin gehend auszulegen, dass für den Fall, dass der Ort der Niederlassung des Diensteanbieters unbekannt ist, und dieser sich möglicherweise außerhalb des Gebietes der Union befindet, das anzuwendende Recht im koordinierten Bereich allein dem Recht des Mitgliedstaats zu entnehmen ist, in dem die geschädigte Person ihren Wohnsitz bzw. ständigen Aufenthaltsort hat, oder
ist im koordinierten Bereich der Richtlinie 2000/31 sicherzustellen, dass der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäftsverkehrs keinen strengeren Anforderungen unterliegt, als das im Mitgliedstaat geltende Sachrecht vorsieht, dessen Staatsangehörigkeit der Anbieter mutmaßlich besitzt, oder
ist in diesem Fall im koordinierten Bereich der Richtlinie 2000/31 sicherzustellen, dass der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäftsverkehrs keinen strengeren Anforderungen unterliegt, als das in sämtlichen Mitgliedstaaten geltende Sachrecht jeweils vorsieht?
Der Gerichtshof hat daher allein über die ersten vier ursprünglich gestellten Vorlagefragen und die letzte Vorlagefrage, wie sie umformuliert worden ist, zu entscheiden.
Zu den Vorlagefragen
Zur vierten Frage
Mit seiner vierten Frage, die als Erstes zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass er der Anwendung von deren Art. 5 Nr. 3 auf eine Haftungsklage wegen des Betriebs einer Website gegen einen Beklagten, der mutmaßlich Unionsbürger ist, dessen Aufenthaltsort jedoch unbekannt ist, entgegensteht.
Das vorlegende Gericht führt nämlich in der Vorlageentscheidung aus, dass zwar viel dafür spreche, aber keineswegs zwingend sei, dass sich der Beklagte im Unionsgebiet aufhalte. Seine Zweifel betreffen somit insbesondere die Auslegung des Kriteriums „kein Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats“, von dem gemäß Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 die Anwendung der innerstaatlichen Zuständigkeitsvorschriften anstelle der einheitlichen Vorschriften dieser Verordnung abhänge.
Hierzu ist zum einen darauf hinzuweisen, dass, wenn der Wohnsitz des beklagten Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats den Umständen nach unbekannt ist, die Anwendung der einheitlichen Zuständigkeitsvorschriften der Verordnung Nr. 44/2001 anstelle der in den verschiedenen Mitgliedstaaten geltenden Zuständigkeitsvorschriften dem Erfordernis der Rechtssicherheit und dem mit dieser Verordnung verfolgten Zweck entspricht, den Rechtsschutz der in der Union ansässigen Personen in der Weise zu verbessern, dass ein Kläger ohne Schwierigkeiten festzustellen vermag, welches Gericht er anrufen kann, und ein Beklagter vorhersehen kann, vor welchem Gericht er verklagt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. November 2011, Hypoteční banka, C-327/10, Slg. 2011, I-11543, Randnr. 44).
Zum anderen ist die Wendung „kein Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats“ in Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin zu verstehen, dass die Anwendung der innerstaatlichen anstelle der einheitlichen Zuständigkeitsvorschriften nur dann zulässig ist, wenn das angerufene Gericht über beweiskräftige Indizien verfügt, die den Schluss zulassen, dass der Beklagte, ein Unionsbürger, der im Mitgliedstaat dieses Gerichts keinen Wohnsitz hat, einen solchen tatsächlich außerhalb des Unionsgebiets hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Hypoteční banka, Randnr. 42).
Fehlt es an solchen beweiskräftigen Indizien, ist die internationale Zuständigkeit eines mitgliedstaatlichen Gerichts nach der Verordnung Nr. 44/2001 gegeben, wenn die Voraussetzungen für die Anwendung einer ihrer Zuständigkeitsvorschriften, darunter insbesondere die des Art. 5 Nr. 3 für Klagen aus unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, erfüllt sind.
Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens dahin auszulegen ist, dass er der Anwendung von Art. 5 Nr. 3 dieser Verordnung auf eine Haftungsklage wegen des Betriebs einer Website gegen einen Beklagten, der mutmaßlich Unionsbürger ist, dessen Aufenthaltsort jedoch unbekannt ist, nicht entgegensteht, wenn das angerufene Gericht nicht über beweiskräftige Indizien verfügt, die den Schluss zulassen, dass dieser Beklagte seinen Wohnsitz tatsächlich außerhalb des Unionsgebiets hat.
Zur ersten Frage und zum ersten Teil der dritten Frage
Mit seiner ersten Frage und dem ersten Teil der dritten Frage, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es dem Erlass eines Versäumnisurteils gegen einen Beklagten entgegensteht, dem mangels Ermittelbarkeit seines Aufenthalts die Klage nach nationalem Recht öffentlich zugestellt wurde.
