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BSG 24.06.2021 - B 7 AY 1/20 R
BSG 24.06.2021 - B 7 AY 1/20 R - Asylbewerberleistungen - Analogleistungen - Blindenhilfe
Normen
§ 2 Abs 1 S 1 AsylbLG vom 10.12.2014, § 9 Abs 1 AsylbLG, § 23 Abs 1 S 1 SGB 12, § 23 Abs 1 S 2 SGB 12, § 23 Abs 1 S 3 SGB 12, § 23 Abs 2 SGB 12, § 72 Abs 1 S 1 SGB 12
Vorinstanz
vorgehend SG Frankfurt (Oder), 20. Dezember 2019, Az: S 34 AY 15/16, Urteil
Leitsatz
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Zu den Leistungen, die Analogleistungsberechtigten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls gewährt werden können, gehört die Blindenhilfe.
Tenor
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Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Dezember 2019 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Im Streit ist ein Anspruch auf Blindenhilfe für den Kläger, der laufende Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bezieht.
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Der 1973 geborene Kläger ist russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Er, seine Ehefrau und ihre drei minderjährigen Kinder reisten im Januar 2011 ins Bundesgebiet ein und leben nach einer entsprechenden Zuweisung seit Mai 2012 ununterbrochen im Zuständigkeitsbereich des beklagten Landkreises. Der Kläger verfügte zunächst über eine Duldung und erhielt später eine Aufenthaltsgestattung. Die Familienmitglieder bezogen zumindest seit Juni 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 2 AsylbLG (sog Analogleistungen). Der Kläger ist ua wegen Blindheit schwerbehindert. Einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen G, BL, H und RF hat das Landesamt für Versorgung und Soziales des Landes Brandenburg anerkannt (Bescheid vom 23.12.2012). Den Antrag des Klägers auf Blindenhilfe entsprechend § 72 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 22.7.2016; Widerspruchsbescheid vom 29.9.2016).
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Das Sozialgericht (SG) Frankfurt (Oder) hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, über den Antrag vom 23.9.2015 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (Urteil vom 20.12.2019). Zur Begründung hat es ausgeführt, zu Unrecht habe der Beklagte ohne jede Ausübung von Ermessen einen Anspruch des Klägers auf Grundlage von § 72 SGB XII abgelehnt. Auch die Vorschriften der §§ 70 bis 74 SGB XII fänden über § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII im Anwendungsbereich des § 2 AsylbLG entsprechend Anwendung. Aus § 9 Abs 1 AsylbLG und § 23 Abs 2 SGB XII folge nichts Abweichendes.
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Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 9 Abs 1 AsylbLG und § 23 Abs 2 SGB XII. Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG seien nach diesen Normen von Sozialhilfe ausgeschlossen. § 2 Abs 1 AsylbLG sehe zwar Abweichungen vor, enthalte jedoch keinen umfassenden Verweis in das SGB XII, verweise insbesondere nicht auf § 72 SGB XII.
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Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 20. Dezember 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Sprungrevision (§ 161 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des angegriffenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das SG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Der Senat kann auf Grundlage der bisherigen Feststellungen des SG nicht abschließend entscheiden, ob der Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Blindenhilfe erfüllt. Liegen diese Voraussetzungen jedoch vor, kommt für den Kläger als Analogleistungsberechtigten ein Anspruch auf Blindenhilfe in Betracht, über den der Beklagte in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens zu entscheiden hat.
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Gegenstand des vom Kläger von Beginn an zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, § 56 SGG) geführten Verfahrens ist der Bescheid vom 22.7.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.9.2016. Die vom Kläger vorgenommene Beschränkung des Streitgegenstands auf Leistungen der Blindenhilfe als neben der Hilfe zum Lebensunterhalt zu erbringende Leistung ist - wie im unmittelbaren Anwendungsbereich des SGB XII - zulässig.
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Der Beklagte ist für den geltend gemachten Anspruch sachlich zuständig (§ 10 Satz 1 AsylbLG iVm § 1 Abs 1 Satz 1 des Gesetzes über die Aufnahme von Spätaussiedlern und ausländischen Flüchtlingen im Land Brandenburg in der zuletzt geltenden Fassung vom 13.3.2012, GVBl I Nr 16; ab 1.4.2016 § 10 Satz 1 AsylbLG iVm § 3 Abs 1 des Gesetzes über die Aufnahme von Flüchtlingen, spätausgesiedelten und weiteren aus dem Ausland zugewanderten Personen im Land Brandenburg sowie zur Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 15.3.2016, GVBl I Nr 11); denn der Kläger lebt im Land Brandenburg außerhalb einer Aufnahmeeinrichtung. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus der Zuweisung in das Kreisgebiet des Beklagten (§ 10a Abs 1 Satz 1 AsylbLG).
