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BSG 14.12.2023 - B 4 AS 73/23 B
BSG 14.12.2023 - B 4 AS 73/23 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme - Glaubwürdigkeit von Zeugen - persönlicher Eindruck
Normen
§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 117 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Berlin, 31. Mai 2022, Az: S 148 AS 5794/19, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 6. März 2023, Az: L 31 AS 660/22, Beschluss
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 6. März 2023 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Im Streit sind Leistungen nach dem SGB II zur Erstausstattung für Wohnraum.
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Der Kläger, der seit Oktober 2017 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezieht, beantragte nach dem Einzug in eine Wohnung in der S-straße in B erfolglos die Übernahme von Kosten für verschiedene Einrichtungsgegenstände (Ablehnungsbescheid vom 22.3.2019; Widerspruchsbescheid vom 7.6.2019). Das SG verurteilte den Beklagten nach Zeugenvernehmung zur Zahlung von 219 Euro und wies die Klage im Übrigen ab (Urteil vom 31.5.2022): Teilweise sei die Klage - die Einrichtungsgegenstände Spüle und Herd betreffend - mangels Verwaltungsverfahrens unzulässig. Im Übrigen (ua bezogen auf die Einrichtungsgegenstände Waschmaschine und Kühlschrank) sei die Klage unbegründet. Es sei angesichts seines aus der Vernehmung der Zeugen gewonnenen Eindrucks nicht davon überzeugt, dass diese die Waschmaschine ernsthaft vom Kläger herausverlangen wollten, sondern es sich um eine kostenfreie Zuwendung im Sinne einer unbefristeten Überlassung handele. Das LSG hat die Berufung des Klägers durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG zurückgewiesen. Hinsichtlich der Waschmaschine sei nach der durchgeführten Zeugenvernehmung des SG jedenfalls ein entsprechender Bedarf nicht ersichtlich; auf die insoweit zutreffenden Ausführungen des SG werde gemäß § 153 Abs 2 SGG verwiesen (Beschluss vom 6.3.2023).
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Mit seiner nach Bewilligung von PKH durch den Senat erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger als Verfahrensmangel ua, dass das LSG keine eigene Zeugenvernehmung durchgeführt habe.
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II. Dem Kläger ist gemäß § 67 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren. Vor der Bewilligung von PKH war er ohne Verschulden daran gehindert, die Beschwerde rechtzeitig einzulegen.
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Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie Zurückverweisung der Sache an das LSG. Jedenfalls die sinngemäß geltend gemachte Verletzung des aus § 117 SGG folgenden Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ist noch hinreichend bezeichnet und liegt vor.
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Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme erfordert ua, dass sich alle die Entscheidung treffenden Richter einen persönlichen Eindruck von den Zeugen gemacht haben, wenn sie über deren Glaubwürdigkeit befinden; der persönliche Eindruck, den andere Richter einer früheren Verhandlung gewonnen haben, ist nur dann verwertbar, wenn er protokolliert oder auf sonstige Weise aktenkundig ist (vgl BSG vom 15.8.2002 - B 7 AL 66/01 R - SozR 3-1500 § 128 Nr 15, juris RdNr 14; BSG vom 24.2.2004 - B 2 U 316/03 B - SozR 4-1500 § 117 Nr 1 RdNr 5 = juris RdNr 7; BSG vom 24.6.2020 - B 4 AS 175/20 B - juris RdNr 8). Das LSG hat vorliegend seine Entscheidung tragend auf die Würdigung der vom SG gehörten zwei Zeugen gestützt, indem es sich auf deren “glaubwürdigen und glaubhaften Aussagen“ stützt. Tatsächlich hat das SG aber entscheidungserhebliche Zweifel (auch) an der Glaubwürdigkeit dieser Zeugen aufgezeigt, soweit sie zu ihren Vereinbarungen mit dem Kläger ausgesagt haben, und zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht. Den Zweifeln hat sich das LSG angeschlossen, ohne die Zeugen selbst anzuhören. Dies ist verfahrensfehlerhaft, denn im Protokoll des SG und in den Akten finden sich keine Ausführungen dazu, welchen persönlichen Eindruck die Zeugen hinterlassen haben.
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Auf dem vorliegenden Verfahrensmangel kann das angefochtene Urteil auch beruhen, denn es ist nicht auszuschließen, dass das LSG bei Beachtung des § 117 SGG und eigener Vernehmung der Zeugen zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Ob die weiteren vom Kläger gerügten Verfahrensfehler ebenfalls ausreichend bezeichnet wurden und vorliegen, bedarf vor diesem Hintergrund keiner Entscheidung.
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Gemäß § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG - wie hier - vorliegen. Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen macht der Senat von dieser Möglichkeit Gebrauch.
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Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren Gelegenheit haben, den Streitgegenstand im Einzelnen unter Berücksichtigung von § 99 SGG zu bestimmen, auch im Hinblick auf die erstmals im Berufungsverfahren geltend gemachten Ansprüche für Schrankanbauten der Küche und eine Arbeitsplatte. Worüber in der Sache tatsächlich entschieden wurde und worüber mangels Zulässigkeit des Begehrens nicht, muss im Hinblick auf die Rechtskraft von Entscheidungen feststehen.
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Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.
Estelmann
B. Schmidt
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