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BSG 01.11.2017 - B 14 AS 26/17 R
BSG 01.11.2017 - B 14 AS 26/17 R - Sozialgerichtliches Verfahren - Versäumung der Revisionseinlegungsfrist - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Rechtsanwaltsverschulden - Organisationsverschulden - durch Bürokraft versäumte Eintragung der Frist in Handakte und Fristenkalender - Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses ohne ausreichende Vorkehrungen zur Vermeidung der Fristversäumnis
Normen
§ 164 Abs 1 S 1 SGG, § 67 Abs 1 SGG, § 73 Abs 6 S 7 SGG, § 85 Abs 2 ZPO
Vorinstanz
vorgehend SG Altenburg, 17. November 2014, Az: S 40 AS 3578/12, Urteil
vorgehend Thüringer Landessozialgericht, 3. August 2016, Az: L 7 AS 1600/14, Urteil
Tenor
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Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 3. August 2016 wird als unzulässig verworfen.
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Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Revision vor dem Bundessozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin U zu bewilligen, wird abgelehnt.
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Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
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I. Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung und Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 6.10.2011 bis 31.3.2012 in Höhe von 2158,93 Euro durch das beklagte Jobcenter (Bescheid vom 15.5.2012; Widerspruchsbescheid vom 7.9.2012). Während er mit seiner Klage hiergegen vor dem SG erfolgreich war (Urteil vom 17.11.2014), hat das LSG die Klage unter Aufhebung des Urteils des SG abgewiesen und dem Kläger wegen Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung Kosten in Höhe von 600 Euro auferlegt (Urteil vom 3.8.2016). Nach Zulassung der Revision durch Beschluss des Senats vom 30.3.2017 hat der Kläger am 27.7.2017 Revision eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, nachdem seine Prozessbevollmächtigte das Empfangsbekenntnis über die Zustellung des Zulassungsbeschlusses am 24.4.2017 unterschrieben und am selben Tag an das BSG zurückgegeben hatte.
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Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat der Kläger ua angeführt, der Beschluss vom 30.3.2017 sei seiner Prozessbevollmächtigten noch während der Öffnung der Post am 24.4.2017 zur Einsichtnahme vorgelegt und sodann mit der weiteren Post auf den noch zu bearbeitenden Poststapel im Sekretariat zurückgelegt worden. Da die Dienstanweisung zur Fristeneintragung und -überwachung unmissverständlich sei, habe sich die Prozessbevollmächtigte darauf verlassen dürfen, dass die damit befasste und stets zuverlässig arbeitende Rechtsanwaltsfachangestellte die Fristen ordnungsgemäß in den Fristenkalender eintragen würde. Das sei jedoch offenbar ebenso unterblieben wie die Vorlage der Handakten mit dem entsprechenden Posteingang an die Prozessbevollmächtigte, da die Rechtsanwaltsfachangestellte davon ausgegangen sei, dass dieser der Inhalt des Beschlusses bekannt gewesen sei.
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II. Die nicht in der gesetzlichen Frist eingelegte Revision ist durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 169 Satz 2 und 3 SGG).
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Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich einzulegen (§ 164 Abs 1 Satz 1 SGG). Der Kläger hätte mithin auf den Beschluss über die Zulassung der Revision vom 30.3.2017, welcher ihm am 24.4.2017 mit zutreffender Rechtsmittelbelehrung zugestellt wurde, Revision gegen das Urteil des LSG bis zum Ablauf des 24.5.2017 einlegen müssen (§ 64 Abs 2 SGG). Dem genügt die erst am 27.7.2017 beim BSG eingegangene Revisionsschrift nicht.
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Dem Kläger ist auch nicht antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionseinlegungsfrist zu gewähren (§ 67 Abs 1 SGG). Die Voraussetzung hierfür, nämlich dass der Kläger ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, ist nicht erfüllt. Der Kläger hat schuldhaft die Revisionseinlegungsfrist versäumt, da er sich das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss (§ 73 Abs 4 Satz 1 und Abs 6 Satz 7 SGG iVm § 85 Abs 1 ZPO). Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten selbst ist der Prozesspartei stets zuzurechnen. Kein Verschulden des Prozessbevollmächtigten liegt dagegen vor, wenn er darlegen kann, dass ein Büroversehen vorliegt und er alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (vgl nur BSG vom 3.8.2016 - B 6 KA 5/16 B - juris RdNr 10).