Insoweit ist zunächst zu beachten, dass die Verordnung Nr. 44/2001 – wie das Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung der Übereinkommen über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen – nicht die Vereinheitlichung aller Verfahrensregeln der Mitgliedstaaten zum Gegenstand hat, sondern die Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeiten für Zivil- und Handelssachen im Verhältnis zwischen diesen Staaten und die Erleichterung der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen (Urteil Hypoteční banka, Randnr. 37).
Die innerstaatlichen Verfahren sind zwar nicht systematisch durch das Unionsrecht geregelt, und es ist somit im Rahmen ihrer Verfahrensautonomie Sache der Mitgliedstaaten, die Verfahrensvorschriften für Klagen vor ihren Gerichten festzulegen, doch dürfen diese Vorschriften nicht gegen Unionsrecht, darunter insbesondere die Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001, verstoßen.
Folglich darf innerhalb des Geltungsbereichs dieser Verordnung ein innerstaatliches Gericht nur dann aufgrund einer Bestimmung seines nationalen Rechts ein Verfahren gegen eine Person, deren Aufenthalt unbekannt ist, durchführen, wenn dem keine Zuständigkeitsvorschrift dieser Verordnung entgegensteht.
In Bezug auf die Erfordernisse, die im Verfahren zu beachten sind, ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen der Verordnung Nr. 44/2001 insgesamt das Bestreben zum Ausdruck bringen, sicherzustellen, dass im Rahmen der Ziele der Verordnung die Verfahren, die zum Erlass gerichtlicher Entscheidungen führen, unter Wahrung der Verteidigungsrechte durchgeführt werden (vgl. Urteile vom 21. Mai 1980, Denilauler, 125/79, Slg. 1980, 1553, Randnr. 13, und vom 2. April 2009, Gambazzi, C-394/07, Slg. 2009, I-2563, Randnr. 23).
Dem Gebot der Wahrung der Verteidigungsrechte, wie es auch in Art. 47 der Grundrechtecharta aufgestellt wird, ist jedoch unter Beachtung des Rechts des Klägers nachzukommen, ein Gericht zur Entscheidung über die Begründetheit seiner Ansprüche anzurufen.
Dazu hat der Gerichtshof in Randnr. 29 des Urteils Gambazzi festgestellt, dass Grundrechte, wie die Wahrung der Verteidigungsrechte, keine absoluten Rechte sind, sondern Beschränkungen unterliegen können. Doch müssen diese Beschränkungen tatsächlich Zielen des Allgemeininteresses entsprechen, die mit der in Rede stehenden Maßnahme verfolgt werden, und dürfen nicht im Hinblick auf den verfolgten Zweck eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung dieser Rechte darstellen.
Insoweit ist zu beachten, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass das Bemühen, Fälle der Justizverweigerung zu vermeiden, mit denen ein Kläger wegen der Unmöglichkeit, den Beklagten ausfindig zu machen, konfrontiert wäre, ein solches Ziel des Allgemeininteresses darstellt (Urteil Hypoteční banka, Randnr. 51).
Das zwingende Erfordernis, eine übermäßige Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte zu verhindern, kommt in der Vorschrift des Art. 26 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 zum Ausdruck, wonach das Gericht das Verfahren so lange auszusetzen hat, bis festgestellt ist, dass es dem Beklagten möglich war, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück so rechtzeitig zu empfangen, dass er sich verteidigen konnte oder dass alle hierzu erforderlichen Maßnahmen getroffen worden sind.
Was zum einen die Anwendbarkeit dieser Bestimmung unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens angeht, ist darauf hinzuweisen, dass sie nicht durch die in Art. 26 Abs. 3 und 4 der Verordnung Nr. 44/2001 genannten Vorschriften, nämlich Art. 19 der Verordnung Nr. 1393/2007 bzw. Art. 15 des Haager Übereinkommens von 1965, ausgeschlossen wird.
Zwar ist die Ordnungsgemäßheit der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an einen Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, nach den Bestimmungen dieses Übereinkommens zu beurteilen (Urteil vom 13. Oktober 2005, Scania Finance France, C-522/03, Slg. 2005, I-8639, Randnr. 30) und erst recht nach denen der Verordnung Nr. 1393/2007. Doch gilt dies nur, soweit diese Bestimmungen anwendbar sind. Sowohl Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1393/2007 als auch Art. 1 Abs. 2 des Haager Übereinkommens von 1965 sehen allerdings vor, dass diese Verordnung bzw. dieses Übereinkommen „keine Anwendung [finden], wenn die Anschrift des Empfängers des Schriftstücks unbekannt ist“.
Somit ist davon auszugehen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens weder Art. 19 der Verordnung Nr. 1393/2007 noch Art. 15 des Haager Übereinkommens von 1965 Anwendung finden, da die Anschrift des Beklagten unbekannt ist.