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Als Grundlage für einen Anspruch des Klägers auf Blindenhilfe kommt nur § 2 Abs 1 Satz 1 AsylbLG iVm § 19 Abs 3, § 23 Abs 1 Satz 3, § 72 Abs 1 Satz 1 SGB XII in Betracht. Dieser Anspruch ist - anders als es der Beklagte wohl meint - nicht von der Stellung eines gesonderten Antrags abhängig. Es genügt vielmehr die Kenntnis des Beklagten von den Voraussetzungen für die Leistung im Sinne des § 18 Abs 1 SGB XII, der für Analogleistungsberechtigte unabhängig von der Einführung des § 6b AsylbLG (mit dem Gesetz zur Änderung des AsylbLG und des SGG vom 10.12.2014, BGBl I 2187) erst mit Wirkung vom 1.3.2015 zur Vermeidung einer Besserstellung gegenüber Leistungsberechtigten nach dem SGB XII entsprechend gilt. Ob der Beklagte die Kenntnis von der Bedarfslage, die Ansprüche auf Blindengeld auslösen kann, erst mit Antragstellung im September 2015 oder bereits zuvor (zugleich mit Kenntnis von der Leistungsberechtigung nach § 2 AsylbLG) erlangt hat, kann im derzeitigen Stand des Verfahrens offenbleiben. Der Senat kann schon nicht abschließend beurteilen, ob die Voraussetzungen eines Anspruchs überhaupt bestehen.
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Der Kläger hat jedenfalls seit Antragstellung im September 2015 dem Grunde nach Anspruch auf Analogleistungen. Nach § 2 Abs 1 Satz 1 AsylbLG (in der Fassung des Gesetzes vom 10.12.2014) ist abweichend von §§ 3 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und ihre Aufenthaltsdauer nicht selbst rechtsmissbräuchlich beeinflusst haben. Diese Voraussetzungen liegen auf Grundlage der bindenden Feststellungen des SG (§ 163 SGG) zumindest seit Antragstellung vor. Da die (begünstigende) Änderung des § 2 Abs 1 AsylbLG zum 1.3.2015 ohne Übergangsregelung in Kraft getreten ist, sind auch Zeiten des Aufenthalts vor dem 1.3.2015 mit in die neu geschaffene Wartefrist einzubeziehen (vgl auch § 9 Abs 4 AsylbLG iVm § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - <SGB X>). Ob die nach der Rechtslage bis zum 28.2.2015 erforderlichen Vorbezugszeiten (vgl § 2 Abs 1 AsylbLG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 <BGBl I 1970>) erfüllt waren, kann damit (im jetzigen Stand des Verfahrens) offenbleiben. Schließlich sind durch die Änderungen des § 2 Abs 1 Satz 1 AsylbLG mit dem Integrationsgesetz vom 31.7.2016 (BGBl I 1939) mit Wirkung vom 6.8.2016 (Anwendbarkeit der §§ 5, 5a, 5b AsylbLG auf Analogleistungsberechtigte) und mit dem Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15.8.2019 (BGBl I 1294) mit Wirkung vom 21.8.2019 (Verlängerung der Wartefrist auf 18 Monate; dazu auch die Übergangsregelung in § 15 AsylbLG) keine für die Anspruchsberechtigung des Klägers wesentlichen Änderungen erfolgt.
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Analogleistungen umfassen auch Leistungen der Blindenhilfe. § 2 Abs 1 Satz 1 AsylbLG erklärt das SGB XII grundsätzlich für entsprechend anwendbar. Eine Einschränkung, dass die Gewährung von Blindenhilfe (als "Hilfe in anderen Lebenslagen" im Sinne des Neunten Kapitels des SGB XII) von vornherein ausscheidet, ergibt sich nicht (ebenso Cantzler, AsylbLG, 2019, § 2 RdNr 48, 54; Birk in Bieritz-Harder/Conradis/Thie, SGB XII, 12. Aufl 2020, § 2 RdNr 6; Krauß in Siefert, AsylbLG, 2. Aufl 2020, § 2 RdNr 68; Deibel in Hohm, GK-AsylbLG, § 2 RdNr 210, Stand August 2020; Oppermann/Filges in jurisPK-SGB XII, § 2 AsylbLG RdNr 207, Stand Juli 2021; einschränkend für Leistungen nach dem Neunten Kapitel nur Hohm in Schellhorn/Hohm/ Scheider, SGB XII, 19. Aufl 2015, § 2 AsylbLG RdNr 29).
