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BSG 06.12.2021 - B 6 KA 6/21 B
BSG 06.12.2021 - B 6 KA 6/21 B - Vertragsärztliche Versorgung - Gewährung von Sicherstellungszuschlägen - Voraussetzung einer festgestellten Unterversorgung - Rechtmäßigkeit dieser Feststellung gerichtlicher Prüfung nicht vollständig entzogen
Normen
§ 100 Abs 1 SGB 5, § 105 Abs 4 SGB 5 vom 14.11.2003, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Schwerin, 20. Februar 2008, Az: S 3 KA 90/05, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, 18. November 2020, Az: L 1 KA 3/08, Urteil
Tenor
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Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 18. November 2020 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beigeladene trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Streitwert wird für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde auf 566 960 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Bescheides des beklagten Landesausschusses vom 8.11.2005 (Beschluss vom 15.6.2005), der die Festsetzung von Sicherstellungszuschlägen zur Abwendung einer Unterversorgung im ärztlichen Bereitschaftsdienst (Notdienst) in der Zeit vom 1.7.2005 bis zum 30.6.2006 zum Gegenstand hat.
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Auf die Klage von Krankenkassen und Krankenkassenverbänden (Kläger zu 1. bis 8.) hat das Sozialgericht (SG) den Bescheid des Beklagten aufgehoben und diesen verurteilt, über die Festsetzung von Sicherstellungszuschlägen erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden (Urteil vom 20.2.2008). Die dagegen von der beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) eingelegte Berufung hat das LSG zurückgewiesen (Urteil vom 18.11.2020). Auf die Berufung der Kläger hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben, soweit die Beklagte zur Neubescheidung verurteilt worden war.
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Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht die Beigeladene die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
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II. 1. Die Beschwerde der Beigeladenen ist unzulässig, weil sie nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen entspricht.
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Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet und zudem aufgezeigt werden, inwiefern diese in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich), klärungsbedürftig sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr; zB BSG Beschluss vom 30.8.2004 - B 2 U 401/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 5; BSG Beschluss vom 12.9.2018 - B 6 KA 12/18 B - juris RdNr 5, jeweils mwN). Dem wird die Beschwerde der Beigeladenen nicht gerecht.
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Die Beigeladene erachtet die Rechtsfragen für grundsätzlich bedeutsam,
1. "ob kassenseitig gegen vom Landesausschuss gem. § 105 Abs. 4 SGB V festgesetzte Sicherstellungszuschläge (hier der in der Sitzung am 15.06.2005 gefasste Beschluss) geklagt werden kann, wenn kassenseitig nachfolgend mit der KV vertraglich inhaltsgleiche Sicherstellungszuschläge vereinbart wurden",
2. "ob auch zusätzlich am Notdienst teilnehmende Ärzte Sicherstellungszuschläge auf Grundlage des § 105 Abs. 4 SGB V erhalten können und weiter, ob die KK'en zur Finanzierung eines Sicherstellungszuschlags in voller Höhe herangezogen werden können", sowie
3. "ob für Haus- und Fachärzte eine einheitliche Regelung der Befreiung vom Außendienst ab dem vollendeten 61. Lebensjahr außerhalb der Stadtkreise festgelegt werden konnte."
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a) Bezogen auf die erste der formulierten Rechtsfragen ist bereits fraglich, ob eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dargelegt worden ist. Die Fragestellung bezieht sich auf eine spezielle Konstellation, die nach Auffassung der Beigeladenen gerade im vorliegenden Fall vorgelegen haben soll. Die Beigeladene behauptet nicht, dass vergleichbare Konstellationen auch in anderen KÄV-Bezirken bestehen oder aufgetreten sind, sondern macht nur geltend, dass diese auch dort "entstehen und in einen entsprechenden gleichgelagerten Rechtsstreit münden" könnten.
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Unabhängig davon hat die Beigeladene die Entscheidungserheblichkeit nicht in der erforderlichen Weise dargelegt. Auf die Beantwortung der formulierten Frage könnte es nur ankommen, wenn die beigeladene KÄV nachfolgend vertraglich inhaltsgleiche Sicherstellungszuschläge vereinbart hätte. Dem Vorbringen der Beigeladenen kann das nicht ohne Weiteres entnommen werden. Die Kläger zu 2. bis 6. weisen zutreffend darauf hin, dass die Beigeladene die nachfolgenden Vereinbarungen in der Beschwerdebegründung an einer Stelle selbst nur als "weitestgehend inhaltsgleich" bezeichnet hat. Die Kläger zu 2. bis 6. halten auch das nicht für richtig.