Was zum anderen Art. 26 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 angeht, ist diese Bestimmung, wie der Gerichtshof vor Kurzem entschieden hat, so zu verstehen, dass ein nach dieser Verordnung zuständiges Gericht das Verfahren in dem Fall, in dem nicht festgestellt wurde, dass es dem Beklagten möglich war, das verfahrenseinleitende Schriftstück zu empfangen, nur dann ordnungsgemäß fortsetzen kann, wenn alle erforderlichen Maßnahmen getroffen wurden, um dem Beklagten eine Verteidigung zu ermöglichen. Zu diesem Zweck muss sich das angerufene Gericht vergewissern, dass alle Nachforschungen, die der Sorgfaltsgrundsatz und der Grundsatz von Treu und Glauben gebieten, vorgenommen worden sind, um den Beklagten ausfindig zu machen (vgl. Urteil Hypoteční banka, Randnr. 52).
Zwar beeinträchtigt, auch wenn diese Voraussetzungen eingehalten werden, die Möglichkeit, das Verfahren ohne Wissen des Beklagten wie im Ausgangsverfahren mittels einer „öffentlichen Zustellung“ fortzusetzen, die Verteidigungsrechte des Beklagten. Diese Beeinträchtigung ist jedoch im Hinblick auf das Recht des Klägers auf einen effektiven Rechtsschutz gerechtfertigt, da dieses Recht ohne eine solche Zustellung lediglich auf dem Papier stünde (vgl. Urteil Hypoteční banka, Randnr. 53).
Im Gegensatz zur Lage des Beklagten, der, wenn er sich nicht wirksam verteidigen konnte, die Möglichkeit hat, für die Wahrung der Verteidigungsrechte zu sorgen, indem er sich nach Art. 34 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 gegen die Anerkennung der gegen ihn ergangenen Entscheidung wehrt, läuft der Kläger nämlich Gefahr, dass ihm jede Klagemöglichkeit genommen wird (vgl. Urteil Hypoteční banka, Randnr. 54).
Im Übrigen geht aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hervor, dass das durch Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Art. 47 Abs. 2 der Charta entspricht, garantierte Recht auf Zugang zu einem Gericht einer „Ladung durch Aushang“ nicht entgegensteht, sofern die Rechte der Betroffenen gebührend geschützt sind (vgl. Entscheidung des EGMR vom 10. April 2003, Nunes Dias/Portugal, Recueil des arrêts et décisions 2003-IV).
Somit ist auf die erste Frage und den ersten Teil der dritten Frage zu antworten, dass das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es dem Erlass eines Versäumnisurteils gegen einen Beklagten nicht entgegensteht, dem mangels Ermittelbarkeit seines Aufenthalts die Klage nach nationalem Recht öffentlich zugestellt wurde, sofern sich das angerufene Gericht vorher vergewissert hat, dass alle Nachforschungen, die der Sorgfaltsgrundsatz und der Grundsatz von Treu und Glauben gebieten, vorgenommen worden sind, um den Beklagten ausfindig zu machen.
Zur zweiten Frage
Angesichts der in der vorstehenden Randnummer gegebenen Antwort ist die zweite Frage nicht zu beantworten.
Zum zweiten Teil der dritten Frage
Mit dem zweiten Teil der dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es der Bestätigung eines Versäumnisurteils gegen einen Beklagten, dessen Anschrift unbekannt ist, als Europäischer Vollstreckungstitel im Sinne der Verordnung Nr. 805/2004 entgegensteht.
Ein Versäumnisurteil gehört zwar zu den Vollstreckungstiteln im Sinne von Art. 3 dieser Verordnung, die als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden können. Wie im sechsten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 805/2004 ausgeführt, liegt ein fehlender Widerspruch seitens des Schuldners im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung auch dann vor, wenn dieser nicht zur Gerichtsverhandlung erscheint oder einer Aufforderung des Gerichts, schriftlich mitzuteilen, ob er sich zu verteidigen beabsichtigt, nicht nachkommt.
Jedoch ist gemäß Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 805/2004 „[f]ür die Zwecke dieser Verordnung … eine Zustellung gemäß Absatz 1 nicht zulässig, wenn die Anschrift des Schuldners nicht mit Sicherheit ermittelt werden kann“.
Somit geht bereits aus dem Wortlaut der Verordnung Nr. 805/2004 hervor, dass ein im Fall der Nichtermittelbarkeit des Wohnsitzes des Beklagten erlassenes Versäumnisurteil nicht als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden kann. Diese Folgerung ergibt sich auch aus einer Analyse der Ziele und der Systematik dieser Verordnung. Mit der Verordnung Nr. 805/2004 wird nämlich eine von der allgemeinen Regelung der Anerkennung von Urteilen abweichende Regelung eingeführt, deren Bedingungen grundsätzlich eng auszulegen sind.