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Entgegen der Auffassung des Beklagten lässt sich schon dem Wortlaut keine Einschränkung dahin entnehmen, dass nur solche im SGB XII vorgesehenen Leistungen erbracht werden dürfen, die mit denjenigen der §§ 3, 4, 6 und 7 AsylbLG vergleichbar sind. Bei der Formulierung, wonach die Leistungserbringung abweichend von §§ 3 bis 7 AsylbLG bzw §§ 3, 4, 6 und 7 AsylbLG erfolgt, handelt es sich lediglich um eine Aufzählung, welche Normen des AsylbLG bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung von Analogleistungen nicht anzuwenden sind. Dass § 2 Abs 1 Satz 1 AsylbLG - wie der Beklagte meint - ausschließlich zu einer abweichenden Leistungshöhe führt, lässt sich dem Wortlaut der Norm gerade nicht entnehmen. Geregelt wird dem Wortlaut nach nur das Verhältnis von § 2 Abs 1 Satz 1 AsylbLG zu den übrigen leistungsrechtlichen Vorschriften des AsylbLG.
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Dem Sinn und Zweck von § 2 AsylbLG entspricht das Verständnis, wonach die entsprechende Anwendung im Grundsatz alle Vorschriften des SGB XII erfasst, die Leistungsansprüche von Leistungsberechtigten regeln sowie die damit korrespondierenden Leistungsausschlüsse und Leistungseinschränkungen. Analogleistungen werden gewährt, weil aus Sicht des Gesetzgebers bei zunehmender Aufenthaltsdauer nicht mehr auf einen mit einem kürzeren Aufenthalt regelmäßig verbundenen geringeren Bedarf abgestellt werden kann. Nach einem bestimmten Zeitablauf (in der zum 1.11.1993 in Kraft getretenen Fassung des AsylbLG war eine Wartefrist von lediglich zwölf Monaten vorgesehen) sollen insbesondere auch Bedürfnisse anerkannt werden, die auf eine stärkere Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse im Inland und bessere soziale Integration gerichtet sind (vgl zur Begründung der ursprünglichen Gesetzesfassung BT-Drucks 12/5008 S 15 zu § 1a). § 2 Abs 1 Satz 1 AsylbLG (in den seit dem 1.3.2015 geltenden Fassungen) legt den Zeitpunkt fest, ab dem aus Sicht des Gesetzgebers eine Bedarfssituation vorliegt, die mit der anderer Leistungsberechtigter vergleichbar ist, weshalb Leistungen entsprechend dem SGB XII zu gewähren sind (vgl BT-Drucks 18/2592 S 19). Eine wesentliche Einschränkung erfährt die Leistungsberechtigung nach § 2 Abs 1 AsylbLG dabei durch die entsprechende Anwendbarkeit von § 23 Abs 1 SGB XII (ebenso Leopold in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Aufl 2020, § 2 AsylbLG RdNr 49; Deibel in Hohm, GK-AsylbLG, § 2 RdNr 245, Stand August 2020; Decker in Oestreicher/Decker, SGB II/SGB XII, § 2 AsylbLG RdNr 48b, Stand September 2020; Oppermann/Filges in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl 2020, § 2 AsylbLG RdNr 184, Stand Juli 2021; vgl zum Verhältnis von § 2 AsylbLG zu § 120 Bundessozialhilfegesetz <BSHG> bereits BT-Drucks 12/5008 S 15; zur Bedeutung von § 23 Abs 2 SGB XII später). Eine vollständige Gleichstellung mit Inländern erfolgt nur für Ausländer mit verfestigtem Aufenthaltsstatus unter den Voraussetzungen des § 23 Abs 1 Satz 4 SGB XII, die Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG nicht erfüllen. In den übrigen Fällen erhalten Leistungsberechtigte nach § 2 AsylbLG wie sonstige Ausländer - von Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII abgesehen - Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege als gebundene Leistung (§ 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII). Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist (§ 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII). Hierzu gehören auch Ansprüche nach dem Neunten Kapitel, die der Kläger vorliegend geltend macht.