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b) Das kann jedoch dahingestellt bleiben. Die Beschwerde ist jedenfalls insgesamt unzulässig, weil die Beschwerdebegründung keine Ausführungen zu der Frage enthält, ob die Entscheidung des LSG mit anderer Begründung bestätigt werden kann. Das wäre in der vorliegenden Konstellation jedoch erforderlich gewesen. Damit fehlt es an der erforderlichen Darlegung der Entscheidungserheblichkeit bezogen auf alle drei formulierten Rechtsfragen:
Die Kläger haben nach dem Inhalt der vom LSG in Bezug genommenen Verwaltungsakten bereits in Vorbereitung auf die Sitzung des Landesausschusses am 15.6.2005 geltend gemacht, dass Sicherstellungszuschläge nach § 105 Abs 4 SGB V erst nach der Feststellung einer (unmittelbar drohenden) Unterversorgung beschlossen werden dürften und dass es daran sowie an den tatsächlichen Voraussetzungen einer - über die hausärztliche Versorgung in einzelnen Planungsbereichen hinausgehenden - (unmittelbar drohenden) Unterversorgung fehlen würde. Im Klageverfahren haben sie daran festgehalten und vorgetragen, dass der Bescheid des beklagten Landesausschusses vom 8.11.2005 (Beschluss vom 15.6.2005) schon deshalb rechtswidrig sei, weil kein Verfahren zur Feststellung von Unterversorgung nach § 100 Abs 1 SGB V eingeleitet und fehlerfrei durchgeführt worden sei. Auch im Berufungsverfahren hat dieser Gesichtspunkt zunächst im Vordergrund gestanden. Das LSG hat seine Entscheidung, mit der es die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses durch das SG im Ergebnis bestätigt hat, zwar nicht auf diesen Gesichtspunkt gestützt, aber in den Entscheidungsgründen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es dazu neige, dass es einer ausdrücklichen Feststellung einer eingetretenen bzw drohenden Unterversorgung gemäß § 100 Abs 1 SGB V bedürfe, bevor über eine Gewährung von Sicherstellungszuschlägen entschieden werden könne. Eine (drohende) Unterversorgung sei im fachärztlichen Bereich offensichtlich nicht gesehen worden. Gleichwohl sei die Zahlung von Sicherstellungzuschlägen pauschal für alle Fachgruppen und Planungsbereiche beschlossen worden. Nach § 105 Abs 1 Satz 1 SGB V könnten Sicherstellungszuschläge nur an Vertragsärzte in Gebieten oder in Teilen von Gebieten gezahlt werden, für die der Landesausschuss Feststellungen nach § 100 Abs 1 SGB V getroffen habe.
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Nach Auffassung des Senats kann es keinem Zweifel unterliegen, dass eine Entscheidung des Landesausschusses über die Gewährung von Sicherstellungszuschlägen nach § 105 Abs 4 SGB V in der hier noch maßgebenden Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) die Feststellung einer eingetretenen oder unmittelbar drohenden Unterversorgung nach § 100 Abs 1 SGB V voraussetzt und dass die Rechtmäßigkeit dieser Feststellung - trotz des dem Landesausschuss zukommenden Beurteilungsspielraums - einer gerichtlichen Prüfung jedenfalls nicht vollständig entzogen ist. Die in § 105 Abs 4 SGB V getroffene Regelung über die Gewährung von Sicherstellungszuschlägen an Ärzte ist mit dem GKV-Modernisierungsgesetz eingeführt worden. § 105 Abs 4 Satz 1 SGB V nimmt auf den ebenfalls mit dem GKV-Modernisierungsgesetz eingeführten Abs 1 Satz 1 zweiter Halbsatz der Vorschrift Bezug, der lautete: "zu den möglichen Maßnahmen gehört auch die Zahlung von Sicherstellungszuschlägen an Vertragsärzte in Gebieten oder in Teilen von Gebieten, für die der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen die Feststellung nach § 100 Abs. 1 getroffen hat." In der Gesetzesbegründung wird dazu ua ausgeführt: "Mit der Neuregelung wird klargestellt, dass neben den mittelbar finanziell wirksamen Maßnahmen wie z. B. der Subventionierung einer für die Versorgung in einer bestimmten Region notwendigen Praxisausstattung auch unmittelbar wirksame Maßnahmen wie die Zahlung von 'Sicherstellungsprämien' in Form von Zuschlägen zum Honorar umgesetzt werden können, um eine bestehende Unterversorgung abzubauen. Die Zahlung von Sicherstellungszuschlägen an Vertragsärzte kann auf kleinräumige Gebiete begrenzt werden, die in den Gebieten liegen, für die der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen eine bestehende oder unmittelbar drohende Unterversorgung festgestellt hat." Ob der Beklagte hier überhaupt eine Feststellung zu einer (unmittelbar drohenden) Unterversorgung getroffen hat und ob diese ggfs den gesetzlichen Vorgaben entsprochen hat, ist zwischen den Beteiligten umstritten. Einen Bezug zu bestimmten räumlichen Planungsbereichen oder bestimmten Arztgruppen hat der Beklagte in der angefochtenen Entscheidung jedenfalls nicht hergestellt (zum erforderlichen Arztgruppen- und Planungsbereichsbezug der Feststellung von Unterversorgung vgl Pawlita in jurisPK-SGB V, 4. Aufl 2020, § 100 RdNr 18).