So wird im zehnten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 805/2004 hervorgehoben, dass auf die Nachprüfung einer gerichtlichen Entscheidung, die in einem anderen Mitgliedstaat über eine unbestrittene Forderung in einem Verfahren ergangen ist, auf das sich der Schuldner nicht eingelassen hat, nur dann verzichtet werden kann, wenn eine hinreichende Gewähr besteht, dass die Verteidigungsrechte beachtet worden sind.
Wie jedoch aus Randnr. 57 des vorliegenden Urteils hervorgeht, kann der Beklagte aufgrund der Möglichkeit, sich nach Art. 34 Nr. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 gegen die Anerkennung der gegen ihn ergangenen Entscheidung zu wehren, für die Wahrung seiner Verteidigungsrechte sorgen. Diese Garantie entfiele jedoch, wenn unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ein Versäumnisurteil gegen einen Beklagten, der von dem Verfahren keine Kenntnis hat, als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt würde.
Daher darf ein Versäumnisurteil gegen einen Beklagten, dessen Anschrift unbekannt ist, nicht als Europäischer Vollstreckungstitel im Sinne der Verordnung Nr. 805/2004 bestätigt werden.
Folglich ist auf den zweiten Teil der dritten Frage zu antworten, dass das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es der Bestätigung eines Versäumnisurteils gegen einen Beklagten, dessen Anschrift unbekannt ist, als Europäischer Vollstreckungstitel im Sinne der Verordnung Nr. 805/2004 entgegensteht.
Zur elften Frage
Mit seiner elften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/31 dahin auszulegen ist, dass er in einem Fall Anwendung findet, in dem der Ort der Niederlassung des Anbieters von Diensten der Informationsgesellschaft unbekannt ist.
Insoweit geht aus dem Urteil eDate Advertising u. a. klar hervor, dass die Niederlassung des Anbieters von Diensten der Informationsgesellschaft in einem Mitgliedstaat sowohl den Grund als auch die Anwendungsvoraussetzung für die Regelung des Art. 3 der Richtlinie 2000/31 darstellt. Mit dieser Regelung soll nämlich der freie Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten dadurch sichergestellt werden, dass diese Dienste der Rechtsordnung des Sitzmitgliedstaats ihres Anbieters unterworfen werden (Urteil eDate Advertising u. a., Randnr. 66).
Da Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/31 folglich nur dann anwendbar ist, wenn der Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft tatsächlich niedergelassen ist, feststeht (Urteil eDate Advertising u. a., Randnr. 68), obliegt es dem vorlegenden Gericht, zu prüfen, ob der Beklagte des Ausgangsverfahrens tatsächlich im Gebiet eines Mitgliedstaats niedergelassen ist. Ohne eine solche Niederlassung findet die Regelung des Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2000/31 keine Anwendung.
Unter diesen Umständen ist auf die elfte Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/31 in einem Fall keine Anwendung findet, in dem der Ort der Niederlassung des Anbieters von Diensten der Informationsgesellschaft unbekannt ist, da diese Bestimmung nur dann anwendbar ist, wenn der Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der betreffende Anbieter tatsächlich niedergelassen ist, feststeht.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens dahin auszulegen, dass er der Anwendung von Art. 5 Nr. 3 dieser Verordnung auf eine Haftungsklage wegen des Betriebs einer Website gegen einen Beklagten, der mutmaßlich Unionsbürger ist, dessen Aufenthaltsort jedoch unbekannt ist, nicht entgegensteht, wenn das angerufene Gericht nicht über beweiskräftige Indizien verfügt, die den Schluss zulassen, dass dieser Beklagte seinen Wohnsitz tatsächlich außerhalb des Gebiets der Europäischen Union hat.
Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es dem Erlass eines Versäumnisurteils gegen einen Beklagten nicht entgegensteht, dem mangels Ermittelbarkeit seines Aufenthalts die Klage nach nationalem Recht öffentlich zugestellt wurde, sofern sich das angerufene Gericht vorher vergewissert hat, dass alle Nachforschungen, die der Sorgfaltsgrundsatz und der Grundsatz von Treu und Glauben gebieten, vorgenommen worden sind, um den Beklagten ausfindig zu machen.
Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es der Bestätigung eines Versäumnisurteils gegen einen Beklagten, dessen Anschrift unbekannt ist, als Europäischer Vollstreckungstitel im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen entgegensteht.
Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) findet in einem Fall keine Anwendung, in dem der Ort der Niederlassung des Anbieters von Diensten der Informationsgesellschaft unbekannt ist, da diese Bestimmung nur dann anwendbar ist, wenn der Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der betreffende Anbieter tatsächlich niedergelassen ist, feststeht.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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