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Ein dem Kläger zuzurechnendes Organisationsverschulden seiner Prozessbevollmächtigten ist gegeben, wenn die Nichteinhaltung der Frist darauf beruht, dass sie es versäumt hat, durch eine zweckmäßige Büroorganisation, insbesondere hinsichtlich der Fristen- und Terminüberwachung und der Erledigungs- und Ausgangskontrolle, ausreichende Vorkehrungen zur Vermeidung von Fristversäumnissen zu treffen (stRspr des BSG; BSG vom 18.3.1987 - 9b RU 8/86 - BSGE 61, 213, 215 = SozR 1500 § 67 Nr 18 S 43; BSG vom 11.12.2008 - B 6 KA 34/08 B - juris RdNr 8). Grundsätzlich darf ein Rechtsanwalt darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt; er ist deshalb im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung zu vergewissern (vgl etwa BGH vom 2.4.2008 - XII ZB 189/07 - NJW 2008, 2589 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 67 RdNr 8d mwN).
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Delegierbar sind grundsätzlich nur Routineangelegenheiten. Die Berechnung von Fristen, die nicht zu den Routinefristen gehören, muss der Rechtsanwalt selbst übernehmen (BSG vom 27.7.2005 - B 11a AL 93/05 B). Die Führung von Revisionsverfahren ist für Rechtsanwälte typischerweise keine Routineangelegenheit; diese Vertretungen kommen bei ihnen im Allgemeinen nur selten vor (vgl BSG vom 28.12.1999 - B 6 KA 18/99 R - SozR 3-1500 § 67 Nr 15 S 43). Selbst wenn hier der Bürokraft gleichwohl die Berechnung der Frist zur Einlegung der Revision überlassen werden durfte, darf der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung aber nur unterzeichnen und zurückgeben, wenn sichergestellt ist, dass in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist (vgl nur BSG vom 26.11.1996 - 6 RKa 61/96 - juris RdNr 6; BGH vom 26.3.1996 - VI ZB 1/96 und VI ZB 2/96 - VersR 1996, 1390; BGH vom 2.2.2010 - VI ZB 58/09 - juris RdNr 6; BGH vom 28.4.2016 - 4 StR 474/15 - juris RdNr 17; BVerwG vom 4.2.2013 - 6 B 55/12 - juris RdNr 6 mwN). Bescheinigt der Rechtsanwalt - wie nach dem Vorbringen auch hier - den Empfang eines ohne Handakten vorgelegten Urteils, so erhöht sich damit die Gefahr, dass die Fristnotierung unterbleibt und dies erst nach Fristablauf bemerkt wird.
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Um dieses Risiko auszuschließen, muss der Anwalt, falls er nicht selbst unverzüglich die notwendigen Eintragungen in der Handakte und im Fristenkalender vornimmt, durch eine besondere Einzelanweisung die erforderlichen Eintragungen veranlassen. Auf allgemeine Anordnungen darf er sich in einem solchen Fall nicht verlassen (vgl BGH vom 25.3.1992 - XII ZR 268/91 - VersR 1992, 1536; BGH vom 16.9.1993 - VII ZB 20/93 - VersR 1994, 371). Weist er seine Bürokraft im Einzelfall mündlich an, die Rechtsmittelfrist einzutragen, müssen ausreichende organisatorische Vorkehrungen dafür getroffen sein, dass diese Anweisung nicht in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung - etwa im Drange der übrigen Geschäfte - unterbleibt (BGH vom 8.2.2012 - XII ZB 165/11 - NJW 2012, 1591 mwN; BGH vom 15.5.2012 - VI ZB 27/11 - NJW-RR 2013, 179; BGH vom 9.7.2013 - XI ZB 20/12 - juris RdNr 13 mwN; BAG vom 27.10.1994 - 2 AZB 28/94 - BAGE 78, 184; BAG vom 27.9.1995 - 4 AZN 473/95 - NZA 1996, 555). In einem solchen Fall bedeutet das Fehlen jeder Sicherung einen entscheidenden Organisationsmangel (BGH vom 15.5.2012, aaO, mwN). Welche organisatorischen Vorkehrungen in der Kanzlei der Bevollmächtigten des Klägers getroffen wurden, um trotz der Rückgabe des Empfangsbekenntnisses ohne Vorlage der Handakte und vor Eintragung der Rechtsmittelfrist zu verhindern, dass die Fristeintragung in Vergessenheit gerät, hat der Kläger indes nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht (vgl hierzu BGH vom 20.1.2009 - XI ZB 6/08 - juris RdNr 8; BGH vom 28.4.2016 - 4 StR 474/15 - juris RdNr 13).
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PKH gemäß § 73a SGG iVm § 114 ZPO ist nicht zu bewilligen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach den obigen Ausführungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwaltes (§ 73a SGG iVm § 121 ZPO) ist abzulehnen, weil kein Anspruch auf PKH besteht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
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