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Gesichtspunkte, die dafür sprechen, das Leistungsniveau nach § 2 Abs 1 AsylbLG gegenüber den sonstigen Ausländern ohne verfestigten Aufenthaltsstatus von vornherein noch weiter einzuschränken, sind nicht erkennbar, auch wenn es sich bei § 2 Abs 1 Satz 1 AsylbLG nur um eine sogenannte Analogieverweisung (vgl Bundesministerium der Justiz, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 3. Aufl 2008, RdNr 232) handelt und so zum Ausdruck gebracht wird, dass der Normtext, auf den verwiesen wird, nicht in jeder Hinsicht "passt" (vgl BSG vom 19.6.2018 - B 2 U 1/17 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 42 RdNr 15). Die Gesetzesentwicklung zeigt, dass der Gesetzgeber bei den existenzsichernden Leistungen der Sozialhilfe einerseits und dem AsylbLG andererseits Abweichungen im Leistungsrecht gleichwohl ausdrücklich regelt. Insbesondere die mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13.8.2019 (BGBl I 1290) mit Wirkung vom 1.9.2019 eingefügte Regelung des § 2 Abs 2 Satz 2 AsylbLG, mit der Rückausnahmen zu den Regelungen in § 22 SGB XII (Leistungsausschluss bei Ausbildung) normiert worden sind, macht das deutlich. Für § 72 SGB XII (oder die Leistungen nach dem Neunten Kapitel insgesamt) ist eine Regelung, die dessen entsprechende Anwendbarkeit einschränkt, gerade nicht getroffen worden.
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Auch dem Sinn und Zweck des § 72 SGB XII entspricht es, Leistungsberechtigten nach § 2 Abs 1 AsylbLG im Einzelfall unter Ausübung von Ermessen Blindenhilfe zu gewähren. Die Blindenhilfe - wie auch das Blindengeld nach den Landesblindengeldgesetzen - verfolgt das Ziel, laufende blindheitsspezifische, auch immaterielle Bedürfnisse des Blinden zu erfüllen. Dies soll ihm ermöglichen, sich trotz Blindheit mit seiner zunehmend visualisierten Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen (vgl zum Landesblindengeld BSG vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 20/06 R - SozR 4-3500 § 90 Nr 1 RdNr 18 und zuletzt BSG vom 24.10.2019 - B 9 SB 1/18 R - BSGE 129, 211 = SozR 4-3250 § 152 Nr 2, RdNr 23 mwN; zu § 67 Abs 1 BSHG bereits Bundesverwaltungsgericht <BVerwG> vom 4.11.1976 - V C 7.76 - BVerwGE 51, 281, 283 f). Zwar wird Blindenhilfe nach § 72 Abs 1 SGB XII pauschal und unabhängig vom konkreten Bedarf im Einzelfall gewährt. Das allein führt aber nicht dazu, dass ihm (ausschließlich) ein immaterieller Versorgungscharakter zukommt, wie der Beklagte meint. Worin die Mehraufwendungen wegen Blindheit im Einzelnen bestehen können, lässt sich weder typisierend noch für den Einzelfall festlegen. "Blindheitsbedingte Mehraufwendungen" sind insoweit keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung; es kommt für die Gewährung von Blindenhilfe nicht einmal darauf an, ob wegen der äußeren Lebensumstände die bestimmungsgemäße Verwendung im Einzelfall möglich ist (so bereits BVerwG vom 4.11.1976 - V C 7.76 - BVerwGE 51, 281, 284 am Beispiel des Strafgefangenen). Es ist aber nichts ersichtlich dafür, dass Analogleistungsberechtigte blindheitsbedingte Mehraufwendungen regelmäßig nicht haben. Im Übrigen ist die Gewährung von Leistungen für behinderungsbedingte Mehraufwendungen bei Blindheit auch für Grundleistungsberechtigte nach § 3 AsylbLG auf Grundlage von § 6 Abs 1 Satz 1 AsylbLG vorgesehen (Krauß in Siefert, AsylbLG, 2. Aufl 2020, § 6 RdNr 28), wenn auch nicht pauschaliert (vgl zuletzt BSG vom 25.10.2018 - B 7 AY 1/18 R - SozR 4-3520 § 6 Nr 2 zum Mehrbedarf wegen Alleinerziehung im Anwendungsbereich des § 6 AsylbLG).