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Wenn die - vom LSG geteilte - Auffassung der Kläger zutrifft, dass ein den gesetzlichen Anforderungen entsprechender Beschluss des Beklagten zur Unterversorgung hier nicht getroffen worden ist, dann kann es für die Entscheidung im Revisionsverfahren auf keine der von der Beigeladenen als grundsätzlich bedeutsam bezeichneten Rechtsfragen ankommen, weil ein solcher Beschluss - auch nach der Auffassung des LSG - Voraussetzung für die Gewährung von Sicherstellungszuschlägen nach § 105 Abs 4 SGB V ist.
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Unter diesen Umständen hätte die Beigeladene die Entscheidungserheblichkeit der formulierten Rechtsfragen näher begründen müssen. Die Beigeladene hat sich insoweit auf den Hinweis beschränkt, dass das LSG sein Urteil nicht auf den genannten Gesichtspunkt gestützt habe. Sie hat dabei jedoch übersehen, dass im Rahmen der Darlegung der Klärungsfähigkeit grundsätzlich auch Ausführungen dazu verlangt werden, dass die vorinstanzliche Entscheidung nicht mit anderer rechtlicher Begründung bestätigt werden kann, jedenfalls wenn die Möglichkeit, dass das Revisionsgericht über die aufgeworfene Frage wegen des in Betracht kommenden anderen rechtlichen Gesichtspunktes überhaupt nicht entscheiden muss, entweder schon aus dem LSG-Urteil hervorgeht oder wenn es sich um eine naheliegende rechtliche Überlegung handelt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Aufl 2020, SGG, § 160a RdNr 14k, mwN). Die genannten Voraussetzungen liegen hier aus den og Gründen zweifellos vor, sodass die Beigeladene in der Beschwerdebegründung hätte darlegen müssen, dass die Entscheidung des LSG nicht ganz unabhängig von der Beantwortung der formulierten Rechtsfragen mit der Begründung zu bestätigen ist, dass es an einer - den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden - Feststellung der (unmittelbar drohenden) Unterversorgung durch den beklagten Landesausschuss fehlt.
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c) Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die KÄVen nach § 105 Abs 1b SGB V in der Fassung des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) vom 6.5.2019 (BGBl I 646) mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen die Bereitstellung eines Betrags zweckgebunden zur Förderung der Sicherstellung der Strukturen des Notdienstes vereinbaren können. Angesichts dieser Rechtsänderung erscheint fraglich, ob sich die hier mit Bezug auf den Zeitraum vom 1.7.2005 bis zum 30.6.2006 formulierten Rechtsfragen künftig in gleicher Weise stellen. Auch darauf geht die Beschwerdebegründung nicht ein (zu den Darlegungsanforderungen bezogen auf die fortbestehende grundsätzliche Bedeutung bei außer Kraft getretenem Recht vgl BSG Beschluss vom 12.1.2017 - B 6 KA 68/16 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 11.8.2021 - B 6 KA 3/21 B - juris RdNr 14, jeweils mwN).
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die Beigeladene die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).
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3. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht der Festsetzung der Vorinstanz, die von keinem Beteiligten in Frage gestellt worden ist.
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