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BAG 20.08.2019 - 3 AZN 530/19 (A)
BAG 20.08.2019 - 3 AZN 530/19 (A) - Befangenheit - Mitwirkung an Entwicklung und Aufrechterhaltung ständiger Rechtsprechung
Normen
§ 42 Abs 2 ZPO, Art 6 Abs 1 MRK
Vorinstanz
vorgehend ArbG Köln, 30. November 2017, Az: 5 Ca 7631/16, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Köln, 28. November 2018, Az: 5 Sa 13/18, Urteil
Tenor
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Der Befangenheitsantrag der Beklagten vom 31. Juli 2019 gegen den Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. S wird zurückgewiesen.
Gründe
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I. Die Parteien haben über die Berechnung der Betriebsrente des Klägers gestritten. Soweit der Rechtsstreit in die Berufungsinstanz gelangt ist, hat das Landesarbeitsgericht zulasten der Beklagten entschieden und die Revision nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Beklagte, vertreten durch den Arbeitgeberverband, Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Im Laufe des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens hat sie, vertreten durch einen Geschäftsführer und einen Prokuristen, den Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. S wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Dieser Befangenheitsantrag war an die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts adressiert, die ihn an den Senat weitergeleitet hat.
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II. Der Antrag hat keinen Erfolg.
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1. Verfahrenshindernisse stehen einer Sachentscheidung über den Antrag nicht entgegen.
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a) Der Antrag ist als beim Senat angebracht anzusehen. Dem steht nicht entgegen, dass er an die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts adressiert war. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte damit eine Entscheidung durch den zur Entscheidung über Befangenheitsanträge nach § 45 Abs. 1 ZPO zuständigen Senat ausschließen wollte. Die Weiterleitung an den Senat führt deshalb dazu, dass eine Entscheidung über den Antrag durch Beschluss zu ergehen hat (§ 46 Abs. 1 ZPO).
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b) Die Beklagte musste sich nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen, da Befangenheitsanträge auch vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gestellt werden können (§ 11 Abs. 4 Satz 1 ArbGG; § 44 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO).
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2. Der Antrag ist unbegründet.
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a) Die Voraussetzungen der Befangenheit eines Richters richten sich nach § 42 Abs. 2 ZPO und den Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 EMRK.
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aa) Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO setzt die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit einen Grund voraus, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Misstrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, dass der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Bei Anlegung dieses objektiven Maßstabs kommt es entscheidend darauf an, ob die Prozesspartei, die das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von ihrem Standpunkt aus Anlass hat, Voreingenommenheit zu befürchten. Es muss also die Befürchtung bestehen, dass der abgelehnte Richter in die Verhandlung und Entscheidung des gerade anstehenden Falls sachfremde, unsachliche Momente mit einfließen lassen könnte und den ihm unterbreiteten Fall nicht ohne Ansehen der Person nur aufgrund der sachlichen Gegebenheiten des Falls und allein nach Recht und Gesetz entscheidet. Unter Befangenheit ist ein Zustand zu verstehen, der eine vollkommen gerechte und von jeder falschen Rücksicht freie Entscheidung zur Sache beeinträchtigt. Entscheidend ist dabei nicht, ob der Richter wirklich befangen ist oder sich selbst für befangen hält, sondern allein, ob auch vom Standpunkt des Ablehnenden aus gesehen genügend objektive, dh. nicht nur in der Einbildung der Partei wurzelnde Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Menschen geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu erzeugen (BAG 7. November 2012 - 7 AZR 646/10 (A) - Rn. 18, BAGE 143, 265; 6. August 1997 - 4 AZR 789/95 (A) - zu II 2 der Gründe, BAGE 86, 184).
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bb) Entsprechendes gilt nach den Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 EMRK. Nach dieser Regelung hat jede Person ua. ein Recht darauf, dass in zivilrechtlichen Streitigkeiten von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht verhandelt wird. Das richtet sich nach subjektiven und objektiven Kriterien. Nach den subjektiven Kriterien ist zu prüfen, ob ein Richter eine persönliche Überzeugung oder ein persönliches Interesse bezogen auf einen bestimmten Fall hat. Objektiv kommt es darauf an, ob ausreichende Sicherheit besteht, dass legitime Zweifel in dieser Hinsicht ausscheiden. Maßgeblich ist, ob Tatsachen feststellbar sind, die unabhängig vom persönlichen Verhalten Zweifel an der Unabhängigkeit aufkommen lassen. Dabei kann schon der Schein von einiger Bedeutung sein. Der Standpunkt der Partei, die die Befangenheit geltend macht, ist dabei wichtig, aber nicht entscheidend. Maßgeblich ist, ob die Besorgnis der Befangenheit objektiv gerechtfertigt ist (EGMR 3. Juli 2012 - 66484/09 - [Mariusz Lewandowski ./. Polen] mwN).