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Dass § 72 SGB XII im Anwendungsbereich des § 2 AsylbLG unanwendbar ist, folgt auch nicht aus § 9 Abs 1 AsylbLG und § 23 Abs 2 SGB XII. Nach diesen Normen erhalten Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG zwar keine Leistungen der Sozialhilfe, nach § 9 Abs 1 AsylbLG auch keine Leistungen nach vergleichbaren Landesgesetzen. Hieraus ergibt sich im Hinblick auf Analogleistungen aber nur, dass diese nicht als Sozialhilfe vom Sozialhilfeträger zu gewähren sind, sondern als Asylbewerberleistungen von dem hierfür zuständigen Leistungsträger (BSG vom 13.11.2008 - B 14 AS 24/07 R - BSGE 102, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 10, RdNr 18; BT-Drucks 12/5008 S 15 zu § 1a). Eine Aussage über Art und Umfang der Analogleistungen ist § 9 Abs 1 AsylbLG und § 23 Abs 2 SGB XII nicht zu entnehmen. Es trifft zu, dass wegen § 9 Abs 1 AsylbLG Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG wegen der Vergleichbarkeit mit Sozialhilfe kein Blindengeld nach Landesrecht erhalten können (BSG vom 6.10.2011 - B 9 SB 7/10 R - BSGE 109, 154 = SozR 4-3250 § 145 Nr 2, RdNr 69; Landessozialgericht <LSG> Sachsen-Anhalt vom 18.9.2013 - L 7 BL 1/10 - Breith 2014, 484, 486 f; Oberverwaltungsgericht <OVG> Nordrhein-Westfalen vom 17.6.2011 - 12 A 1011/10 - juris RdNr 27, 32 ff). Hieraus folgt allerdings nicht, dass Gleiches für die Gewährung von Blindenhilfe auf bundesgesetzlicher Grundlage für Analogleistungsberechtigte zu gelten habe. Eine Vorschrift über die Gewährung von Analogleistungen, die ins Landesrecht verweist, existiert gerade nicht.
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Soweit der Beklagte meint, die fehlende Anwendbarkeit des § 72 SGB XII ergebe sich daraus, dass dieser - im Gegensatz zu anderen Normen des SGB XII - nicht in der Aufzählung des § 9 Abs 5 AsylbLG enthalten ist, ist auch dem nicht zu folgen. Wollte man aus § 9 Abs 5 AsylbLG den Umkehrschluss ziehen, dass alle dort nicht genannten Vorschriften bei der Analogleistungsgewährung unanwendbar sind, liefen Analogleistungen ins Leere. § 9 Abs 5 AsylbLG ordnet die entsprechende Geltung einzelner Verfahrensbestimmungen an, nicht jedoch irgendeiner Vorschrift, die eine Leistung vorsieht.
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Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Blindenhilfe vorliegen, kann der Senat nicht abschließend beurteilen. Nach § 72 Abs 1 Satz 1 SGB XII wird blinden Menschen Blindenhilfe gewährt, soweit sie keine gleichartigen Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten. Der Kläger ist blind. Die entsprechende Statusentscheidung des Versorgungsamts auf Grundlage von § 3 Abs 1 Nr 3 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV), der mit dem Verweis auf § 72 Abs 5 SGB XII ein inhaltsgleicher Blindheitsbegriff zugrunde liegt, ist für den Anspruch auf Blindenhilfe bindend (Blüggel in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl 2020, § 72 RdNr 28, Stand Januar 2021; zum landesrechtlichen Pflegegeldverfahren bereits BVerwG vom 27.2.1992 - 5 C 48.88 - BVerwGE 90, 65). Ein Bezug anderweitiger Leistungen ist nicht festgestellt. Nach § 19 Abs 3 SGB XII ist aber zusätzlich erforderlich, dass den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen (§ 82 Abs 1 Satz 1 SGB XII) und Vermögen (§ 90 Abs 1 SGB XII) nicht zuzumuten (§ 87 Abs 1, § 90 Abs 2 und 3 SGB XII) ist. Das SG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob beim Kläger oder seiner Ehefrau Einkommen oder Vermögen in ggf bedarfsdeckender Höhe vorhanden ist und wird dies noch nachzuholen haben.
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Sollten die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen, steht die Gewährung von Blindenhilfe in entsprechender Anwendung des § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII im Ermessen des Beklagten. Maßgeblich sind alle Umstände des Einzelfalls, die sich ggf auch aus den Besonderheiten des ausländerrechtlichen Status eines Leistungsberechtigten nach § 1 Abs 1 AsylbLG ergeben. Ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null liegt auf Grundlage der bisherigen Feststellungen des SG allerdings nicht vor. Aus dem dargestellten Sinn und Zweck der Verweisung in das SGB XII in § 2 Abs 1 AsylbLG einerseits und dem Zweck der Blindenhilfe andererseits folgt, dass allein der nicht abschließend gesicherte Status des Asylbewerbers oder des nur Geduldeten nicht ausschließlich die Entscheidung rechtmäßig macht, einen Anspruch auf Blindenhilfe abzulehnen. Welche weiteren Aspekte bei der Ermessensentscheidung eine Rolle spielen können, ist vorliegend nicht zu entscheiden.
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Das SG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
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