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b) Danach hat die Beklagte keine Gründe vorgebracht, die die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters begründen.
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aa) Das gilt zunächst, soweit die Beklagte die Besorgnis der Befangenheit darauf stützt, dass der Richter an der Rechtsprechung des Senats in Verfahren, die sie betreffen, mitgewirkt hat.
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(1) Die Beklagte bringt vor, der Richter sei „Urheber“ und „Bewahrer“ sowie „Perpetuierer“ der Rechtsprechung des Senats zu den bei ihr geltenden Versorgungsregeln. Diese Rechtsprechung sei verfahrensrechtlich und materiellrechtlich zu ihrem Nachteil falsch. Sie werde jedoch von den Vorinstanzen weiter im Sinne eines Fallrechts bzw. „case law“ praktiziert, ohne dass sich die Beklagte dagegen wehren könne. Nichtzulassungsbeschwerden seien beim Bundesarbeitsgericht erfolglos geblieben. An den maßgeblichen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts sei der abgelehnte Richter durchgängig beteiligt gewesen.
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(2) Damit bringt die Beklagte keine objektiven Gründe vor, die auf eine Befangenheit des Richters am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. S schließen lassen.
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Das Vorbringen der Beklagten weist nicht auf Voreingenommenheit, sondern auf Rechtsüberzeugung und Mitwirkung bei der Entwicklung der Rechtsprechung sowie der Vermeidung inhaltlicher Widersprüche in der Entscheidungspraxis hin. Rechtsüberzeugungen zu haben und auf die Rechtsprechung einzuwirken, ist originäre Aufgabe eines Richters an einem Bundesgericht und kein Befangenheitsgrund.
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Dass die Beklagte dies subjektiv auf der Basis ihrer Rechtsansicht anders einschätzt, ist ohne Bedeutung. Die vermeintliche Fehlerhaftigkeit der einer Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsanwendung ist - von Fallgestaltungen einer offensichtlichen Unhaltbarkeit abgesehen - nicht geeignet, eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit zu begründen (BGH 10. April 2018 - VIII ZR 127/17 - Rn. 6 mwN; sowie bereits BGH 12. Oktober 2011 - V ZR 8/10 - Rn. 7 mwN; 1. Juni 2017 - I ZB 4/16 - Rn. 15 mwN; 20. November 2017 - IX ZR 80/15 - Rn. 5 mwN; BVerwG 20. November 2017 - 6 B 47.17 - Rn. 8 mwN). Selbst wenn die Beklagte mit ihrer von der Senatsrechtsprechung abweichenden Position Recht hätte, könnte sie ihren Befangenheitsantrag darauf nicht stützen. Im Streitfall ist eine offensichtliche Unhaltbarkeit noch nicht einmal ansatzweise erkennbar.
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Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass auch die Vorinstanzen der Rechtsprechung des Senats folgen. Dies ist kein der deutschen Rechtsordnung fremdes „Fallrecht - case law“, sondern in der Rechtsordnung angelegt. Das belegen eindrücklich die Vorschriften des § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG über die Zulassung der Revision wegen Divergenz und die Möglichkeit der darauf gestützten Nichtzulassungsbeschwerde in § 72a Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ArbGG.
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bb) Gegenteiliges gilt auch nicht, soweit die Beklagte die Festsetzung und spätere Korrektur überhöhter Streitwerte anführt. Derartige Fehler lassen keinen Schluss auf eine Voreingenommenheit zu. Sie wurden zudem korrigiert.
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cc) Aus der Tatsache, dass der Beschluss des Senats vom 20. März 2018 - 3 AZN 800/17 - zunächst versehentlich als vom abgelehnten Richter mitunterzeichnet zugestellt wurde, leitet die Beklagte selbst nichts her. Sie will nach ihren eigenen Ausführungen insoweit nicht spekulieren. Dazu gibt der Vorgang auch keinen Anlass.
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c) Letztlich geht es der Beklagten nicht um die Befangenheit eines Richters. Vielmehr will sie mithilfe des Befangenheitsrechts sich eine Richterbank verschaffen, von der sie sich eine Entscheidung zu ihren Gunsten erhofft. Diese Suche nach dem genehmen Richter - forum shopping - ist der Rechtsordnung grundsätzlich fremd und vom Zweck der Regelungen über die Befangenheit nicht gedeckt.
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3. Der Einholung einer dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters bedurfte es nicht. Die Entscheidung beruht auf der Darstellung der Beklagten, die sich in den entscheidenden Punkten auf beim Senat aktenkundiges Geschehen stützt (vgl. BAG 7. November 2012 - 7 AZR 646/10 (A) - Rn. 24, BAGE 143, 256; BGH 27. Dezember 2011 - V ZB 175/11 - Rn. 2).
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